Urteil des LG Köln vom 29.10.2009

LG Köln (bescheinigung, arbeitgeber, psychotherapie, gut, mobbing, widerruf, arzt, gruppe, eingriff, unterlassung)

Landgericht Köln, 8 O 365/08
Datum:
29.10.2009
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
8. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
8 O 365/08
Schlagworte:
Zur Angreifbarkeit von Äußerungen im Rahmen des Arzt-Patienten-
Verhältnisses durch den Arbeitgeber des Patienten
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits und der Nebeninterventionen trägt die
Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung
durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte bzw. die
Nebenintervenienten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110
% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
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Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Widerruf und Unterlassung von Äußerungen in
Anspruch.
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Die Klägerin ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule für die Primar- und
Sekundarstufe I. Der Schwerpunkt der Tätigkeit liegt in der sozialen und emotionalen
Entwicklung der Schüler. Die Beklagte ist Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie. Zu
ihren Patientinnen gehört eine ehemalige Mitarbeiterin der Klägerin, Frau H. Frau H war
seit 1991 als pädagogische Fachkraft für die klägerische Einrichtung tätig.
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Der psychische Gesundheitszustand von Frau H wurde durch den plötzlichen und
unerwarteten Tod ihres Ehemannes im August 2004, sowie durch den Tod ihres Vaters
im März 2005 stark in Mitleidenschaft gezogen. Hierunter litt auch ihre Arbeitsfähigkeit.
So konnte Frau H, nachdem sie zunächst eine längere Zeit arbeitsunfähig war, nicht
mehr im Nachtdienst eingesetzt werden. Es kam in der Folge zu mehreren
Veränderungen im Rahmen des Arbeitsverhältnisses, die zu Spannungen und
Streitigkeiten zwischen Frau H und den Mitarbeitern der Klägerin sowie einer
Klageerhebung seitens der Frau H gegen eine Versetzung/Umsetzung innerhalb des
klägerischen Betriebs vor dem Arbeitsgericht Bonn unter dem Az.: 2 Ca 3078/07 EU
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führten. Auch diese Spannungen wirkten sich negativ auf den psychischen
Gesundheitszustand von Frau H aus.
Im Sommer des Jahres 2007 begab sich Frau H bei der Beklagten in Behandlung. Am
29.10.2007 stellte die Beklagte der Frau H eine als solche überschriebene
"fachärztliche Bescheinigung zur Vorlage beim Anwalt" aus (Bl. 3 AH). Darin heißt es
unter anderem wörtlich:
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"Die Patientin stellte sich am 23.10.2007 erneut in meiner Sprechstunde vor, sie
sei in der Institution in eine neue Gruppe versetzt worden seit dem 20.08.07. Sie
solle erneut versetzt werden, während neue Mitarbeiter, die zunächst zur
Probearbeit kamen, fest eingestellt würden in der jetzigen Gruppe. Eigentlich
hatte sie sich durch die eingeleitete Psychotherapie im Prinzip gut stabilisiert,
durch die immer wieder auftretenden Störungen am Arbeitsplatz gehe es ihr
zunehmend schlechter, sie könne den Druck nicht mehr aushalten."
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Im weiteren Verlauf heißt es:
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"Es scheint ein nicht lösbares Arbeitsplatzproblem zu geben, das nach dem Tod
ihres Mannes, der ebenfalls in der Institution tätig war, aufgetreten ist. Durch dieses
Mobbing-Problem erkrankt die Patientin immer wieder, obwohl sie sich
zwischenzeitlich durch Psychopharmaka und Psychotherapie gut stabilisiert hatte."
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Die fachärztliche Bescheinigung wurde von Frau H im Rahmen des erwähntens
Verfahrens zur Substantiierung ihres Vortrags vorgelegt.
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Im Februar 2009 kündigte Frau H das Arbeitsverhältnis gegenüber der Klägerin fristlos.
Im selben Monat verklagte Frau H die Klägerin vor dem Arbeitsgericht Bonn unter dem
Az.: 5 Ca 394/09 EU auf Zahlung von Schadensersatz und Schmerzensgeld sowie auf
Zahlung von Urlaubsabgeltung. Frau H begründete ihre Forderungen mit wiederholten
Mobbing-Handlungen der Klägerin und legte zur Substantiierung ihres Vortrages unter
Anderem wiederum die von der Beklagten ausgestellte fachärztliche Bescheinigung vor.
