Urteil des LG Krefeld vom 27.03.2003

LG Krefeld: stationäre behandlung, heilbehandlung, therapie, kur, akupunktur, tarif, medizin, krankheit, klageerweiterung, vollstreckung

Landgericht Krefeld, 3 O 271/99
Datum:
27.03.2003
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 271/99
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 267,77 EUR nebst 4 %
Zinsen seit dem 18.07.2001 zu zahlen. In Höhe eines Betrages von
5.530,35 EUR wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.
3. Das Teilurteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird
nachgelassen, die Vollstreckung durch die Klägerin gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages
abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Kostenübernahme einer stationären
Behandlung und weiterer medizinischer Leistungen aus einem privaten
Krankenversicherungsvertrag.
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Die Klägerin ist bei der Beklagten privat krankenversichert u.a. gemäß den Tarifen AS 1,
P3, P2E. Der Tarif P3 gewährt einen Anspruch auf volle Kostenerstattung mit
unbegrenzter Leistungsdauer in einem Mehrbettzimmer oder ein Krankenhaustagegeld
von täglich 120,- DM. Nach dem Tarif P2E besteht ein Anspruch auf Erstattung von
Wahlleistungen gemäß § 7 Bundespflegesatzverordnung bei stationärer
Krankenhausbehandlung in einem Zweibettzimmer oder, sofern Wahlleistungen nicht in
Anspruch genommen werden, ein Anspruch auf Krankenhaustagegeld in Höhe von
120,- DM pro Tag. Dem Vertrag liegen die Versicherungsbedingungen MB/KK 76
zugrunde.
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Seit Ende 1997 litt die Klägerin, die schwer hörgeschädigt ist, u.a. an einem
inkompletten CFS Syndrom - Chronic Fatigue Syndroms -. Sie hatte zahlreiche Infekte /
Entzündungen, insbesondere rezividierende Ohrenentzündungen und Vereiterungen
mit Juckreiz. Ende Februar 1999 erhielt sie im Rahmen einer Behandlung bei der
Schmerzambulanz des Klinikums X Akupunktur und chinesische Heilkräuter in
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Tablettenform, die kurzfristig Linderung brachten. Nach einem Hörsturz, der zu einem
stationären Aufenthalt im Klinikum L2 führte, traten erneut Vereiterungen in beiden
Ohren mit Furunkeln, Bakterien und dem Pilz Candida albicans auf..
Ihr Hausarzt überwies sie aufgrund des "therapieresistenten" CFS-Syndroms und
rezidivierender EBV-Viren (Eppstein-Barr-Viren) am 05.05.1999 in die TCM Klinik in L
zur stationären Behandlung. Die TCM-Klinik ist die erste deutsche Klinik für
Traditionelle Chinesische Medizin mit einer Zulassung entsprechend § 34 der
Gewerbeordnung für Privatkliniken und einem mit der Arbeitsgemeinschaft der
bayrischen Krankenkassenverbände abgeschlossenen Versorgungsvertrag für
Krankenhausbehandlungen gemäß § 108 Abs.3 SGB V. Durch den Landesausschuss
der privaten Krankenversicherer wurde die TCM Klinik nicht als Krankenhaus i.S.d. § 4
Abs.4 MB/KK eingestuft.
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In der Zeit vom 01.06.1999 bis 30.06.1999 befand sich die Klägerin dort in stationärer
Heilbehandlung. Die Behandlung führte subjektiv zur Besserung des
Allgemeinzustands, insbesondere des Juckreizes. Ein Teil der Wirkungen hielt über
Monate an. Vor Aufnahme in die Klinik hatte die Klägerin die Beklagte angeschrieben.
Die Beklagte hatte es abgelehnt, die Behandlungskosten in dieser Klinik zu
übernehmen.
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Anfang Juli übersandte die Klägerin der Beklagten die Rechnung der TCM-Klinik vom
30.06.1999 in Höhe von 13.196,43 DM mit der Bitte um Erstattung zunächst bestimmter
Positionen, die auch bei ambulanter Behandlung angefallen wären. Die Beklagte lehnte
dies mit Schreiben vom 09.07.1999 ab. Einen Betrag von 2.380,- DM wies die Beklagte
laut Schreiben vom 30.07.1999 der Klägerin an.
