Urteil des LG Krefeld vom 30.04.2009

LG Krefeld: emissionsprospekt, vermittler, lebensversicherung, kapitalanlage, kündigung, rechtshängigkeit, anleger, medien, nachschusspflicht, verzug

Landgericht Krefeld, 3 O 60/07
Datum:
30.04.2009
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Teilurteil
Aktenzeichen:
3 O 60/07
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Düsseldorf, I-9 U 91/09
Tenor:
Der Beklagte zu 3) wird unter Klageabweisung im Übrigen verurteilt, an
den Kläger 24.993,74 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz von 23.936,05 € seit dem 27.04.2007 und von
1.057,69 € ab dem 04.12.2008 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass der Beklagte zu 3) dem Kläger aus einer
vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung zum Schadensersatz
verpflichtet ist.
Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
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Anfang Oktober 2002 setzte sich der als Anlagevermittler tätige Zeuge X mit dem Kläger
telefonisch in Verbindung, um ihm eine Anlagenbeteiligung anzubieten. In der Folgezeit
kam es zu mehreren Beratungsgesprächen in der Wohnung des Klägers. Schließlich
zeichnete der Kläger eine Beteiligung als atypisch stiller Gesellschafter an der X
Sachwert AG. Er verpflichtete sich, eine Einmaleinlage von 14.700,00 € zu leisten und
sich mit einer Ratenzahlung von jeweils 400,00 € pro Monat bei einer Vertragslaufzeit
von 11 Jahren an der vorgenannten AG zu beteiligen. Am 25.11.2002 zahlte der Kläger
unter Einsatz des Rückkaufwertes einer zu diesem Zweck gekündigten
Lebensversicherung die Einmaleinlage incl. Agio und leistete monatliche
Ratenzahlungen bis zur Höhe eines Betrages von insgesamt 33.600,00 €. Im Oktober
2006 entließ die X Sachwert AG den Kläger gegen Zahlung von 8.000,00 € aus den auf
Beteiligung gerichteten Verträgen.
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Der Kläger behauptet, der Zeuge X sei für die X Finanz AG, die Rechtsvorgängerin der
Beklagten zu 1), tätig gewesen. Bei dem Beklagten zu 3) handelt es sich um den
alleinigen Geschäftsführer und Gesellschafter der Komplementärin der Beklagten zu 1).
Die X Finanz AG habe bei dem Vertrieb der hier in Rede stehenden Beteiligung die
erforderliche Aufklärung hinsichtlich der Risiken der Anlage vorwerfbar unterlassen. Der
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Zeuge sei für eine sachgerechte Durchführung der auf Anlagevermittlung gerichteten
Gespräche nicht hinreichend geschult gewesen. In den von dem Beklagten zu 3) zu
verantwortenden Schulungen der Vermittler seien vorgefertigte Verkaufsgespräche
mittels verschiedener Medien – u.a. auch von dem Beklagten zu 3) mit beispielhaften
Verkaufsgesprächen selbst besprochene CD’s und MC’s – ausgehändigt worden. Ziel
der Schulungen sei es gewesen, Produkte der X Sachwert AG mittels strukturierter
Verkaufsgespräche "massenhaft" zu verkaufen. Eine Schulung, die eine umfassende
und individuelle Beratung der zukünftigen Kunden zum Inhalt gehabt habe, habe es
nicht gegeben. Der Inhalt der Emissionsprospekte der X AG, insbesondere die dort
aufgeführten Risiken, sei nicht Gegenstand der Schulungen gewesen. Der Zeuge X
habe sich an den Inhalt und Wortlaut der durch den Beklagten zu 3) vorgegebenen
Vermittlergespräche gehalten. Die gebotene Aufklärung sei völlig unzureichend
gewesen. Es sei eine Mindestrendite von ca. 9 – 10 % versichert worden, die aber nicht
zu erwarten gewesen sei. Das Grundmodell der atypischen Beteiligung sei nicht
erläutert worden, insbesondere die Abhängigkeit der Anlage vom wirtschaftlichen Erfolg
der X Sachwert AG. Er, der Kläger, sei nicht auf das Insolvenzrisiko und die Pflicht,
gegebenenfalls Beträge nachzuschießen, hingewiesen worden. Auch eine Aufklärung
über die steuerlichen Auswirkungen der Kapitalanlage sowie über die
Kündigungsmodalitäten habe nicht stattgefunden. Das Emissionsprospekt der X AG sei
ihm nicht ausgehändigt worden. Der Kläger begehrt Rückzahlung der erbrachten
Einlagen abzüglich getätigter Entnahmen (= 2.100,00 €) sowie des von der X AG
erstatteten Betrages (= 8.000,00 €) sowie Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt des
entgangenen Gewinns (2.910,60 €) und Ersatz des aus der Kündigung der
Lebensversicherung entstandenen Schadens (= 436,05 €) sowie Ersatz
außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.832,80 €.
