Urteil des LG Mönchengladbach vom 11.12.2007

LG Mönchengladbach (kläger, fahrzeug, vernehmung von zeugen, höhere gewalt, verschulden, unfall, zpo, höhe, kollision, haftung)

Landgericht Mönchengladbach, 5 S 74/07
Datum:
11.12.2007
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 74/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Grevenbroich, 11 C 109/06
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 3. Mai 2007 verkün-dete
Urteil des Amtsgerichts Grevenbroich unter Zurückweisung des
weitergehenden Rechtsmittels teilweise a b g e ä n d e r t und insgesamt
wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt,
an den Kläger 2.018,14 € nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Euro-
päischen Zentralbank seit dem 11. Februar 2006 zu
zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner
dem Grunde nach mit einer Quote von 2/3 verpflichtet sind,
dem Kläger die auf die Reparaturkosten anfallende Mehrwert-
steuer sowie im Falle der Inanspruchnahme eines Mietfahr-
zeuges deren Kosten für die Dauer der Reparatur, anderen-
falls eine Nutzungsausfallentschädigung für die Dauer der
Reparatur zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich des Berufungsverfahrens
tragen der Kläger zu 1/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner zu 2/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
1
Der Kläger verlangt zu 100 % Schadensersatz aus einem Verkehrsunfallereignis vom
6. Januar 2006 auf der Venloer Straße in Höhe des Hauses Nr. 75 in Rommerskirchen.
Der Kläger befuhr mit seinem Fahrzeug Typ Mercedes Benz die Venloer Straße. Der
Beklagte zu 1. befuhr mit seinem Fahrzeug Typ Mercedes A-Klasse, das bei der
Beklagten zu 2. haftpflichtversichert ist, die Venloer Straße vor dem klägerischen
Fahrzeug. Der Beklagte zu 1. beabsichtigte, nach links in eine Grundstückseinfahrt zu
fahren, um dort zu wenden. Beim Abbiegevorgang kam es zur Kollision mit dem
Fahrzeug des Klägers, der links überholen wollte. Der Unfallhergang im Einzelnen ist
zwischen den Parteien streitig.
2
Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1. habe die Venloer Straße am rechten
Fahrbahnrand, wo sich ein Angebotsstreifen für Fahrradfahrer befindet, befahren. Er sei
mit langsamer Geschwindigkeit gefahren und habe den rechten Blinker gesetzt. Als der
Kläger an dem Fahrzeug des Beklagten zu 1. vorbeifahren wollte, sei dieser plötzlich
nach links in die gegenüberliegende Einfahrt eingebogen.
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Demgegenüber behaupten die Beklagten, der Beklagte zu 1. habe sich in Höhe des
Hauses Nr. 75 nach links zur Fahrbahnmitte eingeordnet, seine Fahrt verlangsamt und
den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt. Der Kläger habe ihn überholt, ohne darauf zu
achten, dass sich der Beklagte zu 1. bereits ersichtlich nach links eingeordnet habe.
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Der Kläger macht seinen unfallbedingten Gesamtschaden in Höhe von insgesamt
3.027,21 € geltend, der sich aus den Reparaturkosten netto und der allgemeinen
Unkostenpauschale zusammensetzt. Ferner hat der Kläger die Feststellung begehrt,
dass die Beklagten verpflichtet sind, die auf die Reparaturkosten anfallende
Mehrwertsteuer sowie die Kosten für die Nutzungsausfallentschädigung zu zahlen.
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Der Schaden des Klägers ist zwischen den Parteien außer Streit.
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Das Amtsgericht hat über den Unfallhergang Beweis erhoben durch Vernehmung von
Zeugen sowie durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen D.. Sodann hat
das Amtsgericht mit dem angefochtenen Urteil die Beklagten antragsgemäß verurteilt.
Auf Seiten der Beklagten hat das Amtsgericht ein unfallursächliches Verschulden des
Beklagten zu 1. gegen § 9 Abs. 5 StVO angenommen. Ein unfallursächliches
Verschulden des Klägers durch Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO hat das
Amtsgericht als nicht erwiesen angesehen. Im Rahmen des § 17 StVG hat das
Amtsgericht die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges vollständig zurücktreten
lassen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie sind der Meinung, für
den Kläger habe eine unklare Verkehrslage bestanden, so dass diesem ein
verkehrsunfallursächliches Verschulden vorzuwerfen sei. Darüber hinaus hätte auch die
vom klägerischen Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr bei der Quotenbildung
berücksichtigt werden müssen.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat teilweise Erfolg.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagten aus dem Verkehrsunfallereignis vom 6. Januar
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2006 auf der Venloer Straße in Rommerskirchen ein Anspruch auf Ersatz von zwei
Drittel seiner unfallbedingten Schäden zu. Die Beklagten haben folglich an den Kläger
einen Betrag von insgesamt 2.018,14 € zu zahlen. Darüber hinaus hat der Kläger
Anspruch auf die Feststellung, dass ihm dem Grunde nach ein Anspruch auf Zahlung
einer Nutzungsausfallentschädigung sowie auf Erstattung der Mehrwertsteuer in Höhe
von jeweils zwei Drittel zusteht.