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Mit Schriftsatz vom 29.03.2001 erweiterte die Klägerin ihren ursprünglichen Klageantrag
um 2.148,21 DM. Diesen Betrag stellte ihr Dr. med. Q, der zugleich Arzt für
Naturheilverfahren sowie Homöopathie ist, mit Schreiben vom 30.11.2000 für Selen-
und Zinkinfusionen und für eine HOT-Behandlung sowie eine Vitamin C - Therapie in
Rechnung. Mit Schreiben vom 09.03.200 lehnte die Beklagte die Erstattung dieser
Rechnung ab.
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Mit Schriftsatz vom 06.07.2001 erweiterte die Klägerin ihren Klageantrag erneut um
weitere 523,71 DM. Die Klägerin begehrt die Erstattung der Kosten eines
Teleskopgestells im Rahmen einer prothetischen Versorgung.
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Die Klägerin behauptet, täglich seien in der TCM-Klinik Zungendiagnostik und
wiederholte Puls- und Temperaturkontrollen durchgeführt worden. Ihr seien chinesische
Heilkräuter aufgebrüht und zu trinken gereicht worden (sog. Dekokte). Es seien täglich
Visiten und Qi Gong - Übungen durchgeführt worden. Wöchentlich seien drei
Akupunkturen mit anschließendem Schröpfen vorgenommen worden. Ferner seien ihr
mehrere Spritzen aus dem Bereich der Neuraltherapie verabreicht worden. Sie ist der
Auffassung, diese durchgeführten Maßnahmen seien als medizinisch notwendige
Heilbehandlungsmaßnahmen i.S.d. § 1 MB/KK 76 zu qualifizieren. Ihre Krankheiten
seien mit schulmedizinischen Maßnahmen nicht therapierbar gewesen. Eine stationäre
Behandlung sei erforderlich gewesen. Die TCM-Klinik sei ein öffentliches Krankenhaus.
Hinsichtlich der Behandlung bei Dr. Q behauptet sie, auch diese Maßnahmen seien
erforderlich gewesen. Schulmedizinische Behandlungsmaßnahmen hätten nicht
weitergeholfen.
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Sie beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.816,43 DM nebst 4 % Zinsen seit
Klagezustellung, weiterer 2.148,21 DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung
dieser Klageerweiterung sowie weiterer 523,71 DM nebst 4 % Zinsen seit
Zustellung dieser Klageerweiterung zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, die TCM-Klinik sei kein Krankenhaus, sondern eine Kurklinik.
Es habe sich demnach um einen Kur- bzw. Sanatoriumsaufenthalt gehandelt. Eine
stationäre Behandlung sei nicht notwendig gewesen, da die Klägerin weder bettlägerig
gewesen sei noch physikalische Maßnahmen und ein intensiver Einsatz des ärztlichen
Personals im Vordergrund des Aufenthalts gestanden habe. Eine Fortsetzung der
chinesischen Therapie mit chinesischen Heilkräutern und Akupunktur sei bei schon
ambulanter therapeutischer Insuffizienz fraglich gewesen. Naturkräuter und Akupunktur
reichen bei einer Otitis nicht aus. Für das CFS bedürfe es keiner stationären
Therapieebene. Es hätten Befunde bzw. eindeutige Gründe gefehlt, die eine stationäre
Therapie dieser Beschwerden unbedingt erforderlich machen würden. Es sei vielmehr
von einer stationären Therapie abzuraten, da bei dem schon durchgeführten
Behandlungsverfahren ambulant eine klare therapeutische Insuffizienz vorgelegen
habe. Dass die Klägerin auch nach der Entlassung die chinesische Arzneimitteltherapie
habe weiterführen sollen, zeige die fehlende Notwendigkeit einer stationären
Behandlung. Sie ist daher der Auffassung, ein Leistungsanspruch der Klägerin bestehe
nicht.