Der Kläger beantragt,
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den Beklagten zu 3) zu verurteilen, an ihn 28.679,45 € nebst Zinsen in Höhe von fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
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festzustellen, dass der Beklagte zu 3) ihm, dem Kläger, aus einer vorsätzlich
begangenen unerlaubten Handlung zum Schadensersatz verpflichtet sei.
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Der Beklagte zu 3) beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht geltend, dass der Zeuge X hinsichtlich der hier in Rede stehenden Einlage
nicht für die Beklagte zu 1) tätig gewesen sei, sondern ausschließlich für die X Direkt
AG, bei der es sich um eine konzerneigene Vertriebsgesellschaft der X Gruppe handele.
Anlageziel des Klägers sei eine Beteiligung mit der Möglichkeit der Steuerersparnis
gewesen. Der Zeuge X habe die nötige Aufklärung erteilt und den Kläger nicht etwa in
dem Glauben gelassen, dass lediglich 5 % der Zeichnungssumme für Bearbeitungs-
und Kontoführungsgebühren verwendet und die restlichen 95 % direkt investiert werden
würden. Der Zeuge habe vielmehr über die Beteiligung an den Verlusten, das Risiko
eines Totalverlustes, die typischen Risiken an einer Unternehmensbeteiligung und über
die Kündigungsmodalitäten aufgeklärt. Er habe darauf hingewiesen, dass das
Beteiligungskonzept darauf ausgerichtet gewesen sei, Steuervorteile durch Verluste zu
erzielen. Aufgeklärt habe der Zeuge auch darüber, dass im Fall einer Insolvenz der
Beteiligungsgesellschaft bzw. eines negativen Auseinandersetzungsguthabens bei
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Beendigung des Gesellschaftsverhältnisses eine Nachschusspflicht bis zur Höhe der
getätigten Einnahmen bestehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen X und der Ehefrau des
Klägers. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des
Sitzungsprotokolls vom 26.03.2009 verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist überwiegend in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
begründet.
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Der Kläger hat gegen den Beklagten zu 3) einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe
von insgesamt 23.936,09 € gemäß § 826 BGB und auf Erstattung der außergerichtlichen
Rechtsanwaltskosten aus Verzug in Höhe von 1.057,69 € jeweils nebst Zinsen von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Der Betrag von 23.936,05 € errechnet sich aus den seitens des Klägers geleisteten
Einlagen in Höhe von insgesamt 33.600,00 € abzüglich 2.100,00 € Entnahmen und
8.000,00 € aus dem mit der X Sachwert AG am 30.10.2006 geschlossenen Vergleich
zuzüglich eines Schadensbetrages von 436,05 € aus der vorzeitigen Kündigung der
Lebensversicherung.
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Die Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.057,69 € beruhen auf einem Gegenstandswert
von bis 25.000,00 € (1,3 Geschäftsgebühr = 911,80 €) zuzüglich 20,00 € Auslagen und
145,89 € (16 % Mehrwertsteuer).
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Die hier in Rede stehende atypische stille Beteiligung des Klägers an der X Sachwert
AG ist durch Vermittlung des für die X Finanz AG tätigen Zeugen X zustande
gekommen. Die durchgeführten Vermittlungsgespräche beruhten auf den Vorgaben der
von dem Beklagten zu 3) geplanten und organisierten Schulungen, die darauf abzielten,
potentielle Kunden über die Risiken der Anlageform nicht bzw. nur unzureichend zu
informieren und die in erster Linie darauf gerichtet waren, möglichst hohe Umsätze zu
erzielen.
