Urteil des LG Köln vom 01.12.2010

LG Köln (geschäftsführung ohne auftrag, höhe, unerlaubte handlung, örtliche zuständigkeit, interesse, gebühr, lizenzgebühr, zpo, einsichtsfähigkeit, klageschrift)

Landgericht Köln, 28 O 594/10
Datum:
01.12.2010
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
28. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
28 O 594/10
Tenor:
Den Beklagten wird Prozesskostenhilfe bewilligt in Bezug auf die
Rechtsverteidigung gegen den angekündigten Antrag der Klägerinnen,
soweit der Antrag einen Betrag von 5.180,60 € übersteigt.
Im Übrigen wird der Prozesskostenhilfeantrag der Beklagten
zurückgewiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei.
Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
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I.
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Die Parteien streiten um Schadensersatzersatzansprüche sowie Zahlungsansprüche
hinsichtlich der Abmahnkosten aufgrund von Filesharing über den Internetzugang der
Beklagten zu 1).
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Die Klägerinnen zählen zu den führenden deutschen Tonträgerherstellern. Sie sind
jeweils Inhaber von zahlreichen Leistungsschutz- und Urheberrechten an
verschiedenen Musikstücken. Ob die Klägerinnen Inhaberinnen der ausschließlichen
Nutzungsrechte an den in der Klageschrift S. 5 - 6 aufgezählten Musikstücken sind, ist
streitig. In sog. Online-Tauschbörsen werden Musikstücke als MP3-Dateien von den
jeweiligen Beteiligten zum Download angeboten. Hier kann jeder Nutzer der
Tauschbörse Musikstücke von den Computern des Anbietenden herunterladen.
Hierdurch entstehen den Klägerinnen jährlich erhebliche Schäden.
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Die Beklagte zu 1), deren Tochter die Beklagte zu 2) ist, ist Inhaberin eines
Internetzuganges in M. Neben ihr nutzte auch die Beklagte zu 2) diesen Internetzugang.
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Nachdem die Firma P GmbH im Auftrag der Klägerin über die IP-Adresse
217.226.216.72 am 28.02.2007 um 11:04:12 Uhr MESZ eine Urheberrechtsverletzung in
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Form von 614 Musikdateien feststellte, erstattete sie Strafanzeige gegen Unbekannt und
teilte der Staatsanwaltschaft die IP-Adresse des Internetnutzers mit, von dem die
angeblichen Downloads ermöglicht wurden. Die hiernach durchgeführte Anfrage bei der
U AG ergab, dass diese IP-Adresse zum fraglichen Zeitpunkt dem Internetanschluss der
Beklagten zu 1) zugeordnet war. Im weiteren Verlauf stellte sich heraus, dass die
Beklagte zu 2) hierfür verantwortlich war.
Die Klägerinnen mahnten die Beklagten hierauf ab und forderten sie auf, eine
entsprechende Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben. Gleichzeitig wurde
über die Zahlung einer Vergleichssumme zur Abgeltung sämtlicher etwaig bestehender
Schadensersatz- und Kostenerstattungsansprüche verhandelt. Die Beklagten gaben
jedoch im weiteren Verlauf nur eine Unterlassungsverpflichtungserklärung ab, im
Übrigen erfolgte keine vergleichsweise Einigung.
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Die Klägerinnen machen neben den anwaltlichen Abmahnkosten aus einem Streitwert
von 200.000,- € einen Lizenzschaden von jeweils 200,- € für 15 Musikdateien geltend.
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Die Klägerinnen behaupten, dass sie jeweils die Inhaberinnen der ausschließlichen
Nutzungsrechte an den auf Bl. 5 - 6 der Klageschrift im Einzelnen aufgezählten
Musikstücken sind.
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Die Klägerinnen haben angekündigt zu beantragen,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Klägerinnen zur
gesamten Hand 5.380,80 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagten haben angekündigt zu beantragen,
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die Klage abzuweisen.
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Für die Geltendmachung dieses Antrages beantragen die Beklagten, ihnen
Prozesskostenhilfe zu bewilligen.
