Urteil des LG Mönchengladbach vom 04.12.2007

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Landgericht Mönchengladbach, 3 O 211/07
Datum:
04.12.2007
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 211/07
Schlagworte:
Schadensersatz wegen Schließung eine Wettannahmestelle
Normen:
OBG NRW § 39; BGB § 39; GG Art. 34
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin begehrt Entschädigung bzw. Schadensersatz wegen der Schließung ihrer
Wettannahmestelle auf der ..............................straße .......... in ...............................
2
Die Klägerin ist eine Ende 2005 gegründete Aktiengesellschaft. In Kooperation mit
lizenzierten europäischen Anbietern von Pferderrennen- und sonstigen Sportwetten
betreibt sie ein bundesweites Netz für Pferde- und Sportwetten. Die ursprünglich von
einem anderen Wettanbieter am 18. November 2005 eröffnete Wettannahmestelle
.............straße ........ in ................ wurde von der Klägerin am 1. März 2006 erworben. In
dieser Filiale hat die Klägerin seit dem 1. März 2006 Sportwetten in Form der
sogenannten Oddset-Wette an die Firma ................................................... vermittelt.
3
Am 18. April 2006 erging folgende Ordnungsverfügung der Stadt ................................:
4
"Ich gebe Ihnen auf, den Betrieb der Annahme- und Vermittlungsstelle für
Sportwetten in .........................., .............................. bis zum 30. April 2006
einzustellen.
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Gleichzeitig ordne ich gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung
dieser Ordnungsverfügung an."
6
Zur Begründung heißt es insoweit unter anderem wie folgt:
7
"Nach 14 OBG können die Ordnungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen
treffen, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren. Es
ist unbestritten, dass die anderen Verletzungen von Strafvorschriften nicht nur
eine Gefahr, sondern bereits eine Störung der öffentlichen Sicherheit bedeutet.
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Die von Ihnen vermittelten Sportwetten sind Glücksspiele im Sinne des § 284
StGB. Nach dieser Vorschrift dürfen Glücksspiele in Deutschland nur mit
behördlicher Erlaubnis veranstaltet werden. Rechtsgrundlage für die Zulassung
von Sportwetten in Nordrhein-Westfalen ist § 1 SportWG vom 14. Dezember
1999."
9
"Das Wettunternehmen ist nicht im Besitz einer für Nordrhein-Westfalen nach
den §§ 1, 2 des Nordrhein-westfälischen Sportwettengesetz erforderlichen
Erlaubnis. Danach kann Träger des Wettunternehmens nur eine juristische
Person des öffentlichen Rechts oder eine juristische Person des Privatrechts
sein, deren Anteile überwiegend juristischen Personen des öffentlichen Rechtes
gehören."
10
"Dieser Ausschluss von privaten Wettveranstaltern ist durch zwingende Gründe
des Allgemeininteresses gerechtfertigt, nämlich eine übermäßige Ausnutzung
der Nachfrage von Glücksspielen zu verhindern, durch staatliche Kontrolle
einen ordnungsgemäßen Spielablauf zu gewährleisten und eine Ausnutzung
des natürlichen Spieltriebs zu privaten und gewerblichen Gewinnzwecken
entgegenzuwirken."
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Sodann setzt sich die Beklagte mit der Frage der "Europäischen Dienstleistungsfreiheit"
und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28.März 2006, worauf unten noch
näher eingegangen wird, auseinander. Gegen diese Ordnungsverfügung hat die
Klägerin am 29. April 2006 Widerspruch eingelegt, am 8. Mai 2006 hat sie zudem einen
Antrag nach § 18 Abs. 5 VwGO bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf gestellt. Diesen
Antrag hat das Verwaltungsgericht Düsseldorf mit Beschluss vom 23. Mai 2006
Aktenzeichen: 3 L 865/06 – abgelehnt. In der Begründung heißt es u.a. wie folgt:
12
"Dieser ordnungsrechtlichen Befugnis stünde auch eine Verfassungswidrigkeit
des in Nordrhein-Westfalen geltenden Sportwettengesetzes nicht entgegen, wie
das Bundesverfassungsgericht in Bezug auf das bayerische Landesrecht
entschieden hat.
