Urteil des LG Mönchengladbach vom 13.01.2010

LG Mönchengladbach (sturz, vernehmung von zeugen, rollstuhl, aufstehen, patient, abgrenzung zu, körperliche unversehrtheit, zustand, pflegepersonal, notwendigkeit)

Landgericht Mönchengladbach, 6 O 370/08
Datum:
13.01.2010
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 O 370/08
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung
gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu
vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin verlangt aus übergegangenem Recht Ersatz für Pflegeaufwendungen.
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Der verstorbene …., geb. am …., war gesetzlich krankenversichertes Mitglied der
Klägerin.
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Nach einem ersten Aufenthalt in den von der Beklagten betriebenen …. im Jahr 2005,
wurde …. am 29. Juni 2005 in die vollstationäre Pflegeeinrichtung im Altenheim …in
Mönchengladbach aufgenommen.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 04. August 2005 wurde die
zeitweise Beschränkung der Freiheit des Versicherten vormundschaftlich genehmigt am
Tage und in der Nacht durch Bettgitter, Beckengurt, Schutzdecke oder ähnliches und
Vorstecktisch im Rollstuhl. Die Genehmigung war befristet bis zum 03. August 2007. In
den Gründen des Beschlusses heißt es u. a.:
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"Anlässlich der Anhörung des Betroffenen konnte sich das Gericht einen
unmittelbaren Eindruck davon verschaffen, wie schwer es Herrn .. fällt, zu gehen.
Überzeugend wurde davon berichtet, dass er stets versucht aufzustehen. Bei
solchen Versuchen droht er stets zu stürzen, was mit der Gefahr schwerer
Verletzungen verbunden ist. Dieser Gefahr kann wirksam nur in Gestalt der
vorliegend genehmigten Fixierungsmaßnahmen begegnet werden."
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Herr … litt laut einem Folgegutachten des … vom 30. August 2005 unter einer manisch
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depressiven Psychose mit Hyperkinesien (Tics) sowie einer Polyneuropathie der Beine
mit Gangataxie und wurde vom MDK in die Pflegestufe II eingestuft. In dem Gutachten
heißt es in Ziff. 3.1 ("Stütz- und Bewegungsapparat") u.a.:
"Aufstehen aus dem Sitzen alleine möglich. Transfers selbständig. Gehen mit
Unterstützung und Anleitung da er sehr leicht zum Tippeln und nachvorne Neigung
mit Fallneigung neigt, daher Beaufsichtigung und Unterstützung notwendig."
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Ferner ist unter Ziff. 3.4 ("Nervensystem/Psyche") zum "Situativen Anpassen" vermerkt:
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"Fehleinschätzung der eigenen Fähigkeiten."
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Laut dem Gutachten benötigte der Versicherte beim Stehen, beim Treppensteigen sowie
beim Verlassen/Wiederaufsuchen der Wohnung keine Unterstützung. Wegen des
Inhalts des …-Folgegutachtens wird auf die Anlage K 1 zur Klageschrift (Bl. 1 ff. GA)
Bezug genommen.
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Mit Pflegeüberleitung vom 30. Mai 2006 wurde Herr … in die von dem Beklagten
betriebenen …in der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie aufgenommen. Zu
dieser Zeit litt der Patient unter einer schizoaffektiven Störung. In der Pflegeüberleitung
war vermerkt, dass Aufstehen, Gehen und Sitzen im Stuhl selbständig möglich sei und
die Beweglichkeit aktiv sei. Für Einzelheiten wird auf die Pflegeüberleitung (Bl. 41 GA)
Bezug genommen.
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Am 11. Juni 2006 zog sich Herr … während seines Aufenthaltes in den… bei einem
Sturz nach dem Versuch, im Tagesraum vom Stuhl aufzustehen, eine
Oberschenkelhalsfraktur zu, die eine stationäre Heilbehandlung im …bis zum 30. Juni
2006 erforderlich machte. Der Versicherte war nach dem Aufstehen gegen 5:00 Uhr in
den Tagesraum geführt worden und hatte sich dort an einen Tisch gesetzt, wobei er
nicht fixiert wurde. Er versuchte dann plötzlich und unvermittelt aufzustehen, um etwas
auf dem Tisch umzustellen, wobei er das Gleichgewicht verlor. Hierbei zog er sich die
Oberschenkelhalsfraktur zu. Die Tage vorher hatte sich der Patient sehr
bewegungsaktiv gezeigt.