Die grundsätzliche Haftung beider Parteien ergibt sich aus § 7 Abs. 1 StVG, weil der
Kläger bei dem Betrieb der unfallbeteiligten Fahrzeuge geschädigt worden ist. Der
Unfall ist auch weder durch höhere Gewalt verursacht worden noch war der Unfall für
keine der Parteien unabwendbar, weil der Kläger und der Beklagte zu 1. - wie noch
auszuführen sein wird - den Unfall verschuldet haben.
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Die grundsätzliche Haftung beider Seiten nach dem Straßenverkehrsgesetz führt zur
Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG, bei der zu Lasten einer Partei nur solche
unfallursächlichen Umstände berücksichtigt werden dürfen, auf die sich diese Partei
beruft, oder die unstreitig oder bewiesen sind. Im Entscheidungsfalle führt die
Abwägung zu einer Haftungsverteilung von zwei Drittel zugunsten des Klägers und von
einem Drittel zugunsten der Beklagten.
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Der Beklagte zu 1. hat durch seine Fahrweise gegen § 9 Abs. 5 StVO verstoßen. Dieses
unfallursächliche Verschulden muss sich die Beklagte zu 2. anrechnen lassen. Nach
dieser Vorschrift hat sich der Fahrzeugführer beim Wenden so zu verhalten, dass eine
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Dieser
Sorgfaltsanforderung ist der Beklagte zu 1. durch seine Fahrweise nicht gerecht
geworden. Bei dem Zusammenstoß mit einem links abbiegenden Fahrzeug und einem
anderen Verkehrsteilnehmer spricht bereits der erste Anschein für ein Verschulden des
Linksabbiegers. Denn ereignet sich der Unfall in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen
Zusammenhang mit dem Linksabbiegevorgang des links abbiegenden Fahrzeuges, ist
davon auszugehen, dass der Linksabbieger ohne die gebotene Sorgfalt gegenüber dem
nachfolgenden Verkehr begonnen hat, nach links abzubiegen. Nach dem Ergebnis der
vom Amtsgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der Beklagte zu 1. mit
dem Linksabbiegevorgang bereits begonnen hatte, als es zur Kollision mit dem
Fahrzeug des Klägers kam. Insoweit hat die unbeteiligte Zeugin G., die den Unfall von
einem Kiosk auf der Venloer Straße beobachtet hat, bekundet, dass es zum Unfall
gekommen sei, als der Beklagte zu 1. links abbiegen wollte. Auch der Zeuge H., der
Beifahrer im klägerischen Fahrzeug gewesen ist, hat bekundet, dass der Beklagte zu 1.
den Blinker nach links gesetzt habe und gleichzeitig nach links losgefahren sei.
Schließlich lässt sich auch aus der Aussage des Zeugen M., der Beifahrer im Fahrzeug
des Beklagten zu 1. gewesen ist, nicht feststellen, dass das Fahrzeug des Beklagten zu
1. bei der Kollision mit dem Fahrzeug des Klägers noch gestanden hat. Der Zeuge M.
hat bekundet, dass er, nachdem der Gegenverkehr durchgefahren sei, den Beklagten zu
1. darauf hingewiesen habe, dass er jetzt fahren könne. In diesem Moment sei dann von
links das klägerische Fahrzeug vorbei gerattert. Der Aussage des Zeugen M. lässt sich
nach Auffassung der Kammer nicht entnehmen, dass der Beklagte zu 1. - wie er in der
mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer ausgeführt hat - bei der Kollision mit
seinem Fahrzeug noch gestanden haben will.
