Urteil des LG Köln vom 04.12.2003

LG Köln: grobe fahrlässigkeit, ampel, versicherungsnehmer, fahrzeug, versicherer, substantiierungslast, auto, anhalten, beweislast, sorgfaltspflicht

Landgericht Köln, 24 S 81/02
Datum:
04.12.2003
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
24. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 S 81/02
Vorinstanz:
Amtsgericht Köln, 265 C 325/02
Schlagworte:
Rotlichtverstoß
Normen:
§ 61 VVG
Leitsätze:
Keine grobe Fahrlässigkeit, wenn sich feststellen läßt, dass der
Versicherungsnehmer zunächst bei "Rot" angehalten hat und dann in
der irrigen Annahme, die Ampel habe auf "Grün" umgeschaltet, wieder
angefahren ist.
Tenor:
Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.10.2002 - 265 C 325/02 - wird
wie folgt abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger
4.406,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 18.4.2002 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht aus dem zwischen den Parteien
bestehenden Fahrzeugvollversicherungsvertrag der geltend gemachte
Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte zu (§§ 1, 49 VVG).
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I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer zwischen den Parteien bestehenden
Vollkaskoversicherung für sein Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen ###### geltend,
das bei einem Verkehrsunfall vom 17.12.2000 in Köln im Bereich N-Straße. / H-Str.
beschädigt wurde. Die von der Beklagten gutachtlich ermittelten Reparaturkosten
beziffern sich auf 4.406,13 EUR. Zum Unfall war es gekommen, weil der Kläger mit
seinem Fahrzeug, in dem sich außer ihm noch sein Sohn befand, unter Missachtung
des für ihn geltenden Rotlichts in den Kreuzungsbereich eingefahren und dort mit einem
anderen Fahrzeug kollidiert war. Im Bußgeldverfahren wurde er deshalb zu einer
Geldbuße von 250,- DM und einem Fahrverbot von einem Monat verurteil. Hierzu trägt
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der Kläger vor, er habe zunächst wegen des Rotlichts der Ampel angehalten, sei dann
aber durch Sonnenlichteinstrahlung auf die Ampel irritiert gewesen, zudem habe hinter
ihm ein Autofahrer gehupt und es sei die einige Meter hinter dem Kreuzungsbereich
postierte weitere Ampel bereits auf Grün umgeschlagen. Daher sei er in der irrigen
Auffasung, er habe Grünlicht, in den Kreuzungsbereich eingefahren.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Beklagte sei wegen grober
Fahrlässigkeit des Klägers leistungsfrei.
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Der Kläger beantragt,
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wie erkannt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte hält dafür, dass sie leistungsfrei sei wegen grob fahrlässigen Verhaltens
des Klägers. Dieser habe sich erst vergewissern müssen, ob die für ihn entscheidende
Ampel tatsächlich Grünlich gezeigt habe, zumal wenn er sich aufgrund des
Sonnenlichts irritiert gefühlt habe. Soweit sich das Amtsgericht dem angeschlossen
habe, sei dies aufgrund einer tatrichterlichen Würdigung der Angaben im
Bußgeldverfahren geschehen. Davon könne ohne erneute Beweisaufnahme nicht
abgerückt werden. Die Abgrenzung einfache - grobe Fahrlässigkeit sei der
tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall zu überlassen.
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Die Beklagte hat einen nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 19.11.2003 zur Akte
gereicht.
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II. Das Verhalten des Klägers, das zum Unfall und damit zum Versicherungsfall führte,
ist nach Auffassung der Kammer nicht als grob fahrlässig zu bezeichnen.
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Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten
Unständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im
gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen
Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in
subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches
Maß übersteigt. Von dieser Begriffsbestimmung geht auch gerade § 61 VVG aus.
