Urteil des LG Mönchengladbach vom 13.09.2005

LG Mönchengladbach: erwerbstätigkeit, unterhaltspflicht, erfüllung, pauschal, wohnung, miete, haushalt, nettoeinkommen, alter, fahrtkosten

Landgericht Mönchengladbach, 5 T 51/05
Datum:
13.09.2005
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 T 51/05
Schlagworte:
berufsbedingter Mehrbedarfszuschlag ab 01.01.2005
Normen:
ZPO § 850d, SGB XII § 82
Leitsätze:
Der notwendige Unterhalt gem. § 850d Abs. 1 S. 2 ZPO entspricht seit
dem 01.01.2005 dem notwendigen Lebensunterhalt i.S. des 3. und 11.
Kapitels des SGB XII. Hierbei ist dem erwerbstätigen
Vollstreckungsschuldner ein Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstä-tigkeit
von 50% des Regelsatzes zuzubilligen, soweit er die mit der Erzielung
des Ein-kommens verbundenen notwendigen Auslagen nicht konkret
darlegt.
Tenor:
In Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der dem Schuldner
zustehende monatliche pfändungsfreie Betrag aus dem Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Viersen vom 3. August 2004
bis einschließlich Juli 2005 auf 959,00 € zuzüglich zwei Drittel des
Nettomehrbetrages und ab August 2005 auf 959,00 € zuzüglich drei
Viertel des Nettomehrbetrages
festgesetzt.
Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander
aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 1.896,00 €
I.
1
Der Schuldner verfügt über ein monatliches Nettoeinkommen von durchschnittlich
1.365,00 €. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin, mit der er Zwillingskinder im Alter von
einem Jahr hat, in einem gemeinsamen Haushalt. Seine Lebensgefährtin erhielt bis zum
1. August 2005 Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 600,00 € und ist wegen der
2
Kinderbetreuung nicht erwerbstätig. Die Kosten für die 100 qm große Wohnung
belaufen sich auf eine monatliche Nettomiete von 430,00 € zuzüglich
Betriebskostenvorauszahlung von 166,00 € und 84,00 € für Strom.
Die Gläubigerin vollstreckt gegen den Schuldner wegen rückständigen und laufenden
Unterhalts aus einer Urkunde des Erftkreises vom 29. Oktober 1998 (UR-Nr. ..........). Sie
erwirkte am 3. August 2004 einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des
Amtsgerichts Viersen, der die Ansprüche des Schuldners gegen die Drittschuldnerin auf
Arbeitsentgelt zum Gegenstand hat. Der dem Schuldner zu verbleibende pfändungsfreie
Betrag wurde auf 665,00 € monatlich festgesetzt. Auf Erinnerung des Schuldners hat
das Amtsgericht den pfändungsfreien Betrag auf 975,00 € festgesetzt. Auf weitere
Erinnerung des Schuldners hat das Amtsgericht den pfändungsfreien Betrag mit dem
angefochtenen Beschluss vom 13. Januar 2005 auf 1.250,00 € monatlich festgesetzt.
3
Hiergegen richtet sich die Erinnerung der Gläubigerin, die beantragt, den
pfändungsfreien Betrag auf 1.092,00 € festzusetzen. Hinsichtlich der Berechnung wird
auf den Schriftsatz der Gläubigerin vom 24. Januar 2005 (Blatt 64 d.A.) Bezug
genommen. Die Gläubigerin ist insbesondere der Meinung, dass eine Unterhaltspflicht
gegenüber der Lebensgefährtin des Schuldners nicht bestehe.
4
Das Amtsgericht hat dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und in der
Nichtabhilfeentscheidung vom 18.03.2005 (Bl. 96/97 d.A.) ausgeführt:
5
Dem Schuldner habe folgende Grundsicherung zu verbleiben:
6
1. Haushaltsvorstand: 345,00 €
7
2. Lebenspartner: 311,00 €
8
3. Kind J : 207,00 €
9
4. Kind J : 207,00 €
10
5. Miete: 430,00 €
11
Gesamt: 1.500,00 €
12
In Anbetracht der bestehenden Unterhaltsverpflichtungen und des Nettoeinkommens
des Schuldners in Höhe von ca. 1.350,00 € erscheine ein Pfändungsfreibetrag von
monatlich 1.250,00 € als angemessen.
13
Das Amtsgericht hat die Sache der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
14
II.
15
Das Rechtsmittel ist als sofortige Beschwerde (§§ 11 Abs. 1 RPflG, 793 ZPO) zulässig
und hat in der Sache teilweise Erfolg.
16
Der pfändungsfreie Betrag ist bis einschließlich Juli 2005 auf monatlich 959,00 €
zuzüglich zwei Drittel des Nettomehrbetrages und ab August 2005 auf monatlich
959,00 € zuzüglich drei Viertel des Nettomehrbetrages festzusetzen.