15
Sie halten das Landgericht Köln für örtlich unzuständig und bestreiten, dass 614
Dateien mit entsprechend geschütztem Inhalt öffentlich zugänglich gemacht wurden. Die
Klägerinnen zu 3) und 4) seien schon nach ihrem eigenen Vortrag hinsichtlich des
geltend gemachten Lizenzanspruches nicht aktivlegitimiert. Auch seien sie im Übrigen
nicht Rechteinhaber. Ferner sei die Beklagte zu 1) unstreitig nicht die Verletzerin und
müsse sich nicht eine fremde Verletzungshandlung der Tochter als eigene zurechnen
lassen. Eine Verletzung der Aufsichtspflichten sei ebenfalls nicht ersichtlich, da die
Tochter zu dem fraglichen Zeitpunkt bereits 17 Jahre alt gewesen sei. Auch die
Beklagte zu 2) hafte nicht, da ihr die entsprechende Einsichtsfähigkeit gefehlt habe. So
habe sie zum Zeitpunkt der Verwendung des Tauschbörsenprogramms nicht über das
Wissen verfügt, hiermit Rechtsverletzungen gegenüber Dritten zu begehen. Es habe ein
Informationsdefizit im Hinblick auf die aktuelle Rechtslage vorgelegen. Im Übrigen sei
der geltend gemachte Schadensersatz zu hoch. Die Prozessbevollmächtigten der
Klägerinnen hätten zudem nicht nach dem RVG abgerechnet.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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II.
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Die beabsichtigte Rechtsverteidigung bietet nach dem bisherigen Vorbringen der
Parteien in Bezug auf den bewilligten Teil Aussicht auf Erfolg. Soweit der Antrag auf
Gewährung von Prozesskostenhilfe abgelehnt wurde, liegen keine hinreichenden
Erfolgsaussichten vor:
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Die Klägerinnen haben gegen die Beklagten nach dem bisherigen Vortrag der Parteien
einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 3.000,- € gemäß § 97 UrhG bzw. §
832 BGB sowie hinsichtlich der Abmahnkosten in Höhe von 2.180,60 € aus einem
Streitwert von 160.000,- € nach den Grundsätzen der Geschäftsführung ohne Auftrag.
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Im Einzelnen:
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Das Landgericht Köln ist örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts
Köln ist gegeben, da die Verletzungshandlung – das Downloadangebot der
streitgegenständlichen Musikstücke – planmäßig über das Internet auch in Köln und
damit im Zuständigkeitsbereich des Landgerichts Köln erfolgte. Die Zuständigkeit
gemäß § 32 ZPO ist daher gegeben, da die unerlaubte Handlung auch in Köln
begangen wurde (vgl. Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Auflage, § 32 Rn. 17, m.w.N.). Da
der geltend gemachte Anspruch von der Klägerin schlüssig auch auf § 97 UrhG gestützt
wird – dies reicht für die Begründung der Zuständigkeit aus (vgl. Vollkommer a.a.O., §
32 Rn. 19, m.w.N.)-, können im Rahmen der Prüfung auch alle weiteren Ansprüche
berücksichtigt werden (vgl. Vollkommer, a.a.O., § 32 Rn. 20, m.w.N.).
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1. Die Abmahnkosten sind über das Rechtsinstitut der Geschäftsführung ohne Auftrag
zu ersetzen. Denn derjenige, der vom Störer die Beseitigung einer Störung bzw.
Unterlassung verlangen kann, hat nach ständiger Rechtsprechung im Urheberrecht
grundsätzlich über dieses Institut einen Anspruch auf Ersatz seiner Aufwendungen gem.
§§ 683 S. 1, 670 BGB, soweit er bei der Störungsbeseitigung hilft und im Interesse und
im Einklang mit dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Störers tätig wird (BGH,
NJW 1970, 243; 2002, 1494). Die gesetzliche Sonderregelung in § 12 Abs. 1 S. 2 UWG
schließt außerhalb des Wettbewerbsrechts den Ersatz von Abmahnkosten über den
vorgenannten Weg nicht aus. Vielmehr hat der Gesetzgeber mit § 12 UWG nur die
Grundsätze nochmals ausdrücklich anerkannt, die zuvor die Rechtsprechung zum
Anspruch auf Erstattung der Abmahnkosten im Rahmen der Geltendmachung von
Unterlassungsansprüchen bereits entwickelt hatte (vgl. Bornkamm, in:
Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004 § 12 Rn 1.77 f. 1.85 ff.) Es
entspricht dem mutmaßlichen Willen des Störers, die durch die Verletzungshandlung
entstehenden Kosten, auch die der Abmahnung selbst, möglichst gering zu halten.
Insbesondere die durch Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts veranlassten Kosten
sind daher zu ersetzen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung
notwendig sind.
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Das an die Beklagten gerichtete Abmahnschreiben war veranlasst. Denn es lag eine
Rechtsverletzung vor, für die die Beklagten als Verletzer bzw. Störer haften und die
Einschaltung der Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen war nicht rechtswidrig:
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Den Klägerinnen stand nach § 97 UrhG ein Unterlassungsanspruch gegen die
Beklagten zu. Die Aktivlegitimation der Klägerinnen für die Geltendmachung des
Unterlassungsanspruchs ist gegeben, da die Klägerinnen Inhaberinnen der
ausschließlichen Nutzungsrechte an den auf S. 5-6 der Klageschrift vom 23.08.2010
genannten Titeln sind. Zwar haben die Beklagten die Aktivlegitimation bestritten. Dies
erfolgte jedoch ersichtlich ins Blaue hinein und ist daher unbeachtlich. Die Klägerinnen
sind nicht verpflichtet gewesen, eine vollständige Rechtekette für jeden Titel im
Einzelnen darzulegen, die sie lückenlos mit dem ursprünglichen Rechteinhaber
verbindet. Grundsätzlich ist zwar davon auszugehen, dass eine entsprechende
Darlegung erforderlich ist. Dies ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Verletzer
seinerseits in abweichender Einspielung oder äußerer Gestaltung Tonträger oder
digitale Versionen von Musikstücken angeboten bzw. vertrieben und sich darauf berufen
hat, ihm seien von dritter Seite entsprechende Rechte eingeräumt worden bzw. das
Schutzrecht des Anspruchstellers sei abgelaufen oder in Deutschland nicht
rechtsbeständig (vgl. OLG Hamburg in GRUR-RR 2008, 282). Anders verhält es sich
indes im vorliegenden Fall. Die Beklagten bestreiten die Rechteinhaberschaft der
Klägerinnen insbesondere unter Berücksichtigung der von den Klägerinnen vorgelegten
Katalogdatenbank www.anonym1.de der Q GmbH lediglich pauschal und
unsubstantiiert. Sie tragen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Vortrag der
Klägerinnen insoweit unzutreffend sein könnte. Die Kammer geht daher davon aus,
dass sich die Beklagten nicht erfolgreich "ins Blaue hinein" auf ein pauschales
Bestreiten der Rechteinhaberschaft beschränken können. Eine derartige
Rechtsverteidigung kann nur erfolgreich sein, wenn die Beklagten einzelfallbezogen
konkrete Anhaltspunkte vortragen, die Zweifel an der Rechteinhaberschaft der
jeweiligen Klägerin wecken können. Dies ist vorliegend nicht geschehen (vgl. OLG
Hamburg a.a.O.). Deshalb waren die Klägerinnen auch nicht verpflichtet, zu allen der
geltend gemachten Verletzungstitel vollständige Rechteketten nachzuweisen. Ein
derartiges Verlangen würde letztlich den Anspruch der Klägerinnen auf effektiven
Rechtsschutz leer laufen lassen (vgl. OLG Hamburg a.a.O.).
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Ohne weiteres handelt es sich bei den Musikdateien um geschützte Werke im Sinne des
§ 2 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 UrhG bzw. um Musikstücke, an denen Leistungsschutzrechte
gemäß §§ 73, 85 UrhG bestehen.
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Die Passivlegitimation der Beklagten zu 2) ergibt sich aus dem Umstand, dass sie die
Musikdateien zum Tausch angeboten hat. Die Passivlegitimation der Beklagten zu 1) ist
im Rahmen einer Haftung als Störerin ebenfalls gegeben. Im Rahmen des
Unterlassungsanspruchs haftet in entsprechender Anwendung des § 1004 BGB jeder
als Störer für eine Schutzrechtsverletzung, der – ohne selbst Täter oder Teilnehmer zu
sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal an der rechtswidrigen
Beeinträchtigung mitgewirkt hat (vgl. BGH GRUR 2010, 633 ff.; Urteil des OLG Köln vom
23.12.2009, Az. 6 U 101/09, m.w.N.). Wenn die Beklagte zu 1) Dritten, auch und gerade
Mitgliedern ihres Haushalts, innerhalb ihres Haushalts einen Computer und einen
Internetzugang zur Verfügung stellte und ihnen dadurch die Teilnahme an der
Musiktauschbörse ermöglichte, dann war dieses willentliche Verhalten adäquat kausal
für die Schutzrechtsverletzung. Jedenfalls seit dem Auftreten der Filesharing-Software
"Napster" im Herbst 1999 ist derartiges auch nicht mehr ungewöhnlich und wird
insbesondere und gerade von Jugendlichen vielfältig in Anspruch genommen. Durch
die gesetzgeberischen Bemühungen, dem entgegenzuwirken, und dem verstärkten
Tätigwerden der Strafverfolgungsbehörden ist dieser Umstand in den letzten Jahren
auch nachhaltig in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt worden. Diese Diskussion
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wird in den Medien bis zum heutigen Tag regelmäßig zum Gegenstand der
Berichterstattung gemacht. Vor diesem Hintergrund kann niemand – auch nicht die
Beklagte zu 1) – die Augen davor verschließen, dass das Überlassen eines
Internetzugangs an Dritte die nicht unwahrscheinliche Möglichkeit mit sich bringt, dass
von diesen derartige Rechtsverletzungen begangen werden. Dieses Risiko löst Prüf-
und Handlungspflichten desjenigen aus, der den Internetzugang ermöglicht, um der
Möglichkeit solcher Rechtsverletzungen vorzubeugen (vgl. hierzu BGH GRUR 2010,
633 ff.).
Hiernach hätte es der Beklagten zu 1) nicht nur oblegen, den zugangberechtigten
Dritten ausdrücklich und konkret zu untersagen, Musik mittels Filesharing-Software aus
dem Internet herunterzuladen. Sie hätte weiterhin wirksame Maßnahmen zur
Verhinderung der Rechtsverletzungen ergreifen müssen. Hierzu war sie als Inhaberin
des Internetanschlusses auch unzweifelhaft in der Lage. So hätte ein eigenes
Benutzerkonto mit beschränkten Rechten eingeräumt werden können. Des Weiteren
wäre auch die Einrichtung einer wirksamen "firewall" möglich und zumutbar gewesen,
durch die die Nutzung einer Filesharing-Software verhindert werden kann (vgl. auch LG
Hamburg ZUM 2006, 661).
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Wenn demnach von einer Rechtsverletzung auszugehen ist, sind die Beklagten auch
zur Erstattung der Abmahnkosten nach den Grundsätzen der GOA verpflichtet.
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Die Einschaltung eines Rechtsanwalts war auch grundsätzlich erforderlich im Sinne von
§ 670 BGB (vgl. OLG Köln a.a.O.).
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Die Klägerinnen haben jedoch einen Anspruch nur in Höhe von 2.180,60 €. Hinsichtlich
der Höhe der Abmahnkosten hat das OLG Köln (a.a.O.) in einem ähnlichen Fall
folgendes ausgeführt:
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"Der Höhe nach steht den Klägerinnen neben der Portopauschale von 20 € nur eine 1,3
Gebühr nach VV 2300 zum RVG in Höhe von 2.360,00 € zu.
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Der Berechnung ist ein Gegenstandswert von 50.000 € für jede der vier Klägerinnen, in
der Summe mithin ein Wert von 200.000 € zugrunde zu legen. Die Abmahnung diente
dem Ziel, ein weiteres Anbieten von zu Gunsten der jeweiligen Klägerin geschützten
Musiktiteln im Internet zum Download zu verhindern. Dieses Interesse ist nicht in
mathematischer Abhängigkeit von der Anzahl der in das Netz gestellten Titel zu
bemessen, vielmehr sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu berücksichtigen.
Jede der vier Klägerinnen hatte im Ausgangspunkt schon wegen der unberechtigten
Nutzung eines der zu ihren Gunsten geschützten Titel ein erhebliches Interesse an der
Durchsetzung ihrer Ansprüche, weil bei einer Fortsetzung der Teilnahme an der
Tauschbörse ein erneutes Einstellen von Titeln in nicht vorherzusehender Anzahl
drohte. Dieses Interesse war noch dadurch gesteigert, weil von dem Internetanschluss
der Beklagten bereits in ganz erheblichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen
worden waren. Es sind am 9.8.2005 insgesamt 964 Musikdateien im MP-3 Format von
dem Computer der Beklagten aus zum Download angeboten worden. Die Klägerinnen
mussten danach befürchten, dass ohne ein erfolgreiches Einschreiten zukünftig in
ähnlichem Umfang Rechtsverletzungen vorgenommen werden würden. Dabei ist es von
untergeordneter Bedeutung, dass nur für 131 Titel die Rechtsinhaberschaft einer der
Klägerinnen konkret dargelegt worden ist. Für den aus der hohen Zahl von nahezu 1000
Titeln folgenden Gefährdungsgrad ist es unerheblich, dass die Titel nicht alle zu
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Gunsten der jeweiligen einzelnen Klägerin geschützt waren. Andererseits ist zu
berücksichtigen, dass es sich zumindest bei einer Anzahl von Musikstücken – wie etwa
denjenigen von "The Who” - nicht um aktuelle Neuerscheinungen gehandelt hat. Es
kann danach nicht von einer besonders hohen Zugriffswahrscheinlichkeit ausgegangen
werden. Nicht zuletzt angesichts der von den Klägerinnen selbst in deren als Anlage K 8
vorgelegtem Schreiben vom 11.1.2006 vorgenommenen Berechnung, wonach für den
legalen Erwerb der in Rede stehenden 964 Titel ein Betrag von ca. 1.339 €
aufzubringen gewesen wäre, schätzt der Senat unter Berücksichtigung dieser Umstände
das Interesse der vier Klägerinnen einheitlich auf je 50.000 €, woraus sich der
Gesamtwert von (4 x 50.000 € =) 200.000 € ergibt.
Entsprechend den Ausführungen der Klägerinnen auf S. 15 der Klageschrift ist eine 1,3
Gebühr aus VV 2300 der Anlage 1 zum RVG entstanden. Diese Gebühr ist nicht gem.
VV 1800 der Anlage 1 zum RVG um insgesamt 0,9 Gebühren auf 2,2 Gebühren zu
erhöhen, weil es sich für die Bevollmächtigten der Klägerinnen nicht um dieselbe
Angelegenheit im Sinne der §§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 RVG gehandelt hat. Die vier
Klägerinnen machen nicht denselben, sondern jede eigene Ansprüche geltend, indem
sie sich - wie es die Aufstellung auf S. 5 ff der Klageschrift ausweist - auf die Verletzung
von speziellen, jeweils nur einer von ihnen zustehenden Rechten an unterschiedlichen
Musiktiteln berufen. Entgegen der im Berufungsverfahren von den Beklagten im
Schriftsatz vom 27.11.2009 geäußerten Auffassung steht ihnen die Gebühr auch nicht in
einer den Satz von 1,3 übersteigenden Höhe zu, weil ihre Tätigkeit im Abmahnverfahren
weder schwierig noch umfangreich war. Den Klägerinnen mag einzuräumen sein, dass
die Materie nicht jedem Rechtsanwalt vertraut sein wird. Es ist aber davon auszugehen,
dass die Erarbeitung der Abmahnung für ihre auf die Materie spezialisierten
Rechtsanwälte keinen überdurchschnittlichen Aufwand erfordert hat und sogar
weitgehend der Einsatz von Textbausteinen möglich war. Anhaltspunkte für besondere
Schwierigkeiten des Einzelfalles sind nicht ersichtlich oder vorgetragen. Insbesondere
brachte es auch keinen Mehraufwand mit sich, die Abmahnung statt nur für einen
Mandanten für die vier Klägerinnen auszusprechen.
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Zusätzlich zu der 1,3 Gebühr gem. VV 2300 in Höhe von 2.360 € hat die Beklagte auch
die Portopauschale in Höhe von 20 € aus VV 7002 zum RVG zu zahlen, woraus sich
der tenorierte Gesamtbetrag von 2.380 € ergibt.”
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Die Kammer schließt sich diesen Ausführungen an. In Anbetracht der Tatsache, dass
die Anzahl der online gestellten Titel vorliegend bei 614 lag, schätzt die Kammer den
Streitwert unter Berücksichtigung der durch das Oberlandesgericht dargestellten
Kriterien auf 40.000,00 € pro Klägerin. Dabei hat die Kammer insbesondere
berücksichtigt, dass die Zahl der öffentlich zugänglich gemachten Titel unterhalb der
durch das OLG Köln zu beurteilenden Menge lag. Eine lineare Berechnung scheidet
dennoch aus, da hierbei das individuelle Interesse der Klägerinnen an der Unterlassung
nicht hinreichend und für jeden Einzelfall ausreichend berücksichtigt werden kann.
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Soweit die Beklagten ausführen, es sei seitens der Prozessbevollmächtigten der
Klägerinnen nicht nach dem RVG abgerechnet worden, ist dies hoch spekulativ und
nicht geeignet, den Anspruch hieran scheitern zu lassen.
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2. Die Klägerinnen haben nach dem bisherigen Vortrag der Parteien auch einen
Schadensersatzanspruch in der geltend gemachten Höhe. Dieser ergibt sich hinsichtlich
der Beklagten zu 2) aus § 97 UrhG und hinsichtlich der Beklagten zu 1) aus § 832 BGB.
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Die Beklagte zu 2) hat die Urheberrechtsverletzung unstreitig begangen. Sie handelte
dabei auch zumindest fahrlässig, da sie hätte erkennen können, dass es sich hierbei um
eine Urheberrechtsverletzung handelte. Soweit insoweit ausgeführt wird, ihr habe die
fehlende Einsichtsfähigkeit gefehlt, vermag dies nicht zu überzeugen. Es handelt sich
um eine zum Tatzeitpunkt 17-jährige, normal entwickelte Jugendliche. Die erforderliche
Einsichtsfähigkeit ist gegeben, wenn der Minderjährige nach seiner individuellen
Verstandesentwicklung fähig ist, das Gefährliche seines Tuns zu erkennen und sich der
Verantwortung für die Folgen seines Tuns bewusst zu sein (Palandt, § 828, Rn. 6).
Hierfür ist jedoch nichts ersichtlich. Insbesondere handelte es sich bei der Beklagten zu
2) nach dem eigenen Vortrag um einen aufgeweckten, freundlichen Teenager, welcher
ein ihrem Alter entsprechendes Sozialverhalten aufwies. Es bestanden seitens der
Beklagten zu 1) zu keinem Zeitpunkt Zweifel an der charakterlichen Stärke der
Beklagten zu 2). Soweit ein Informationsdefizit hinsichtlich der gültigen Rechtslage
beschrieben wird, ist dies nicht geeignet, eine fehlende Einsichtsfähigkeit zu begründen.
Sollte insofern eine Unwissenheit bestanden haben, schützt dies nicht vor der
Verantwortung für die eigenen Handlungen.
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Hinsichtlich der Beklagten zu 1) ergibt sich ein Anspruch aus § 832 BGB. Der
Bundesgerichtshof geht davon aus, dass Schutzrechtsverletzungen als unerlaubte
Handlungen Ansprüche gegen den Täter, Mittäter (§ 830 I 1 BGB) oder Teilnehmer (§
830 II BGB) der unerlaubten Handlung sowie daneben gegen denjenigen begründen
können, dem das Verhalten des Handelnden zuzurechnen ist (vgl. BGH in NJW-RR
2002, 832, Meißner Dekor). Darüber hinaus eröffnet die Störerhaftung die Möglichkeit,
auch denjenigen in Anspruch zu nehmen, der - ohne Täter oder Teilnehmer zu sein - in
irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung eines geschützten
Gutes oder zu einer verbotenen Handlung beigetragen hat (vgl. BGH a.a.O., m.W.N.)
Diese Haftung, die ihre Grundlage nicht im Deliktsrecht, sondern in der Regelung über
die Besitz- und die Eigentumsstörung in § 862 und in § 1004 BGB hat, vermittelt zwar
nur Abwehransprüche. Für einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem Störer fehlt
es an einer gesetzlichen Grundlage (vgl. BGH a.a.O., m.w.N.).
