Urteil des LG Köln vom 04.06.2009

LG Köln: treu und glauben, gesetzlicher vertreter, rechtliches gehör, gesellschafter, zustellung, briefkasten, vertretungsmacht, datum, wohnung, stimme

Landgericht Köln, 29 S 129/08
Datum:
04.06.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
29. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
29 S 129/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Brühl, 23 C 507/07
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Brühl
vom 01.10.2008 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin
6.711,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 01.05.2008 zu zahlen. Die Kosten des
Rechtsstreits und des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte ebenso
wie die Kosten der Nebenintervention.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die
Vollstreckung durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe:
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I.
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Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft begehrt von der Beklagten Zahlung
von rückständigem Wohngeld bzw. Jahresanrechnungsnachforderungen für die
Wohnung Nr. 34 für die Jahre 2005 – 2008, die sämtlich aus bestandskräftigen
Beschlüssen resultieren. Die beklagte Wohnungseigentümerin der Wohnung Nr. 34
besteht aus mehreren Gesellschaftern. Die jeweiligen Beitrittserklärungen der
Gesellschafter, deren Bestand häufig wechselt, beinhalten unter Anderem folgende
Regelungen:
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"Ich hafte für die Gesellschaft nur mit diesem von mir bar eingezahlten Betrag und bin
nicht berechtigt, die Gesellschaft zu vertreten. (...) Herrn T (...) erteile ich hiermit
Vollmacht, Verträge im Namen der Gesellschaft unter Ausschluss des § 181 BGB
abzuschließen und zu kündigen, ohne selbst Gesellschafter zu sein und zur
Durchführung von Rechten der Gesellschaft mich als Gesellschafterin gerichtlich und
außergerichtlich zu vertreten.
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(...)
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Herr T erhält Stimmrecht bei den Gesellschafterversammlungen, bei denen ich meine
eigene Stimme an die Stimme des Herrn T binde."
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Mit der ursprünglichen Klage hat die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an
sie 5.583,30 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Zustellung
der Klageschrift sowie klageerweiternd 1.128,66 € ebenfalls mit Zinsen wie vor, somit
insgesamt 6.711,96 € zu zahlen. Die Klageschrift ist ausweislich der
Zustellungsurkunde am 30.04.2008 in den privaten Briefkasten des Herrn T, der selbst
nicht Gesellschafter der Beklagten ist, eingeworfen worden. Mit Urteil vom Urteil
22.10.2008 hat das Amtsgericht Brühl die Klage abgewiesen. Das Urteil, auf dessen
Inhalt zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ist der Klägerin am
31.10.2008 zugestellt worden. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der
Klägerin, die bei Gericht am 17.11.2008 eingegangen ist.
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Die Streithelferin hat, nachdem ihr mit Schriftsatz vom 10.12.2008 seitens der Klägerin
der Streit verkündet worden war, mit Schriftsatz vom 19.12.2008 den Beitritt zum
Rechtsstreit auf Seiten der Klägerin erklärt.
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Die Klägerin und die Streithelferin beantragen,
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unter Aufhebung des am 22.10.2008 verkündeten Urteils des AG Brühl, Aktz. 23 C
507/07 die Beklagte zu verurteilen, 6.711,96 € nebst Zinsen i.H.v. 5 %-Punkten
über dem Basiszinssatz seit Zustellung der Klageschrift an die Klägerin zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte behauptet, die Betriebskostenvorauszahlungen seien ab 01.04.2007 durch
die I GbR lückenlos an die Hausverwaltung abgeführt worden. Sie beruft sich darauf,
dass in bisherigen Verfahren, in denen Herr T als Vertreter für die Beklagte versucht hat,
Prozesse zu führen, diese Versuche erfolglos gewesen seien, da die Gerichte
entschieden hätten, er habe keine Vertretungsmacht für die Beklagte. Es sei
widersprüchlich, wenn jetzt die Zustellung der Klageschrift an Herrn T der Beklagten
zugerechnet werden könne.
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II.
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Die Berufung der Klägerin ist zulässig und begründet. Zu Unrecht hat das Amtsgericht
die Klage abgewiesen. Die Klage ist nämlich zulässig und begründet. Insbesondere
liegt auch eine wirksame Klagezustellung vor.
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Die Klageschrift ist durch den Einwurf in den Briefkasten des Herrn T wirksam an die
Beklagte zugestellt worden gem. § 170 Abs. 3 ZPO.
