Urteil des LG Krefeld vom 27.06.2008

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Landgericht Krefeld, 1 S 20/08
Datum:
27.06.2008
Gericht:
Landgericht Krefeld
Spruchkörper:
1. Zivlkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 S 20/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Nettetal, 19 C 15/07
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 11.01.2008 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Nettetal wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert für die Berufungsinstanz: bis 2.500,- €
Entscheidungsgründe:
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I.
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Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht auf
Schadensersatz in Höhe von insgesamt mindestens 2.487,32 € in Anspruch.
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Am 29.07.2006 kaufte die Klägerin in der Filiale der Beklagten in Brüggen ein. Dabei
wollte sie aus einer links des Gangs stehenden Gefriertruhe eine Packung Windbeutel
entnehmen, weshalb sie sich in die Truhe beugte. Nachdem sie die Packung
entnommen hatte und weiterging, kam sie zu Fall, wobei die Ursache des Sturzes
zwischen den Parteien im Streit steht. Die Klägerin erlitt einen Bruch ihres linken
Handgelenks und musste im Krankenhaus operiert werden. Den mit diesem
Handgelenkbruch in Zusammenhang stehenden materiellen und immateriellen
Schaden macht sie mit der Klage geltend.
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Zur Begründung trägt sie vor, nachdem sie sich vor der Tiefkühltruhe wieder aufgerichtet
habe, habe sie nach rechts gesehen, wo eine Frau mit einem Kleinkind
vorbeigekommen sei. Dann sei sie zu Fall gekommen und führe dies darauf zurück,
dass sie über eine leere Palette, die am Ende der Tiefkühltruhe etwas in den Gang
hinein geragt habe und für sie nicht erkennbar gewesen sei, gestolpert sei. Möglich sei
auch, dass der Sturz auch auf Feuchtigkeit auf dem Boden vor der Tiefkühltruhe
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zurückzuführen sei.
Die Beklagte behauptet, die Palette, auf der sich zudem Kartons befunden hätten, habe
mit 80 cm Breite in den 2,20m breiten Gang geragt und sei für die Klägerin gut
erkennbar gewesen. Ihr Sturz sei allein auf ihre eigene Unachtsamkeit zurückzuführen.
Darüber hinaus bestreitet die Beklagte die Ursächlichkeit und die Höhe des geltend
gemachten Schadens.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird gem. § 540 ZPO auf den Tatbestand des
erstinstanzlichen Urteils Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat durch Beschluss vom 11.10.2007 über den Hergang beim Sturz
durch Vernehmung von Zeugen Beweis erhoben und im folgenden die Klage mit Urteil
vom 11.01.2008 vollumfänglich mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin an
dem Sturz, unabhängig von der Frage, ob eine Verkehrssicherungspflicht durch die
Beklagte verletzt worden sei, ein so überwiegendes Mitverschulden treffe, welches es
im Rahmen der Abwägung rechtfertigen würde, eine Haftung der Beklagten dahinter
zurückstehen zu lassen.
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Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die die Aufhebung des
amtsgerichtlichen Urteils und Zahlungsverurteilung begehrt. Zur Begründung wiederholt
und vertieft sie ihr erstinstanzliches Vorbringen und trägt erstmals vor, sie sei durch das
reichhaltige Warenangebot abgelenkt gewesen und habe deshalb die Palette
übersehen.
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Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und bezieht sich
vollumfänglich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen.
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II.
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Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung hat in der Sache
keinen Erfolg.
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Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
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Der Klägerin steht gegen die Beklagte weder gem. § 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 i.V.m.
§§ 249ff. BGB noch aus § 823 i.V.m. §§ 249 ff. BGB ein Anspruch auf Zahlung von
487,32 € materiellen Schadensersatzes, Zahlung eines angemessenen
Schmerzensgeldes sowie auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltsgebühren zu.
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Voraussetzung für beide Anspruchsgrundlagen wäre nämlich, dass die Beklagte eine
Schutz- bzw. Verkehrssicherungspflicht verletzt hätte, also eine sicherungsbedürftige
("abhilfebedürftige") Gefahrenstelle vorgelegen hat.
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Dies erscheint im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung des Ergebnisses der
Beweisaufnahme zum Hergang und Hintergrund des Sturzes der Klägerin bereits
fraglich.