Der Mindestbetrag des Schmerzensgeldes wurde mit 23.872,00 € beziffert. Die
Ansprüche beliefen sich insgesamt auf etwa 70.000 €. Die Klage hatte bezüglich der
Zahlung von Urlaubsabgeltung Erfolg und wurde im Übrigen abgewiesen. Auf die
ärztliche Bescheinigung wurde im Urteil nicht Bezug genommen (Urteil wurde von der
Klägerin zur Akte gereicht, Bl. 206 ff AH).
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Die Klägerin ist der Ansicht, dass die fachärztliche Bescheinigung der Beklagten
unwahre Tatsachenbehauptungen enthalte. Mit diesen Behauptungen greife die
Beklagte auch in den gewerblich geschützten Bereich der Klägerin ein. Ihr stehe daher
ein Anspruch auf Widerruf und Unterlassung dieser Äußerungen zu.
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Die Klägerin beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, ihre gegenüber der Klägerin im Schreiben vom
29.10.2007 aufgestellte Behauptung
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Frau H solle erneut versetzt werden, während neue Mitarbeiter, die zunächst zur
Probezeit kamen, fest eingestellt wurden in der jetzigen Gruppe,
eigentlich habe sich Frau H durch die eingeleitete Psychotherapie im Prinzip gut
stabilisiert, durch die immer wieder auftretenden Störungen am Arbeitsplatz gehe
es ihr aber zunehmend schlechter,
Frau H leide unter Schlaflosigkeit, dem Gefühl, kraftlos zu sein und sich gegen die
Schikanen nach 17 Jahren qualifizierter Tätigkeit dort nicht ausreichend wehren
zu können,
durch dieses Mobbing-Problem sei Frau H immer wieder erkrankt, obwohl sie sich
zwischenzeitlich durch Psychopharmaka und Psychotherapie gut stabilisiert hatte,
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durch schriftliche Erklärung gegenüber der Klägerin zu widerrufen.
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2. die Beklagte zu verpflichten, sich gegenüber der Klägerin bei Vermeidung einer
Konventionalstrafe in Höhe von € 2.000,00 für jeden Fall der Zuwiderhandlung
unter Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs es zu unterlassen, wörtlich
oder sinngemäß die Behauptung aufzustellen und/oder zu verbreiten:
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Frau H solle erneut versetzt werden, während neue Mitarbeiter, die zunächst zur
Probezeit kamen, fest eingestellt wurden in der jetzigen Gruppe,
eigentlich habe sich Frau H durch die eingeleitete Psychotherapie im Prinzip gut
stabilisiert, durch die immer wieder auftretenden Störungen am Arbeitsplatz gehe
es ihr aber zunehmend schlechter,
Frau H leide unter Schlaflosigkeit, dem Gefühl, kraftlos zu sein und sich gegen die
Schikanen nach 17 Jahren qualifizierter Tätigkeit dort nicht ausreichend wehren
zu können,
durch dieses Mobbing-Problem sei Frau H immer wieder erkrankt, obwohl sie sich
zwischenzeitlich durch Psychopharmaka und Psychotherapie gut stabilisiert hatte.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, dass es sich bei den streitgegenständlichen Äußerungen um
rechtlich nicht zu beanstandende Werturteile im Rahmen einer ärztlichen Diagnose
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handelt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Geschäftsführer der Klägerin, Herr T, nach § 141
ZPO persönlich angehört, erklärt, dass er sich insbesondere gegen die Formulierung
bezüglich des Mobbings wehre. Diese Formulierung habe seinem Betrieb großen
Schaden zugefügt. Eine einvernehmliche Lösung der Probleme sei auch aufgrund
dieser Formulierung nicht möglich gewesen. Mobbing liege in seinem Betrieb nicht vor
und er wehre sich insbesondere gegen die Täter-Opferproblematik, die sich hinter dem
Begriff verberge. Im Übrigen werde nicht bestritten, dass Frau H krank sei.
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Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung im Rahmen ihrer persönlichen
Anhörung nach § 141 ZPO erklärt, dass die von ihr ausgestellte fachärztliche
Bescheinigung allein auf der Basis der Untersuchung und Befragung der Patientin
beruhe. Da sie nicht von ihrer ärztlichen Schweigepflicht entbunden sei, könne sie keine
weiteren Angaben machen. Auch könne sie keine Angaben darüber machen, ob sie mit
anderen Kollegen diesbezüglich Konzilgespräche geführt habe.
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Die Nebenintervenienten sind der Beklagten als Streithelfer mit Schriftsatz vom
17.07.2009 beigetreten. Auch sie haben der Frau H ein ärztliches bzw. psychologisches
Attest ausgestellt und befinden sich diesbezüglich mit der Klägerin im Rechtsstreit. Die
Verfahren wurden wegen Sachzusammenhangs von der Kammer übernommen und
wurden unter dem Az. 8 O 140/09 und 8 O 141/09 ebenfalls am 18.09.2009 verhandelt.
Die Nebenintervenienten waren bei der mündlichen Verhandlung anwesend, stellten
aber bezüglich dieses Verfahrens keine Anträge.
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Im Übrigen wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, sowie das Protokoll
der mündlichen Verhandlung vom 18.09.2009 (Bl. 121 ff d.A.) Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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Der Klägerin steht kein Anspruch auf Widerruf oder Unterlassung der
streitgegenständlichen Äußerungen zu. Als Anspruchsgrundlage kommt hier der von der
Rechtsprechung über die gesetzlich geregelten Fälle hinaus entwickelte
quasinegatorische Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch aus §§ 823 I, 1004 BGB
analog in Betracht. Voraussetzung eines solchen Anspruchs ist ein objektiv
widerrechtlicher Eingriff in ein absolut geschütztes Recht des Anspruchstellers. An
einem widerrechtlichen Eingriff fehlt es hier.
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Die Kammer geht bereits davon aus, dass es sich bei den in der fachärztlichen
Bescheinigung getätigten Äußerungen der Beklagten um privilegierte Äußerungen im
Rahmen einer besondere Vertrauenssphäre handelt, die schon aufgrund dieser
Privilegierung nicht durch die Klägerin angegriffen werden können. Denn die
Äußerungen wurden vorliegend im Rahmen des Ärzte-Patienten Verhältnisses getätigt.
Dies verkennt die Klägerin, wenn sie in ihren Anträgen von Behauptungen gegenüber
der Klägerin spricht.
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In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Äußerungen innerhalb besonders
geschützter Vertrauenssphären nicht rechtswidrig sein können, soweit sie nicht gerade
innerhalb dieser Sphäre verletzend wirken (Sprau in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch,
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68. Auflage 2009, § 823 Rn. 106 mwN). Aufgrund der rechtlich nach §§ 203 I Nr. 1 StGB,
53 I 1 Nr. 3 StPO geschützten besonderen Vertraulichkeit des Ärzte-Patienten-
Verhältnisses wird man auch hier von einer geschützten Vertrauenssphäre ausgehen
müssen (im Ergebnis ebenso OLG Koblenz, Urt. V. 24.04.2008, Az.: 6 U 81/08, Rn. 29
bei Juris). Die Äußerungen werden vorliegend auch nicht dadurch angreifbar, dass sie
"zur Vorlage beim Anwalt" bestimmt waren und somit von der Beklagten indirekt auch
gegenüber dem Anwalt der Patientin abgegeben wurden. Denn auch das Anwalt-
Mandanten-Verhältnis ist aufgrund seiner rechtlich geschützten Vertraulichkeit als
privilegiert anzusehen (OLG Koblenz aaO).
Eine darüber hinausgehende Verwendung der fachärztlichen Bescheinigung durch die
Patientin im Rahmen eines Gerichtsverfahrens kann ebenso keinen rechtswidrigen
Eingriff begründen. Dies liegt zum einen daran, dass eine solche Verwendung der
Bescheinigung nicht mehr dem Verantwortungsbereich der Beklagten zuzurechnen ist.
Zum anderen verneint die Rechtsprechung bereits ein Rechtsschutzinteresse des von
Äußerungen im gerichtlichen Verfahrenen Betroffenen (BGH NJW 1987, 3138).
