Urteil des LG Mönchengladbach vom 28.08.2007

LG Mönchengladbach: injektion, spritze, medikament, schmerzensgeld, patient, aufklärungspflicht, einwilligung, eingriff, komplikationen, vollstreckbarkeit

Landgericht Mönchengladbach, 6 O 110/04
Datum:
28.08.2007
Gericht:
Landgericht Mönchengladbach
Spruchkörper:
Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 O 110/04
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand:
1
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Schmerzensgeld, materiellen Schadensersatz
sowie die Feststellung der weiteren Verpflichtung des Beklagten zum Ersatz materieller
und immaterieller Schäden wegen eines behaupteten ärztlichen Behandlungsfehlers.
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Der Kläger befand sich in der Zeit vom 27.01.1998 bis zum 10.02.2000 in
orthopädischer Behandlung bei dem Beklagten, unter anderem wegen Beschwerden im
Bereich der Halswirbel- und Brustwirbelsäure. Der Kläger leidet an einer allergischen
asthmoiden Bronchitis sowie einer Schimmelallergie, was dem Beklagten bekannt war.
Vor dem 10.02.2000 spritzte der Beklagte dem Kläger zumindest bei zwei
Gelegenheiten das Medikament Xylonest, ein Lokalanästhetikum, ohne dass es zu
allergischen Reaktionen bei dem Kläger kam. Am 10.02.2000 suchte der Kläger den
Beklagten wegen Beschwerden im Bereich der Halswirbelsäule auf. Dieser behandelte
ihn zunächst chiropraktisch und injizierte ihm anschließend das Medikament Xylonest in
die rechte Seite seines Nackens.
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Der Kläger behauptet, die Xylonest-Injektion sei wegen seiner allergischen
Vorerkrankung kontraindiziert gewesen. Der Beklagte habe das Xylonest zu schnell
gespritzt und die Injektion nicht sorgfältig gesetzt. Er habe das Xylonest einer 50ml-
Ampulle entnommen worden, die zur bessern Haltbarkeit mit Parabenen versetzt
gewesen sei, auf die er allergisch reagiere. Aufgrund der Behandlung sei es zu einem
anaphylaktischem Schock II. Grades gekommen. In der Folgezeit hätten sich die
allergischen Reaktionen erheblich verstärkt. Er leide unter einer Medikamentenallergie,
einer chronischen Stirnhöhlenentzündung, Muskelkrämpfen, verschiedenen
Lebensmittelallergien, Dauerkopfschmerzen und Konzentrationsstörungen,
Schluckbeschwerden, gehäuften Asthmaanfällen, Bindehautentzündungen,
Anschwellen des Gesichts und Hautreaktionen sowie Herzschmerzen.
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Zahnbehandlungen könne er nicht mehr unter lokaler Betäubung erhalten. Hierfür sei
die Behandlung vom 10.02.2000 ursächlich.
Im Hinblick auf die bei ihm bestandenen Allergien, habe er Eingriffe in Form von
Spritzen grundsätzlich abgelehnt. Er sei der Überzeugung, dass die von Orthopäden
verwandten Spritzen nicht helfen sondern eher schaden. Anlässlich der früheren
Behandlungen habe er diese Einstellung auch dem Beklagten mitgeteilt. Bei den
Injektionen in der Vergangenheit habe der Beklagte ihm lediglich mitgeteilt, dass diese
gegen Entzündungen seien, weitere Informationen habe er nicht erhalten. Am
10.02.2000 habe der Beklagte ihm ohne etwas zu sagen, die Spritze verabreicht. Bei
Aufklärung über die mit der Injektion verbundenen Risiken und Nebenwirkungen hätte
er sich auf die Spritze nicht eingelassen.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu
zahlen aus der fehlerhaften Behandlung vom 10.02.2000, dessen Betrag er in
das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts stellt, mindestens jedoch 40.000,--
€ nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz – mindestens jedoch
verzinslich mit 8% - seit dem 10.02.2000, spätestens seit dem 01.08.2001;
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den Beklagten zu verurteilen, an ihn 16.965,50 € zu zahlen nebst 5% Zinsen
über dem Basiszinssatz – mindestens verzinslich mit 8% - seit dem
01.08.2001;
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festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtlichen künftigen
immateriellen sowie alle weiteren vergangenen und alle künftigen materiellen
Ansprüche, die ihm infolge der fehlerhaften Behandlung ab dem 10.02.2000
entstanden sind bzw. noch entstehen werden, zu ersetzen, soweit diese
Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte
übergegangen sind bzw. übergehen werden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er behauptet, er habe den Kläger vor Setzen der Spritze über das geplante Vorgehen
informiert, gerade auch um unberechenbare Reaktionen des Klägers zu verhindern. Der
Kläger sei vor der Behandlung darauf hingewiesen worden, dass eine allergische
Reaktion bis hin zu einem allergischen Schock ausgelöst werden könnten.