13
Die Rechtmäßigkeit eines solchen Eingreifens steht nicht die Freiheit des
Dienstleistungsverkehrs gemäß der Artikel 49 S. 1 EGV entgegen. Diese
Vorschrift garantiert keinen unbeschränkten bzw. unbeschränkbaren Anspruch."
14
Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am 1. Juni 2006 Beschwerde eingelegt. Diese
Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen mit
Beschluss vom 9. Oktober 2006 - Aktenzeichen: 4 D 898/06 – zurückgewiesen. In den
Gründen heißt es u.a. wie folgt:
15
"Der Senat legt dabei allerdings zugrunde, dass das staatliche Monopol für
Sportwetten, das nach § 284 StGB in Verbindung mit den Vorschriften des
Sportwettengesetzes NRW auch in Nordrhein-Westfalen besteht, in seiner
gegenwärtigen Ausgestaltung mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit
16
unvereinbar ist. Insoweit folgt der Senat den Feststellungen und Bewertungen
des Bundesverfassungsgerichts zur Rechtslage nach dem Bayerischen
Staatslotteriegesetz vom 29. April 1999 in dem Urteil vom 28. März 2006 -
Aktenzeichen: 1 BvR 1054/01 -, die auf die in Nordrhein-Westfalen geltende
Rechtslage in allen wesentlichen Punkten übertragbar sind.
Der Senat geht aber davon aus, dass das Sportwettengesetz Nordrhein-
Westfalen in seiner gegenwärtigen Fassung nach Maßgabe der Gründe der
genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts weiter anwendbar ist
und dass gewerbliche Veranstaltungen von Wetten durch private
Wettunternehmen die Vermittlung solcher Wetten weiterhin ordnungsrechtlich
unterbunden werden können."
17
Sodann legt das Oberverwaltungsgericht dar, dass es davon ausgehe, dass sich die
gegenwärtige Rechtslage in Nordrhein-Westfalen in derselben Weise im Widerspruch
zur Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit befindet, wie sie dem Grundrecht der
Berufsfreiheit aus Artikel 12 Abs. 1 GG widerspricht. Es führt anschließend insoweit aus,
dass es geboten sein kann,
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"die Rechtsfolgenfolgen einer Kollision mit höherrangigem Recht zu
beschränken, um unerträgliche Konsequenzen einer sonst eintretenden
Regelungslosigkeit zu vermeiden. Dies gilt innerhalb des Gemeinschaftsrechts
und des nationalen Rechts wie im Verhältnis dieser beiden Rechtsordnungen
zueinander im Grundsatz gleichermaßen. Entsteht durch die Nichtanwendung
einer nationalen Rechtsvorschrift eine inakzeptable Gesetzeslücke, kann der
Vorrang des Europäischen Rechts deshalb (vorerst ) nicht greifen."
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Die Klägerin hält das Verhalten der Beklagten für rechtswidrig und beziffert den ihr
bisher entstandenen Schaden auf 31.941,14 €.
20
Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 31.941,14 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 8. Mai 2007 zu zahlen
22
und
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festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche weiteren Schäden
zu ersetzen, die ihr durch die gegen sie gerichtete Ordnungsverfügung der
Beklagten vom 18. April 2006 seit dem 1. Januar 2007 entstanden sind und in
Zukunft entstehen werden.
24
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
26
Die Beklagte ist der Ansicht, dass es der Klägerin vor Anrufung der ordentlichen
Gerichte oblegen hätte, den Verwaltungsrechtsweg auszuschöpfen, im Übrigen hält sie
an ihrer durch das Oberverwaltungsgerecht bestätigten Rechtsauffassung fest.
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Die Akte des Verwaltungsgerichts Düsseldorf zu Aktenzeichen 3 L 865/06 lag vor und
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war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
29
1.
30
Es ist kein Ausschlussgrund ersichtlich, der der Geltendmachung der klägerischen
Ansprüche auf der Sekundärebene entgegenstehen könnte. Eine ausschließliche und
ausdrückliche Begrenzung auf den Primärschutz ist im Rahmen des Anspruchs aus
§ 39 OBG NRW nicht erkennbar. Im Hinblick auf den gemeinschaftsrechtlichen
Haftungsanspruch hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
herausgestellt, dass der Geschädigte sich in angemessener Form um die Begrenzung
des Schadensumfangs bemüht haben muss. Dabei sei insbesondere darauf
abzustellen, ob in dieser Hinsicht alle zur Verfügung stehenden
Rechtsschutzmöglichkeiten ausgeschöpft worden seien. Hierbei handele es sich um
einen allgemeinen Grundsatz, der den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemein sei
(EuGH NJW 1996, 1267, 1271).
31
Insoweit ist hier der Rechtsgedanke des § 839 Abs. 3 BGB heranziehbar. Der Vorrang
des Primärrechtsschutzes und die damit korrespondierende sekundäre
Schadensersatzpflicht finden ihre Ausprägungen in der Verpflichtung zur
Schadensminderung, der durch die Einlegung eines Rechtsmittels, zu dem auch
Widerspruch sowie Antrag und Beschwerde im vorläufigen Rechtsschutzverfahren
zählen, nachgekommen wird. Auf diese Weise soll dem Umstand Rechnung getragen
werden, dass der Geschädigte bzw. der potentiell Geschädigte alles daran setzt, der
Entstehung des Schadens entgegenzuwirken bzw. einen solchen möglichst gering zu
halten.
32
Nach diesen Maßgaben ist die Klägerin der ihr obliegenden Verpflichtung durch die
Einlegung des Widerspruchs, dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie der
Beschwerde auf den ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf
hinreichend nachgekommen.
33
2.
34
Da ein Verschulden der Beklagten nicht erkennbar ist, scheiden Ansprüche nach § 839
BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG aus.
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Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch aber auch nicht
verschuldensunabhängig aus § 39 Abs. 1b OBG NRW oder als
gemeinschaftsrechtlicher Haftungsanspruch zu.
36
Während § 39 Abs. 1b OBG NRW eine rechtswidrige Maßnahme voraussetzt besteht
ein gemeinschaftsrechtlicher Haftungsanspruch dann, wenn die Rechtsnorm, gegen die
verstoßen worden ist, bezweckt, dem Einzelnen Recht zu verleihen, der Verstoß
"hinreichend qualifiziert" ist und zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat
obliegende Verpflichtung und den der geschädigten Personen entstandenen Schaden
ein mittelbarer Kausalzusammenhang besteht.
37
Auszugehen ist davon, dass das staatliche Wettmonopol für Sportwetten Nordrhein-
Westfalen sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen das Gemeinschaftsrecht
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Westfalen sowohl gegen das Grundgesetz als auch gegen das Gemeinschaftsrecht
verstößt.
Durch Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (NJW 2006, 1261-
1267) steht mit Gesetzeskraft fest, dass das staatliche Wettmonopol für Sportwetten in
Bayern mit dem Grundrecht der Berufsfreiheit unvereinbar ist. Die dortigen
verfassungsrechtlichen Aussagen treffen dabei gleichermaßen auf die Rechtslage in
Nordrhein-Westfalen zu (siehe Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2.
August 2006 zu Aktenzeichen: 1 BvR 2677/04).