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Der Zeuge X ist entgegen der Auffassung des Beklagten zu 3) gegenüber dem Kläger
nicht etwa für die X Direkt AG, sondern als Vermittler für die Rechtsvorgängerin der
Beklagten zu 1) tätig geworden. Der Zeuge hat anlässlich seiner Vernehmung durch die
Kammer keinen Zweifel daran gelassen, dass er seinerzeit für die X Finanz tätig war
und im Rahmen dieser Tätigkeit Anteile an der X Sachwert AG vermittelt hat. Nach der
Darstellung des Zeugen haben die X Finanz und die X Sachwert AG seinerzeit eng
zusammen gearbeitet, wobei die X Finanz die hier in Rede stehende Anlage bei der X
Sachwert AG vermittelte. Dazu passt auch die von dem Zeugen geschilderte
Abwicklung der Anlagemodalitäten, wonach der unterzeichnete Zeichnungsschein an
die X Finanz weitergeleitet wurde. Der Zeuge konnte nach seinen eigenen Angaben
nichts dazu sagen, ob die X überhaupt eine eigene Vertriebsgesellschaft unterhielt. In
dem Zeichnungsschein selbst ist die X Finanz AG ("FF") aufgeführt. Grundlage der
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Vermittlungstätigkeit des Zeugen waren die von dem Beklagten zu 3) zu
verantwortenden Schulungen. Auch dies hat die Vernehmung des Zeugen X mit der
nötigen Eindeutigkeit ergeben. Dieser hat nach Vorlage der bei der Akte befindlichen
Schulungsunterlagen (Bl. 29/33 GA) ausgesagt, dass ihm diese Papiere bekannt sind
und bei den Schulungen, an denen er selbst teilgenommen hat, die in den Papieren
niedergelegten Dinge besprochen wurden. Nach den Angaben des Zeugen handelte es
sich dabei um Schulungen der X Finanz, wobei auch der Inhalt der mit den Kunden zu
führenden Gespräche Gegenstand der Schulungen waren. Der Beklagte zu 3) war nach
dem Vorbringen des Klägers als alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer
verantwortlich für die Inhalte und die Durchführung der Schulungen der Mitarbeiter
sowie für die Schulungsunterlagen. Nach dem Vorbringen des Klägers hat der Beklagte
zu 3) das konzipierte Verkaufsgespräch persönlich auf CD und MC aufnehmen lassen
und diese von ihm selbst besprochenen Medien an die Vermittler verteilen lassen, damit
sich diese den genauen Ablauf des Gesprächs entsprechend den Schulungsvorgaben
einprägen konnten. Dem Beklagten zu 3) waren die Einzelheiten des strukturierten
Verkaufsgesprächs und damit auch die damit verbundenen Unzulänglichkeiten bekannt.
Vor diesem Hintergrund war ihm, worauf der Kläger zutreffend abstellt, bewusst, dass
die Verwendung der Gesprächsvorlage zu einer Täuschung der Anleger über die
tatsächlichen Risiken der Kapitalanlage dienen sollte und dass die
Schulungsunterlagen nicht den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Aufklärung
entsprachen. Im Rahmen von Kapitalmarktgeschäften soll der Anleger durch den
Anlageberater über alle Risiken, Chancen und Eigenschaften der Anlage aufgeklärt
werden, so dass er in der Lage ist, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.
Dazu ist eine sorgfältige, vollständige, sachlich zeitnahe und verständliche Aufklärung
und Beratung erforderlich. Umfasst ist dabei u.a. die Einholung der Anlageziele und
Risikobereitschaft des Kunden sowie seiner finanziellen Verhältnisse durch den
Berater. Eine an diesen Kriterien orientierte sachgerechte Anlageberatung und
Vermittlung hat nicht stattgefunden. Das Gegenteil ist der Fall. Soweit der Zeuge X
anlässlich seiner Vernehmung davon gesprochen hat, dass er mit dem Kläger auch
darüber gesprochen habe, dass es wie bei jeder Investition Risiken gäbe, so ist dies
völlig unzureichend und lässt eine ordnungsgemäße Aufklärung nicht erkennen. Dies
gilt umso mehr, da der Zeuge im Rahmen der Beweisaufnahme nicht im Stande war,
einzelne Risiken anzugeben, sondern sich in diesem Zusammenhang darauf
beschränkte, pauschal auf das Emissionsprospekt hinzuweisen, wobei sich im
vorliegenden Fall nicht feststellen lässt, dass dem Kläger das Emissionsprospekt
überhaupt ausgehändigt worden ist. Soweit der Zeuge in diesem Zusammenhang
davon gesprochen hat, dass der Kläger das Emissionsprospekt und auch den
Verkaufsprospekt erhalten habe, so steht dem die Aussage der Ehefrau des Klägers
entgegen, die die vorbezeichneten Unterlagen nicht bei ihrem Ehemann gesehen hat.
