Urteil des LG Mainz vom 14.09.2007

LG Mainz: unmittelbare anwendbarkeit, energie, gerichtliche zuständigkeit, gerichtsakte, zustellung, ermessen, auflage, verwirkung, erlass, rahmenvertrag

Bürgerliches Recht
LG
Mainz
14.09.2007
12 HK.O 93/06
Stromnetzkunden, die meinen, ein Recht zur Festsetzung und Rückforderung von Netznutzungsentgelten zu haben,
müssen dieses zeitnah geltend machen.
Verwirkung ist demnach gegeben, wenn ein Kunde nach einer einmal bekannt gegebenen Preisänderung zunächst zahlt
und erst später die Unbiligkeit behauptet. Dies gilt umso mehr, wenn zwischenzeitlich weitere Preisanpassungen, wie in
dem vorliegenden Fall, vorgenommen worden sind.
Geschäftsnummer:
12 HK.O 93/06
Zi
Verkündet am: 14. September 2007
als Urkundsbeamtin der
Geschäftsstelle des Landgerichts
In dem
Rechtsstreit
des Rechtsanwalts Dr. D. W. als Insolvenzverwalter
über das Vermögen a. Energie-direkt GmbH,
in B.,
-
Kläger
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H., Dr. D.
und Kollegen,
in B. -,
g e g e n
Technische Werke L. AG,
gesetzlich vertreten durch den Vorstand Dr. Ing. G. W. und
Dipl.-Kfm. S. R.,
in L.,
- Beklagte -,
- Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte B., B., H.
und Kollegen,
in B. -,
wegen
Netznutzungsentgeltes
hat die 12. Zivilkammer – 2. Kammer für Handelssachen – des Landgerichts Mainz
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht
E.
den Handelsrichter
B.
den Handelsrichter
Sch.
auf die mündliche Verhandlung vom 02. August 2007
für
R e c h t
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar
gegen Sicherheitsleistung der Beklagten in Höhe von 2.000,00 Euro.
Die Sicherheitsleistung kann auch durch selbstschuldnerische und unwiderrufliche Bürgschaft einer deutschen
Großbank, Volksbank oder Sparkasse erbracht werden.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger ist Insolvenzverwalter hinsichtlich des Vermögens der a. Energie-direkt GmbH.
Bezüglich der Insolvenzschuldnerin wurde am 01.03.2003 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum
Insolvenzverwalter bestimmt.
Die Firma a. Energie-direkt GmbH war ein Stromhändler ohne eigenes Netz.
Die Beklagte ist regionaler Stromnetzbetreiber; sie ist allgemeiner Versorger für Elektrizität im Raum L.. Gegenstand der
vorliegenden Klage sind geltend gemachte Ansprüche des Klägers auf Rückgewähr der im Jahre 2002 und davor durch
die Insolvenzschuldnerin gezahlte Netznutzungsentgelte, welche – nach der Sachdarstellung des Klägers – eine
angemessene und billige Höhe übersteigen.
Maßgebliche Zeiträume sind hier die Jahre 2002 (Klageanträge gemäß Schriftsatz vom 05.07.2006) und die Zeitspanne
bis 31.12.2001 (Klageanträge gemäß Schriftsatz vom 02.10.2006).
In der Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2002 zahlte die Insolvenzschuldnerin an die Beklagte insgesamt 46.227,28 Euro.
Die Zahlungen der Insolvenzschuldnerin beruhen auf dem Rahmenvertrag zur Belieferung von Endkunden mit
elektrischer Energie aus dem Verteilnetz der Technischen Werke L. AG vom 17.07.2001 (Anlage
K 2, Blatt 37 bis 43 der Gerichtsakte).
Ziffer 1.2 des genannten Rahmenvertrages hat die folgende Regelung:
„Bestandteile dieses Vertrages sind:
- die Preisregelungen in ihrer jeweils gültigen Fassung (Anlage 1):
“Die Zahlung der Netznutzungsentgelte nach jeweils gültigem Preisblatt erfolgt durch den Lieferanten ohne Anerkennung
einer Rechtspflicht, unter dem Vorbehalt einer gerichtlichen und behördlichen Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit“.
Der Kläger trägt vor:
Die Stromnetzbetreiber, so auch die Beklagte, hätten infolge ihrer regionalen Marktbeherrschungsposition die
Möglichkeit, die Stromnetzentgelte zu diktieren.
