Urteil des LG Limburg vom 16.11.2007

LG Limburg: berufliche tätigkeit, versicherungsschutz, haftpflichtversicherung, versicherungsvertrag, beweislast, versicherungsnehmer, zutritt, ausschluss, meinung, zugang

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Gericht:
LG Limburg 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 S 116/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 1 AHB, § 4 AHB, Nr 1
PrHPflVBB, Nr 9.1 Buchst a
PrHPflVBB, Nr 9.2 Buchst b
PrHPflVBB
Privathaftpflichtversicherung: Versicherungsschutz für den
Verlust eines Generalschlüssels zur Arbeitsstätte des
Versicherungsnehmers im privaten Bereich
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wetzlar vom
24.04.2007 – 31 C 2032/05 (31) – wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass
festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet ist, betreffs des Schadensfalls von
25.5.2005 (Schaden Nr. S 0562870) vertragsgemäße Versicherungsleistungen
gemäß Versicherungsvertrag zu Versicherungsschein Nr. ... vom 01.08.2002 zu
leisten.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer privaten Haftpflichtversicherung auf
Feststellung zur Erbringung von Versicherungsleistungen in Anspruch.
Die Klägerin ist Altenpflegerin im Altenheim "Haus W" der Arbeiterwohlfahrt in W.
Am 25.05.2005 verlor die Klägerin den Generalschlüssel, der ihr den Zutritt für
sämtliche Räume des Altenheims ermöglichte. Die Art und Weise des Verlusts ist
unbekannt. Der Arbeitgeber der Klägerin setzte diese davon in Kenntnis, dass er
die Schließanlage austauschen werde, sie solle sich mit ihrer
Haftpflichtversicherung in Verbindung setzen und eine Zusage für die
Kostenübernahme erteilen (Bl. 10 d.A.). Daraufhin schrieb der Bevollmächtigte der
Klägerin die Beklagte, bei welcher die Klägerin am 01.08.2002 eine private
Haftpflichtversicherung unter Einschluss der Schäden durch Schlüsselverlust bis zu
einem Betrag von 25.000 Euro abgeschlossen hatte, an und bat um
Deckungszusage (Bl. 12 d.A.). Die Beklagte lehnte eine Eintrittspflicht ab und
verwies auf die Möglichkeit der gerichtlichen Geltendmachung binnen einer Frist
von sechs Monaten ab Zugang des Ablehnungsschreibens gemäß § 12 Abs. 3 VVG
(Bl. 13 d.A.). Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf
den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen (Blatt 103 bis 104 der
Akte).
Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei gemäß Ziffer IX .1. der
Risikobeschreibung für die Privathaftpflichtversicherung (BBR), wonach der
Schlüsselverlust mitversichert sei, eintrittspflichtig. Die Beklagte könne sich nicht
auf einen Ausschlusstatbestand berufen.
Mit Urteil vom 24.04.2007 hat das Amtsgericht dem Antrag der Klägerin
entsprechend die Beklagte verurteilt, betreffend des Schadensfalls vom 25.5.2005
Versicherungsleistung gemäß dem Versicherungsvertrag vom 1.8.2002 zu leisten.
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Das Amtsgericht hat zum einen das Rechtsschutzbedürfnis für die
Feststellungsklage der Klägerin bejaht, weil sie innerhalb der Frist von sechs
Monaten nach Ablehnung des Versicherungsschutzes wegen des ansonsten
drohenden Rechtsverlusts ihren Anspruch habe gerichtlich geltend machen
müssen (§ 12 Abs. 3 VVG) und außerdem die abstrakte Gefahr der
Inanspruchnahme durch ihren Arbeitgeber für die Kosten des Austauschs der
Schließanlage gegeben sei.
Die Beklagte sei auch für den Schadensfall nach dem Versicherungsvertrag
eintrittspflichtig. Es liege kein Ausnahmetatbestand nach Ziffer I .BBR, wonach
Gefahren des Betriebes, Berufes, Dienstes, Amtes usw. den Versicherungsschutz
für die gesetzliche Haftpflicht von vornherein ausschließen, vor. Hinsichtlich der
Gefahren eines Berufes sei darauf abzustellen, wo das Schwergewicht der Tätigkeit
liege. Die Verwahrung beruflich anvertrauter Schlüssel sei dem
Privathaftpflichtrisiko zuzuordnen. Der berufliche Schwerpunkt liege bei der
Klägerin nicht in dem Verwahren von Schlüsseln, sondern in der Pflege alter und
pflegebedürftiger Menschen. Sie könne ihren Beruf auch ohne Schlüssel ausüben.