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Die Kammer verkennt nicht, dass die vorliegende Konstellation, in der ein Arbeitgeber
sich gegen eine medizinische Beurteilung einer bei ihm (vormals) angestellten
Arbeitnehmerin richtet, Besonderheiten mit sich bringt, die – nach den Feststellungen
der Kammer – noch nicht Gegenstand richterlicher Entscheidung waren. Es ließe sich
argumentieren, dass auch der Arbeitgeber in das geschützte Vertrauensverhältnis
einbezogen sei, sofern die medizinische Beurteilung auch dem Nachweis der
Arbeitsunfähigkeit diene und dem Arbeitgeber damit notwendiger Weise auch vorgelegt
werden wird. Der Arbeitgeber könnte sich dann in einem weiteren Schritt darauf berufen,
dass die Äußerungen ihn innerhalb des geschützten Verhältnisses verletzen und daher
grundsätzlich von ihm angegriffen werden können. Die Kammer hält eine solche
Argumentation allerdings für nicht zutreffend. Selbst wenn man den Arbeitgeber indirekt
in das Vertrauensverhältnis einbezieht, so werden die entsprechenden Äußerungen
dennoch zwischen Arzt und Patient getätigt. Auch wenn der Arzt die Möglichkeit in
Betracht ziehen muss, dass seine Bescheinigung dem Arbeitgeber vorgelegt wird, so
dürfen Äußerungen, die mit dem Gesundheitszustand des Patienten zusammenhängen,
nicht durch den Arbeitgeber angreifbar sein. Denn Sinn und Zweck des rechtlichen
Schutzes des Ärzte-Patienten-Verhältnisses ist auch die Sicherung der Effektivität der
ärztlichen Behandlung. Diese Effektivität würde stark in Mitleidenschaft gezogen, sofern
sich der Arzt wegen möglicher Ansprüche des Arbeitgebers gegenüber dem Patienten
nicht mehr frei äußern dürfte.
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Auch sofern man entgegen der Auffassung der Kammer von einer grundsätzlichen
Angreifbarkeit der streitgegenständlichen Äußerungen durch die Klägerin ausgeht, liegt
ein objektiv rechtswidriger Eingriff nicht vor. Denn bei den Äußerungen im Rahmen der
fachärztlichen Bescheinigung handelt es sich nicht um Tatsachenbehauptungen der
Beklagten. Dies ergibt sich bezüglich einiger Formulierungen bereits aus deren
Wortlaut, wenn es heißt, "sie solle erneut versetzt werden…", "durch die immer wieder
auftretenden Störungen am Arbeitsplatz gehe es ihr zunehmend schlechter, sie könne
den Druck nicht mehr aushalten", "sie leide unter Schlaflosigkeit…". Durch die hier
verwendete indirekte Rede wird bei der vorzunehmenden objektiven Auslegung
deutlich, dass die Beklagte hier wiedergibt, was die Patientin ihr geschildert hat. Eigene
Äußerungen der Beklagten sind hierin nicht zu erkennen.
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Auch sofern sich in der fachärztlichen Bescheinigung Formulierungen finden, die nicht
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in indirekter Rede gehalten sind, liegen keine Tatsachenbehauptungen vor. Dies gilt
auch für die besonders umstrittene Formulierung "durch dieses Mobbing-Problem
erkrankt die Patientin immer wieder…". Derartige Äußerungen im Rahmen der
Bescheinigung stellen vorliegend nicht angreifbare Werturteile dar. Zur Abgrenzung
zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen ist der Inhalt der Äußerung,
ausgehend vom Wortlaut, unter Berücksichtigung des sprachlichen Kontexts, sowie für
den Adressaten erkennbarer Begleitumstände, unter denen die Äußerung gemacht wird,
zu ermitteln. Maßgeblich ist der vollständige Aussagegehalt im für den Adressaten
maßgeblichen und erkennbaren Gesamtzusammenhang (Sprau in: Palandt,
Bürgerliches Gesetzbuch, 68. Auflage 2009, § 824 Rn. 2 mwN). Der sprachliche Kontext
ist hier geprägt durch die häufige Verwendung der indirekten Rede. Schon daraus
erkennt der objektive Betrachter, dass im Weiteren Schlussfolgerungen aus dem indirekt
Wiedergegebenen gezogen werden. Zudem lässt der Gesamtzusammenhang hier keine
andere Schlussfolgerung zu. Denn es handelt sich um eine medizinische Beurteilung.
Diese wird typischer Weise "nur" aufgrund einer Untersuchung und Befragung des
Patienten/der Patientin vorgenommen. Insofern ist nicht ersichtlich, inwiefern die
Beklagte als Ärztin hier Behauptungen im Zusammenhang mit Vorgängen am
Arbeitsplatz der Klägerin aufstellen könnte oder dies beabsichtigen sollte. Sie kann
lediglich das ihr Geschilderte in Bezug zu ihrem Eindruck der Patientin setzen und
darauf basierend ein medizinisches Werturteil abgeben. Dies war hier der Fall.
Der BGH geht in ständiger Rechtsprechung ebenfalls davon aus, dass ärztliche
Diagnosen sich als Werturteile darstellen und Widerrufs- oder
Unterlassungsansprüchen nicht zugänglich sind (BGH Urt. v. 03.05.1988, Az.: VI ZR
276/87; Urt. v. 11.04.1989, Az.: VI ZR 293/88). Er hat indessen auch erwogen, dass eine
ärztliche Diagnose als Tatsachenbehauptung angesehen werden könne, sofern etwa
die der Schlussfolgerung vorausgehende methodische Untersuchung oder die zu dem
Ergebnis führende Anwendung spezieller Kenntnisse und Fähigkeiten grob leichtfertig
erfolgt seien (BGH, Urt. v. 11.04.1989, Az.: VI ZR 293/88). Anhaltspunkte, die auf eine
solche Konstellation hindeuten, sind jedoch vorliegend nicht erkennbar. Der BGH geht
im Übrigen davon aus, dass die ärztliche Schlussfolgerung selbst dann eine dem
Widerruf nicht zugängliche Äußerung ärztlicher Meinung darstellt, wenn sie sich als
unrichtig erweisen könnte (Urt. v. 23.02.1999, Az.: VI ZR 140/98, Rn. 16 bei Juris).
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Feststellungen zu den Vorgängen am klägerischen Arbeitsplatz waren nach alledem
entbehrlich.
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Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 I 1, 101 I, 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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Streitwert:
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Die Streitwertfestsetzung erfolgte hier nach § 3 ZPO und somit nach freiem Ermessen
des Gerichts. Die Unterlassungs- und Widerrufsansprüche wurden dabei getrennt
bewertet und anschließend addiert (vgl. zur diesbezüglichen Vorgehensweise Herget in:
Zöller Zivilprozessordnung, 27. Auflage 2009, § 3 Rn. 16 mwN). Für die
Widerrufsanträge wurden insgesamt 3.500,- € angesetzt, für die Unterlassungsanträge
2.500,- €.
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Die Kammer hat die von beiden Prozessvertretern angeführten Argumente bezüglich
eines höheren Streitwerts zur Kenntnis genommen. Die Kammer geht jedoch zum einen
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davon aus, dass sich aus der Tatsache, dass Frau H mit dem streitgegenständlichen
Attest eine mögliche Arbeitsunfähigkeit darlegen konnte, sich nur Minimal auswirkt.
Denn es ist zwischen den Parteien nicht im Streit, dass Frau H psychisch schwer
erkrankt ist. Die Arbeitsunfähigkeit beruht auf dieser Krankheit und nicht auf dem
streitgegenständlichen Attest.
Zum anderen misst die Kammer der Tatsache, dass das streitgegenständliche Attest im
Rahmen von arbeitsgerichtlichen Prozessen vorgelegt wurde, geringere Bedeutung zu,
als die Prozessvertreter dies tun. Denn durch das Attest vermochte Frau H lediglich
ihren Vortrag zu substantiieren. Beweiskraft für die tatsächlichen Verhältnisse am
Arbeitsplatz kommt dem Attest nicht zu. Die Kammer geht lediglich von einer schwachen
Indizwirkung aus, da die Beklagte erkennbar keinen Einblick in die tatsächlichen
Geschehnisse in der klägerischen Einrichtung hatte. Dennoch handelt es sich hierbei
um eine maßgebliche, streitwertrelevante Tatsache.
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Hinzu kommen die Beeinträchtigungen, die das Attest für die Klägerin darstellt.
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Die Widerrufsanträge wurden höherwertig bemessen, da der Widerruf gegenüber der
Unterlassung die für die Klägerin günstigere bzw. für die Beklagte eingriffsintensivere
Maßnahme darstellt.
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