Dies sei eine Außerkraftsetzung von Wettbewerb. Die von der Insolvenzschuldnerin an die Beklagte gezahlten
Netznutzungsentgelte seien unangemessen überhöht, wie sich aus dem Gutachten der LBD-Beratungsgesellschaft
(Anlage K 7) ergebe.
So seien im Jahre 2002 Preissteigerungen zwischen 31 % und 35,7 % festzustellen, ohne dass hierfür nachvollziehbare
Gründe ersichtlich oder belegt seien.
Die von der Beklagten festgestellten und in Rechnung gestellten Netznutzungsentgelte würden nicht der Billigkeit
entsprechen und seien auch wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot unbillig. Die Beklagte sei daher zur
Rückerstattung der zuviel gezahlten Beträge verpflichtet. Dies beziehe sich auch auf die Differenzzahlungsanträge, die
ihre Berechtigung darin haben, dass das Gericht nach billigem Ermessen die angemessenen Netznutzungsentgelte zu
bestimmen habe und die Zuvielbeträge von der Beklagten zurückzuerstatten seien.
Der Kläger stellt die folgenden Klageanträge:
Klageanträge gemäß Schriftsatz vom 05.07.2006 (Blatt 27 ff. der Gerichtsakte):
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von
11.556,82 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu
zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Differenz zwischen
a. den für die Nutzung des Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten in dem Jahr 2002 von der a. Energie-direkt
GmbH an die Beklagte geleisteten Zahlungen in Höhe von 46.227,28 Euro abzüglich der darin enthaltenen
Umsatzsteuer, der Zuschläge nach der Konzessionsabgabenverordnung und der Zuschläge für Mehrkosten nach dem
KraftWärmekopplungsG.
und
b. dem Betrag, welcher sich ergibt aus
(1) den vom Gericht nach billigem Ermessen bestimmten allgemeinen Entgelten für die Nutzung des
Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten für das Jahr 2002 (Grund- und Verrechnungspreise in Euro/Jahr und
Arbeitspreise in Euro/kWh)
und
(2) der im gleichen Zeitraum erfolgten und von der a. Energie-direkt GmbH bezahlten Entnahmen elektrischer Energie
durch die Kunden der a. Energie-direkt GmbH, der Zahl von der a. Energie-direkt GmbH belieferten Kunden und der
Dauer ihrer jeweiligen Belieferung,
zuzüglich Umsatzsteuer auf diesen Betrag,
soweit dieser Betrag einen Betrag in Höhe von 11.556,82 Euro übersteigt.
Klageanträge gemäß Schriftsatz vom 02.10.2006:
3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von weiteren
5.290,13 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Differenz zwischen
c. den für die Nutzung des Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten
vom 01.12.2000 bis zum 31.12.2001 von der a. Energie-direkt GmbH an die Beklagte geleisteten Zahlungen in Höhe von
32.145,26 Euro abzüglich der darin enthaltenen Umsatzsteuer, der Zuschläge nach der
Konzessionsabgabenverordnung und der Zuschläge für Mehrkosten nach dem Kraft-
WärmekopplungsG, mithin 21.160,51 Euro
und
d. dem Betrag, welcher sich durch Addition ergibt aus
(1) den vom Gericht nach billigem Ermessen bestimmten allgemeinen Entgelten für die Nutzung des
Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten im Zeitraum vom 01.12.2000 bis 31.12.2001 (Arbeitspreise in Euro/kWh)
multipliziert mit den im gleichen Zeitraum erfolgten und von der a.
Energie-direkt GmbH bezahlten Entnahmen elektrischer Energie durch die Kunden der a. Energie-direkt GmbH in Höhe
von gesamt 291.152 kWh und
(2) den vom Gericht nach billigem Ermessen bestimmten allgemeinen Entgelten für die Nutzung des
Elektrizitätsversorgungsnetzes der Beklagten im Zeitraum vom 01.12.2000 bis 31.12.2001 (Grund- und
Verrechnungspreise in Euro/Jahr) multipliziert mit der Zahl der von a. Energie-direkt GmbH belieferten Kunden und der
Dauer ihrer jeweiligen Belieferung,
d. h. für den
Kunden
Dezember 00 66
Januar 01 69
Februar 01 71
März 01 74
April 01 75
Mai 01 70
Juni 01 65
Juli 01 56
August 01 56
September 01 58
Oktober 01 63
November 01 77
Dezember 01 80
zuzüglich Umsatzsteuer auf diesen Betrag,
soweit dieser Betrag einen Betrag in Höhe von 5.290,13 Euro
übersteigt,
zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte trägt vor:
Das von ihr in Rechnung gestellte Netznutzungsentgelt sei angemessen und nicht diskriminierend. Vertragsgrundlage
hierfür sei neben dem Rahmenvertrag die Verbände-vereinbarung VV, woran sie, die Beklagte, sich gehalten habe.
