Urteil des LG Mönchengladbach vom 19.04.2002

LG Mönchengladbach: unterbringung, gesetzlicher vertreter, öffentliche sicherheit, zwangsbehandlung, einwilligung, genehmigung, einsichtsfähigkeit, einspruch, zwangsmedikation, therapie

Landgericht Mönchengladbach, 5 T 99/02
Datum:
19.04.2002
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
5 T 99/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt, 4 XIV 9/02 .L
Schlagworte:
öffentlich-rechtliche Unterbringung zivilrechtliche Unterbringung
medizinische Zwangsbehandlung
Normen:
§§ 10, 11, 18 PsychKG-NW, § 1906 BGB
Leitsätze:
1. Die öffentlich-rechtliche Unterbringung ist gegenüber der
zivilrechtlichen Unterbringung grundsätzlich subsidiär.
2. Eine öffentlich-rechtliche Unterbringung kommt allerdings neben einer
bereits bestehenden zivilrechtlichen Unterbringung z. B. dann in
Betracht, wenn eine medizinische Zwangsbehandlung zur Abwendung
einer erheblichen Gefahr für die öffentliche Sicherheit auch gegen oder
ohne den Willen des Betreuers erforderlich ist. Das kann insbesondere
dann der Fall sein, wenn der Betreuer sich weigert, einer gemäß § 18
Abs. 4 PsychKG-NW erforderlichen Zwangsbehandlung zuzustimen.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Betroffenen wird der Beschluss
des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 28. Februar 2002
(4 XIV 9/02.L) aufgehoben.
Für die Betroffene, die seit Jahren an einer chronifizierten Psychose aus dem
schizophrenen Formenkreis leidet, besteht seit 1997 eine vom Amtsgericht
Mönchengladbach-Rheydt eingerichtete Betreuung mit den Aufgabenkreisen
Aufenthaltsbestimmung, Gesundheitsfürsorge, Vermögenssorge und Entscheidung über
Unterbringung, seit dem 07.04.1998 mit Einwilligungsvorbehalt. In der Vergangenheit
wurde die Betroffene in einer Vielzahl von Fällen zeitweilig in einer psychiatrischen
Klinik untergebracht, zum Teil auf Anordnung ihres jeweiligen Betreuers mit
Zustimmung des Vormundschaftsgerichts nach § 1906 BGB, zum Teil auch nach den
Bestimmungen des nordrhein-westfälischen Gesetzes über Hilfen und
Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG-NW). Bei der Betroffenen
besteht derzeit eine Schwangerschaft im fortgeschrittenen Stadium. Der
voraussichtliche Geburtstermin ist im Mai 2002.
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Am 15.01.2002 beantragte die Stadt Mönchengladbach beim Amtsgericht
Mönchengladbach-Rheydt unter Vorlage eines ärztlichen Attestes die einstweilige
Unterbringung der Betroffenen in einem psychiatrischen Krankenhaus nach den
Bestimmungen der §§ 10, 11 PsychKG-NW. Durch Beschluss vom 16.01.2002 ordnete
das Amtsgericht daraufhin die einstweilige Unterbringung der Betroffenen für die Dauer
von sechs Wochen mit sofortiger Wirkung an. Die Betroffene ist seitdem in den
Rheinischen Kliniken in Mönchengladbach-Rheydt untergebracht.
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Mit Schreiben vom 25.02.2002 beantragte die jetzige Betreuerin der Betroffenen, Frau
..., die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung nach § 1906 Abs. 2 BGB für eine
geschlossene Unterbringung der Betroffenen.
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Am 28.02.2002 hörte das Amtsgericht die Betroffene sowie die Betreuerin und den
Verfahrenspfleger in den Räumen der Rheinischen Kliniken Mönchengladbach
persönlich an.
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Durch den im vorliegenden Verfahren angefochtenen Beschluss vom 28.02.2002 (4 XIV
9/02.L) ordnete das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt sodann die weitere
Unterbringung der Betroffenen in einem abgeschlossenen psychiatrischen Krankenhaus
für die Zeit bis zum 15.08.2002 gemäß §§ 10, 11 PsychKG-NW mit sofortiger Wirkung
an. Diese Entscheidung wurde der Betroffenen am 06.03.2002 zugestellt.