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Nach Auffassung der Kammer trifft allerdings auch den Kläger ein unfallursächliches
Verschulden. Dem Kläger ist ein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorzuwerfen,
wonach ein Überholen bei unklaren Verkehrslagen unzulässig ist. Das Amtsgericht hat
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es in der angefochtenen Entscheidung nach dem Ergebnis der durchgeführten
Beweisaufnahme zu Recht als erwiesen angesehen, dass der Beklagte zu 1. seine
Fahrgeschwindigkeit verlangsamt und sich an der Mittellinie eingeordnet hatte. Darüber
hinaus hat es das Amtsgericht zutreffend als nicht bewiesen angesehen, dass der
Beklagte zu 1. den linken Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und vom rechten
Fahrbahnrand abgebogen ist. Nach der vom Amtsgericht u.a. zitierten Auffassung des
Bundesgerichtshofs (BGHZ 12, 162) schafft zwar ein auffälliges Langsamfahren und
Einordnen zur Fahrbahnmitte ohne Betätigung des linken Blinkers für sich allein noch
keine unklare Verkehrslage im Sinne der genannten Vorschrift, weil ein Fahrzeugführer
bei dieser Sachlage nicht damit zu rechnen braucht, dass der Vorausfahrende links
abbiegen werde und weil das Verlegen der Fahrlinie zur Fahrbahnmitte auch andere
Gründe haben kann. Im Entscheidungsfall ist aber zu berücksichtigen, dass nach
Aussage der vernommenen Zeugen feststeht, dass der Beklagte zu 1. vor Einleitung des
Abbiegevorganges einige Zeit mit seinem Fahrzeug gestanden hatte. Der Kläger hat
selbst im Rahmen seiner informatorischen Anhörung angegeben, dass der Beklagte zu
1. zunächst gestanden hat. Zwar soll der Beklagte zu 1. nach dem Klägervortrag am
rechten Fahrbahnrand gestanden haben, was, wie bereits dargestellt, nach dem
Ergebnis der Beweisaufnahme als nicht bewiesen anzusehen ist. Gleichwohl hat der
Kläger eingeräumt, dass ihm das Fahrzeug des Beklagten zu 1. als stehendes Fahrzeug
aufgefallen ist. Darüber hinaus hat der Zeuge M., der Beifahrer im Fahrzeug des
Beklagten zu 1. gewesen ist, bekundet, dass der Beklagte zu 1. langsamer gefahren und
zum Stehen gekommen ist. Auch die unbeteiligte Zeugin G. hat im Rahmen ihrer
Vernehmung anschaulich beschrieben, dass der Beklagte zu 1. nicht sofort links
abgebogen ist, sondern einige Zeit vor dem Abbiegevorgang gewartet hatte. Bei dieser
Sachlage liegt jedoch nach Auffassung der Kammer eine unklare Verkehrslage im
Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vor. Der Beklagte zu 1. war zunächst auffällig langsam
gefahren, hatte sich zur Fahrbahnmitte eingeordnet und hat dort einige Zeit gestanden.
Der Kläger konnte deshalb nicht verlässlich beurteilen, was der vorausfahrende
Beklagte zu 1. sogleich tun würde. Aufgrund dieser Umstände waren Zweifel über die
beabsichtigte Fahrweise des Beklagten zu 1. angebracht, so dass der Kläger von dem
Überholvorgang hätte Abstand nehmen müssen.
Bei der nach § 17 StVG gebotenen Abwägung hält die Kammer, wie bereits dargestellt,
eine Haftungsverteilung von zwei Drittel zugunsten des Klägers und von einem Drittel
zugunsten der Beklagten für gerechtfertigt. Die erste und entscheidende Ursache ist hier
von dem Beklagten zu 1. durch das Einleiten des Wendevorganges gesetzt worden.
Dieser Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO ist grob verkehrswidrig und damit
schwerwiegender als der Verschuldensbeitrag des Klägers. Zwar ist die Betriebsgefahr
des klägerischen Fahrzeugs durch den eingeleiteten Überholvorgang leicht erhöht
gewesen. Im Hinblick auf das grob verkehrswidrige Verschulden des Beklagten zu 1.
hält die Kammer gleichwohl eine deutlich höhere Haftung der Beklagten für
angemessen.
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Die unfallbedingte Schadenshöhe ist außer Streit. Zwei Drittel des Gesamtschadens
ergeben den zuerkannten Betrag.
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Soweit das Amtsgericht in seiner Entscheidung den erstmals mit Schriftsatz vom
16. März 2007 angekündigten und im Verhandlungstermin vom 19. März 2007 gestellten
Antrag auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten in der Entscheidung übersehen hat,
kommt eine Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht in Betracht. Der
Kläger hätte entweder nach § 321 ZPO die Ergänzung des Urteils beantragen oder den
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Fehler mit der Anschlussberufung rügen können. Der Kläger hat jedoch weder nach
§ 321 Abs. 2 ZPO rechtzeitig die Ergänzung des Urteils beim Amtsgericht beantragt
noch bis zum Ablauf der dem Kläger gesetzten Frist zur Berufungserwiderung in
zulässiger Weise Anschlussberufung eingelegt (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 91 Abs. 1 und 100 Abs. 4
ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
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Für die Zulassung der Revision besteht kein Anlass, weil die Voraussetzungen nicht
vorliegen.
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