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Die Klägerin behauptet, für die stationäre Heilbehandlung in der Zeit vom 11. Juni bis
30. Juni 2006 seien gemäß Rechnung der …vom 14. Februar 2007 (Anlage K4) Kosten
in Höhe von 7.819,16 € entstanden. Sie ist der Auffassung, der Beklagte sei seiner
Pflicht, die Pflege des Versicherten so zu gestalten und zu organisieren, dass jede
vermeidbare Gefährdung ausgeschlossen war, nicht nachgekommen, weil der
Versicherte nicht fixiert worden sei. Die Verletzung sei nicht im normalen alltäglichen
Gefahrenbereich eingetreten, sondern in einer konkreten Gefahrensituation, die
gesteigerte Obhutspflichten ausgelöst habe. Sie behauptet ferner, der Beschluss des
Amtsgerichts Mönchengladbach vom 04. August 2005 sei dem Beklagten zugänglich
gemacht worden.
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Die Klägerin beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an sie € 7.819,16 nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. März 2007 zu zahlen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte meint, es sei auf den Zustand des Versicherten zum Unfallzeitpunkt
abzustellen und nicht auf den dokumentierten Zustand des Versicherten im Jahre 2005.
Unter Berufung auf eine Pflegeüberleitung vom 30. Mai 2006 behauptet der Beklagte,
der Versicherte habe zu diesem Zeitpunkt selbständig aufstehen, gehen, die Toilette
aufsuchen und auf dem Stuhl sitzen können. Der Versicherte habe sich frei auf der
Station und sogar im Park bewegt, und von Fixierungsmaßnahmen sei dem
Pflegepersonal nichts bekannt gewesen. Vielmehr sei der Versicherte auch im
Seniorenheim …nicht permanent fixiert gewesen, sondern habe vielmehr umherlaufen
können, was er auch getan habe. Vor diesem Hintergrund sei der Sturz in der konkreten
harmlosen Situation des Aufstehens nicht vorhersehbar und vermeidbar gewesen und
könne nicht dem Beklagten angelastet werden.
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Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 04. März 2009 (Bl. 52 ff.
GA), Beschluss vom 22. Juli 2009 (Bl. 82 f. GA) und Beweisbeschluss vom 31. Juli 2009
(Bl. 89 GA) durch die Vernehmung von Zeugen. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme
wird auf die Sitzungsniederschriften vom 08. Juli 2009 (Bl. 71 ff. GA), 19. August 2009
(Bl. 95 ff. GA) und vom 09. Dezember 2009 (Bl. 106 ff.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den
Parteien überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die tatsächlichen
Feststellungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen verwiesen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Ein Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Zahlung von Schadenersatz in
Höhe von 7.819,16 € aus den §§ 611, 276, 278 BGB bzw. §§ 823, 831 BGB jeweils i. V.
m. § 116 Abs. 1 SGB X besteht nicht.
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Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts nicht
fest, dass das Behandlungspersonal des Beklagten in den …vertragliche
Obhutspflichten gemäß § 280 Abs. 1 BGB bzw. Verkehrssicherungspflichten nach § 823
Abs. 1 BGB gegenüber dem Versicherten der Klägerin verletzt hätte.
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Bei einem Heimvertrag, wie er durch die Aufnahme des Herrn .. mit dem Beklagten
zustande kam, werden Obhutspflichten und inhaltsgleiche allgemeine
Verkehrssicherungspflichten zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit der Bewohner
begründet, die sie vor Schädigungen wegen Krankheit oder einer sonstigen
körperlichen oder geistigen Einschränkung durch sie selbst oder durch die Einrichtung
und bauliche Gestaltung des Altenheims schützen sollen (OLG Koblenz NJW-RR 2002,
867). Die schuldhafte Verletzung dieser Pflichten kann einen Schadenersatzanspruch
wegen Verletzung vertraglicher Pflichten aus dem Heimvertrag gemäß § 280 Abs. 1
BGB bzw. einen konkurrierenden deliktischen Anspruch aus §§ 823, 831 BGB
begründen (vgl. BGH NJW 2005, 1937).
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Diese Pflichten sind allerdings begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen,
die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind.
Dabei muss nach sämtlichen Umständen des konkreten Einzelfalls eine Abwägung
zwischen der Menschenwürde und dem Freiheitsrecht des Heimbewohners und der
Notwendigkeit, sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit unter Beschränkung
dieser Rechte zu schützen, getroffen werden (vgl. BGH NJW 2005, 1937).