Danach soll der Versicherungsnehmer, der sich in Bezug auf das versicherte Interesse
völlig sorglos oder sogar unlauter verhält, keine unverdiente Vergünstigung erhalten
(vgl. jüngst etwa BGH, NJW 2003, 1118 ff. m.w.N.). Dabei wird das Nichtbeachten des
roten Ampellichts wegen der damit verbundenen Gefahren in aller Regel objektiv als
grob fahrlässig zu bezeichnen sein. Nach den jeweiligen Umständen kann es jedoch
schon an den Voraussetzungen dieser objektiven Feststellung, jedenfalls aber an
denen der subjektiven Feststellung fehlen. Wenn auch der Versicherer die generelle
Beweislast der Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit trägt, trifft den
Versicherungsnehmer eine Substantiierungslast, da der streitige Geschehensablauf
dem Versicherer naturgemäß nicht bekannt ist (BGH, a.a.O.). Der Versicherungsnehmer
muss die ihn entlastenden Umstände darlegen; der Versicherer muss diese dann
widerlegen (vgl. etwa OLG Köln, r+s 2001, 318; NZV 2003, 138 m.w.N.).
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Nach Auffassung der Kammer ist der Kläger hier seiner Substantiierungslast in einer
Weise nachgekommen, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, der objektiv allein in
dem Umstand des Rotlichtverstoßes festgemacht werden kann, entfällt. Schon unstreitig
steht zum einen fest, dass kurz hinter der für den Kläger maßgeblichen Ampel eine
weitere Ampelanlage stand, so dass es zumindest nicht abwegig ist, dass der Kläger
durch diese Ampelanlage irritiert worden ist, mögen die näheren Umstände hierzu auch
streitig sein. Mag man insoweit zwar generell von einer besonderen Sorgfalt des
Versicherungsnehmers ausgehen, gerade auf die für ihn entscheidende Ampel zu
achten, so setzt die Annahme dieser Sorgfaltspflicht jedoch voraus, dass dem
Versicherungsnehmer überhaupt bewusst war, dass er irriert werden könnte. Dies kann
bei unübersichtlichen Ampelschaltungen wie bei der irrigen, sonnenlichtbedingten
Annahme, das Grünlicht scheine auf, fraglich sein. Wenn man eine Verpflichtung
statuiert, sich auf Grund des reflektierenden Sonnenlichts besonders zu vergewissern,
ob die Ampel Grünlich zeigt, dann setzt dies voraus, dass der Versicherungsnehmer
überhaupt bemerkt, dass die Sonne die Ampel derart anstrahlt, dass die einzelnen
Ampelphasen nicht deutlich zu erkennen sind. Daran kann es im Einzelfall fehlen. Oft
wird dem Versicherungsnehmer erst nach Überfahren der Ampel klar geworden sein,
dass er einem Irrtum unterlag.
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Ob dies hier so war, kann jedoch dahinstehen. Unstreitig liegen nämlich neben der
vorstehend beschriebenen weiteren Ampelanlage, die den Kläger irritiert haben mag,
weitere - entscheidende Umstände - vor, die in der Gesamtschau nicht erkennen lassen,
dass sich der Kläger in Bezug auf das versicherte Risiko -das Auto- völlig sorglos oder
gar unlauter verhalten hat.
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Zum einen ist in die Gesamtwertung einzubeziehen, dass der Kläger mit seinem 12-
jährigen Sohn unterwegs war. Mag dies auch nicht generell gegen ein augenblickliches
Versagen sprechen, das allein nicht geeignet ist, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit
entfallen zu lassen (BGH, a.a.O.), so indiziert ein solcher Umstand doch, dass der
Kläger nicht völlig sorglos dahergefahren sein mag. Das stellt auch die Beklagte nicht in
Abrede. Zum anderen, trägt der Kläger unbestritten vor, zunächst an der für ihn
maßgeblichen Ampel angehalten zu haben. Dies ist der entscheidende Umstand, der
den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfallen ist.