Damit seien die Bedingungen guter fachlicher Praxis erfüllt.
Auch sei im vorliegenden Fall die Regelung des § 315 Absatz 3 BGB nicht direkt und auch nicht analog im Interesse der
rechtshängig gemachten Klageanträge anwendbar.
Auch treffe sie, die Beklagte, nicht die Beweislast für die Angemessenheit der Netznutzungsentgelte.
Die Beklagte erhebt überdies die Einrede der Verjährung und den Einwand der Verwirkung.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist als unbegründet abzuweisen.
Hierbei lässt sich das Gericht von den folgenden Erwägungen leiten:
A. Zulässigkeit der Klage
Die Klage ist zulässig.
Das Landgericht Mainz und insbesondere die angerufene Kammer ist gemäß § 87 Absatz 1 GWB in Verbindung mit § 9
der Landesverordnung Rheinland-Pfalz über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivilsachen und Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit zuständig, da sich der Kläger – inzident –auch auf einen Kartellrechtsverstoß beruft (§ 19
Absatz 4, 20 GWB).
Der Zulässigkeit der Klage steht auch der Umstand nicht entgegen, dass die Klageanträge zu Ziffer 2. und 4. z. Zt. nicht
exakt beziffert sind. Denn bei Klagen auf Leistung einer Geldzahlung gehört zur Bestimmtheit im Sinne von § 253 Absatz
2 Nummer 2 ZPO die Angabe des begehrten Betrages.
Kann die Höhe des Betrages aber erst nach einer Gestaltung des Gerichts entsprechend pflichtgemäßem Ermessen
ermittelt und festgestellt werden, wie hier im Falle des § 315 Absatz 3 BGB, genügt die umfassende Darstellung der
Berechnungs- und Schätzungsgrundlagen sowie die Angabe der Größenordnung, beispielsweise in Form eines
Mindestbetrages (vergleiche Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflage, § 253, Randnummer 14). Diesen Anforderungen genügen
die Klageanträge und Anspruchsbegründungsschriften.
B. Begründetheit der Klage
Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg und ist als unbegründet abzuweisen.
Der Kläger hat gegenüber der Beklagten weder einen Anspruch auf Rückzahlung der bezifferten Beträge von 11.556,82
Euro und 5.290,13 Euro noch einen Anspruch der darüber hinausgehenden, von der Bestimmung durch das Gericht
abhängigen Beträge.
I.
Unmittelbare Anwendbarkeit von § 315 Absatz 3 BGB.
Allerdings sind – entgegen der Sachdarstellung der Beklagten – Tarife für Leistungen der Daseinsvorsorge, auf deren
Inanspruchnahme der andere Teil angewiesen ist, grundsätzlich einer Kontrolle gemäß § 315 BGB unterworfen. Dies gilt
insbesondere auch für Gaspreise und Stromtarife und nicht nur für Sonderabnehmer, sondern auch für Tarifkunden
(vergleiche Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Auflage 2007, § 315, Randnummer 4 mit weiteren Nachweisen).