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Zwar handelt es sich bei Herrn T nicht um einen gesetzlichen Vertreter der beklagten
Gesellschaft bürgerlichen Rechts. Die Vertretungsbefugnis von Gesellschaftern der GbR
setzt gem. § 714 BGB voraus, dass die jeweilige Person Gesellschafter ist. Herr T ist
aber nicht Gesellschafter der I GbR und kann damit auch nicht gesetzlicher Vertreter der
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Beklagten sein.
Herr T ist auch nicht wirksam rechtsgeschäftlich bevollmächtigt worden, wie bereits das
OLG Köln am 04.08.2006 – 13 U 158/05 – unter Hinweis auf das Verbot der
Fremdorganschaft richtig entschieden hat. Insoweit wird auf die zutreffenden
Ausführungen in dieser Entscheidung verwiesen.
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Eine Vertretungsmacht unter Rechtsscheinsgesichtspunkten kommt ebenfalls nicht in
Betracht, da kein Vertrauenstatbestand geschaffen wurde, der eine Zurechnung
ermöglichen würde. Eine hier allenfalls einschlägige Duldungsvollmacht kommt nämlich
nur in Frage, wenn der Geschäftsgegner seinerseits das Verhalten des Vertreters sowie
dessen Duldung durch den Geschäftsherrn zur Zeit der Vornahme des fraglichen
Geschäfts gekannt und diese Duldung dahin gewertet hat und nach Treu und Glauben
mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auch werten durfte, dass der als Vertreter Handelnde
Vollmacht habe (Schramm in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Auflage 2006, § 167
Rn. 47). Das ist hier allerdings nicht der Fall, da die Tatsache, dass Herr T nicht
Gesellschafter ist sowie die damit einhergehende Problematik in Bezug auf die
Vertretung der Gesellschaft durch den Herrn T der Klägerin bei Klageerhebung bekannt
war (vgl. die Ausführungen im Schriftsatz vom 14.04.2008, Seite 4, Bl. 14 GA) .
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Die von der Beklagten bzw. der Streitverkündeten ins Feld geführten Rechtsfiguren des
faktischen Gesellschafters und des faktischen Geschäftsführers streiten in diesem
Zusammenhang auch nicht für die Klägerin. Über diese Rechtsfiguren werden
Haftungsfragen geklärt. Es geht dabei um eine Haftung der als oder wie Gesellschafter
bzw. Geschäftsführer auftretenden Personen, die sich unter Berufung auf die formale
Rechtslage einer persönlichen Haftung entziehen wollen. Nicht Gegenstand dieser
Rechtsprechung ist jedoch eine Haftung der Gesellschaft oder eine Zurechnung eines
Verhaltens solcher Personen an die Gesellschaft (vgl. BGH, Urteil vom 13.11.2007 – XI
ZR 2294/07; OLG Rostock, Urteil vom 10.12.2003 – 6 U 56/03; KG Berlin, Urteil vom
04.12.2007 – 7 U 77/07).
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Jedoch ist nach der Auffassung der Kammer unter dem Gesichtspunkt des § 242 BGB
nach den Grundsätzen von Treu und Glauben eine Zurechnung der Zustellung der
Klage durch Einwurf in den Briefkasten des Herrn T an die Beklagte wirksam
vorgenommen worden. Es widerspricht dem Gebot der Rücksichtnahme auf die
schutzwürdigen Interessen des anderen Teils und der Verpflichtung zu redlichem
Verhalten im Rechtsverkehr, wenn die Beklagte sich darauf beruft, dass eine Klage über
Herrn T nicht zugestellt werden kann. Eine in diesem Zusammenhang vorzunehmende
Interessenabwägung ergibt eindeutig ein Überwiegen des Gläubigerschutzes
gegenüber dem Interesse der Beklagten daran, dass die Zustellung an den Herrn T ihr
nicht zugerechnet wird, obgleich dessen Bevollmächtigung nicht wirksam ist.