17
Die Gläubigerin vollstreckt vorliegend wegen laufenden und rückständigen Unterhalts,
so dass sich die Pfändungsfreigrenzen nach § 850d ZPO richten. Nach dieser Vorschrift
ist bei einer Unterhaltspfändung das Arbeitseinkommen des Schuldners ohne
Beschränkungen pfändbar. Jedoch ist dem Schuldner soviel zu belassen, als er für
seinen notwendigen Unterhalt und zur Erfüllung seiner laufenden gesetzlichen
Unterhaltspflichten gegenüber dem Gläubiger bevorrechtigten Unterhaltsschuldnern und
zur gleichmäßigen Befriedigung gleichberechtigter Unterhaltsschuldner benötigt.
18
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (zuletzt Beschluss vom 8. Dezember 2004
- 5 T 633/04 -) errechnet sich der Betrag, den der Schuldner für seinen notwendigen
Unterhalt benötigt, nach den Vorschriften zur Sozialhilfe, also seit dem 1. Januar 2005
nach dem 3. und 11. Kapitel des SGB XII (bis dahin Abschnitte II und IV des BSHG). Die
Unterhaltsrichtlinien der Oberlandesgerichte für den notwendigen Selbstbehalt können
als Richtsätze für die Bemessung des notwendigen Unterhalts nicht herangezogen
werden. Auch die Verdoppelung der nach SGB XII (früher § 22 Abs. 2 BSHG)
festgesetzten Regelsätze für die laufenden Leistungen zum Lebensunterhalt bietet keine
geeignete Richtgröße (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 18. Juli 2003 - IXa ZB 151/03 -,
NJW 2003, 2918).
19
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (a.a.O.; so auch BGH a.a.O.) errechnet
sich der notwendige Bedarf aus dem Regelsatz nach § 28 SGB XII (seit dem 1. Januar
2005), welcher nach der ebenfalls seit dem 1. Januar 2005 maßgeblichen
Regelsatzverordnung 345,00 € (ebenso § 20 Abs. 2 SGB II) beträgt.
20
Wenn hierzu nach alter Rechtslage ein weiterer Zuschlag von 20 % des Regelsatzes für
einmaligen Mehrbedarf nach § 21 Abs. 1a BSHG gewährt wurde, kommt dies auf
Grundlage des jetzt heranzuziehenden Maßstabes nicht mehr in Betracht. In den
Regelsatzbeträgen sind Leistungen für nicht regelmäßig wiederkehrende besondere
Bedürfnisse wie Bekleidung, Hausrat und Haushaltsgeräte sowie für besondere
Anlässe bereits pauschal einbezogen, weswegen sie nach der Änderung des
Sozialhilferechts nicht durch einen ergänzenden Zuschlag noch einmal gesondert
berücksichtigt werden dürfen. Denn die §§ 30 ff. SGB XII gewähren weitere Leistungen
nur noch aus den dort bestimmten besonderen Gründen, die im Entscheidungsfall nicht
vorliegen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 850 f Rn. 2a; Stöber,
Forderungspfändung, 14. Aufl., Rn. 1176d).
21
Für die bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Rechtslage hat die Kammer dem
Schuldner in ständiger Rechtsprechung (a.a.O.) ferner gemäß § 76 Abs. 2a Nr. 1 BSHG
einen Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstätigkeit von 30 % des Regelsatzes zugebilligt.
Nach der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Rechtslage ergibt sich der
Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstätigkeit im Grundsatz aus § 82 Abs. 3 SGB XII. Der
Einkommensanteil von 30 vom Hundert nach § 82 Abs. 3 S. 1 SGB XII zielt jedoch auf
erwerbsgeminderte Personen ab, die nicht mehr als 3 Stunden täglich erwerbstätig sein
können (Stöber, a.a.O., Rn. 1176 e; Grube/Wahrendorf, Kommentar zum SGB XII, § 82
Rn. 1; OLG Hamm, Beschluss v. 24.02.2005 - 4 WF 5/05 -, Juris Nr. KORE542732005;
OLG Karlsruhe, Beschluss v. 14.03.2005 - 2 WF 8/05 -, Juris Nr. KORE425732005). Die
Kammer hält auch die Absetzungsbeträge der §§ 11 Abs. 2 Nr. 6, 30 SGB II für die
Berechnung des Mehrbedarfs für Erwerbstätigkeit nicht für angebracht, da die
Berechnung Kenntnisse von den Einkommensverhältnissen des Schuldners voraussetzt
und dies im Regelfall nicht praktikabel erscheint (Neugebauer, MDR 2005, 911, 912;
22
a.A. Stöber, a.a.O.). Zudem steht einer solchen Regelung der Sinn und Zweck des § 850
d ZPO, dem vom Schuldner in besonderem Maße abhängigen Gläubiger einen
erweiterten Zugriff auf das Arbeitseinkommen zu ermöglichen, entgegen. Es ist nämlich
nicht nachvollziehbar, aus welchem Grund berufsbedingte Aufwendungen wie
Fahrtkosten einkommensabhängig sind mit der Folge, diese prozentual an die Höhe des
Einkommens zu koppeln. Daher hält es die Kammer im Rahmen des von § 850 d ZPO
auszuübenden Ermessens für sachgerecht, den Mehrbedarfszuschlag für
Erwerbstätigkeit – mangels konkreter Angaben des Schuldners i.S.v. § 82 Abs. 2 Nr. 4
SGB XII – auch für die Rechtslage seit dem 1. Januar 2005 pauschal, und zwar
nunmehr mit 50 % des Regelsatzes zu bemessen (vgl. für die Zeit bis zum 31.