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Allerdings haftet die Beklagte zu 1) hier dennoch nach § 832 BGB. Dabei ist davon
auszugehen, dass sich bei Kindern das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter,
Eigenart und Charakter, aber auch nach der Voraussehbarkeit schädigen Verhaltes
richtet (vgl. Sprau in Palandt, § 832, Rn. 8, m.w.N.). Insbesondere in Situationen mit
erhöhtem Gefährdungspotential besteht eine gesteigerte Aufsichtspflicht (vgl. Sprau
a.a.O.). Die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte zu 1) hat vorliegend nicht
dargelegt, dass sie diesen Aufsichtspflichten nachgekommen ist. Insbesondere bestand
nach ihrem eigenen Vortrag eine mangelnde Einsichtsfähigkeit ihrer Tochter. Vor
diesem Hintergrund hätte die Beklagte zu 1) ungeachtet dessen, dass eine Haftung
nach § 832 BGB keine Überwachungspflichten beinhaltet, in besonderem Maße auf die
Beklagte zu 2) einwirken müssen.
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Die Beklagte hat damit ihrer nach § 832 BGB bestehenden Aufsichtspflicht nicht genügt.
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Für die Höhe des Schadensersatzanspruchs gilt folgendes:
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Dem in seinem Urheberrecht Verletzten stehen nach allgemeiner Ansicht im Rahmen
des Schadensersatzanspruches aus § 97 UrhG drei Möglichkeiten der
Schadensberechnung zur Verfügung. Er kann zum einen die Herausgabe des
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Verletzergewinnes verlangen, zum anderen seinen Schaden als konkreten Schaden im
Sinne des § 249 BGB berechnen. Er hat weiterhin die Möglichkeit, die von einem
konkreten Schaden unabhängige angemessene Lizenzgebühr geltend zu machen (vgl.
zur Schadensberechnung BGH GRUR 1973, 663 – Wählamt; Dreier/Schulze, UrhG, §
97 Rn. 58 m.w.N.). Zwischen diesen Möglichkeiten der Schadensberechnung besteht
ein Wahlrecht des Verletzten (Dreier/Schulze, UrhG, § 97 Rn. 68). Vorliegend haben die
Klägerinnen ihren Schaden auf der Grundlage der Lizenzanalogie berechnet und die
Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr verlangt. Für diese Art der
Schadensberechnung ist der Eintritt eines konkreten Schadens nicht erforderlich. Der
Verletzer hat vielmehr dasjenige zu zahlen, was vernünftige Parteien bei Abschluss
eines fiktiven Lizenzvertrages in Kenntnis der wahren Rechtslage und der Umstände
des konkreten Einzelfalles als angemessene Lizenzgebühr vereinbart hätten
(Dreier/Schulze, UrhG, § 97 Rn. 61 m.w.N.). Anhaltspunkt für die Bemessung der Höhe
der angemessenen Lizenzgebühr kann ein branchenüblicher Tarif sein. Existiert kein
unmittelbar anwendbarer Tarif, so ist von derjenigen Vergütung auszugehen, die nach
Art und Umfang der Verwertung am nächsten liegt. Vor diesem Hintergrund erscheint
vorliegend eine Lizenzgebühr von 200,- € für jede Musikdatei angemessen, § 287 ZPO.
Der Anspruch besteht demnach in der geltend gemachten Höhe.
Soweit die Beklagten hinsichtlich des Schadensersatzanspruches die fehlende
Aktivlegitimation der Klägerinnen zu 3) und 4) rügen, vermag auch dies kein anderes
Ergebnis zu rechtfertigen, da die Verteidigung insoweit mutwillig ist, § 114 ZPO. Eine
Rechtsverfolgung ist mutwillig, wenn eine verständige, nicht hilfsbedürftige Partei ihre
Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde (Zöller, ZPO, § 114, Rn. 30). So verhält
es sich hier. Zwar ist eine Aktivlegitimation der Klägerinnen zu 3) und 4) tatsächlich
nicht erkennbar. Allerdings besteht der geltend gemachte Anspruch dennoch in
unveränderter Höhe fort, da er den Klägerinnen zu 1) und 2) zusteht. Eine verständige
Partei würde daher eine solche Verteidigung nicht verfolgen.
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