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Durch Beschluss vom 01.03.2002 (versehentlich datiert auf den 01.02.2002) im
Betreuungsverfahren 4 XVII 211/97 genehmigte das Amtsgericht Mönchengladbach-
Rheydt sodann die von der Betreuerin beantragte Unterbringung der Betroffenen bis
zum 31.07.2002 mit sofortiger Wirkung. Auch diese Entscheidung wurde der Betroffenen
am 06.03.2002 zugestellt. Mit weiterem Beschluss vom 01.03.2002 (ebenfalls
versehentlich datiert auf den 01.02.2002) verlängerte das Amtsgericht zudem die
bestehende Betreuung mit Wirkung bis längstens zum 29.02.2006.
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Mit einem am 17.03.2002 bei Gericht eingegangenen Schreiben macht die Betroffene
geltend, sie wolle "Einspruch erheben gegen die Länge des eingerichteten PsychKG".
Sie glaube nicht, dass es zum Wohl ihres Kindes und zu ihrem eigenen sei, wenn sie
bis August dieses Jahres zwangsweise untergebracht sei. Sie fühle sich
verantwortungsbewusst und selbständig genug, in einer eigenen Wohnung zu leben.
Darüber hinaus lehne sie Frau ... als Betreuerin ab. Mit einem weiteren, ebenfalls am
17.03.2002 bei Gericht eingegangenen Schreiben teilt die Betroffene ergänzend mit, sie
wolle "gegen das 2. erhobene PsychKG Einspruch erheben".
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Das Amtsgericht hat den Rechtsmitteln der Betroffenen nicht abgeholfen und die Sache
dem Landgericht zur Entscheidung vorgelegt.
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II.
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Die beiden Schreiben der Betroffenen vom 17.03.2002 sind dahingehend auszulegen,
dass die Betroffene damit jeweils ein Rechtsmittel gegen den im vorliegenden Verfahren
ergangenen Beschluss vom 28.02.2002 über ihre Unterbringung nach §§ 10, 11
PsychKG-NW und gegen den im Betreuungsverfahren 4 XVII 211/97 ergangenen
Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 01.03.2002 über die
vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung durch die Betreuerin
einlegen wollte. Das Rechtsmittel gegen den erstgenannten Beschluss ist Gegenstand
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des vorliegenden Beschwerdeverfahrens. Wegen des ebenfalls angefochtenen
Beschlusses vom 01.03.2002 wird auf das Beschwerdeverfahren 5 T 98/02 vor der
erkennenden Kammer verwiesen.
Soweit sich die Betroffene im vorliegenden Verfahren gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom 28.02.2002 über ihre weitere
Unterbringung nach §§ 10, 11 PsychKG-NW bis zum 15.08.2002 wendet, handelt es
sich um eine sofortige Beschwerde gemäß §§ 13 Abs. 1 PsychKG-NW, 70m Abs. 1, 70g
Abs. 3 S.1, 70 Abs.1 S.1 Nr. 3 FGG, die als solche zulässig, insbesondere rechtzeitig
eingelegt ist
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Das Rechtsmittel ist auch in der Sache begründet.
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Der angefochtene Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach-Rheydt vom
28.02.2002 ist aufzuheben, weil für eine öffentlich-rechtliche Unterbringung nach den
Vorschriften des PsychKG-NW neben der bereits bestehenden und auch rechtmäßig
fortbestehenden (vgl. hierzu die Entscheidung der erkennenden Kammer im Verfahren 5
T 98/02) Unterbringung der Betroffenen durch die Betreuerin nach § 1906 BGB
jedenfalls im hier zu entscheidenden Fall kein Raum ist.
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Zwar liegen bei der Betroffenen, wie das Amtsgericht zu Recht festgestellt hat, die
Voraussetzungen einer weiteren öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach § 11
PsychKG-NW grundsätzlich vor. Die Betroffene ist jedoch darüber hinaus auch
zivilrechtlich durch Anordnung ihrer Betreuerin nach § 1906 BGB mit Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts bis zum 31.07.2002 in den Rheinischen Kliniken
Mönchengladbach-Rheydt untergebracht. Die letztgenannte Unterbringung der
Betroffenen erfolgte zu Recht, wie die Kammer in ihrem Beschluss im Parallelverfahren