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Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Einholung eines
Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf
das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. F2 (Bl. 343ff.) verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Sache ist teilweise zur Entscheidung reif, und zwar im Hinblick auf die geltend
gemachten Kosten der Behandlung in der TCM - Klinik (10.816,43 DM = 5.530,35 EUR)
und die Kosten des Teleskopgestells (523,71 DM = 267,77 EUR). Die noch offenen
Kosten der Behandlung in der TCM - Klinik kann die Klägerin von der Beklagten nicht
erstattet verlangen (I.). Demgegenüber hat sie einen Anspruch auf Erstattung der Kosten
für das Teleskopgestell (II.).
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I.
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Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung des noch offenen
Teils der Rechnung der TCM - Klinik in Höhe von 10.816,43 DM (= 5.530,35 EUR)
gemäß dem bestehenden privaten Krankenversicherungsvertrag i.V.m. § 4 Abs.1
MB/KK 76 und den entsprechenden Tarifen (P2E, P3).
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1. Voraussetzung für die Gewährung von Leistungen ist gemäß § 1 Abs.1 MB/KK der
Eintritt eines Versicherungsfalls. Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige
Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit und Unfallfolgen (§ 1 Abs.2
S.1 MB/KK). Bei medizinisch notwendiger stationärer Heilbehandlung hat die
versicherte Person gemäß § 4 Abs. 3 MB/KK die freie Wahl unter den öffentlichen und
privaten Krankenhäusern, die unter ständiger ärztlicher Leitung stehen, über
ausreichende diagnostische und therapeutische Möglichkeiten verfügen und
Krankengeschichten führen.
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Zwar war aufgrund des zwischen den Parteien unstreitigen Krankheitsbilds der Klägerin
im Mai 1999 eine stationäre Heilbehandlung medizinisch notwendig. Dies steht zur
Überzeugung der Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest. Der
Sachverständige führt in seinem Gutachten aus, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt
an einer Somatisierungsstörung sowie einer Anpassungsstörung mit längerer
depressiver Reaktion litt, die aufgrund der ausgeprägten häuslichen Belastungssituation
ebenso wie der aufgrund der langen Dauer zunehmenden Schwere nur unter
stationären Rahmenbedingungen behandelt werden konnte. Die Kammer hat keine
Anhaltspunkte, an den nachvollziehbaren Ausführungen des qualifizierten
Sachverständigen zu zweifeln.
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Eine Leistungspflicht der Beklagten besteht allerdings nur dann, wenn es sich bei der
TCM - Klinik um ein Krankenhaus i.S.d. § 4 Abs.3 MB/KK handelt und dieses die
medizinisch notwendigen Behandlungen durchgeführt hat. Dies ist nicht der Fall.
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Ob die TCM - Klinik L als Krankenhaus i.S.d. § 4 Abs.3 MB/KK zu qualifizieren ist, kann
insoweit dahinstehen. Denn jedenfalls ist die TCM Klinik L kein Krankenhaus, das eine
medizinisch notwendige Heilbehandlung an der Klägerin vornehmen kann und bei der
Klägerin vorgenommen hat. Zwar schließen sich eine medizinisch notwendige
Heilbehandlung und eine Kur- und Sanatoriumsbehandlung nicht aus (vgl. BGH, NJW
1995, 3057). Eine Heilbehandlung ist notwendig im Sinne des § 1 Abs.2 MB/KK, wenn
es nach objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen ex ante vertretbar war,
sie als notwendig anzusehen (vgl. z.B. OLG Köln, VersR 1997, 729). Ist die im konkreten
Fall angewandte Behandlungsmethode allgemein anerkannt und geeignet, die
Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken, ist der
Versicherer eintrittspflichtig. Beurteilungsgrundlage bildet insoweit die Schulmedizin
(OLG Düsseldorf, VersR 1995, 773). Dies gilt jedoch nicht für Krankheiten, für die es
keine allgemein anerkannte und geeignete Behandlungsmethode gibt. In solchen Fällen
kommt es darauf an, ob die Behandlung nach medizinischen Erkenntnissen im
Zeitpunkt ihrer Vornahme als wahrscheinlich geeignet angesehen werden konnte, auf
eine Verhinderung oder Verschlimmerung der Erkrankung oder zumindest auf deren
Verlangsamung hinzuwirken, wobei unerheblich ist, ob die Geeignetheit von
schulmedizinischen Erwägungen abhängt oder auf Erkenntnissen der alternativen
Medizin aufbaut. Entscheidend ist dann lediglich, dass die Methode auf einem nach
medizinischen Erkenntnissen nachvollziehbaren Ansatz beruht (BGH, VersR 1996,
1224; OLG Köln, VersR 1997, 729). Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall.