In Ziffer IX .BBR. sei auch klargestellt, dass Vermögensschäden ausnahmsweise
vom Schlüsselverlust erfasst sein. Ein weiterer Ausschlusstatbestand nach Ziffer IX
.2 a. sei nicht gegeben, da die Klägerin den Schlüssel nicht für eigene gewerbliche,
betriebliche oder freiberufliche Zwecke genutzt oder besessen habe.
Gegen dieses ihr am 04.05.2007 zugegangene Urteil hat die Beklagte am
11.05.2007 Berufung eingelegt, die sie am 25.5.2007 begründet hat.
Die Beklagte ist der Meinung, es greife der Ausschlusstatbestand nach Ziffer IX.2.a
BBR, wonach der Verlust von Schlüsseln zu Gebäuden, die der Versicherte im
ganzen beziehungsweise zu Wohnungen oder Räumen, die der Versicherte ganz
oder teilweise für eigene – auch eigene gewerbliche, betriebliche oder freiberufliche
– Zwecke genutzt oder besitzt, nicht versichert sei. Die Klägerin habe den verloren
gegangenen Schlüssel für eigene Zwecke genutzt und besessen. Ob die Klägerin
angestellt sei, einen eigenen Gewerbebetrieb unterhalte bzw. freiberuflich tätig sei,
sei nicht maßgeblich. Ihrer Meinung nach komme es allein auf das Benutzen
beziehungsweise Besitzen für eigene Zwecke an.
Die Beklagte beantragt,
das am 24.04.2007 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wetzlar, AZ 31 C.
2032/05(31) aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung mit der Maßgabe abzuweisen, die Beklagte – im Wege des
Feststellungsurteils – zu verurteilen, betreffs des Schadensfalls vom 25.05.2005
(Schaden Nummer: S 0562870) vertragsgemäße Versicherungsleistungen gemäß
Versicherungsvertrag zu Versicherungsschein Nr. ... vom 01.08.2002 zu leisten
beziehungsweise festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, betreffs des
Schadensfalls vom 25.05.2005 (Schaden Nummer: S 0562870) vertragsgemäße
Versicherungsleistungen gemäß Versicherungsvertrag zu Versicherungsschein Nr.
... vom 01.08.2002 zu leisten.
Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie ist der Auffassung, die
Auslegung der Beklagten führe dazu, dass sie praktisch nie für einen
verlorengegangenen Schlüssel aufzukommen habe.
II.
Die Berufung ist statthaft und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und
begründet wurde (§§ 517, 519, 520 ZPO).
In der Sache bleibt ihr der Erfolg versagt.
Das Amtsgericht hat zu Recht einen Feststellungsanspruch der Klägerin bejaht.
Die Beklagte ist verpflichtet, ihr aus der abgeschlossenen
Privathaftpflichtversicherung/Komfortpaket (Vers.Nr. ...) vom 1.8.2002 Schäden
durch Schlüsselverlust bis zu einem Betrag von 25.000,– EUR (Ziffer IX. BBR) zu
ersetzen.
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Ausgangspunkt ist die im Versicherungsschein (vgl. B. 8 d. A.) enthaltene
Regelung, wonach in Erweiterung des Versicherungsschutzes versichert sind
"Schäden durch Schlüsselverlust bis zu einem Betrag von 25.000,– Euro (Ziffer IX
BBR)".
Der Ausnahmetatbestand der Ziff. I. BBR für die gesetzliche Haftpflicht für die
Gefahren eines Betriebes, Berufes, Dienstes usw. liegt nicht vor. Nach Ziff. I. BBR
ist die gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers als Privatperson aus den
Gefahren des täglichen Lebens -mit Ausnahme der Gefahren eines Betriebes,
Berufes, Dienstes, Amtes (auch Ehrenamtes), einer verantwortlichen Betätigung in
Vereinigungen aller Art oder einer ungewöhnlichen Beschäftigung versichert. Mit
dem Begriff "gesetzliche Haftpflicht des Versicherungsnehmers" wird auf § 1 AHB
Bezug genommen, wonach Versicherungsschutz für den Fall gewährt wird, dass
der Versicherungsnehmer aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen
privatrechtlichen Inhalts in Anspruch genommen wird. Die Ausnahmeregelung
verdeutlicht die Abgrenzung zur Betriebs- oder Berufshaftpflichtversicherung
(Büsken, Allgemeine Haftpflichtversicherung, Ausgewählte Deckungsfragen, 5. A.
S. 250, 251).
Betriebsbezogen ist ein Handeln des Betriebsangehörigen, wenn es dazu
bestimmt ist, den Interessen des Betriebes – auch nur indirekt – zu dienen, und in
einem inneren ursächlichen Zusammenhang zu der Betriebstätigkeit steht
(Büsken a.a.O.). Keine Betriebsbezogenheit liegt vor, wenn lediglich ein äußerer
Zusammenhang zwischen schädigender Tätigkeit und dem Betrieb besteht, mithin
der Schaden nur gelegentlich einer betrieblichen Verrichtung entsteht. Es kommt
entscheidend darauf an, welchem Risikobereich vernünftigerweise der Schaden
zuzurechnen ist (OLG Köln RuS 1992, 228). Das Aufbewahren berufsbezogener
Schlüssel im privaten Bereich ist zum Beispiel der Privathaftpflichtversicherung
zuzuordnen, weil in diesem Fall nur noch ein mittelbarer äußerer Zusammenhang
mit der beruflichen Tätigkeit vorliegt (OLG Köln a.a.O.). Lässt sich hingegen, wie
vorliegend, nicht aufklären, in welchem Zusammenhang (privat oder beruflich) der
Schlüsselverlust eingetreten ist, trägt der Versicherer das Risiko der
Unaufklärbarkeit, da ihm die Beweislast für die Voraussetzungen des
Ausschlusstatbetands der Ziff. I.BBR obliegt (BGH VersR 2004, 591, 592; Späte,
Haftpflichtversicherung, PrivH § 4 Rz.3).
Gemäß Ziff. IX.1. der BBR ist die Klägerin gegen Schlüsselverlust der sich
rechtmäßig in ihrem Gewahrsam befindlichen Schlüssel zu Gebäuden, Wohnungen,
Garagen oder Räumen einschließlich der Folgekosten bei notwendigem
Schlossaustausch (Ziff.1.a.) versichert.
Der Ausschlusstatbestand der Ziff. IX.2. a., wonach kein Versicherungsschutz
besteht für den Verlust von Schlüsseln zu Räumen, die der Versicherte für eigene-
auch eigene gewerbliche, betriebliche oder freiberufliche Zwecke nutzt oder besitzt
bzw. nutzte oder besaß, greift vorliegend nicht. Entgegen der Ansicht der
Beklagten kommt es nicht auf die Zweckrichtung des Schlüsselbesitzes an,
sondern auf diejenige der Nutzung der Räume, für deren Zugang der
Versicherungsnehmer einen Schlüssel hat. Weder der Satzbau, noch der
Sinnzusammenhang sprechen für die nach Auffassung der Beklagten gebotene
Auslegung. Zu Recht wendet die Klägerin in diesem Zusammenhang ein, dass der
Ausschluss immer umfassend wäre, wenn auf die Zweckrichtung des
Schlüsselbesitzes abgestellt würde. Denn jeder Besitzer eines Schlüssels verfolgt
mit dem Besitz eigene Zwecke, nämlich den ungehinderten Zutritt. Der
Versicherungsschutz in Ziff. IX BBR würde praktisch leerlaufen.
Stellt man richtigerweise auf die Zweckrichtung der Nutzung der Räume ab, so
verfolgen Arbeitnehmer mit der beruflichen Nutzung von Räumen grundsätzlich
keinen eigenen Zwecke. Auch fehlt bei der Ausschlussklausel in Ziff. IX.1.a. BBR
das Wort" berufliche" Zwecke, das in Ziff. I. BBR noch erwähnt ist und in Ziff. IX.2.b.
BBR wieder Erwähnung findet. Eine gewerbliche, betriebliche und freiberufliche
Nutzung scheidet für die Klägerin als angestellte Altenpflegerin von vornherein
aus. Die gewerbliche Nutzung gilt für den Gewerbetreibenden und die betriebliche
Nutzung nur für den Betriebsinhaber (Späte a.a.O. Rz. 13).
Ein Ausschluss des Versicherungsschutzes lässt sich auch nicht aus der
allgemeinen Vorschrift des § 4 Abs. 6 b. AHB herleiten. Danach sind Schäden, die
an fremden Sachen durch eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit des
Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen entstehen, vom
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Versicherungsnehmers an oder mit diesen Sachen entstehen, vom
Versicherungsschutz ausgeschlossen. Die sog. Schlüsselklausel in Ziff.IX. BBR ist
spezieller, weil sie einen Schaden durch Abhandenkommen, der ansonsten nicht
unter die gesetzliche Haftpflicht im Sinne des § 1 AHB fällt (vgl. Knaths, VersR
1983, 1015; AG Hamburg RuS 1993, 250), ausdrücklich, mithin auch den
Ausschlusstatbestand in Ziff. IX.2. BBR abschließend, regelt.
Auch gilt für Frage ob, hier eine berufliche Tätigkeit einen Schaden verursacht hat,
wieder die Beweislast des Versicherers (BGH VersR 2004, 591).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 I ZPO.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10,711,713,544
ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.
Die Revision wird nicht zugelassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche
Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtssprechung dies erfordern (§ 543 Abs. 2 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.