39
Das staatliche Wettmonopol ist darüber hinaus auch unvereinbar mit der in Artikel 43
und 49 EGV normierten Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit. Insofern hat das
Bundesverfassungsgericht in dem oben genannten Urteil ausgeführt:
40
"Insofern laufen die Anforderungen des Deutschen Verfassungsrechts parallel
zu den vom Europäischen Gerichtshof zum Gemeinschaftsrecht formulierten
Vorgaben. Nach dessen Rechtsprechung ist die Unterbindung der Vermittlung
in anderen Mitgliedstaaten mit dem Gemeinschaftsrecht nur vereinbar, wenn ein
Staatsmonopol wirklich dem Ziel dient, die Gelegenheiten zum Spiel zu
vermindern, und die Finanzierung sozialer Aktivitäten mit Hilfe einer Abgabe auf
die Einnahme aus genehmigten Spielen nur eine nützliche Nebenfolge, nicht
aber der eigentliche Grund der betriebenen restriktiven Politik ist (vgl. EuGH,
Urteil vom 6. November 2003 – C – 243/01 – Gambelli u.a. usw.). Die Vorgaben
des Gemeinschaftsrechts entsprechen damit denen des Grundgesetzes”.
41
Aus dieser Unvereinbarkeit mit dem Grundgesetz und dem Gemeinschaftsrecht kann
jedoch nicht ohne weiteres auf die Rechtswidrigkeit der Schließungsverfügung
geschlossen werden.
42
Zu dieser Frage hat das Bundesverfassungsgericht im oben genannten Urteil folgendes
ausgeführt:
43
"Die Unvereinbarkeit des in Bayern bestehenden staatlichen Wettmonopols mit
Artikel 12 Abs. 1 GG führt nicht gemäß § 95 Abs. 3 S. 1 BfG zur Nichtigkeit der
angegriffenen Rechtslage.
44
Steht eine gesetzliche Regelung mit dem Grundgesetz nicht in Einklang, hat der
Gesetzgeber aber mehrere Möglichkeiten, den Verfassungsverstoß zu
beseitigen, trägt das Bundesverfassungsgericht dem regelmäßig in der Weise
Rechnung, dass es die Regelung nur für unvereinbar mit dem Grundgesetz
erklärt (...). Das ist auch hier geboten."
45
"Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der
Sportwetten unter Ausübung seines rechtspolitischen Gestaltungsspielraums
neu zu regeln."
46
"Für die Neuregelung ist eine Frist bis zum 31. Dezember 2007 angemessen.
47
Während der Übergangszeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung bleibt die
bisherige Rechtslage mit der Maßgabe anwendbar, dass der Freistaat Bayern
unverzüglich ein Mindestmaß an Konsistenz zwischen dem Ziel der
Begrenzung der Wettleidenschaft und der Bekämpfung der Wettsucht einerseits
48
und der tatsächlichen Ausübung seines Monopols andererseits herzustellen hat.
Das gewerbliche Veranstalten von Wetten durch private Wettunternehmen und
die Vermittlung von Wetten, die nicht vom Freistaat Bayern veranstaltet werden,
dürfen weiterhin als verboten angesehen werden und ordnungsrechtlich
unterbunden werden."
49
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze war die in Frage stehende
Schließungsverfügung vom 18. April 2006 nicht rechtswidrig.
50
Wie auch bei festgestellten Verstößen des nationalen Rechts gegen
gemeinschaftsrechtliche Regelungen ist der Niederlassungs- und
Dienstleistungsfreiheit während der vom Bundesverfassungsgericht eingeräumten
Übergangsphase nicht unbedingt Vorrang einzuräumen. Diesbezüglich heißt es in
einem Beschluss des 11. Senates des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 25.
Juli 2006 (NVwZ 2006, 1435 ff.) wie folgt:
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"Zwar hat sich der EuGH noch nicht ausdrücklich dazu geäußert, ob eine
Bestimmung des nationalen Rechts, die selbst oder in ihrem Vollzug mit
Gemeinschaftsrecht unvereinbar ist, vorübergehend angewendet werden darf,
um eine schrittweise Anpassung an die Anforderungen des
Gemeinschaftsrechts zu ermöglichen (...). Allerdings hat der EuGH mehrfach
betont, dass der Vorrang des Gemeinschaftsrechts die Befugnis der nationalen
Gerichte unberührt lasse, bei festgestellten Verstößen gegen das
Gemeinschaftsrecht unter mehreren nach der innerstaatlichen Rechtsordnung in
Betracht kommenden Wegen diejenigen zu wählen, die zur Um- oder
Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts geeignet erscheinen (EuGH, Urteile
vom 4. April 1968 – Rs. 34 – 67 [Lück], und vom 22. Oktober 1998 – C – 10/97 –
u.a. -, EuZW 1998, 719 [720]).
52
Bezüglich des hier in Frage stehenden Ausschlusses privater Anbieter von der
Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten hat der EuGH überdies – wie
bereits erwähnt – den Mitgliedsstaaten ausdrücklich auch das Recht
eingeräumt, durch Schaffung eines staatlichen Monopols eine private
wirtschaftliche Betätigung in diesem Bereich vollständig zu unterbinden, sofern
dies durch zwingende Gründe des allgemeinen Wohls gerechtfertigt und das
Handeln des Staates tatsächlich (nur) auf die Verfolgung dieser
Gemeinwohlbelange ausgerichtet ist. Dies schließt die Befugnis ein, auch
während des Übergangs zu einem diesen Erfordernissen entsprechenden
rechtlichen und tatsächlichen Zustand unter vorübergehende Anwendung des
geltenden Rechts keine private Betätigung bei der Veranstaltung von
Vermittlung von Sportwetten zuzulassen, wenn durch die Zulassung privater
Veranstalter und Vermittler die auf die Herbeiführung eines
gemeinschaftskonformen staatlichen Sportwettenmonopols ausgerichtete
Konzeption des Staates gefährdet und hierdurch eine – nicht anders
auszuräumende – erhebliche Gefährdung wichtiger Allgemeininteressen
herbeigeführt wurde, die deutlich schwerer wiegt als die Beeinträchtigung der
gemeinschaftsrechtlich verbürgten Grundfreiheiten der durch die staatlichen
Maßnahmen getroffenen Anbieter. Unter diesen – engen – Voraussetzungen
erweist sich die Einschränkung gemeinschaftsrechtlicher Grundfreiheiten durch
eine zeitlich begrenzte Fortgeltung des mit Gemeinschaftsrecht kollidierenden
53
nationalen Rechts nicht als unverhältnismäßig. Einer vorübergehenden
Suspendierung des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechtes, wie sie
das OVG Nordrhein-Westfalen ins einem Beschluss vom 28. Juni 2006 – 4 B
961/06 – unter den genannten Voraussetzungen angenommen hat, bedarf es
nach Ansicht des Senates aus den dargelegten Gründen nicht."
Dieser Einschätzung schließt sich die Kammer nach eigener Meinungsbildung voll
inhaltlich an.
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Gerade in Fällen, in denen es nicht – vorrangig – um fiskalische Interessen, sondern um
anerkannte Interessen des Gemeinwohls geht (Vermeidung problematischen
Spielverhaltens, insbesondere durch Minderjährige, Suchtprävention,
Verbraucherschutz, Betrugsvorbeugung, Vermeidung von Anreizen zu überhöhten
Ausgaben für das Spielen u.s.w.) muss dem nationalen Gesetzgeber die Möglichkeit
eingeräumt werden, das nationale Recht bei Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht diesem
– schrittweise – anzupassen. Jedenfalls zum Zeitpunkt der infragestehenden
Schließungsverfügung war der hierfür zur Verfügung stehende Zeitraum noch nicht
überschritten.
55
3.
56
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
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Streitwert: 35.000,00 €
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