Beweiserleichterungen hinsichtlich des Nachweises eines objektiven Pflichtverstoßes
des Pflegepersonals kommen in Betracht, wenn der Geschädigte im Herrschafts- und
Organisationsbereich des Schuldners zu Schaden gekommen ist und die den Schuldner
treffenden Vertragspflichten (auch) dahin gingen, den Geschädigten gerade vor einem
solchen Schaden zu bewahren. Dies setzt jedoch voraus, dass der Sturz entweder
anlässlich einer konkreten Hilfsmaßnahme erfolgt oder aber eine geschuldete
Hilfeleistung verabsäumt worden ist (vgl. BGH NJW 2005, 1937; OLG Hamm, NJW-RR
2003, 30). Erst dann ist der Schluss auf eine Pflichtverletzung des
Behandlungspersonals gerechtfertigt.
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Vorliegend geht es gerade um die der Beweiserleichterung vorgelagerte Frage, ob sich
der Sturz des Herrn .. im voll beherrschbaren bzw. voll zu beherrschenden
Risikobereich des beklagten Krankenhauses in Abgrenzung zu dem eigenen
alltäglichen Gefahrenbereich des Patienten ereignet hat, weil dieser nach seinem
Gesundheitszustand bzw. seinem Verhalten ständig im Rollstuhl hätte fixiert werden
müssen, um ein selbständiges Aufstehen und Gehen zu unterbinden und die Begleitung
sämtlicher Transfers durch das Pflegepersonal zu gewährleisten. Sie ist nach der
Beweisaufnahme zu verneinen.
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Zu berücksichtigen ist, dass der Sturz des Herrn .. Folge eines selbst initiierten
Aufstehens war, nachdem der Patient sich zuvor in einer alltäglichen Sitzposition am
Frühstückstisch befunden hatte. Um das Aufstehen des Herrn .. und den
anschließenden Sturz sicher zu verhindern, hätte dieser in seinem Stuhl fixiert werden
müssen, um eigene Bewegungsinitiativen zu verhindern. Eine dauerhafte Fixierung in
allen Alltagssituationen hätte aber einen ganz erheblichen und nachhaltigen Eingriff in
die Menschenwürde und die Freiheitsrechte des Patienten bedeutet. Er wäre als ultima
ratio allenfalls dann zu rechtfertigen gewesen, wenn – wie es in dem Beschluss des
Amtsgerichts Mönchengladbach vom 04. August 2005 heißt – Herr … stets versucht
hätte aufzustehen und bei solchen Versuchen stets die konkrete Gefahr eines Sturzes
mit der Folge schwerer Verletzungen bestanden hätte. Diese Situation hätte auch noch
zeitnah zu dem Datum des Sturzes am 11. Juni 2006 bestehen müssen. Denn der
amtsgerichtliche Beschluss stellt lediglich eine Genehmigung zur Anwendung
freiheitsbeschränkender Maßnahmen dar. Keinesfalls begründet er eine damit
einhergehende Verpflichtung, diese Maßnahmen während seiner Gültigkeitsdauer
zwingend anzuwenden. Vielmehr waren die behandelnden Ärzte und das
Pflegepersonal stets gehalten, die Notwendigkeit der zulässigen Fixierungsmaßnahmen
unter Abwägung der Gefahren mit den Freiheitsrechten und dem Anspruch auf
Selbstbestimmung des Patienten zu überprüfen.
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Nach der Beweisaufnahme ist allerdings nicht davon auszugehen, dass Herr … in dem
Zustand, in welchem er sich nach der erneuten Aufnahme in die …am 30. Mai 2006
befand, dauerhaft hätte fixiert werden müssen, um ihn vor der Gefahr eines Sturzes zu
bewahren.
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Aus den Aussagen der Zeugen …..ergibt sich kein ständig gefahrgeneigter Zustand des
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Patienten.