Eine über die Placeborate hinausgehende spezifische Wirksamkeit von TCM ist nach
den nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen für die
in der Patientenindikation aufgelisteten Indikationsgebiete bisher wissenschaftlich nicht
belegt. Eine adäquate Behandlung kann, so der Sachverständige, nach heutigem
wissenschaftlichen Erkenntnisstand ausschließlich in einer psychosomatischen
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Fachklinik durchgeführt werden. Die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen werden
vom Sachverständigen als sehr unspezifisch beschrieben, welche kaum einen über die
Placeborate hinausgehenden Effekt erwarten lassen. den Feststellungen des
Sachverständigen schließt sich die Kammer aufgrund eigener Würdigung an.
Die Kammer sah angesichts des eindeutigen Ergebnisses des Gutachtens keine
Notwendigkeit, ein Ergänzungsgutachten oder, wie von der Klägerin beantragt wurde,
weitere ärztliche Stellungnahmen zur Qualifizierung der stationären Behandlung in der
TCM - Klinik einzuholen. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die hier
maßgeblichen Fragen klar und eindeutig beantwortet.
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3.
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Eine Leistungspflicht der Beklagten ergibt sich auch nicht bereits aus § 5 Abs.1 lit d)
2.HS MB/KK. Danach ist eine Leistungspflicht für Kur- und Sanatoriumsbehandlung
sowie für Rehabilitationsmaßnahmen der gesetzlichen Rehabilitationsträger
ausgeschlossen, wenn der Tarif nichts anderes vorsieht. In den zwischen den Parteien
abgeschlossenen Tarifen ist eine Kostenübernahme insbesondere für eine Kur- und
Sanatoriumsbehandlung nicht vereinbart.
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4.
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Schließlich scheidet auch eine Kostenübernahme nach § 4 Abs.5 S.1 MB/KK aus. Nach
dieser Vorschrift werden die tariflichen Leistungen für medizinisch notwendige
stationäre Heilbehandlung in Krankenanstalten, die auch Kuren bzw.
Sanatoriumsbehandlungen durchführen oder Rekonvaleszenten aufnehmen, im übrigen
aber die Voraussetzungen des Abs.4 erfüllen (sog. "gemischte Anstalten"), nur dann
gewährt, wenn der Versicherer diese vor Beginn der Behandlung schriftlich zugesagt
hat (§ 4 Abs.5 S.1 MB/KK). Die Beklagte hatte die Übernahme von Kosten für die
stationäre Behandlung in der TCM - Klinik vor Behandlungsbeginn ausdrücklich
abgelehnt.
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Ein Erstattungsanspruch scheidet daher aus.
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II.
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Die Kosten des Teleskopgestells in Höhe von 523,71 DM (= 267,77 EUR) hat die
Beklagte der Klägerin demgegenüber gemäß dem bestehenden privaten
Krankenversicherungsvertrag zu erstatten. Zwar hat die Klägerin Korrespondenz der
Bekagten vorgelegt, aus der sich ergibt, dass die Beklagte die Zahlung dieses Betrages
unter Hinweis auf diverse gerichtliche Entscheidungen verweigert hat. Indes hat die
Beklagte im Verfahren selbst zum Kostenerstattungsanspruch nicht vorgetragen und
sich auch nicht auf die vorgerichtliche Korrespondenz bezogen, den schlüssigen
Anspruch also nicht bestritten. Daher war antragsgemäß zu entscheiden.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs.1, 291 BGB.
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III.
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Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus §§ 708 Nr.11, 711, 108 ZPO.
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