Urteil des LG Limburg vom 15.02.2011

LG Limburg: durchsuchung, beweismittel, sicherstellung, beschlagnahme, kontrolle, vollzug, eingriff, bestätigung, datenträger, nachbesserung

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Gericht:
LG Limburg 1.
Große
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 Qs 6/11, 1 Qs
20/11
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 94 StPO, § 98 Abs 2 S 2
StPO, § 103 StPO, § 105 StPO,
§ 110 StPO
Leitsatz
1. Gemäß § 103 StPO kann bei einem unverdächtigen Dritten die Durchsuchung
grundsätzlich angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen vermuten lassen, dass
sich bestimmte als Beweismittel dienende Gegenstände in dessen Räumen befinden;
die pauschale, allgemeine Erwartung allein, irgendein relevantes Beweismittel zu finden,
rechtfertigt einen solchen Eingriff in die Rechte eines Dritten hingegen nicht.
2. Um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle einer Durchsuchung und ihrer
Umgrenzung gerecht zu werden, darf sich die Entscheidung im Abhilfeverfahren nicht
auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter im Zeitpunkt des Erlasses des
Durchsuchungsbeschlusses nicht bekannt waren (BVerfG, Kammerbeschluss v.
10.09.2010, NJW 2011, 291 f.)
3. Der Vollzug der Maßnahme bildet für die Prüfungskompetenz und die
Heilungsmöglichkeiten fehlerhafter Durchsuchungsanordnungen eine Zäsur.
4. Dem Interesse der Betroffenen an der späteren Kontrolle der richterlichen
Bestätigung über die Durchsicht der sichergestellten Unterlagen und Gegenstände wird
hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass in entsprechender Anwendung des § 98
Abs. 2 S. 2 StPO eine richterliche Entscheidung hierüber beantragt werden kann.
Tenor
Der Durchsuchungsbeschluss vom 03.11.2010 in der Fassung des
Nichtabhilfebeschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 18.01.2011 wird aufgehoben.
Auf die weitergehende Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Wetzlar vom 18.01.2011 wird der angefochtene Beschluss unter
Verwerfung der Beschwerde im Übrigen dahin abgeändert, dass die vorläufige
Sicherstellung der in der Anlage dieses Beschlusses durch die
Sicherstellungsnachweise belegten Gegenstände zum Zwecke der Durchsicht
richterlich bestätigt wird.
Die Betroffene hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit der Maßgabe zu
tragen, dass die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen der Betroffenen
der Staatskasse zu ¾ auferlegt werden.
Gründe
I.
Die Steuerfahndungsstelle des Finanzamtes Wetzlar beantragte am 28.10.2010 im
Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten … wegen des Verdachts der
Hinterziehung von Einkommensteuer in den Jahren … und Umsatzsteuer in den
Jahren … den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses gemäß §§ 103, 105 StPO in
Bezug auf die Wohn- und Geschäftsräume der Betroffenen in …, mit der
Begründung, es sei anzunehmen, dass die Durchsuchung zum Auffinden u. a. von
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Begründung, es sei anzunehmen, dass die Durchsuchung zum Auffinden u. a. von
Vertrags- und Registerunterlagen, Treuhandverträgen, Buchhaltungsunterlagen
und Buchungsbelegen, Ein- und Ausgangsrechnungen, Zahlungsbelegen,
Mahnungen sowie Prozess- und Vollstreckungsunterlagen, Vermögensübersichten
und Schriftverkehr des Beschuldigten sowie der Firmen … Deutschland, … und …
und elektronische Daten und Datenträger des Beschuldigten und der genannten
Firmen führen werde. Der Beschuldigte sei verdächtig, die Finanzbehörden über
steuerlich erhebliche Tatsachen pflichtwidrig in Unkenntnis gelassen und damit
Einkommens- und Umsatzsteuer in noch festzustellender Höhe hinterzogen zu
haben. Der Beschuldigte habe seinen, für die steuerliche Veranlagung
maßgeblichen Lebensmittelpunkt in der BRD. Die Betroffene sei Lebens- und
Geschäftspartnerin des Beschuldigten. Sie sei zumindest seit … unter der
Anschrift … gemeldet und übe in vom Beschuldigten angemieteten
Räumlichkeiten in der … ihre selbständige Tätigkeit aus. Der Beschuldigte sei
gemeinsam mit ihr unter ihrer Wohnanschrift ansässig.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 03.11.2010 ordnete das Amtsgericht
Wetzlar gemäß §§ 103, 105 StPO die Durchsuchung der Wohn- und
Geschäftsräume der Betroffenen in … an,
. Im Rahmen der Durchsuchung am … stellte die Steuerfahndungsstelle
Wetzlar unter anderem gemäß den Sicherstellungsnachweisen (Bl. 159 – 161 d. A.
Mac-PCs und mehrere Ordner mit Schriftverkehr, Rechnungen und Kontoauszügen
sowie weiteren Geschäftsunterlagen vorläufig sicher. Die Durchsicht dauert noch
an.
Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 15.12.2010 hat die Betroffene gegen
den Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Wetzlar vom 03.11.2010
Beschwerde eingelegt und diese damit gerechtfertigt, es fehle an der
hinreichenden Individualisierung der gesuchten Beweismittel. Die
Steuerfahndungsstelle beim Finanzamt Wetzlar hat in ihrer Stellungnahme hierzu
beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen, und angeregt, beim zuständigen
Amtsgericht Wetzlar die vorläufige Sicherstellung der bei der Durchsuchung am
10.12.2010 bei dem Beschuldigten und der Betroffenen/Beschwerdeführerin
sichergestellten Unterlagen und der elektronischen Speichermedien gemäß den
Verzeichnissen, Bl. 151, 152, 155-162 d. A. zur Durchsicht richterlich bestätigen zu
lassen. Dahingehenden Antrag hat das Finanzamt Wetzlar am 04.01.2011 gestellt.
Das Amtsgericht Wetzlar hat der Beschwerde mit Beschluss vom 18.01.2011
teilweise abgeholfen und den Durchsuchungsbeschluss vom 03.11.2010 dahin
abgeändert, dass es die angeordnete Durchsuchung der Räumlichkeiten der
Betroffenen auf die Gegenstände beschränkt hat, die laut Verzeichnis (Bl. 159-161
d. A.) im Rahmen der Durchsuchung sichergestellt worden waren und „die
Beschlagnahme“ dieser sichergestellten Gegenstände angeordnet. Im Übrigen hat
es der Beschwerde die Abhilfe versagt.
Mit Schriftsatz vom 24.01.2011, der Kammer vorgelegt am 09.02.2011, hat die
Betroffene zu diesem Beschluss Stellung genommen und weitergehend
Beschwerde gegen die Beschlagnahmeanordnung eingelegt.
II.
Die Beschwerden sind zulässig.
Soweit die Wohn- und Geschäftsräume der Beschwerdeführerin auf der Grundlage
des angefochtenen Beschlusses bereits am 10.12.2010 durchsucht worden sind,
steht dies einer Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss nicht entgegen,
weil die Durchsuchung noch nicht beendet ist. Die (noch nicht abgeschlossene)
Durchsicht der bei dieser Durchsuchung sichergestellten Gegenstände ist der
Durchsuchung und damit deren Vollzug im weiteren Sinne noch zuzuordnen (vgl.
Meyer – Goßner, StPO, 53. Aufl., Rz. 15, § 105 m. w. N.).
Die Beschwerden haben in der Sache teilweise Erfolg.
1. Die Beschwerde führt zur Aufhebung des Durchsuchungsbeschlusses vom
03.11.2010 in der Fassung des Beschlusses vom 18.01.2011.
a) Der Durchsuchungsbeschluss vom 03.11.2010 ist fehlerhaft. Er genügt nicht
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a) Der Durchsuchungsbeschluss vom 03.11.2010 ist fehlerhaft. Er genügt nicht
den gemäß Artikel 13 Abs. 1, Abs. 2, Art. 19 Abs. 4 GG, §§ 103, 105 StPO zu
stellenden Anforderungen.
Gemäß § 103 StPO kann bei einem unverdächtigen Dritten die Durchsuchung
grundsätzlich angeordnet werden, wenn bestimmte Tatsachen vermuten lassen,
dass sich bestimmte als Beweismittel dienende Gegenstände in dessen Räumen
befinden. Die pauschale, allgemeine Erwartung allein, irgendein relevantes
Beweismittel zu finden, rechtfertigt einen solchen Eingriff in die Rechte eines
Dritten hingegen nicht. Der Durchsuchungsbeschluss muss daher Zweck und
Umfang der Durchsuchungsmaßnahme in ausreichendem Maße erkennen lassen
und zugleich auch die Beweismittel, nach denen gesucht werden soll, hinreichend
konkretisieren, sodass wegen der damit einhergehenden Umgrenzungswirkung
keine Zweifel über die zu suchenden Gegenstände bestehen bleiben (vgl. BVerfG
vom 9. 11. 2001, Az. 2 BvR 436/01, in NStZ 2002, 212; BGH vom 21.11.2001, Az.
3 BJs 22/04-4 (9), in NStZ 2002, 215). Dies dient der äußeren Begrenzung der
Maßnahme und soll ihre Durchführung messbar und - auch und gerade für den
Betroffenen vor Ort im Rahmen seiner rechtlichen Möglichkeiten - von vornherein
kontrollierbar gestalten und ist im Hinblick auf den bestehenden Richtervorbehalt
mit dem Ziel der Gewährleistung einer vorbeugenden Kontrolle der
Durchsuchungsmaßnahme durch eine unabhängige und neutrale Instanz
unumgängliche Anforderung an einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss
gegen einen Nichtverdächtigten nach Maßgabe des § 103 StPO (vgl. BVerfG vom
06.03.2002 - Az. 2 BvR 1619/00 - in DStRE 2002, 1092, 1093; BVerfG vom
09.02.2005 – Az. 2 BvR 984/04 - in NStZ-RR 2005, 203, 204). Die Beweismittel sind
danach zwar nicht in sämtlichen Einzelheiten, jedoch im Rahmen des nach dem
Verfahrensstand Möglichen und Zumutbaren zumindest ihrer Gattung nach oder
durch Beispiele zu konkretisieren, sodass weder bei dem Betroffenen noch bei den
vollziehenden Beamten Zweifel über die zu suchenden Gegenstände entstehen
können. Fehlt es hieran, wird der Durchsuchungsbeschluss jedenfalls dann den an
ihn zu stellenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht gerecht und bietet
insbesondere keine Umgrenzung des Eingriffs bei Vollzug der Maßnahme, wenn
eine konkrete Bezeichnung nach dem Stand der Ermittlungen möglich gewesen
und hierdurch der Zweck der Strafverfolgung nicht beeinträchtigt worden wäre (vgl.
BVerfG vom 06.03.2002 - Az. 2 BvR 1619/00 – a. a. O., m. w. N.).
Die von dem Amtsgericht in dem Durchsuchungsbeschluss verwendete
Formulierung „
genügt diesen
Anforderungen nicht. Sie eröffnet die Suche nach jedem tauglichen Beweismittel,
lässt die Eingrenzung auf bestimmte Beweismittel vermissen und ermöglicht es
weder der Betroffenen noch den Beamten vor Ort zu erkennen und nachzuprüfen,
welche zumindest gattungsmäßig konkretisierten Gegenstände gesucht werden
(vgl. BGH vom 21.11.2001- Az. 3 BJs 22/04-4 (9) – a. a. O.; LG Freiburg vom
26.10.2000 - VIII Qs 6/99 - in NStZ 2000, 554). Der Stand der Ermittlungen gegen
den Beschuldigten zurzeit der Fassung des Durchsuchungsbeschlusses erlaubte
dem Amtsgericht erkennbar einen höheren Grad der Individualisierung der
gesuchten Beweismittel. Dies zeigt bereits der von der Steuerfahndungsstelle
gestellten Antrag auf Anordnung der Durchsuchung. In diesem waren sowohl der
Tatvorwurf als auch die gesuchten Beweismittel in ausreichendem Maße
konkretisiert und den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechend
bezeichnet.
b) Dieser Mangel des Durchsuchungsbeschlusses kann weder im Abhilfeverfahren
durch das Amtsgericht noch im Beschwerdeverfahren durch die Kammer geheilt
werden.
aa) Die vom Amtsgericht Wetzlar im Abhilfeverfahren vorgenommene teilweise
Änderung ist ihrer Art und Weise nach fehlerhaft.
Aus der Funktion des Richtervorbehalts ergeben sich Einschränkungen hinsichtlich
der Nachbesserungsmöglichkeiten einer getroffenen Durchsuchungsanordnung.
Um der Funktion einer vorbeugenden Kontrolle einer Durchsuchung und ihrer
Umgrenzung gerecht zu werden, darf sich die Entscheidung im Abhilfeverfahren
nicht auf Gründe stützen, die dem Ermittlungsrichter im Zeitpunkt des Erlasses
des Durchsuchungsbeschlusses nicht bekannt waren. Neue Erkenntnisse,
insbesondere solche, die das Gericht erst aus dem bereits vollzogenen Eingriff
selbst erlangt hat, dürfen keine Berücksichtigung finden (BVerfG vom 20.04.2004 -
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selbst erlangt hat, dürfen keine Berücksichtigung finden (BVerfG vom 20.04.2004 -
Az. 2 BvR 2043/03 - in NJW 2004, 3171; BVerfG vom 09.02.2005 – Az. 2 BvR
1108/03 - <15>, zit. nach juris). Andernfalls liefe die Funktion der richterlichen
Durchsuchungsanordnung, den Eingriff zu begrenzen, gänzlich leer, ebenso wie
der mit dem Richtervorbehalt verknüpfte Zweck der vorbeugenden Kontrolle einer
Durchsuchung. Die spätere Begrenzung auf diejenigen Gegenstände, die bei der
Durchsuchung vorläufig sichergestellt wurden, beinhaltet bereits eine unzulässige
ex – post - Betrachtung.
bb) Die (teilweise) Änderung im Abhilfeverfahren ist zudem aufgrund des
Verfahrensstandes zum Zeitpunkt der teilweisen Abhilfe fehlerhaft.
Die Durchsuchung wurde am … vollzogen. Dieser begrifflichen Eingrenzung des
Vollzugs auf den Zeitpunkt der Durchsuchung in den Räumlichkeiten selbst steht
nicht entgegen, dass die Durchsuchung als solche im Hinblick auf die noch nicht
abgeschlossene Durchsicht der (vorläufig) sichergestellten Gegenstände gemäß §
110 StPO noch nicht beendet ist. Maßgeblich ist allein, dass der Eingriff in die
räumliche Sphäre der Betroffenen bereits erfolgt ist (vgl. BVerfG vom 08.04.2004,
Az. 2 BvR 1821/03 - <14> - zitiert nach juris). Der Vollzug der Maßnahme bildet für
die Prüfungskompetenz und die Heilungsmöglichkeiten fehlerhafter
Durchsuchungsanordnungen eine Zäsur. Danach, also nach Vollzug der
Durchsuchungsmaßnahme selbst, können Mängel der ermittlungsrichterlichen
Umschreibung der Tatvorwürfe und der zu suchenden Beweismittel im
Durchsuchungsbeschluss nicht mehr geheilt werden (BVerfG vom 20.04.2004 - Az.
2 BvR 2043/03 – a. a. O.; BVerfG vom 18.03.2009 - Az. 2 BvR 1036/08 - <76>, zit.
nach juris). Eine Nachbesserung ist daher nur dann rechtskonform möglich, wenn
die bei erstmaliger Anordnung der Durchsuchung bekannten Tatsachen eben
diese Anordnung rechtfertigen und ihren Umfang tragen und im Übrigen eng
begrenzt auf Defizite in der Begründung des zugrunde liegenden Tatverdachts und
der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Umstände dagegen, die die Grenzen der
Maßnahme bestimmen und die präventive Kontrollfunktion prägen, sind einer
Nachbesserung nicht mehr zugänglich (BVerfG vom 20.04.2004 - Az. 2 BvR
2043/03 – a. a. O.; BVerfG vom 09.02.2005 – Az. 2 BvR 1108/03 - <15> - zitiert
nach juris).
Vorliegend war die Durchsuchung bereits vollzogen, als das Amtsgericht in dem
Beschluss über die Abhilfe die (noch zu findenden!) Beweismittel anhand der
Sicherstellungsnachweise konkretisiert hat. Dies war rechtsfehlerhaft. Das
Amtsgericht hat aus den sichergestellten Gegenständen auf deren Beweiseignung
geschlossen. Dies vernachlässigt die dargestellte präventive Kontrollfunktion des
Durchsuchungsbeschlusses und stellt sich damit als rechtsfehlerhafte
Nachbesserung des ursprünglich unbestimmten Durchsuchungsbeschlusses dar.
cc) Die Prüfungs- und Entscheidungskompetenz der Kammer im
Beschwerdeverfahren gemäß §§ 308, 309 Abs. 2 StPO kann nicht weiter gehen als
diejenige des Amtsgerichts, soll die präventive Kontrollfunktion der
Durchsuchungsanordnung rechtskonform gewährleistet werden. Nach Vollzug der
Durchsuchung ist sie in gleicher Weise eingeschränkt. Der Kammer ist es verwehrt,
die Mängel der ursprünglichen Anordnung zu heilen.
2. Wegen der von dem Amtsgericht in dem Beschluss über die Abhilfe vom
18.01.2011 ferner angeordneten Beschlagnahme war der angefochtene
Beschluss, wie geschehen, abzuändern. Im Übrigen bleibt die Beschwerde jedoch
ohne Erfolg.
a) Die Kammer ist zu einer dahingehenden Abänderung befugt. Dass eine
Entscheidung des Amtsgerichts hierzu im Rahmen des Abhilfeverfahrens nicht
ergangen ist, steht dem nicht entgegen (vgl. Engelhardt in Karlsruher Kommentar,
StPO, 6. Auflage, Rz. 17, § 306).
b) Der angefochtene Beschluss bedarf der Auslegung und Klarstellung. Entgegen
dem Wortlaut der Entscheidungsformel handelt es sich hierbei nicht um die
Anordnung einer (originären) Beschlagnahme im Sinne des § 94 StPO. Die
Durchsicht der vorläufig sichergestellten Unterlagen dauert nämlich noch an.
Diese dient gerade der Klärung und Vorbereitung der Entscheidung darüber,
welche Unterlagen und Gegenstände zurückgegeben werden und hinsichtlich
welcher eine richterliche Beschlagnahme erwirkt werden soll. Genausowenig wie
zum Zeitpunkt der erstmaligen Anordnung der Durchsuchung kommt vor
Beendigung der Durchsicht daher eine Beschlagnahme schon rechtssystematisch
nicht in Betracht. Allenfalls kann eine vorläufige Sicherstellung erfolgen (BGH vom
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nicht in Betracht. Allenfalls kann eine vorläufige Sicherstellung erfolgen (BGH vom
05.08.2003 – Az. StB 7/03 – <7 f> zitiert nach juris).
Bei sachgerechter Einordnung der Verfahrenssituation zum Zeitpunkt der
Entscheidung des Amtsgerichts über die Abhilfe und unter Berücksichtigung der
von der Steuerfahndungsstelle in zutreffender Würdigung der rechtlichen Situation
ausgesprochenen Anregung und gemäß dem darauf beruhenden Antrag des
Finanzamtes ist der Beschluss des Amtsgerichts daher nicht als Anordnung der
Beschlagnahme gemäß § 94 StPO, sondern vielmehr als richterliche Bestätigung
der vorläufigen Sicherstellung zum Zwecke der Durchsicht gemäß § 110 StPO
entsprechend § 98 Abs. 2 S. 1 StPO auszulegen und das Verfahren daher nach
Maßgabe der §§ 102 ff, 110 StPO zu beurteilen.
c) Dem steht der fehlerhafte Durchsuchungsbeschluss nicht entgegen.
Verfahrensfehler bei der Durchsuchung führen für sich genommen grundsätzlich
weder zur Rechtswidrigkeit einer erfolgten Beschlagnahme noch zur
Unverwertbarkeit der aufgefundenen Beweise, wenn im Sinne eines
hypothetischen Ersatzeingriffs dem Erlass einer (rechtmäßigen)
Durchsuchungsanordnung keine rechtlichen Hindernisse entgegengestanden
hätten und die tatsächlich (vorläufig) sichergestellten Beweismittel als solche der
Verwertung als Beweismittel rechtlich zugänglich gewesen wären ( vgl. BVerfG vom
08.11.2001 - Az. 2 BvR 2257/00 - <11>; BVerfG vom 08.03.2002 – Az. 2 BvR
2081/01; OLG Frankfurt vom 04.04.2003 – Az. 3 Ws 301/03– jeweils zitiert nach
juris; Nack in: Karlsruher Kommentar a. a. O., § 94 Rn 20). Nichts anders gilt auch
hinsichtlich der Frage der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Sicherstellung zum
Zwecke der Durchsicht (vgl. BVerfG vom 18.03.2009 - Az. 2 BvR 1036/08 - <77>,
zit. nach juris). Die vorläufige Sicherstellung ist von daher eigenständig auf ihre
Rechtmäßigkeit hin zu prüfen.
d) Die Voraussetzungen für die gegen die Betroffene gerichtete
Durchsuchungsanordnung gemäß § 103 StPO und der vorläufigen Sicherstellung
zwecks Durchsicht gemäß § 110 StPO lagen im Zeitpunkt des Vollzugs der
Maßnahme vor und sind nach wie vor gegeben.
Gegen den Beschuldigten besteht der Verdacht der Hinterziehung von
Umsatzsteuer in den Veranlagungszeiträumen 2005-2009 und von
Einkommensteuer in den Veranlagungszeiträumen 2003-2009. Der von dem
Beschuldigten angegebene Wohnsitz in der … ließ sich bei Recherchen der
Steuerfahndungsstelle Wetzlar in öffentlichen Verzeichnissen … nicht bestätigen.
Seine Lebens- und Geschäftspartnerin, die Beschwerdeführerin, ist zumindest seit
… in ... gemeldet. Der Beschuldigte ist nach Auskunft der Eigentümerin Mieter des
Objektes …. Die Betroffene ist in … geschäftsansässig. Vor dem Gebäude weist
ein Schild darüber hinaus auf die … ein … gegründetes Institut, hin, zu denen der
Beschuldigte in geschäftlicher Beziehung steht. Darüber hinaus ergibt sich aus
Internetrecherchen, dass der Beschuldigte als Trainer in Deutschland tätig ist und
hier Seminare und Vorträge hält. Die Kinder des Beschuldigten (geboren …) waren
vom …. an in …, der gleichen Anschrift, unter der der Beschuldigte bis … gemeldet
war, und später in der Strasse … gemeldet und gingen zu dieser Zeit hier zur
Schule. Die leibliche Mutter der Kinder hingegen soll sich in … befinden. Die Schule
des Sohnes führt als dessen Wohnort denjenigen des erziehungsberechtigten
Beschuldigten. Dies begründet den Verdacht, dass der Beschuldigte die
Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen, insbesondere seinen
gewöhnlichen Aufenthalt, im Unklaren gelassen und so Einkommen- und
Umsatzsteuer hinterzogen hat. Aus diesen Tatsachen ist zudem zu schließen,
dass sich in den Wohn- und Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin für das
Verfahren relevante Beweismittel, nämlich Vertrags- und Registerunterlagen,
Treuhandverträge, Buchhaltungsunterlagen und Buchungsbelege, Ein- und
Ausgangsrechnungen, Zahlungsbelege, Mahnungen sowie Prozess- und
Vollstreckungsunterlagen, Vermögensübersichten und Schriftverkehr des
Beschuldigten sowie der Firmen … und elektronische Daten und Datenträger des
Beschuldigten und der genannten Firmen, die auf seinen Lebensmittelpunkt
hinweisen, befinden.
Die vorläufige Sicherstellung der in den Sicherstellungsverzeichnissen genannten
Gegenstände und ihre Mitnahme zum Zwecke der Durchsicht sind, selbst zum
gegenwärtigen Zeitpunkt noch, nicht zu beanstanden. Es handelt sich bei den in
der Anlage zu dem angefochtenen Beschluss angeführten Gegenständen um
solche, die als Beweismittel im vorliegenden Ermittlungsverfahren in Betracht
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solche, die als Beweismittel im vorliegenden Ermittlungsverfahren in Betracht
kommen können, deren sofortige Durchsicht an Ort und Stelle aber nicht möglich
war.
Diese Maßnahme ist unter Abwägung der Interessen der Beschwerdeführerin und
unter Berücksichtigung des dem Beschuldigten zur Last gelegten Tatvorwurfs
verhältnismäßig.
e) Die Interessen der betroffenen Beschwerdeführerin an der späteren Kontrolle
der richterlichen Bestätigung über die Durchsicht der sichergestellten Unterlagen
und Gegenstände wird hinreichend Rechnung getragen. Sie kann jederzeit unter
entsprechender Anwendung des § 98 Abs. 2 S. 2 StPO um eine richterliche
Entscheidung hierüber antragen (vgl. Meyer – Goßner, a. a. O., Rz. 10, § 110 m.
umfangr. N.).
f) Art und Ausgestaltung der Durchsicht obliegen nunmehr zunächst der
Ermittlungsbehörde, die mit eigenem Ermessenspielraum eigenverantwortlich
vorgeht. Allerdings ist auch hierbei dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Rechnung zu tragen und zu beachten, dass die Durchsicht unter Berücksichtigung
der Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalls, insbesondere des Umfangs der
vorläufig sichergestellten Unterlagen und der Schwierigkeiten in der Sache zügig
durchzuführen und zeitnah darüber zu entscheiden ist, welche Gegenstände als
Beweismittel in Betracht kommen und welche sichergestellten Unterlagen und
Datenträger an die Beschwerdeführerin herauszugeben sind.
Die Kammer sieht zurzeit noch keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine
Überschreitung des der Ermittlungsbehörde eingeräumten Ermessensspielraums.
Allerdings ist zu bedenken, dass die Durchsuchung und Sicherstellung nunmehr
bereits mehr als 2 Monate zurückliegt. Die Durchsicht wird beschleunigt
durchzuführen sein.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO. Die Kammer hat den
Teilerfolg der Beschwerden angemessen mit ¾ der Kosten für das Verfahren und
der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin zulasten der Staatskasse
berücksichtigt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.