Urteil des LG Krefeld vom 25.05.2007

LG Krefeld: wirtschaftliche einheit, höchstpersönliches recht, antragsrecht, wahlrecht, insolvenz, verfügungsbefugnis, lebensgemeinschaft, güterstand, abgabe, rückerstattung

Landgericht Krefeld, 1 S 111/06
Datum:
25.05.2007
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 S 111/06
Vorinstanz:
Amtsgericht Krefeld, 1 C 147/06
Tenor:
Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung seines
weitergehenden Rechtsmittels das Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom
23.10.2006 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, der Zusammenveranlagung zur
Einkommenssteuer des Klägers und seiner Ehefrau X für den
Veranlagungszeitraum 2004 gegenüber dem Finanzamt Y zu Steuernr. 1
zuzustimmen Zug um Zug gegen Zahlung von EUR 3.396,93 durch den
Kläger an den Beklagten sowie gegen Abgabe einer Erklärung durch
den Kläger auf Freistellung des Beklagten von etwa künftig eintretenden
steuerlichen Nachteilen infolge der gemeinsamen steuerlichen
Veranlagung im Jahre 2004.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben zu 87 % der Kläger und zu 13 % der
Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert für beide Instanzen: EUR 3.913,14 (EUR 3.311,94 + EUR
601,20)
Entscheidungsgründe
1
I.
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Der Kläger ist mit Frau X verheiratet, über deren Vermögen am 04.03.2003 das
Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter eingesetzt worden
ist.
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Der Kläger und seine Ehefrau reichten für 2004 die Einkommenserklärung beim
Finanzamt Y ein, mit der sie die steuerliche Zusammenveranlagung beantragten. Unter
dem 17.06.2005 erging ein Bescheid, durch den eine Rückerstattung in Höhe von EUR
601,20 festgesetzt wurde. Gegen diesen Bescheid legte der Beklagte in seiner
Eigenschaft als Insolvenzverwalter Einspruch ein und beantragte für die Ehefrau des
Klägers getrennte Veranlagung. Daraufhin erging unter dem 25.10.2005 ein Bescheid
an den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen von Frau X, wonach ihm
ein Betrag in Höhe von EUR 3.396,93 zu erstatten war. Mit gesondertem Bescheid
wurde zulasten des Klägers ein Fehlbetrag in Höhe von EUR 3.311,94 festgestellt.
Dagegen legte der Kläger mit Schreiben vom 28.10.2005 Einspruch ein.
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Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 ZPO auf
den festgestellten Tatbestand des Urteils des Amtsgerichts Krefeld vom 23.10.2006
Bezug genommen
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Der Kläger begehrt mit seiner Klage die uneingeschränkte Zustimmung zur
Zusammenveranlagung für den Veranlagungszeitraum 2004 gegenüber dem Finanzamt
Y zu Steuernr. 1.
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Das Amtsgericht Krefeld hat der Klage stattgegeben und zur Begründung ausgeführt,
der Beklagte sei aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB verpflichtet, der Zusammenveranlagung
zur Einkommenssteuer für 2004 zuzustimmen. Das - letztlich auch aus Art. 6 GG
herzuleitende - Interesse des Ehegatten, die durch die gemeinsame Steuerveranlagung
resultierenden Vorteile zu erlangen, werde nicht durch die Pflicht des
Insolvenzverwalters überlagert, den Interessen der Gesamtheit der Gläubiger
hinreichend und gleichmäßig gerecht zu werden.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten, der seinen Antrag auf
Klageabweisung weiterverfolgt. Der Kläger beantragt die Zurückweisung der Berufung.
8
II.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten
ist teilweise begründet.
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Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein uneingeschränkter Anspruch auf
Zustimmung zur Zusammenveranlagung zu. Der Beklagte ist lediglich verpflichtet, die
Zustimmung Zug um Zug gegen Freistellung von etwaigen steuerlichen Nachteilen
sowie Ausgleich des Erstattungsbetrages zu erteilen, der der Insolvenzmasse im Falle
der getrennten Veranlagung zufließen würde (§§ 1353 Abs. 1 S. 2, 242 BGB).