Allerdings setzt die unmittelbare Anwendbarkeit von § 315 Absatz 3 BGB voraus, dass eine ausdrückliche oder
stillschweigende Vereinbarung zwischen den Parteien gegeben ist, wonach einer Partei ein Leistungsbestimmungsrecht
zustehen soll (einseitiges Leistungsbestimmungsrecht; vergleiche Palandt/Grüneberg, BGB, 66. Auflage 2007,
§ 315 Randnummern 4 und 9; vergleiche BGH, Urteil vom 18.10.2005, NJW 2006, 684, 685). Im vorliegenden Fall hat die
Beklagte die Netznutzungsentgelte nach ihren Preisblättern zu Grunde gelegt und kalkuliert, wobei die Kalkulation der
Entgelte nach den Verbändevereinbarungen VV 2 und VV 2 plus erfolgt sind. Bei dieser Fallkonstellation kann auch von
einem einseitigen Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten ausgegangen werden. Denn nach dem Sachvortrag der
Beklagten handelt es sich hierbei um den ausgewiesenen Preis, von dem die Beklagte behauptet, dass sie ihn nach den
Preisbindungsprinzipien der Verbändevereinbarung Strom II plus ermittelt habe. Die Beklagte beruft sich darauf, sie sei
berechtigt, das Netznutzungsentgelt, welches sie für sich in Anspruch nehme, nach den Verbändevereinbarungen Strom
II plus, insbesondere den entsprechenden Anlagen zu berechnen. Diese Vorgehensweise und Berechnung durch die
Beklagte stellt sich als ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht der Beklagten dar, nämlich ein nach dem Willen der
Vertragsparteien einseitig bestimmtes Entgelt, das der Netzbetreiber zu bestimmten Zeitpunkten ermittelt, wobei neben
dem vereinbarten Anfangspreis auch entsprechende Folgepreise kalkuliert und ermittelt werden können (BGH NJW
2006, 684, 685; Urteil des BGH vom 13.06.2007 VIII ZR 36/06: Einseitige Tariferhöhungen eines Gasversorgers
unterliegen der gerichtlichen Billigkeitskontrolle nach § 315 Absatz 3 BGB).
Die Billigkeitskontrolle durch das Gericht gemäß § 315 Absatz 3 BGB ist auch nicht durch §§ 19, 20 GWB und auch nicht
durch § 6 EnWG ausgeschlossen.
Die gerichtliche Billigkeitskontrolle wird durch die genannten kartellrechtlichen Bestimmungen nicht verdrängt (Urteil
BGH vom 13.06.2007 VIII ZR 36/06).
Vielmehr enthalten die genannten kartellrechtlichen Bestimmungen Parameter zur
Überprüfung der Angemessenheit/Unangemessenheit der verrechneten Stromtarife.
Auch die behördlich erteilte Genehmigung der Tarife bzw. der Tarifbestandteile des Elektrizitätsunternehmens gemäß §
12 a Absatz 1 BTO-Elt (Bundestarifordnung Elektrizität) hindert das Gericht nicht an der Überprüfung der Tarifentgelte
gemäß § 315 Absatz 3 BGB (BGH NJW 1998, 3188, 3192).
II.
Verjährung
1. Die Klageansprüche auf der Grundlage der Klageanträge Ziffer 1. und 2. des Schriftsatzes der
Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 05.07.2006 (Blatt 27 ff. der Gerichtsakte) sind nicht verjährt.
Im Einzelnen gilt:
Gemäß § 195 BGB beträgt die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre.
Bezüglich der bezifferten Klageanträge Ziffer 1. und 2., die sich auf eine bereicherungsrechtliche Rückzahlung der im
Jahre 2002 gezahlten Netznutzungsentgelte beziehen, gilt:
Sofern wegen unbilliger Überhöhung der Netznutzungsentgelte die Insolvenzschuldnerin eine Überzahlung geleistet hat,
entstand ein etwaiger bereicherungsrechtlicher Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte mit dem Schluss des
Jahres 2002, da streitgegenständlich die Zahlbeträge aus der Zeitspanne 01.01.2002 bis 31.12.2002 resultieren.
Verjährung eines in Betracht zu ziehenden bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs wäre mit Ablauf des
31.12.2005 eingetreten.
Im vorliegenden Fall ist allerdings der Ablauf der Verjährung noch durch rechtzeitige Zustellung eines den bezifferten
Klageantrag zum Gegenstand habenden Mahnbescheides gegen die Beklagte gemäß § 204 Absatz 1 Nummer 3 BGB
gehemmt.
Denn ausweislich der Gerichtsakte (Blatt 4) ist am 29.12.2005 der Antrag der Klägerin auf Erlass eines Mahnbescheides
bezüglich des bezifferten Rückzahlungsanspruchs (Klageantrag Ziffer 1.) bei dem Amtsgericht Wedding – Zentrales
Mahngericht in Berlin – eingegangen. Dass nicht das Zentrale Mahngericht Berlin (Amtsgericht Wedding) sondern das
Landgericht Mainz – Kammer für Handelssachen – das örtlich und funktional zuständige Gericht ist, ändert nichts daran,
dass die Verjährungshemmung auch beim Eintritt des Mahnbescheidsantrages bei dem unzuständigen Gericht eintritt.