5 T 98/02 näher ausgeführt hat.
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Wenn aber, wie im vorliegenden Falle, zugleich die Voraussetzungen einer öffentlich-
rechtlichen Unterbringung nach §§ 10, 11 PsychKG-NW und die einer Unterbringung
durch den Betreuer nach § 1906 BGB vorliegen, so ist für eine öffentlich-rechtliche
Unterbringung kein Raum (OLG Hamm, FamRZ 2000, 1122; Palandt-Diederichsen,
BGB, 61. Aufl., § 1906, Rnr. 1). Die öffentlich-rechtliche Unterbringung tritt in diesen
Fällen als subsidiäre Maßnahme zurück (BVerfG NJW 1982, 693-694; Klüsener/
Rausch, NJW 1993, 617, 622). Dies entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung der
erkennenden Kammer (vgl. Beschluss vom 23.11.2001, 5 T 456/01). Der
Unterbringungsentscheidung durch den zur Aufenthaltsbestimmung berechtigten
Betreuer kommt regelmäßig eine größere Sachnähe zu als dem durch die staatlichen
Ordnungsbehörden eingeleiteten öffentlich-rechtlichen Unterbringungsverfahren. Die
privatrechtliche Unterbringung bildet daher das mildere Mittel, neben dem es
grundsätzlich einer zusätzlichen Unterbringung nach dem PsychKG-NW nicht bedarf.
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Das Fortbestehen der öffentlich-rechtlichen Unterbringung nach dem PsychKG-NW
neben der Unterbringung durch die Betreuerin nach § 1906 BGB ist vorliegend auch
nicht im Hinblick auf eine bei der Betroffenen möglicherweise erforderliche
Zwangsbehandlung geboten. Eine solche kommt bei der Betroffenen, wie sich u.a. aus
dem ärztlichen Attest vom 15.01.2002 (Bl. 12 d.A.) ergibt, durchaus in Betracht, da die
Betroffene die Einnahme der erforderlichen Medikamente ablehnt.
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Hinsichtlich der Zulässigkeit einer zwangsweisen Behandlung gelten für die öffentlich-
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rechtliche Unterbringung nach dem PsychKG-NW und die privatrechtliche
Unterbringung nach § 1906 BGB teilweise unterschiedliche Regelungen.
Bei der Unterbringung nach § 1906 BGB berechtigt die vormundschaftsgerichtliche
Genehmigung nach § 1906 Abs. 2 BGB für sich genommen noch nicht zur Vornahme
medizinischer Maßnahmen gegen den Willen des Betroffenen (Palandt-Diederichsen,
aaO., Rnr. 3; vgl. auch BayObLG FamRZ 1990, 1154, 1155). Eine zwangsweise
Behandlung des nach § 1906 BGB untergebrachten Betreuten ist gleichwohl nicht
generell unzulässig. Ihre Zulässigkeit folgt vielmehr den allgemeinen Regeln. Hiernach
kann der Betreuer, sofern er auch für den Aufgabenkreis der Gesundheitsfürsorge
zuständig ist, wirksam in die Vornahme einer Heilbehandlung auch gegen den Willen
des Betreuten einwilligen, wenn diesem die natürliche Einsichtsfähigkeit im Hinblick auf
die konkret zur Entscheidung stehende Maßnahme fehlt. Bei zweifelhafter
Einsichtsfähigkeit kann der Betreute einer Zwangsbehandlung dann nicht wirksam
widersprechen, wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist (Palandt-Diederichsen,
aaO., § 1904, Rnr. 2-4). Bei bestehender Einsichtsfähigkeit ist dagegen eine
Zwangsbehandlung des Betreuten weder im Rahmen einer Unterbringung nach § 1906
BGB noch außerhalb einer solchen zulässig.
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Bei einer Unterbringung nach dem PsychKG-NW bestimmt § 18 Abs.3 S.1 PsychKG-
NW zunächst, dass die Behandlung, vorbehaltlich der Regelungen in den
nachfolgenden Absätzen 4 und 5, grundsätzlich der Einwilligung der Betroffenen bedarf.
Können diese bei einer erforderlichen Einwilligung Grund, Bedeutung und Tragweite
der Behandlung nicht einsehen oder sich nicht nach dieser Einsicht verhalten, ist nach §
18 Abs.3 S.2 PsychKG-NW die Einwilligung der gesetzlichen Vertretung oder der
rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten erforderlich. Insoweit entspricht die Rechtslage im
Hinblick auf eine mögliche Zwangsbehandlung der oben beschriebenen Situation im
Rahmen der privatrechtlichen Unterbringung nach § 1906 BGB. Darüber hinausgehend
erlaubt § 18 Abs.4 PsychKG-NW allerdings in den Fällen von Lebensgefahr, von
erheblicher Gefahr für die eigene und die Gesundheit anderer Personen die
Behandlung ohne oder gegen den Willen Betroffener oder deren gesetzlicher Vertreter
oder der rechtsgeschäftlich Bevollmächtigten.
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Nur in dem letztgenannten Bereich des § 18 Abs.4 schafft daher das PsychKG-NW
Möglichkeiten der Zwangsbehandlung untergebrachter Personen, welche über den
Rahmen des bei der privatrechtlichen Unterbringung nach § 1906 BGB Zulässigen
hinausgehen. Diese Unterschiede rechtfertigen es jedoch ― jedenfalls im vorliegenden
Falle ― nicht, beide Unterbringungsarten nebeneinander aufrecht zu halten. Nach dem
im Betreuungsverfahren erstatteten Gutachten des Sachverständigen Dr. .... vom
10.02.2002 muss bei der Betroffenen davon ausgegangen werden, dass diese
krankheitsbedingt nicht in der Lage ist, Art und Umfang ihrer Erkrankung, die
Notwendigkeit einer medikamentösen Therapie sowie die mit einer Nichteinnahme der
erforderlichen Medikamente verbundenen Gefahren zu erkennen. Insofern liegt bei der
Betroffenen eine fehlende Einsichtsfähigkeit vor, welche auch im Rahmen einer
zivilrechtlichen Unterbringung nach § 1906 BGB erforderlichenfalls die Behandlung
gegen den Willen der Betroffenen erlaubt, zumal ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet
worden ist. Es bedarf daher hier der weitergehenden Möglichkeiten des § 18 Abs.4
PsychKG-NW nicht. Zwar ist im Rahmen der zivilrechtlichen Unterbringung nach § 1906
BGB eine zwangsweise Behandlung des nicht einsichtsfähigen Betroffenen nur mit
Zustimmung des Betreuers zulässig, während § 18 Abs.4 PsychKG-NW sie auch ohne
dessen Zustimmung erlaubt. Hierin liegt jedoch gerade ein zusätzlicher Schutz für den
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Betroffenen, der nicht ohne zwingenden Grund umgangen werden sollte. Im
vorliegenden Falle ist dies auch nicht erforderlich, da eine Einwilligung der Betreuerin in
eine eventuell erforderliche Zwangsmedikation der Betroffenen ohne Weiteres kurzfristig
eingeholt werden kann. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass es nach Aktenlage
bisher nur in ganz vereinzelten Fällen erforderlich war, der Betroffenen während der
Unterbringung Medikamente zwangsweise beizubringen.
Trotz der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung war eine Entscheidung über die
Kosten der Unterbringung nach § 32 Abs.2 oder 3 i.V.m. Abs.4 S.1 PsychKG-NW nicht
zu treffen. Nach diesen Vorschriften sind die Kosten der Unterbringung nur dann der
Staatskasse oder unter den weiteren Voraussetzungen des Abs.3 der antragstellenden
Körperschaft aufzuerlegen, wenn die Voraussetzungen für die Unterbringung von
Anfang an nicht vorgelegen haben. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, da die
Voraussetzungen der Unterbringung nach § 11 PsychKG-NW im Zeitpunkt der
angefochtenen Entscheidung vorlagen und die Aufhebung der angefochtenen
Entscheidung nur auf der Subsidiarität der Unterbringung nach dem PsychKG-NW
gegenüber der fortbestehenden Unterbringung nach § 1906 BGB beruht.
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Das Beschwerdeverfahren ist gemäß § 131 Abs. 3 KostO gerichtsgebührenfrei. Für eine
Erstattung außergerichtlicher Kosten gemäß § 13a FGG besteht keine Veranlassung.
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Rechtsmittelbelehrung:
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Gegen diese Entscheidung ist das Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde
zulässig. Sie kann bei dem Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt, dem Landgericht
Mönchengladbach oder dem Oberlandesgericht Düsseldorf eingelegt werden.
Geschieht dies schriftlich, so muss die Beschwerdeschrift von einem Rechtsanwalt
unterzeichnet sein. Die sofortige weitere Beschwerde muss innerhalb einer Frist von
zwei Wochen, die mit Zustellung dieses Beschlusses beginnt, bei einem der
vorgenannten Gerichte vorliegen. Mit ihr kann nur geltend gemacht werden, dass die
Entscheidung auf einer Verletzung des Gesetzes beruht.
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