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Der Beklagte ist hinsichtlich der Zustimmung zur Zusammenveranlagung gemäß § 80
Abs. 1 InsO verfügungsbefugt. Ihn trifft als Insolvenzverwalter - anders als den Gläubiger
in der Einzelzwangsvollstreckung - nicht nur das Recht bzw. die Pflicht zur Abgabe von
Steuererklärungen (vgl. MüKo/Ott, InsO, 2001, § 80 Rn. 131). Vielmehr obliegt ihm die
Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über alle zur Insolvenzmasse gehörenden
Vermögensgegenstände. Dazu zählt auch das Antragsrecht der Ehegatten nach § 26
EStG. Das Recht eines Ehegatten, die Art der steuerlichen Veranlagung nach § 26
EStG zu wählen, ist - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - kein
höchstpersönliches Recht, sondern ein Vermögensrecht (AG Essen, Urteil v.
10.02.2004, 13 C 479/03, NZI 2004, 276). Aus dem Antragsrecht folgende steuerliche
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Erstattungsbeträge stellen einen Bestandteil des Schuldnervermögens dar und gehören
zur Insolvenzmasse. Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist das Wahlrecht zwischen
getrennter Veranlagung und Zusammenveranlagung gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den
Beklagten übergegangen (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil v. 01.02.2007, 9 U 11/06;
vorausgehend LG Cottbus, Urteil v. 12.04.2006, 3 O 130/05, zit. in juris; LG Dortmund,
Urteil v. 20.12.2005, 1 S 320/04, BeckRS 2006, 12790).
Das Antragsrecht steht dem Beklagten nach wie vor zu, auch wenn der
Insolvenzschuldnerin mit dem Beschluss des Amtsgerichts Krefeld vom 29.05.2006 die
Restschuldbefreiung angekündigt worden ist. Zwar endet die Verwaltungs- und
Verfügungsbefugnis grundsätzlich mit Einstellung des Insolvenzverfahrens. Dies betrifft
jedoch nicht Vermögensgegenstände, die für eine Nachtragsverteilung in Betracht
kommen. Hinsichtlich etwaiger Einkommensteuererstattungsansprüche hat das
Amtsgericht Krefeld am 29.05.2006 die Nachtragsverteilung gemäß § 203 Abs. 1 InsO
angeordnet.
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Eine Pflicht des Beklagten zur uneingeschränkten Zustimmung zur
Zusammenveranlagung ist vorliegend nicht aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB begründet.
Zwar folgt aus der in § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB normierten Pflicht zur ehelichen
Lebensgemeinschaft, dass Eheleute zur Zustimmung zur Zusammenveranlagung
verpflichtet sein können, wenn die Gesamtbelastungssteuer dadurch geringer wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Ehegatte der
Zusammenveranlagung grundsätzlich dann zustimmen, wenn sich dadurch die
Steuerschuld des anderen verringert und der auf Zustimmung in Anspruch Genommene
keiner zusätzlichen steuerlichen Belastung ausgesetzt wird (st. Rspr., vgl. BGH, Urteil v.
03.11.2004, XII ZR 128/02, NJW-RR 2005, 225 m.w.N). Letzteres ist unter anderem
dann der Fall, wenn sich der die Zusammenveranlagung begehrende Ehegatte
verpflichtet, den anderen von den ihn treffenden, etwa entstehenden Nachteilen
freizustellen (BGH, a.a.O.). Diese Voraussetzungen wären hier jedenfalls dann
gegeben, wenn der Kläger verbindlich erklären würde, den Beklagten von etwaigen
Nachteilen freizustellen, die aus der gesamtschuldnerischen Haftung für die gesamte
Steuerschuld resultieren würden (§ 44 AO). Denn durch die Zusammenveranlagung
würde sich die Steuerschuld des Klägers erheblich verringern, da dann - anders als im
Falle der getrennten Veranlagung, wonach der Kläger EUR 3.311,94 nachzuzahlen hat
und der Beklagte EUR 3.396,93 erhält - insgesamt eine Rückerstattung in Höhe von
EUR 601,20 vom Finanzamt zu zahlen wäre.
