Urteil des LG Mönchengladbach vom 09.12.2005

LG Mönchengladbach: vernehmung von zeugen, befangenheit, sachverständiger, reparaturkosten, meinung, einfluss, verschulden, gefahr, unparteilichkeit, anhörung

Landgericht Mönchengladbach, 5 T 496/05
Datum:
09.12.2005
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 T 496/05
Schlagworte:
Sachverständiger, Ablehnung, Befangenheit, Nichteinhaltung des
Gutachtenauftrags
Normen:
ZPO § 406, ZPO § 42
Leitsätze:
Macht ein Kraftfahrzeug-Sachverständiger, der ein Gutachten zur
Schadenshöhe er-statten soll, bewusst Ausführungen, die nicht die
Schadenshöhe sondern den Haf-tungsgrund betreffen, so kann er
wegen Besorgnis der Befangenheit mit Erfolg abge-lehnt werden.
Tenor:
In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Mönchengladbach-
Rheydt vom 10.10.2005 wird die Ablehnung des Sachverständigen
Dipl.-Ing. S. durch die Klägerin für begründet erklärt.
Für eine Kostenentscheidung besteht keine Veranlassung
I.
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Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall, bei
welchem der Beklagte zu 1. gegen die sich öffnende Fahrertür des klägerischen
Fahrzeugs gefahren ist und diese beschädigt hat. Die Parteien streiten im Wesentlichen
darum, wie weit die Tür im Kollisionszeitpunkt geöffnet war und in welchem Abstand der
Beklagte zu 1. am klägerischen Fahrzeug vorbeigefahren war. Nachdem das
Amtsgericht zum Unfallhergang, insbesondere zur Weite der Türöffnung und zum
seitlichen Fahrzeugabstand, Beweis erhoben hatte durch die Vernehmung von Zeugen,
holte es ein Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. S. ein zur Frage, ob die
Fahrzeugreparatur des Klägerfahrzeugs aufgrund des Verkehrsunfalls vom 15.10.2003
1.438,12 € kosten werde.
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Die Feststellungen des Sachverständigen enden mit folgendem Absatz:
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"Abschließend sei – auch wenn die aufgeworfene Beweisfrage konkret nur auf die
Schadenshöhe abzielt – darauf hingewiesen, dass aufgrund des Schadensbildes an der
Fahrertür des Klägerfahrzeugs davon auszugehen ist, dass die Tür – wie bereits
erwähnt – nach vorne überdehnt wurde. Bei einem parallel zur Längsachse des
Klägerfahrzeugs gerichteten Anstoß von hinten nach vorne ist davon auszugehen, dass
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die Tür zum Anstoßzeitpunkt bereits zum überwiegenden Teil geöffnet war."
Auf Grund dieser Ausführungen lehnt die Klägerin den Sachverständigen wegen
Besorgnis der Befangenheit ab, weil er über die konkret gestellte Beweisfrage zur
Schadenshöhe hinausgegangen sei. Das Amtsgericht hat nach schriftlicher Anhörung
des Sachverständigen den Ablehnungsantrag zurückgewiesen. Der Sachverständige
habe keinen Einfluss auf das Verfahren nehmen wollen, sondern lediglich ergänzend zu
seinen Ausführungen über die Unfallschäden dargelegt, dass diese Schäden auf eine
Überdehnung der Türe zurückzuführen seien. Diese Angabe halte er für notwendig, um
den Umfang der Reparaturschäden darzulegen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit
ihrer sofortigen Beschwerde, der das Amtsgericht mit der Begründung, der
Sachverständige sei zwar über seinen Auftrag hinausgegangen, dies aber mit der
Absicht, die Beweisfrage gut zu beantworten, nicht abgeholfen und der Kammer zur
Entscheidung vorgelegt hat.
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II.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 406 Abs. 5 ZPO) und hat auch in der Sache
Erfolg.
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Gem. § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur
Ablehnung eines Richters berechtigen, abgelehnt werden. Eine Ablehnung wegen
Besorgnis der Befangenheit findet gem. § 42 Abs. 2 ZPO statt, wenn ein Grund vorliegt,
der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters – hier des
Sachverständigen – zu rechtfertigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob der
Sachverständige tatsächlich befangen ist. Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des
Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig
und vernünftig denkenden Partei Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit des
Sachverständigen zu zweifeln (vgl. Zöller, ZPO, 25. Aufl., § 42 Rdn.9 m.w.N.). In der
Rechtssprechung ist anerkannt, dass solche Zweifel dann vorliegen können, wenn der
Sachverständige über die durch den Auftrag gezogenen Grenzen hinausgeht und
dadurch dem Gericht vorbehaltene Aufgaben wahrnimmt. So liegt der Fall hier.