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Grundsätzlich muss der Sicherungspflichtige darauf hinwirken, dass die Benutzer in
seiner Einrichtung nicht zu Schaden kommen. Dabei sind Vorsorgemaßnahmen nur
dann geboten, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit
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einer Rechtsgutverletzung anderer ergibt. Dies ist dann zu bejahen, wenn eine
Gefahrenquelle trotz Anwendung der von den Verkehrsteilnehmern zu erwartenden
eigenen Sorgfalt nicht rechtzeitig erkennbar ist oder diese sich nicht rechtzeitig
einstellen können (OLG Hamm, Urt. v. 13.01.2006, zit. nach Juris).
Legt man diesen Maßstab auf den Streitfall an, so dürfte eine – auch leere - an der
linken Seite eines Ganges abgestellte Palette in einem Discountmarkt schon keine
Gefahrenstelle darstellen. Grundsätzlich ist es nämlich verkehrsüblich, dass in
Discountmärkten Regale immer wieder aufgefüllt werden und zu diesem Zweck Paletten
mit Waren vor den Regalen auch durchaus eine gewisse Zeit stehen. Insofern stellt eine
Palette, selbst wenn sie zum Zeitpunkt des Sturzes leer gewesen sein sollte, in einem
Discountmarkt kein unerwartetes Hindernis dar. Der Kunde, der ein solches Geschäft
betritt, muss aufgrund von Erfahrungswerten damit rechnen. Darüber hinaus war die
Palette auch gut erkennbar. Zwar hebt sie sich vom Boden nur leicht ab, ragte jedoch,
wie das Amtsgericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zutreffend ausgeführt hat,
mit seiner vollen Breite in den Gang hinein, so dass sie für die Klägerin bei Auferbietung
der erforderlichen Sorgfalt hätte erkennbar sein müssen.
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Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts ist insoweit nicht zu beanstanden. Das
Amtsgericht ist zu seiner begründeten Überzeugung unter Berücksichtigung des
gesamten Inhalts der Verhandlungen und insbesondere des Ergebnisses der
Beweisaufnahme gelangt. Die mitgeteilten Erwägungen sind gut nachvollziehbar und
lassen Rechtsfehler, vor allem einen Verstoß gegen Erfahrungs- und Denkgesetze nicht
erkennen.
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Im Ergebnis kann die Frage, ob eine Palette im Gang eines Discountmarktes eine
sicherungsbedürftige Gefahrenquelle darstellt, aber offen bleiben.
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In jedem Fall scheidet eine Schadensersatzpflicht der Beklagten deshalb aus, weil die
Klägerin an dem Unfall ein ganz überwiegendes Mitverschulden trifft, welches die
Haftung der Beklagten dahinter zurücktreten lässt. Bereits nach ihrem eigenen Vortrag
hat die Klägerin sich kurz bevor sie stürzte durch ein an ihr im Einkaufswagen seitlich
vorbeifahrendes Kleinkind ablenken lassen und deshalb nicht darauf geachtet, ob sie
ihren Weg an der Kühltruhe vorbei problemlos fortsetzen kann. Hätte sie die
erforderliche Sorgfalt walten lassen, hätte sie den Sturz über die Palette vermeiden
können. Insoweit wird vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen in der
amtsgerichtlichen Entscheidung Bezug genommen.
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Selbst wenn man den erstmals in der Berufungsinstanz und damit als verspätet
zurückzuweisenden Umstand berücksichtigen würde, die Klägerin habe sich von dem
reichhaltigen Warenangebot ablenken lassen, führt dies zu keiner anderen Bewertung.
Auch dann würde sie nämlich ebenfalls ein ganz überwiegendes Mitverschulden treffen.
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Soweit die Klägerin sich darauf beruft, es sei möglich, dass sie auch aufgrund von
Feuchtigkeit des Bodens vor der Tiefkühltruhe gestürzt sei, rechtfertige dies keine
andere Entscheidung. Zum einen hat die Klägerin nach dem Ergebnis der
Beweisaufnahme nicht bewiesen, dass es tatsächlich zum Zeitpunkt des Sturzes feucht
war und somit darin eine sicherungsbedürftige Gefahrenquelle lag. Zum anderen steht
schon nach dem Vortrag der Klägerin nicht fest, dass Feuchtigkeit tatsächlich die
Ursache für den Sturz war, so dass darüber hinaus die Kausalität fraglich ist.
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Die Berufung ist daher insgesamt zurückzuweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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