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Es stellt eine ganz erhebliche Beeinträchtigung der Gläubigerinteressen dar, wenn Herr
T sein Vermögen auf eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts überträgt und durch die
Trennung von seinem Privatvermögen auf diese Weise in Sicherheit bringt, die
Geschicke dieser Gesellschaft lenkt und es andererseits Außenstehenden weitgehend
unmöglich macht – und zwar durch den stets wechselnden Gesellschafterbestand –
Forderungen gegen die Gesellschaft durchzusetzen. Selbst wenn man annimmt, dass
ein Auskunftsanspruch gegen die Gesellschaft in Bezug auf den Gesellschafterbestand
besteht, könnte ja auch eine solche Klage nicht an die Beklagte zugestellt werden. So
hinge es vom Zufall ab, ob dem Kläger einer der Gesellschafter bekannt ist, dieser im
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Zeitpunkt der Klageerhebung noch nicht bereits wieder ausgetreten ist und es ihm daher
gelingt, über diesen an die Gesellschaft zuzustellen, weil dieser wegen der
Unwirksamkeit der Übertragung von Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht auf
Herrn T aufgrund der gesetzlichen Vorschrift des § 714 BGB eben doch zumindest
passiv vertretungsberechtigt ist. Die Beklagte muss sich nach der Auffassung der
Kammer das Auftreten des Vertreters zurechnen lassen, wenn die unzulässige
Fremdorganschaft gerade bezwecken soll, dass das Vermögen des unwirksam
bestellten Vertreters dem Zugriff von außen entzogen werden soll, dadurch, dass
Zustellungen an die Gesellschaft unmöglich gemacht oder erheblich erschwert werden.
Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass hier ein gegen das Gebot der
Redlichkeit verstoßender Missbrauch der Rechtsform der GbR vorliegt und eben die
Vorschaltung der GbR dazu führt, dass das Vermögen, das wirtschaftlich dem des Herrn
T zuzurechnen ist, für die Gläubiger unangreifbar ist, die dann das Insolvenzrisiko des
Herrn T tragen.
Dagegen spricht auch nicht, dass daneben noch möglicherweise eine persönliche
Haftung des Herrn T für die Verbindlichkeiten der Beklagten in Rede stehen könnte
wegen seines Auftretens für die Beklagte. Durch die gewählte Konstruktion wird nämlich
unabhängig davon der Zugriff auf eine ganz erhebliche Vermögensmasse verwehrt, aus
der eine Befriedigung - zusätzlich - zu erlangen sein könnte.
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Hieraus ergibt sich auch nach der Auffassung der Kammer kein Widerspruch zu den
bisherigen Entscheidungen im Zusammenhang mit der Beklagten. Es geht vorliegend
nämlich nicht um einen Fall der Aktivvertretung sondern lediglich um eine Zurechnung
einer Zustellung. Im Fall der Aktivvertretung soll die Gesellschaft durch das Verbot der
Fremdorganschaft davor geschützt werden, dass ein Nichtgesellschafter für sie auftritt
und sie dadurch beispielsweise auch gegenüber Dritten verpflichten kann. Vorliegend
soll lediglich ermöglicht werden, dass die Gesellschaft überhaupt verklagt werden und
die gerichtliche Durchsetzung von Forderungen gegen sie nicht vereitelt werden kann.
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Die Klage ist auch begründet. Die geltend gemachten Ansprüche resultieren aus den
jeweiligen bestandskräftigen Beschlüssen der Eigentümerversammlung vom
22.06.2006; 07.07.2005 und 05.11.2007. Die einzige Verteidigung der Beklagten
besteht darin, dass sie pauschal behauptet, die Forderungen seien beglichen worden.
Dieser Vortrag ist allerdings nicht ausreichend substantiiert und nicht unter Beweis
gestellt, obgleich er bestritten ist. Es wurden nämlich weder Belege vorgelegt, noch
Höhe und Datum der Zahlungen angegeben, obwohl die Klägerin bereits mit Schriftsatz
vom 10.09.2008 auf Seite 4 (Bl. 79 GA) darauf hingewiesen hat, dass Belege für die
Zahlungen vorzulegen sind. Ein Hinweis der Kammer war demnach ebenfalls nicht
mehr erforderlich. Die Zinsforderung ergibt sich wie erkannt aus §§ 291, 288 BGB i.V.m.
§§ 253, 261 Abs. 1 ZPO.
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Vor dem Hintergrund des oben Ausgeführten ergibt sich auch, dass die Beklagte durch
die Beteiligung des Herrn T ausreichend rechtliches Gehör erhalten hat.
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III.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs.1 S. 1, 701 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung
zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 709 S. 2 ZPO.
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Die Revision war gem. § 542 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da die Sache
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grundsätzliche Bedeutung hat. Bei der Frage, ob die Zurechnung einer Zustellung an
einen nicht wirksam bestellten Vertreter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an die
Gesellschaft selbst über den Grundsatz von Treu und Glauben möglich ist, handelt es
sich um eine solche, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu
erwarten ist und die deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlicher
Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt.