Urteil des LG Limburg vom 04.08.2009

LG Limburg: gefahr im verzug, blutentnahme, richterliche kontrolle, körperliche unversehrtheit, einwilligung, gefährdung, akte, dokumentation, blutprobe, direktor

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Gericht:
LG Limburg 2.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Qs 30/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 69 StGB, § 81a Abs 1 S 2
StPO, § 81a Abs 2 StPO, §
111a StPO
Blutentnahme: Anordnung durch Ermittlungsperson;
Eilfallkompetenz
Leitsatz
Die Anordnung einer Blutentnahme durch Ermittlungspersonen verstößt nicht gegen
den Richtervorbehalt, wenn während der Nachtzeit kein richterlicher Eildienst
eingerichtet ist.
Die Rechtsansicht des Ermittlungsrichters, nur auf Grundlage einer Akte zu
entscheiden, kann eine Eilfallkompetenz begründen.
Tenor
Die Beschwerde wird auf Kosten des Beschuldigten verworfen.
Gründe
Das Amtsgericht hat dem Beschuldigten mit der angefochtenen Entscheidung die
Fahrerlaubnis vorläufig entzogen. Der Beschuldigte sei dringend verdächtig, am
30.5.2009 um 2.25 Uhr in L. mit seinen Pkw im Zustand alkoholbedingter
Fahruntüchtigkeit - Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,23 ‰ -
teilgenommen zu haben. Der Beschuldigte wendet sich gegen die Verwertung des
Blutalkoholgutachtens mit dem Argument, er habe in die Blutentnahme nicht
eingewilligt, die Anordnung der Blutentnahme aber sei dem Richter vorbehalten.
Da eine solche richterliche Anordnung von dem Beamten nicht versucht worden
sei, sei das Ergebnis des Blutalkoholgutachtens unverwertbar.
Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen
Erfolg. Die Fahrerlaubnis ist zu Recht vorläufig entzogen worden (§ 111 a StPO.) Es
bestehen dringende Gründe für die Annahme, dass eine Maßnahme nach § 69
StGB angeordnet wird. Der Beschuldigte ist der Anlasstat des § 69 Abs. 2 Nr. 2
StGB – einer fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) - dringend
tatverdächtig.
Nach den bisherigen Erkenntnissen befuhr der Beschuldigte am 30.5.2009 um
2.25 Uhr die E.-straße in L. und geriet hierbei in eine verdachtsunabhängige
Alkoholkontrolle. Der kontrollierende Beamte nahm Alkoholgeruch in der Atemluft
des Beschuldigten wahr. Um 2.30 Uhr wurde vor Ort ein Alkoholatemtest mit
Zustimmung des Beschuldigten durchgeführt. Dieser ergab einen Wert von 0,80
‰. Daraufhin wurde er zur nahe gelegenen Dienststelle der Polizeidirektion L.
sistiert, wo um 3.02 Uhr ärztlich eine Blutprobe entnommen wurde. Der
Beschuldigte wurde um 3.05 Uhr entlassen. Weder die Anordnung einer
Blutentnahme noch eine Einwilligung sind in der Ermittlungsakte dokumentiert.
Der Direktor des Amtsgerichts in L. hat sich zum richterlichen Eildienst auf Anfrage
der Kammer wie folgt erklärt:
In der Nachtzeit i.S.d. § 104 Abs. 3 StPO sei ein richterlicher Eildienst nicht
eingerichtet. Die Richterinnen und Richter des Amtsgerichts entschieden während
der Dienstzeit und während eines eingerichteten Eildienstes nicht auf der
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der Dienstzeit und während eines eingerichteten Eildienstes nicht auf der
Grundlage eines fernmündlichen oder eines mündlichen Antrages. Gefordert sei
die Vorlage einer Akte, aus der sich ein Antrag der Staatsanwaltschaft ergebe.
Grund für diese in jeweils richterlicher Unabhängigkeit getroffenen Entscheidungen
zum Verfahrensgang sei die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungsgrundlage, auf
der grundrechtsrelevante Eingriffe ggf. angeordnet würden. Hinzu komme, dass
der Inhalt – insbesondere die Reichweite - einer Entscheidung bei fernmündlicher
Bekanntgabe missverstanden werden könne. Richterliche Entscheidungen
ergingen grundsätzlich nur schriftlich. Dieses Verständnis des richterlichen
Eildienstes sei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht in L. bekannt gegeben
worden.
Bei dieser Sachlage verstößt die Beweiserhebung - die Entnahme der Blutprobe –
nicht gegen den Richtervorbehalt des § 81 a Abs. 2 StPO und unterliegt schon von
daher keinem Beweisverwertungsverbot. Eine richterliche Anordnung gemäß § 81
a StPO war nach derzeitiger Sachlage voraussichtlich nicht aufgrund einer
Einwilligung entbehrlich. Der mit der Blutentnahme verbundene Eingriff in die
körperliche Unversehrtheit ist zwar ein für den Beschuldigten disponibles Recht
und bedarf bei einer ausdrücklich und eindeutig erklärten Einwilligung in die
Blutentnahme keiner Anordnung der Maßnahme (§ 81 a Abs. 1 Satz 2 StPO). Von
einer solchen Einwilligung kann aber nur bei einer freiwilligen, ernstlichen und in
Kenntnis der Sachlage und des Weigerungsrechts erteilten ausdrücklichen
Zustimmung des Beschuldigten ausgegangen werden. Auch darf die
Alkoholisierung nicht einen solchen Grad erreicht haben, dass der Beschuldigte
Sinn und Tragweite der Einwilligung nicht mehr erfassen kann. Die bloße Hinnahme
des Eingriffs genügt zur Annahme einer Einwilligung nicht (vergl. OLG Bamberg,
Beschl. v. 19.3.2009 – 2 Ss 15/09 – iuris – mit weiteren Nachweisen). So liegt der
Fall nach Aktenlage hier. Die Ermittlungsakte weist lediglich die Duldung der
Blutentnahme und Mitwirkung an der ärztlichen Untersuchung, der Beantwortung
von Fragen, aus.Mithin obliegt nach § 81 a Abs. 2 StPO die Zuständigkeit für die
Anordnung des körperlichen Eingriffs primär dem Richter. Nur ausnahmsweise
kann ein solcher Eingriff durch die Staatsanwaltschaft oder durch ihre
Ermittlungspersonen (§ 152 GVG) „bei Gefährdung des Untersuchungserfolges
durch Verzögerung“ angeordnet werden. Richterliche Eilanordnungen sind nach
Wortlaut und Systematik des § 81 a Abs. 2 StPO die Regel und die
nichtrichterlichen die Ausnahme. Vor allem wegen der grundrechtssichernden
Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen (vgl.
BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 40), weshalb die Pflicht,
einen Entnahmebeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten
begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach praktischen Erwägungen zu gestalten.
Nur in Ausnahmefällen, wenn schon die zeitliche Verzögerung wegen eines solchen
Versuchs den Erfolg der Maßnahme gefährden würde, dürfen die
Strafverfolgungsbehörden selbst die Anordnung treffen, ohne sich zuvor um eine
richterliche Entscheidung bemüht zu haben (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2
BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Eine generalisierende Betrachtung unter Hinweis auf
die Gefährdung des Untersuchungserfolges in Hinblick auf den körpereigenen
Alkoholabbau wird von der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht anerkannt (vgl.
OLG Bamberg, Beschl. v. 19.3.2009 – 2 Ss 15/09 - iuris; OLG Köln ZfS 2009, 48/49;
OLG Hamm NJW 2009, 242/243; OLG Thüringen, Beschl. v. 25.11.2008 – 1 Ss
230/08 - iuris; OLG Hamburg NJW 2008, 2597/2598; anders mit gewichtigen
Gründen LG Hamburg, Beschl. v. 12.11.2007, Blutalkohol 2008, 77). Die Annahme
einer Gefährdung des Untersuchungserfolges muss auf Tatsachen gestützt
werden, die auf den Einzelfall bezogen und in den Ermittlungsakten zu
dokumentieren sind, sofern die Dringlichkeit nicht evident ist (vgl. BVerG, Urteil
vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 62, OLG Bamberg aaO). Ein solcher
Ausnahmefall ist vorliegend gegeben. Angesichts der nächtlichen Tatzeit, des
Ergebnisses des Atemalkoholtests, welches im Grenzbereich zur
Ordnungswidrigkeit lag, und der Ausgestaltung des amtsgerichtlichen Eildienstes
drängte sich die Gefährdung des Untersuchungserfolges für die Polizeibeamten
geradezu auf und bedurfte angesichts der Offenkundigkeit keiner Dokumentation.
Dem steht nicht entgegen, dass die Gefährdung des Untersuchungserfolges
grundsätzlich nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden kann,
eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlich zu einem bestimmten Zeitpunkt
oder innerhalb einer bestimmten Zeitspanne nicht zu erlangen (vgl. BVerfG, Urteil
vom 20.02.2001, 2 BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48; BVerfG NJW 2007, 1444; BGHSt
51, 285/293). Denn es besteht die verfassungsrechtliche Verpflichtung der
Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters auch durch die Einrichtung
eines Eil- oder Notdienstes zu gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 20.02.2001, 2
BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13
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BvR 1444/00 – iuris – Rn. 48). Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13
Abs. 2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der
üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge
zu tragen. Zur Nachtzeit im Sinne des § 104 Abs. 3 StPO muss aber nicht
unabhängig vom konkreten Bedarf stets ein richterlicher Eildienst zur Verfügung
stehen (aaO). Vielmehr ist ein nächtlicher Bereitschaftsdienst des
Ermittlungsrichters von Verfassungs wegen erst dann gefordert, wenn hierfür ein
praktischer Bedarf besteht, der über den Ausnahmefall hinausgeht. Diesen
Anforderungen genügt der beim Amtsgericht L. eingerichtete Eil- und Notdienst,
denn ein Ermittlungsrichter war bis um 21.00 Uhr des Vortages, einem Samstag,
und wieder ab 4.00 Uhr des Tattages, einem Sonntag, erreichbar. Dass der
Direktor des Amtsgerichts für die Einrichtung eines Eildienstes zur Nachtzeit –
anders als die Justiz der Großstadt Berlin (vgl. LG Berlin Beschl. v. 23.4.2008 –
iuris) - keinen praktischen Bedarf sieht, ist nicht zu beanstanden.Ein weiteres
Zuwarten – etwa bis zur Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters um 4.00 Uhr – war
ersichtlich nicht angezeigt, ginge dem eine erhebliche zeitliche Verzögerung
verbunden mit einer grundrechtsrelevanten Ausweitung freiheitsbeschränkender
Maßnahmen für den Beschuldigten einher. Hinzu kommt, dass die Richterinnen
und Richter des Amtsgerichts L. – jeder in einer eigenen richterlichen Entscheidung
zur Verfahrensgestaltung – übereinstimmend mündliche Entscheidungen aufgrund
mündlichen Sachvortrages ablehnen. Entgegen der Verteidigung liegt hierin keine
Weigerung der Richter, eine Rechtsnorm anzuwenden. Eine mündliche
Entscheidung ohne Akte wäre zwar auch prozessordnungsgemäß (vgl. BGHSt 51,
285) und begründet bei entsprechender amtsgerichtlicher Praxis (etwa AG Essen –
Beschl. v. 11.10.2007 – 44 Gs 4577/07 – iuris) auch die Verpflichtung der
Polizeibeamten zu versuchen, eine mündliche Anordnung einzuholen (vgl. OLG
Hamm, Beschl. v. 25.8.2008 – 3 Ss 318/08 – iuris). Im Amtsgerichtsbezirk L. liegt
der Fall aber anders. Die hier in richterlicher Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG)
getroffene Entscheidung zur Verfahrensgestaltung ist, weil mit der Prozessordnung
im Einklang stehend, zu respektieren. Eine Verpflichtung zur mündlichen
Entscheidung besteht nicht. Im Übrigen ist eine Entscheidung auf der Grundlage
eines schriftlich unterbreiteten Sachverhalts, einer Akte, auch sachgerecht. Die
Durchsetzung der vorbeugenden Kontrolle und die Gewährung effektiven
Rechtsschutzes gebieten eine solche Verfahrensweise, soll der Richtervorbehalt
seine Funktion einer verstärkten Sicherung der Grundrechte genügen.
Anzunehmen, es könne „im Idealfall binnen einer Viertelstunde“ (so etwa OLG
Stuttgart NStZ 2008, 238, Zopfs NJW 2009, 244) eine mündliche richterliche
Anordnung eingeholt werden, wahrt den Richtervorbehalt nur formal. Einer solchen
Entwertung richterlicher Tätigkeit verbunden mit einem Vertrauensverlust die
Seriosität richterlicher Arbeit betreffend ist entgegen zu treten. So hat auch das
LG Hamburg (aaO) eine Anordnung ohne schriftliche Entscheidungsgrundlage
schlicht als „unzumutbar“ angesehen. Zu Recht verweisen die Richter des
Amtsgerichts L. darauf, dass bei einem mündlichen Sachvortrag die tatsächliche
Entscheidungsgrundlage nicht nachvollzogen werden kann. Das gesprochene Wort
ist flüchtig und birgt zudem die Gefahr, dass gerade in Grenzfällen, in denen sich
die richterliche Kontrolle zu bewähren hat, entscheidungserhebliche Details nicht in
gebotener Sorgfalt dargestellt und abgewogen werden können. Zudem
verschieben sich Verantwortlichkeiten. Mit der von den Ermittlungsbehörden zu
fordernden schriftlichen Dokumentation eines vorläufigen Ermittlungsergebnisses
geht ein höheres Maß an Verantwortung einher als dies in einem mündlichen
Vortrag der Fall ist. Dies gilt insbesondere, wenn im Anfangsstadium von
Ermittlungen richterliche Entscheidungen beantragt werden. Bei schriftlicher
Unterbreitung der Ermittlungsergebnisse ist auch ausgeschlossen, dass
Ermittlungsrichter und Polizeibeamter sich unterschiedlich an Details der
Entscheidungsgrundlage erinnern. Schon die Gefahr derartiger Missverständnisse
ist angesichts des Gewichts der Entscheidung zu vermeiden, schwächen solche
Missverständnisse auch das Vertrauen in die Zuverlässigkeit richterlicher
Entscheidungen. Mit guten Gründen fordern daher die Amtsrichter in L., dass die
richterliche Entscheidungsgrundlage – auch für den Beschuldigten -
nachvollziehbar ist.
Nach all dem ist die nächtliche Beweiserhebung vorliegend nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.