Die Bekundungen des Zeugen X sowie die hier in Rede stehenden
Schulungsunterlagen machen vielmehr deutlich, dass bei den sogenannten
Beratungsgesprächen die positiven Aspekte der Anlage im Vordergrund standen und
der potentielle Anleger darüber im Unklaren gelassen wurde, dass die Möglichkeit eines
Totalverlustes bzw. die Gefahr einer Nachschusspflicht bestand. Auch die in den
Schulungsunterlagen bzw. in den Unterlagen zum Präsentationsgespräch erwähnten
steuerlichen Vorteile von im Einzelfall bis zu 30 % der Einmalzahlung zeigen, dass die
Verkaufsstrategie, so wie sie von dem Beklagten zu 3) initiiert worden war, darauf
abzielte, nur die Vorteile der Anlageform in den Vordergrund zu rücken und die damit
verbundenen Risiken gänzlich unerwähnt zu lassen. Dies passt zur Aussage der als
Zeugin vernommenen Ehefrau des Klägers, wonach der Vermittler X ihr auf ihre
Nachfrage hin mitgeteilt habe, dass es bei der hier in Rede stehenden Anlage kein
Risiko gäbe. Zwar kann eine mögliche Aufklärung im Rahmen eines
Vertragsanbahnungsgesprächs durch die Überreichung eines Prospekts über die
Kapitalanlage ersetzt werden. Erforderlich ist jedoch, dass das Prospekt nach Form und
Inhalt geeignet ist, die nötigen Informationen wahrheitsgemäß und verständlich zu
vermitteln. Darüber hinaus muss dem Anlageinteressenten das Prospekt so rechtzeitig
vor Vertragsschluss überlassen worden sein, dass ein Inhalt noch zur Kenntnis
genommen werden kann. Um einen solchen Fall geht es hier aber gerade nicht.
Unabhängig davon, dass sich nicht feststellen lässt, dass dem Kläger entweder das
Emissionsprospekt oder der Verkaufsprospekt oder gar beides ausgehändigt wurden,
vermag die Überreichung eines Prospekts im Rahmen eines mündlichen
Beratungsgesprächs die gebotene umfassende Aufklärung nicht zu ersetzen.
Nach alledem ist die Klageforderung in der zuerkannten Höhe begründet. Ein Anspruch
auf entgangenen Gewinn steht dem Kläger gegen den Beklagten zu 3) dagegen
allerdings nicht zu. Insoweit fehlt es an nachvollziehbarem Sachvortrag, dass ein
solcher Gewinn, wie er geltend gemacht wird, auch tatsächlich erzielt worden wäre.
Darüber hinaus kann der Kläger nicht gleichzeitig entgangenen Gewinn und Ersatz des
mit der Kündigung der Lebensversicherung entstandenen Schadens geltend machen,
da dies zu einer Schadenskumulation führen würde. Auf die fehlende Substantiierung ist
der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 26.03.2009 ausdrücklich
hingewiesen worden. Auch hinsichtlich der geltend gemachten vorgerichtlichen
Anwaltskosten ist die Klage teilweise abzuweisen. Die Anwaltskosten berechnen sich
nicht nach einem Gegenstandswert von 70.140,00 €, sondern nach einem Wert bis
25.000,00 €.
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Der Zinsanspruch ist aus Verzug in Höhe des gesetzlichen Zinssatzes ab
Rechtshängigkeit begründet (§ 291 BGB).
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Der Feststellungsantrag ist ebenfalls zulässig und begründet. Die Zulässigkeit folgt aus
§ 850 f Abs. 2 ZPO.
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Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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Streitwert: 26.846,45 €; dem Feststellungsantrag kommt kein eigener Streitwert zu.
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