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Die an den Sachverständigen gerichtete Beweisfrage ging allein dahin, die Höhe der
Reparaturkosten aufgrund des Verkehrsunfalls festzustellen. Von diesem Auftrag mag –
in Übereinstimmung mit der Auffassung des Sachverständigen – erfasst sein die Frage,
welche Schäden dem Unfall zuzuordnen und wie hoch diese zu bemessen sind. Aus
diesem Grund mag sich der Sachverständige noch innerhalb des Gutachtenauftrags
bewegt haben, als er den Schaden am Türrahmen wegen der von ihm festgestellten
Überdehnung bei der Reparaturkostenermittlung unberücksichtigt gelassen hat (GA
Seite 4, 2. Absatz).
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Mit seinen abschießenden oben zitierten und von der Klägerin beanstandeten
Ausführungen ist der Sachverständige jedoch eindeutig über den ihm gestellten Auftrag
hinausgegangen. Das war ihm auch bewusst, weil er selbst sagt, dass die aufgeworfene
Beweisfrage konkret nur auf die Schadenshöhe am Klägerfahrzeug ziele. Damit gibt er
zu erkennen, dass seine weiteren Ausführungen darüber hinaus gehen. Sein Hinweis
auf die zum Anstoßzeitpunkt seiner Meinung nach bereits zum überwiegenden Teil
geöffnete Tür hat jedoch keinen Einfluss auf die am Schadensbild ausgerichtete Höhe
der Reparaturkosten. Die unter den Parteien streitige Frage, wie weit die Tür am
Klägerfahrzeug geöffnet war, bezieht sich allein auf den Haftungsgrund. War die Tür nur
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wenig geöffnet, hat der Beklagte zu 2. keinen genügenden Seitenabstand eingehalten
und es liegt ein beiderseitiges Verschulden nahe. War indessen die Tür überwiegend
geöffnet, kommt ein Alleinverschulden des Zeugen S. in Betracht. Aus diesem Grund
vermag die Kammer der Auffassung des Amtsgerichts, der Sachverständige habe diese
Ausführungen für nötig gehalten, um den Umfang der Reparaturschäden darzulegen,
nicht zu folgen. Durch diesen Hinweis des Sachverständigen hat er den Haftungsgrund
problematisiert und die Beklagten – unbewusst – darin bestärkt, an ihrer Behauptung
festzuhalten, die Tür habe weit offen gestanden (vgl. Schriftsatz des Beklagtenvertreters
vom 29.08.2005 Bl. 115). Aus der Sicht der Klägerin besteht dadurch die Gefahr, dass
der Prozessverlauf für sie eine nachteilige Wendung nimmt. Dies rechtfertigt aus ihrer
Sicht die Besorgnis, dass der Sachverständige nicht unvoreingenommen ist, sondern
dem Gericht eine Hilfestellung bei der Beurteilung des Haftungsgrundes geben wollte,
was ihm jedoch nach der ihm gestellten Beweisfrage nicht zusteht.
Die Kammer geht davon aus, dass der Sachverständige nicht in
Benachteiligungsabsicht gegenüber der Klägerin gehandelt hat. Er hat es vielmehr –
wie das Amtsgericht in der Nichtabhilfeentscheidung ausführt – gut gemeint. Auf die
subjektive Einstellung des Sachverständigen kommt es jedoch nicht an, sondern allein
darauf, ob objektive Gründe aus der Sicht des Ablehnenden vorliegen, die Zweifel an
der Unvoreingenommenheit begründen. Das ist – wie aufgezeigt – der Fall.
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Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht. Gerichtskosten sind im
Beschwerdeverfahren nicht entstanden, weil die Beschwerde Erfolg gehabt hat (KV
1811 Anlage 1 GKG). Da das Ablehnungsverfahren zum Rechtszug gehört (§ 19 Abs. 1
S. 2 Nr. 3 RVG), sind auch außergerichtliche Kosten nicht entstanden.
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Für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine Veranlassung, da die
Voraussetzungen gem. § 574 ZPO nicht vorliegen.
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Jopen
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