Die Zeugin … hat angegeben, dass sie Herrn .. bei seiner Aufnahme selbst untersucht
habe. Sie habe ihn auf einer Strecke von der doppelten Länge des Sitzungssaals bis
zum Untersuchungszimmer begleitet und sich währenddessen davon überzeugt, dass
eine Gangunsicherheit nicht bestanden habe. Ihr seien lediglich kleine Unsicherheiten
aus der Zeit erinnerlich, bevor Herr … im Jahr 2005 einen Herzschrittmacher bekommen
habe. Die aktuelle Notwendigkeit einer ständigen Fixierung habe nach der erneuten
Aufnahme im Jahr 2006 nicht bestanden. Herr … habe sich vielmehr sehr aktiv gezeigt
und sei frei auf dem Gelände herumgelaufen. Nachts habe sich Herr … sogar allein in
fremde Patientenzimmer bewegt, was Veranlassung dafür gewesen sei, ihn nachts zu
fixieren, um die anderen Patienten zu schützen. Nur einmal sei Herr … gestürzt, als er
im Außenbereich der Klinik mit einem Ast auf parkende Autos eingeschlagen habe.
Dabei seien Hautabschürfungen entstanden.
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Die Angaben der Zeugin … entsprechen im Wesentlichen denjenigen der Zeugen
…,welche mit der Betreuung des Patienten in der Klinik der Beklagten betraut waren.
Sie haben zwar bekundet, dass Herr … manchmal ein "schlurfendes" Gangbild gezeigt
habe. Jedoch seien Gangunsicherheiten nicht vorhanden gewesen, die eine
Unterstützung beim Gehen notwendig gemacht hätten. Auch beim Sitzen sei eine
Fixierung nicht notwendig gewesen. Die Zeugin … hat ergänzend ausgeführt, dass der
Patient manchmal beim Essen fixiert worden sei, aber nur um zu verhindern, dass er
anderen Patienten ins Essen griff und mit seinem Essen herummatschte. Beide
Zeuginnen haben ebenfalls bestätigt, dass Fixierungsmaßnahmen ansonsten nur
nachts zum Schutz anderer Patienten notwendig gewesen seien. Im Übrigen hat die
Zeugin … angeführt, dass Herr … manchmal gesagt habe, er werde sich fallen lassen.
Dies sei aber nach ihrer Einschätzung lediglich ein provokantes Verhalten gewesen,
weil es tatsächlich nicht zum Sturz gekommen sei. Letztlich ist es nach den Aussagen
aller drei Zeugen nur zu dem einen vorangehenden Sturz im Garten gekommen.
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Auch die Zeugin … hat geschildert, dass nach ihren Kenntnissen aus der Betreuung des
Herrn … im Seniorenheim …Gangunsicherheiten nur in depressiven Phasen des
Patienten vorgelegen hätten. In den Zeiten manischer Schübe seien derartige
Unsicherheiten nicht festzustellen gewesen. Herr … sei dann sogar nächteweise im
Krankenhaus herumgelaufen. In einer entsprechenden Phase habe sich Herr … auch
vor der Einweisung in die …befunden. Er habe in der Nacht Patienten gestört und sich
Sachen gekocht sowie eine Badewanne überschwemmt. Ferner könne sie aus dem
Krankenblatt ersehen, dass Herr … sogar im Frühstücksraum Fußball gespielt habe.
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Nichts anderes folgt schließlich auch aus der Aussage der Zeugin …, die für die
Pflegeleitung im Seniorenheim …zuständig war. Diese hat angegeben, dass Herr …
zwar zunächst durch einen Bauchgurt im Bett und am Rollstuhl fixiert worden sei. Die
Fixierung sei dann aber auf seinen eigenen Wunsch im Einvernehmen mit seiner
Ehefrau als Betreuerin und dem Heim aufgehoben worden. Sein Gangbild sei dem
Anschein nach wackelig gewesen, so dass zunächst der Eindruck entstanden sei, dass
er fallen könne. Gleichwohl habe er seinen Körper soweit unter Kontrolle gehabt, dass
er nicht gefallen sei, so dass seine Gehweise auch so akzeptiert worden sei. Für
längere Strecken habe der Patient den Rollstuhl benutzt. Er habe selbst Aufstehen und
sich in den Rollstuhl setzen können. Es sei im Übrigen versucht worden, eine
Absprache zu treffen, dass Herr … beim Gehen durch Personal begleitet werden sollte,
was im Regelfall auch funktioniert habe. Manchmal sei Herr … allerdings ungeduldig
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gewesen und allein gelaufen. Soweit die Zeugin geschildert hat, dass es Stürze
gegeben habe, so ist deren Häufigkeit und Ursache nicht klar. Die Zeugin hat
angegeben, bei den Stürzen nicht dabei gewesen, sondern erst später hinzugerufen
worden zu sein. Es sei insofern auch denkbar, dass Herr … nur aus dem Rollstuhl
herausgeglitten oder zusammengesackt sei, wenn er auf dem Boden gefunden worden
sei. Schließlich konnte die Zeugin aufgrund der vergangenen Zeit und verschiedener
Heimtätigkeiten nicht mehr angegeben, ob späterhin – etwa wegen Sturzereignissen –
wieder eine Refixierung stattgefunden habe bzw. in welchen zeitlichen Abschnitten Herr
… fixiert gewesen sei.
Nach den vorstehenden Aussagen ergibt sich für die Kammer nicht die nachweisliche
Notwendigkeit, Herrn … während seines Aufenthalts in den Kliniken der Beklagten ab
dem 30. Mai 2006 und damit auch am Tag des Sturzes am 11. Juni 2006 dauerhaft und
vorbeugend wegen Gangunsicherheiten bzw. Unsicherheiten beim Stehen zu fixieren.
Alle Zeugen haben vielmehr übereinstimmend geschildert, dass sich der Patient
grundsätzlich selbsttätig fortbewegen konnte, ohne dass stets eine Sturzgefahr bestand.
Offensichtlich war Herr … auch im Seniorenheim… nicht ständig unter Fixierung,
nachdem dieser Zustand auf eigenen Wunsch aufgehoben worden war. Nach
Auffassung der Kammer war eine dauerhafte Fixierung auch nicht nach dem Sturz des
Herrn … in den Außenanlagen der Klinik geboten. Es handelte sich hier um ein
einmaliges Sturzereignis, welches nach den Angaben der Zeugin … nur zu
geringfügigen Verletzungen geführt hatte. Wegen dieses Vorfalls musste das
Pflegepersonal des Beklagten jedoch nicht davon ausgehen, dass stets die Gefahr von
Stürzen bestünde. Gegen die Möglichkeit einer umfassenden Sturzprophylaxe ist der
erhebliche Leidensdruck des Patienten abzuwägen, der nach den Angaben der Zeugin
… insbesondere in einer aktiven Phase, wie sie zur Zeit des Sturzes unstreitig vorlag,
vorhanden gewesen sein soll. Nach Schilderung der Zeugin … war Herr … deswegen
im Seniorenheim… auf eigenen Wunsch entfixiert worden. Angesichts des
ausgeprägten Bewegungsdrangs des Patienten und seines Wunschs nach
Unterbleiben einer Fixierung waren permanente freiheitsbeschränkende
Schutzmaßnahmen ohne eine jederzeit bestehende Sturzgefahr nicht erforderlich. Zu
einem vollständigen Ausschluss jeglicher Selbstgefährdung war das Personal der
Beklagten nicht verpflichtet.
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Auch sonstige objektive Hinweise für eine jederzeitige Sturzgefahr hatte das
Pflegepersonal nachweislich nicht. Nach den Angaben der Zeugen … war der
Beschluss des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 04. August 2005 nicht bekannt und
nicht mit der Pflegeüberleitung übergeben worden. Dies entspricht auch den Angaben
des weiteren Zeugen …, der bekundet hat, den Fixierungsbeschluss nicht
weitergereicht zu haben. Im Übrigen finden sich auch in der Pflegeüberleitung vom 30.
Mai 2006 keine Hinweise auf eine fortwährende Sturzgefahr. Dort ist vielmehr vermerkt,
dass der Patient aktiv sei und selbständig aufstehen, gehen und sitzen könne. Auch die
Notwendigkeit von Hilfsmitteln wie eines Rollators o. ä. ist nicht vermerkt. Ferner hat die
Zeugin … auch verneint, dass ihr das Gutachten der Zeugin …vom 30. August 2005
bekannt gewesen sei. Nach dem objektiven Kenntnisstand des Pflegepersonals, wie er
sich aus den Aussagen der Zeugen ergibt, war demnach eine ständige Fixierung ab
dem 30. Mai 2006 wegen fortwährender Sturzgefahr nicht geboten.
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Zu einer abweichenden Beurteilung gelangt die Kammer auch nicht durch die Aussagen
der übrigen Zeugen.
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Der Aussage des Zeugen …, der im Seniorenheim …tätig war, vermag das Gericht nicht
zu entnehmen, dass bei der Pflegeüberleitung in die Klinik der Beklagten eine
Gangunsicherheit mit konkreter Sturzgefahr bestanden hätte. Der Zeuge hat zwar
bekundet, dass Herr … verschiedentlich beim Laufen gefallen sei, was mit ein Grund für
Fixierungen gewesen sei. Auch habe der Patient deshalb einen Rollator bekommen.