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Nach der Entscheidung des BGH vom 29.1.2003 (a.a.O.) kann in einem solchen Fall,
dass ein Versicherungsnehmer zunächst bei "Rot" angehalten hat und dann in der
irrigen Annahme, es sei für ihn "Grün", wieder angefahren ist, der Vorwurf der groben
Fahrlässigkeit entfallen.
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Dieser entscheidende Umstand des Geschehens ist unstreitig.
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Die Beklagte ist diesem Vortrag des Klägers nicht erheblich entgegen getreten. Nach
den tatbestandlichen Feststellungen der angegriffenen Entscheidung hat erstinstanzlich
insoweit lediglich bestritten, dass der Kläger an der für ihn maßgeblichen Ampel
aufgrund einer Beeinträchtigung durch Sonnenlicht nicht habe losfahren dürfen. Dies
deckt sich mit ihren Ausführungen in der Klageerwiderung, in der die Beklagte gerade in
dem Umstand des zunächst erfolgten Anhaltens lediglich keinen entlastenden Umstand
ausmachte. Im Übrigen hat sie in der Klageerwiderung Bezug genommen auf die
bußgeldrichterlichen Feststellungen, die auch von einem zunächst erfolgten Anhalten
des Klägers ausgehen. In der Berufungserwiderung hat sie ebenfalls nur die äußeren
Umstände (Sonnenlichteinstrahlung, Hupen des hinter dem Kläger stehenden
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Fahrzeugs) bestritten, nicht jedoch ausdrücklich das Anhalten des Klägers. Sofern sie
im Laufe des Berufungsverfahrens dessen "rechtstreues Verhalten" bestritten hat, hat
sie dies nicht erkennbar auf den Umstand des Anhaltens bezogen. Erst im nicht
nachgelassenen Schriftsatz vom 19.11.2003 hat sie -wohl auf den Vorhalt der Kammer
hin- erstmals ausdrücklich bestritten, dass der Kläger überhaupt zunächst an der für ihn
maßgeblichen Ampel angehalten hat. Dieser Vortrag war nach § 296a ZPO nicht mehr
zu berücksichtigen. Er gibt auch keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu
eröffnen. Die Beklagte setzt sich mit diesem Bestreiten nämlich in Widerspruch zu ihrem
Vortrag schon in der Klageerwiderung, in der sie gerade von der Richtigkeit der
bußgeldrichterlichen Feststellungen ausgegangen ist.
Steht jedoch fest und bedarf damit keiner Aufklärung durch eine Beweisanordnung,
dass der Kläger zunächst angehalten hat, dann muss er -nicht zuletzt aufgrund des
Umstandes, dass er seinen Sohn im Auto dabei hatte- allein durch Irritation losgefahren
sein in der -irrigen- Vorstellung, seine Ampel zeige Grünlicht. Er hat damit zwar
fahrlässig gehandelt, jedoch nicht völlig sorglos. Folgte man hierzu der
Betrachtungsweise der Beklagten, dann müsste man von dem Grundsatz ausgehen,
dass jeder Rotlichtverstoß generell grob fahrlässig ist, was nach der jüngsten
Entscheidung des BGH gerade nicht (mehr) angenommen werden kann. Was als
tatentscheidender Umstand als unstreitig gewertet werden kann, bedarf keiner weiteren
Aufklärung. Insofern ist es der Kammer nicht verwehrt, ohne Beweisaufnahme vom
amtsgerichtlichen Urteil abzuweichen.
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Auf die Sonnenlichtreflektion durch die Ampel kommt es ebenso wenig an wie auf den
vom Kläger behaupteten Umstand, das Fahrzeug hinter ihm habe ihn durch Hupen zum
Losfahren bewegt, der ihn im Übrigen noch mehr entlasten würde.
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Da die Schadenshöhe unstreitig ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die
Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Die Nebenforderung ergibt sich aus Verzug,
nachdem die Beklagte unter dem 11.4.2002 die Leistung abgelehnt hatte.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.406,13 EUR
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Landgericht Köln, 24. Zivilkammer
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