Denn die Verjährungshemmung tritt auch dann ein, wenn das Gericht, bei dem der Mahnantrag eingegangen ist,
unzuständig ist (vergleiche Palandt/Heinrichs, BGB,
66. Auflage 2007, § 204 Randnummer 18 mit weiteren Nachweisen).
Ausweislich der Gerichtsakte wurde der Mahnbescheid am 01.02.2006 erlassen und bei der Beklagten am 10.03.2006
zugestellt. Bei diesem zeitlichen Zusammenhang tritt die Rückwirkungsfiktion der Zustellung gemäß § 167 ZPO noch ein.
§ 167 ZPO besagt:
„Soll durch die Zustellung eine Frist gewahrt oder eine Verjährung neu beginnen oder nach § 204 BGB gehemmt
werden, tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Antrages ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt.“
Im vorliegenden Fall der Zustellung des Mahnbescheides, ca. sechs Wochen nach Erlass des Mahnbescheides und ca.
zehn Wochen nach Antrag auf Erlass des Mahnbescheides, kann noch von einer Zustellung „demnächst“ ausgegangen
werden (vergleiche Zöller/Greger, ZPO, 26. Auflage, § 167, Randnummer 11 mit weiteren Nachweisen), zumal die
zeitlichen Verzögerungen nicht von dem Kläger als Antragsteller zurechenbar veranlasst sind.
2. Der bezifferte Anspruch Ziffer 3. (Schriftsatz vom 02.10.2006, Blatt 302 der Gerichtsakte) bezieht sich indessen auf
den Zeitraum vom Beginn der Netznutzung bis zum 31.12.2001. Bei diesem Anspruch ist die dreijährige Verjährung
(§ 195 BGB) bereits zum 31.12.2004 eingetreten. Hemmungstatbestände sind insoweit nicht eingetreten. Der Anspruch
gemäß Ziffer 3. der Klage ist daher verjährt.
III. Verwirkung
Die übrigen Anträge (Differenzzahlungsanträge, abhängig von der gerichtlichen Leistungsbestimmung nach § 315
Absatz 3 BGB) sind zwar nicht verjährt.
Diese Klageansprüche sind allerdings verwirkt. Ihnen steht der Einwand der Verwirkung (§ 242 BGB) entgegen. Nach
den allgemeinen Verwirkungsgrundsätzen (Zeitmoment und Umstandsmoment) kann ein solcher Verlust der
Geltendmachung von Ansprüchen dann gegeben sein, wenn der Verpflichtete bei objektiver Betrachtung aus dem
Verhalten des Berechtigten davon ausgehen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend macht.
Dieser Grundsatz gilt auch für Versorgungsverträge. Kunden, die meinen, ein Recht zur Festsetzung und Rückforderung
von Netznutzungsentgelten zu haben, müssen dieses zeitnah geltend machen. Verwirkung ist demnach gegeben, wenn
ein Kunde nach einer einmal bekannt gegebenen Preisänderung zunächst zahlt und erst später die Unbilligkeit
behauptet. Dies gilt umso mehr, wenn zwischenzeitlich weitere Preisanpassungen, wie im vorliegenden Fall,
vorgenommen worden sind (vergleiche: BGHZ 97, 212 ff., 221; vergleiche
Zenke/Wollschläger, § 315 BGB Streit um Versorgerpreise, Seite 60, 62; vergleiche Landgericht Hannover, NJW RR
1992, 1198; Landgericht Düsseldorf, ZNER 2006, 271 ff.). Eine solche Fallgestaltung ist hier gegeben. Die
streitgegenständlichen Netznutzungsentgelte hat die Insolvenzschuldnerin im Jahre 2002 (Klageanträge 1. bis 2.) und in
den Jahren davor (Klageanträge 3. und 4.) an die Beklagte gezahlt. Den behaupteten Anspruch auf Rückgewähr
angeblich unangemessen überhöhter Netznutzungsentgelte hat der Kläger aber erst zum 29.12.2005 mit dem Antrag auf
Erlass des Mahnbescheides geltend gemacht, also ca. drei Jahre nach dem maßgeblichen Zeitraum 2002 und
wenigstens vier Jahre nach dem maßgeblichen Zeitpunkt 2001.