Allerdings konnte der Zeuge auf Nachfrage des Gerichts keinen Sturz des Herrn …
aufgrund einer Gangunsicherheit schildern. Vielmehr gab er an, nur einen Sturz
gesehen zu haben, den der Patient dadurch verursacht habe, dass er versucht habe,
trotz der Fixierung in seinem Rollstuhl aufzustehen, und dabei mit dem Rollstuhl nach
vorne übergestürzt sei. Dieser Vorfall bezieht sich aber gerade nicht auf eine
Unsicherheit bei der Bewegung des Patienten sondern ist umgekehrt gerade Resultat
von dessen Bemühungen, sich aus einer Fixierung zu befreien. Eine ständige
Sturzgefahr, die auch in entsprechenden Vorfällen manifestiert hätte, vermag das
Gericht der Aussage daher nicht zu entnehmen. Mit den von dem Zeugen
beschriebenen Gangunsicherheiten steht im Übrigen auch nicht die von ihm ausgefüllte
Pflegeüberleitung in Einklang, in welcher gerade die Fähigkeit zu selbständigem
Aufstehen, Gehen und Sitzen vermerkt und ferner die Notwendigkeit eines Rollators
nicht angegeben ist. Auf Vorhalt konnte der Zeuge nicht angeben, weshalb er
entsprechende Angaben gemacht habe. Insofern ist die Aussage des Zeugen auch
höchst widersprüchlich. Eine Überzeugung von der Notwendigkeit umfassender
Fixierung des Patienten vermag das Gericht hierauf gestützt nicht zu gewinnen.
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Auch aus den Aussagen der Zeuginnen …ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine
akute Gangunsicherheit des Patienten nach der Aufnahme am 30. Juni 2005 in den
Klinken der Beklagten, die Anlass für eine permanente Fixierung hätte sein müssen.
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Die Zeugin …hat bekundet, Herrn … am 29. Juli 2005 untersucht und dabei einen
tippelnden Gang mit einer Neigung nach vorne und auch einer Fallneigung festgestellt
zu haben. In dem vorgefundenen Zustand hätte sie den Zeugen nicht ohne
Beaufsichtigung laufen lassen. Allerdings hat die Zeugin angegeben, den Patienten nur
dieses eine Mal am 29. Juli 2005 für 45 Minuten gesehen zu haben. Allein daraus lässt
sich keine fundierte Aussage über den weit späteren Zeitpunkt um das Sturzereignis am
11. Juni 2006 herum treffen.
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Gleiches gilt für die Aussage der Zeugin… . Aus ihrer Aussage ergibt sich, dass die
Zeugin den Patienten in dem Zeitraum von April 2002 bis November 2006 betreute, bis
er nach Geilenkirchen verzog. Die Zeugin beschrieb, dass sie ihn bei ihrem ersten
Besuch im Heim am 29. Juni 2005 untersucht und festgestellt habe, dass er nicht laufen
konnte, ohne zu fallen. Soweit die Zeugin Herrn … später aufgesucht hat, hat sie ihn
nach ihren Angaben nur noch in der Weise gesehen, dass er unter Unterstützung von
Pflegepersonal vom Rollstuhl ins Bett gebracht wurde. Untersuchungen über die Frage
der Gangunsicherheit hat die Zeugin später nicht mehr vorgenommen und den
Patienten auch nicht beim selbständigen Gang beobachtet, so dass sie diesbezüglich
keine Angaben machen konnte. Auch aus dieser Aussage ergibt sich keine zeitnahe
Feststellung über den Zustand des Patienten bei dem Sturzereignis. Allerdings gab die
Zeugin an, sie habe in ihren Unterlagen vermerkt, dass Herr … unglücklich mit der
Fixierung gewesen sei. Dies spricht für den bereits erwähnten Leidensdruck des
Patienten.
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Mithin hat sich der Sturz am 11. Juni 2006 nicht in einem von dem Pflegepersonal des
Beklagten voll zu beherrschenden Risikobereich ereignet. Die Klägerin hat nicht
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nachgewiesen, dass nach dem Zustand des Herrn … und dem Kenntnisstand des
Pflegepersonals hiervon der Sturz durch ständige Fixierungsmaßnahmen hätte
verhindert werden müssen.
Mangels einer berechtigten Hauptforderung hat die Klägerin auch keine
Verzugszinsansprüche.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Der Streitwert beträgt 7.819,16 €.
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