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Diese aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB folgende Pflicht, die sich aus dem Gebot der
gegenseitigen Rücksichtnahme in der Ehe herleitet, bindet jedoch im konkreten Fall
nicht den Beklagten als Insolvenzverwalter (so im Ergebnis auch LG Dortmund, Urteil v.
20.12.2005, 1 S 320/04, BeckRS 2006, 12790). Der Insolvenzverwalter tritt zwar in die
Rechte und Pflichten des Insolvenzschuldners ein, so dass er grundsätzlich nicht mehr
und keine anderen Rechte für die Masse ausüben kann als der Schuldner (MüKo/Ott,
InsO, 2001, § 80 Rn. 131), worauf das Amtsgericht Krefeld maßgeblich abstellt. Dieser
Grundsatz kann jedoch nach Ansicht der Kammer dann keine uneingeschränkte
Anwendung finden, wenn sich der Anspruch eines Ehegatten darauf stützt, dass die
Eheleute - wie im Rahmen des § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB - als wirtschaftliche Einheit
gewertet werden (vgl. LG Dortmund, Urteil v. 20.12.2005, 1 S 320/04, BeckRS 2006,
12790). Denn der Insolvenzverwalter ist ausschließlich im Hinblick auf das Vermögen
des in Insolvenz geratenen Ehegatten gehalten, die Masse zu mehren bzw. zu erhalten.
Daraus folgt, dass er das Interesse des anderen Ehegatten, sich die durch die
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Zusammenveranlagung resultierenden Steuervorteile zu sichern, nicht vorrangig zu
berücksichtigen hat, zumal dies dem im Gesamtvollstreckungsrecht geltenden
Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung zuwiderlaufe würde. Die Pflicht zur
gleichmäßigen Befriedigung aller Insolvenzgläubiger trifft primär den
Insolvenzverwalter, ist jedoch gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO auch vom
Insolvenzschuldner zu beachten. Nach § 295 Abs. 1 Nr. 4 InsO hat der
Insolvenzschuldner Zahlungen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger an den
Treuhänder zu leisten und ist darüber hinaus gehalten, keinem Insolvenzgläubiger
einen Sondervorteil zu verschaffen. Der in Insolvenz geratene Ehegatten hat, um nach
Maßgabe der §§ 287 bis 303 InsO von den im Insolvenzverfahren nicht erfüllten
Verbindlichkeiten gegenüber den Insolvenzgläubigern befreit zu werden, insoweit
ebenfalls ein Interesse an der gleichmäßigen Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Zur
Durchsetzung dieses Interesses können dem Insolvenzverwalter ausnahmsweise auch
weitergehende Rechte zustehen und andere Pflichten treffen, als sie zuvor, d.h. vor
Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der Schuldner hatte (vgl. LG Dortmund, Urteil vom
20.12.2005 - 1 S 320/05, BeckRS 2006, 12790; vgl. allg. auch BGH, Urteil v.
10.08.2006, IX ZR 28/05). Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, dass die
aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB hergeleitete Zustimmungspflicht im Insolvenzverfahren
hinter der Pflicht des Insolvenzverwalters zur Gleichbehandlung der Insolvenzgläubiger
sowie zur Massemehrung zurücktritt.
Etwas anderes folgt nach Ansicht der Kammer auch nicht aus Art. 6 Abs. 1 GG. Zwar
steht nach §§ 26, 26b EStG nur Ehegatten das Recht auf Wahl einer
Zusammenveranlagung zu. Üben Ehegatten allerdings ihr Wahlrecht in dem Sinne aus,
dass sie sich für die getrennte Veranlagung entscheiden, werden sie nicht anders
behandelt als einzeln zur Einkommensteuer veranlagte Personen, da die Vermögen der
Ehegatten im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft rechtlich getrennt
sind. Die durch § 26 EStG eingeräumte - je nach Fallkonstellation - steuerliche
Besserstellung der Ehe etwa gegenüber der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
rechtfertigt sich zwar aus Art. 6 Abs. 1 GG, führt jedoch nicht dazu, dass im
Innenverhältnis der Ehegatten in allen Fällen eine uneingeschränkte
Zustimmungspflicht zur Zusammenveranlagung aus § 1353 Abs. 1 S. 2 BGB besteht.