Dezember 2004 BGH, Beschluss v. 05.04.2005 - VII ZB 28/05 -, Juris Nr.
KORE310812005). Dieser Zuschlag soll einerseits dem Schuldner einen Anreiz bieten,
einer Erwerbstätigkeit, die letztlich auch dem Vollstreckungsgläubiger zugute kommt,
nachzugehen und andererseits die mit der Erwerbstätigkeit notwendigerweise
verbundenen berufsbedingten Aufwendungen angemessen auszugleichen.
Daraus ergibt sich ein weiterer Betrag von 172,50 € (345,00 € x 50 %).
23
In die Berechnung des pfändungsfreien Betrages sind weiterhin nach § 29 SGB XII die
tatsächlich angefallenen Kosten der Unterkunft einzubeziehen, soweit diese
Aufwendungen der Höhe nach nicht unangemessen sind und dem
Sozialhilfehilfeempfänger eine Verringerung des Aufwandes nicht zumutbar ist. Der
Schuldner lebt gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin und zwei Kindern in einer 100 qm
großen Wohnung. Die Kammer hält mit den Beteiligten bei einem Vier-Personen-
Haushalt eine Wohnungsgröße von 90 qm für angemessen, so dass bei einem
Kaltmietzins von 3,79 € je Quadratmeter – wovon die Beteiligten übereinstimmend
ausgehen – Mietkosten von 341,10 € zu berücksichtigen sind. Hinzu kommen
Heizkosten, die die Kammer mit 100,00 € schätzt. Weitere Nebenkosten, insbesondere
die in Ansatz gebrachten Stromkosten sind nicht zu berücksichtigen, da sie bereits im
Regelsatz für den Haushaltsvorstand enthalten sind (BGH a.a.O.; Neugebauer, a.a.O.).
24
Der notwendige Unterhalt des Schuldners ist danach wie folgt zu berechnen:
25
1. Regelsatz: 345,00 €
26
2. 50 % Zuschlag für Erwerbstätigkeit: 172,50 €
27
3. Miete: 341,10 €
28
4. Heizung: 100,00 €
29
Gesamt: gerundet
959,00 €
30
Neben dem Betrag von 959,00 € für den notwendigen Unterhalt ist dem Schuldner
soviel zu belassen, als er zur Erfüllung vor- oder gleichrangiger Unterhaltspflichten
benötigt. Der Schuldner ist gegenüber seinen beiden einjährigen Zwillingskindern und
seiner Lebensgefährtin gemäß § 1616 l Abs. 2 S. 2 BGB (vgl. § 850d Abs. 2a ZPO)
unterhaltspflichtig, da von ihr wegen der Pflege und Erziehung der Zwillingskinder eine
Erwerbstätigkeit nicht erwartet werden kann (Stöber, a.a.O., Rn. 1076).
31
Die Unterhaltspflicht gegenüber seiner Lebensgefährtin kann jedoch erst ab August
32
2005 Berücksichtigung finden, da sie vorher Erziehungsgeld in Höhe von 600,00 €
erhalten hat und Erziehungsgeld im Rahmen der Unterhaltspflicht mindernd zu
berücksichtigen ist.
Da die Differenz zwischen dem Nettoeinkommen in Höhe von 1.365,00 € und dem
notwendigen Bedarf des Schuldners in Höhe von 959,00 € zur Befriedigung aller
gleichberechtigter Unterhaltsgläubiger (drei bis Juli 2005 und vier ab August 2005) nicht
ausreicht, ist ein pfändungsfreier Betrag von 959,00 € zuzüglich zwei Drittel (bis Juli
2005) bzw. drei Viertel (ab August 2005) festzusetzen.
33
III.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.
35
Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus § 3 ZPO. Die Gläubigerin begehrt die
Absetzung des pfändungsfreien Betrages um 158,00 €, so dass der Jahresbetrag der
Herabsetzung (158,00 € x 12) in Ansatz zu bringen ist.
36
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, da der BGH in seiner Entscheidung vom
18. Juli 2003 - IXa ZB 151/03 - (a.a.O.) keinen Anlass hatte, die Frage, ob und
gegebenenfalls in welcher Höhe der notwendige Unterhalt um einen
Mehrbedarfszuschlag für Erwerbstätigkeit zu erhöhen ist, zu entscheiden. Die
Entscheidung des BGH vom 5. April 2005 - VII ZB 28/05 - (a.a.O.) ist zur Rechtslage vor
der Änderung des Sozialhilferechts zum 1. Januar 2005 ergangen.
37