Aus dem Rechtsgedanken des § 315 Absatz 3 Satz 2 letzter Halbsatz BGB, der bei zeitlicher Verzögerung ein Klagerecht
gewährt, ist aber abzuleiten, dass eine zeitnahe Klärung des geschuldeten billigen Entgeltes vorgenommen werden
kann und muss. § 315 Absatz 3 BGB besagt, dass die angemessene Bestimmung durch Urteil dann getroffen wird, wenn
die einseitig getroffene Entgeltbestimmung nicht der Billigkeit entspreche; das Gleiche gilt, wenn die Bestimmung
verzögert wird. Dieser Bestimmung des Gesetzes ist ein Beschleunigungsgebot zu entnehmen. Also auch bei
Verzögerung der Entgeltbestimmung besteht die Befugnis der Entgeltbestimmung durch Urteil. Dieser gesetzlichen
Beschleunigungsgebotsregelung ist daher die Verpflichtung zu entnehmen, dass die Geltendmachung des Rechts auf
gerichtliche Bestimmung des billigen Entgeltes zeitnah zu erfolgen hat (vergleiche Landgericht Hannover, Urteil vom
19.02.2007 – 21 O 88/06; Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 27.09.2006
- 34 O Kartell 220/05).
Die Insolvenzschuldnerin Firma a. Energie-direkt GmbH, hat aber für die Durchsetzung des von ihr behaupteten Rechts
über den gesamten Zeitraum nichts veranlasst. Nach einem ca. dreijährigen Zuwarten der Insolvenzschuldnerin (Anträge
1. bis 2.) und einem vierjährigen Zuwarten der Insolvenzschuldnerin (Anträge 3. und 4.) konnte sich indessen die
Beklagte darauf einrichten, dass die von ihr erhobenen Netznutzungsentgelte akzeptiert würden.
Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Insolvenzschuldnerin habe die Zahlung der
Netznutzungsentgelte unter Vorbehalt der gerichtlichen Überprüfung geleistet. Denn der rahmenvertragliche Vorbehalt
würde nur dann der Entstehung schutzwürdigen Vertrauens auf Seiten der Beklagten entgegenstehen, wenn der Kläger
zeitnah im Anschluss an die Zahlung konkrete Schritte zur Überprüfung der Angemessenheit des Netznutzungsentgeltes
eingeleitet hätte (Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 29.07.2006, 34 O Kartell 220/05; vergleiche auch: Landgericht
Mainz, Urteil vom 04.07.2007 – 9 O 237/06). Der nur pauschal erklärte Vorbehalt in dem Rahmenvertrag stellte die
Insolvenzschuldnerin nicht von der aus § 315 Absatz 3 Satz 2 BGB abzuleitenden Verpflichtung frei, gegen die konkrete
Kalkulation der Entgelte zeitnah vorzugehen. Die Insolvenzschuldnerin kannte die Preisgrundlagen und hätte die
begehrte Rückforderung weitaus früher gerichtlich geltend machen können. Eine nach etlichen Jahren erst geltend
gemachte Unbilligkeit der gezahlten Entgelte hätte zudem auch nachteilige Konsequenzen für den Netzbetrieb
insgesamt. Wollte man jeden Vertragspartnern, sei es Endverbrauchern, sei es Stromanbietern, denen die Beklagte ihr
Netz zur Verfügung stellt, das Recht einräumen, behauptete unbillige Entgelte nach mehreren Jahren von der Beklagten
zurückzuverlangen, würde dies zu erheblichen wirtschaftlichen Unsicherheiten bei der Beklagten führen. Die Summe der
einzelnen Forderungen könnte somit die Liquidität und den Bestand des Netzversorgers und damit im Ergebnis die
Versorgungssicherheit im Versorgungsgebiet der Beklagten gefährden, was nicht akzeptabel ist (vergleiche Landgericht
Mainz, Urteil vom 04.07.2004, 9 O 237/06, Seite 9).
Bei dieser Sachlage ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Absatz 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.
Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
a) 11.556,82 Euro (Antrag Ziffer 1. vom 05.07.2006),
b) 1.155,68 Euro (Anträge Ziffer 2. vom 05.07.2006; hier hat das
Gericht einen Anteil von 10 % des Antrages gemäß
Ziffer 1. bei der nach § 3 ZPO vorzunehmenden Schätzung zu Grunde gelegt),
c) 5.290,13 Euro (Antrag Ziffer 3. Schriftsatz vom 02.10.2006),
d) 529,01 Euro (Anträge Ziffer. 4. Schriftsatz vom 02.10.2006,
wiederum Anteil von 10 % des Antrages gemäß
Ziffer 3.),
Summe:
18.531,64 Euro
E. B. Sch.
Vorsitzender Richter am Landgericht Handelsrichter Handelsrichter