Auch lässt sich aus Art. 6 Abs. 1 GG keine vorrangige Berücksichtigung des Ehegatten
in der Insolvenz herleiten; vielmehr hat der Gesetzgeber die Verbraucherinsolvenz und
damit die gesonderte Berücksichtigung der Vermögensmassen der im gesetzlichen
Güterstand lebenden Eheleuten eingeführt, ohne dem anderen Ehegatten eine im
Rahmen der Gläubigerbefriedigung zu berücksichtigende Vorrangstellung einzuräumen
(a.A. Essen, Urteil v. 10.02.2004, 13 C 479/03, NZI 2004, 276).
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Entgegen der Ansicht des Klägers folgt eine uneingeschränkte Pflicht zur
Zusammenveranlagung auch nicht aus der während des maßgeblichen
Veranlagungszeitraums getroffenen Wahl der Steuerklassen. Die Wahl der
Steuerklassen hat lediglich Auswirkung auf die monatliche Abrechnung, d.h. die Höhe
des monatlichen Lohnsteuerabzugs, nicht jedoch auf das für den jeweiligen
Veranlagungszeitraum zu versteuernde Einkommen. Insoweit kann hier dahinstehen, ob
der Insolvenzmasse auch dann Geld zugeflossen wäre, wenn die Insolvenzschuldnerin,
Frau Möbs, statt der Steuerklasse V die Steuerklasse IV gewählt hätte. Denn durch den
aus Steuerklasse V resultierenden höheren Lohnsteuerabzug steht ihr ein
Erstattungsanspruch zu, der sich auch (nur) auf das von ihr zu versteuernde Einkommen
bezieht. Dagegen hat der Kläger im Hinblick auf seine geringere Steuervorauszahlung
eine entsprechende Nachzahlung zu leisten. Davon unabhängig ist die Frage, ob die
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Eheleute aufgrund der Zusammenveranlagung steuerlich besser gestellt und unter
bestimmten Voraussetzungen zur Zustimmung verpflichtet sind.
Das dem Beklagten als Insolvenzverwalter eingeräumte Wahlrecht nach § 26 EStG führt
jedoch nicht zu einem vollständigen Anspruchsausschluss. Der Beklagte muss der
Zusammenveranlagung vielmehr zustimmen, allerdings nur gegen Ausgleich des
Erstattungsbetrages, der der Insolvenzmasse im Falle der getrennten Veranlagung
zufließen würde. Die Wahl der Veranlagungsart wird gemäß § 242 BGB begrenzt durch
rechtsmissbräuchliches und willkürliches Verhalten, das steuerlich und wirtschaftlich
sinnlos ist (vgl. LG Dortmund, Urteil v. 20.12.2005, 1 S 320/04, BeckRS 2006, 12790).
Wirtschaftlich sinnlos erscheint nach Ansicht der Kammer die getrennte Veranlagung
hier insoweit, als damit der durch die Zusammenveranlagung entstehende
Steuererstattungsbetrag von EUR 601,20 ersatzlos wegfiele. Der Beklagte hat daher der
Zusammenveranlagung für 2004 zuzustimmen, kann aber die Zustimmung von einem
Nachteilsausgleich abhängig machen, der hier darin besteht, dass der Masse infolge
der Zusammenveranlagung der im Bescheid vom 25.10.2005 festgesetzte Betrag von
EUR 3.396,93 entzogen wird.
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Aus diesem Grund hat der Beklagte die Zustimmung zur Zusammenveranlagung zu
erklären, allerdings nur Zug um Zug gegen Freistellung von etwaigen steuerlichen
Nachteilen und Zahlung des infolge der Zusammenveranlagung der Masse entzogenen
Betrages in Höhe von EUR 3.396,93. Im Ergebnis kann also die gemeinsame
Veranlagung durchgeführt werden, wenn der Kläger den Beklagten wirtschaftlich so
stellt, als ob eine getrennte Veranlagung durchgeführt worden würde.
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III.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713
ZPO.
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert.
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