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Die Kammer hat Beweis erhoben gemäß Hinweis- und Beweisbeschluss vom
02.11.2004 (Bl. 233 ff. d.A.) durch Einholung eines schriftlichen
Sachverständigengutachtens und Beweisbeschluss vom 19.07.2006 (Bl. 353f. d.A.)
durch Vernehmung der Zeuginnen ............... Wegen des Ergebnisses der
Beweisaufnahme wird verwiesen auf das Gutachten des Sachverständigen
.................vom 23.12.2005 (Bl. 291ff. d.A.) und die Sitzungsprotokolle vom 28.06.2006
(Bl. 345ff. d.A.), 30.08.2006 (Bl. 364 ff. d.A.) und 10.01.2007 (Bl. 390ff. d.A.).
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist teilweise unzulässig, im übrigen unbegründet.
15
I.
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Die Klage ist unzulässig, soweit der Kläger die Ersatzverpflichtung des Beklagten für in
der Vergangenheit entstandener materieller Schäden begehrt. Insoweit fehlt es an dem
erforderlichen Feststellungsinteresse. In diesem Umfang kann und muss der Kläger die
ihm entstandenen Schäden beziffern und diese im Wege der Leistungsklage geltend
machen.
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Für eine Feststellungsklage ist im Interesse einer endgültigen Klärung des Streitstoffs
kein Raum.
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II.
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Der Beklagte haftet dem Kläger nicht auf Zahlung von Schmerzensgeld, die
Voraussetzungen der §§ 823, 847 BGB a.F. sind nicht gegeben. Gemäß Art.299 § 8
EGBGB sind auf den vorliegenden Fall die schadensersatzrechtlichen Bestimmungen
des BGB in der bis zum 01.08.2002 geltenden Fassung anzuwenden, da das in Betracht
kommende schädigende Ereignis vor diesem Zeitpunkt stattfand.
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Ein Behandlungsfehler ist dem Beklagten nicht vorzuwerfen. Einen solchen konnte der
Sachverständige nicht feststellen. Das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und seine
zumindest Mitursächlichkeit für den Schaden hat der Patient nachzuweisen.
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Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verabreichung des Mittels
Xylonest auch im Hinblick auf die allergische Vorerkrankung des Klägers nicht
kontraindiziert gewesen ist. Bei diesem Medikament handele es sich um ein risikoarmes
Mittel, das im orthopädischen Bereich häufig verwandt werde. Insbesondere vor dem
Hintergrund, dass der Kläger in der Vergangenheit bereits wiederholt das Mittel
Xylonest gespritzt bekommen und vertragen hat, sei davon auszugehen gewesen, dass
der Kläger dieses Mittel auch weiterhin vertrage. Dass der Kläger zwischen der letzten
Spritze und der streitgegenständlichen Behandlung allergische Reaktionen gegen das
Mittel entwickelt habe, vermochte der Sachverständige den Behandlungsunterlagen
nicht zu entnehmen und werden im übrigen auch von dem Kläger nicht dargelegt.
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Mit einer akuten Reaktion auf die verabreichte Injektion habe der Beklagte nicht rechnen
müssen, weitere Vorkehrungen im Anschluss an die Behandlung waren nach den
Ausführungen des Sachverständigen nicht zu treffen. Die streitgegenständliche Injektion
erfolgte in den muskel- oder knochennahen Bereich. In einer solchen Fallkonstellation
sei mit allergischen Reaktionen innerhalb eines Zeitraumes von 5 bis 10 Minuten zu
rechnen, nicht aber darüber hinausgehend wie es der Fall bei Injektionen im
Nervenwurzelbereich ist. Auch die konkrete gesundheitliche Situation des Klägers hätte
eine längere Beobachtungszeit im Hinblick auf die in der Vergangenheit positiv
verlaufenden Behandlungen nicht erfordert.
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Ob in dem konkret durch den Beklagten injizierten Mittel Parabene –
Konservierungsstoffe - enthalten waren, die zu allergischen Reaktionen führen können,
vermochte der Sachverständige nicht zu sagen. Während in kleinen Ampullen von 5ml
oder 10ml keine Parabene vorzufinden seien, sei dieses bei größeren Ampullen
durchaus der Fall. Ob bei der streitgegenständlichen Behandlung tatsächlich Xylonest
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einer großen Ampulle entnommen wurde, was von dem Beklagten bestritten wird, hat
der insoweit beweisbelastete Kläger nachzuweisen. Ein Beweis insoweit wurde nicht
angeboten.
Auch eine Haftung des Beklagten wegen Verletzung der ihm obliegenden
Aufklärungspflicht ist nicht gegeben. Dahin gestellt bleiben kann letztlich, ob der
Beklagte den Kläger vor der Injektion in ausreichendem Maße aufgeklärt hat oder nicht.
Der Kläger hat nicht plausibel dargelegt, dass er sich bei ordnungsgemäßer Aufklärung
durch den Beklagten in einem Entscheidungskonflikt befunden hätte, aus dem heraus
die Ablehnung der Einwilligung im damaligen Zeitpunkt verständlich erscheint. War die
unterlassene Aufklärung nicht ursächlich für die mit jedem Eingriff verbundene
rechtswidrige Körperverletzung, fehlt es an einer Verletzung des durch die
Aufklärungspflicht geschützten Selbstbestimmungsrechts des Patienten. Auch wenn
den Arzt die Darlegungs- und Beweislast hierfür obliegt, reicht es nicht, wenn der
Patient nachträglich schlicht behauptet, er hätte bei erfolgter Aufklärung die Behandlung
abgelehnt. Er muss vielmehr plausibel darlegen, dass die gebotene Information ihn zum
damaligen Zeitpunkt ernsthaft vor die Frage gestellt hätte, ob er zustimmen soll oder
nicht. Einen derartigen Entscheidungskonflikt hat der Kläger nicht nachvollziehbar
dargelegt. Mit seiner behaupteten generellen Ablehnung von Spritzen vermag er einen
Entscheidungskonflikt nicht schlüssig zu begründen. Unstreitig ist ihm das nunmehr
verabreichte Mittel in der Vergangenheit zweimal durch den Beklagten injiziert worden,
ohne dass es zu Komplikationen gekommen wäre. Ebenso hat der Kläger nach seinem
eigenen Vorbringen im Rahmen zahnärztlicher Behandlungen Lokalanästhetika
gespritzt erhalten, die er erst nach der streitgegenständlichen Behandlung nicht mehr
vertrage. Grund für das Aufsuchen des Beklagten waren akute Beschwerden im HWS-
Bereich. Warum er sich bei der nunmehrigen Behandlung bei Aufklärung durch den
Beklagten in einem Entscheidungskonflikt befunden haben will, obwohl vergleichbare
Beschwerden in der Vergangenheit mit diesem Mittel trotz der bestehenden allergischen
Grunderkrankung komplikationslos behandelt worden sind, erschließt sich der Kammer
aus den Ausführungen des Klägers nicht. Dass er sich in einem Entscheidungskonflikt
befunden hat, sollten die beklagten Beschwerden denn auf die streitgegenständliche
Behandlung zurückzuführen sein, mag sicherlich bei Kenntnis der nachfolgenden
Ereignisse nachvollziehbar sein, nicht aber zum konkreten Zeitpunkt der Behandlung,
auf den es entscheidend ankommt.
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III.
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Mangels Vorliegens eines Behandlungsfehlers oder Aufklärungspflichtverletzung durch
den Beklagten scheiden auch materielle Schadensersatzansprüche aus, gleich ob sie
auf deliktischer oder vertraglicher Grundlage gestützt werden. Auch vertragliche
Ersatzansprüche erfordern das Vorliegen eines Behandlungsfehlers als
Haftungsgrundlage.
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IV.
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Der Feststellungsantrag ist, soweit er nicht bereits unzulässig ist, wie sich aus den
Ausführungen zu II. und III. ergibt, ebenfalls unbegründet.
29
V.
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Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs.1 S.1 ZPO, die Entscheidung
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über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S.1 und S.2 ZPO.
Streitwert: Klageantrag zu 1. 40.000,00 €
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Klageantrag zu 2. 16.965,50 €
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Klageantrag zu 3. 20.000,00 €
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76.965,50 €
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