Urteil des LG Kleve vom 11.08.2010

LG Kleve (stgb, heroin, menge, behandlung, bundesrepublik deutschland, besondere gefährlichkeit, streckmittel, unterbringung, sohn, einfuhr)

Landgericht Kleve, 120 KLs 20/10
Datum:
11.08.2010
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
2. große Strafkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
120 KLs 20/10
Schlagworte:
Therapiedauer, Erfolgsaussicht, Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt
Normen:
StGB § 64 Satz 2
Leitsätze:
1.) Eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne des § 64 Satz 2
StGB entfällt nicht bereits wegen einer voraussichtlichen Therapiedauer
von mehr als zwei Jahren (so im Ergebnis auch BGH, Beschl. vom
06.02.1996 – 5 StR 16/96; a.A. BGH, Urteil vom 11.03.2010 – 3 StR
538/09).
2.) Zur durchschnittlichen Dauer einer erfolgreichen Therapie gem. § 64
StGB (etwa 30 – 40 Monate).
Rechtskraft:
19.08.2010
Tenor:
Der Angeklagte xx wird wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer
Freiheitsstrafe von 6 Jahren und 6 Monaten kostenpflichtig verurteilt.
Die Angeklagte xy wird wegen unerlaubter Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum
unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 3 Monaten
kostenpflichtig verurteilt.
Die Unterbringung des Angeklagten xx in einer Entziehungsanstalt wird
angeordnet.
Die sichergestellten Betäubungsmittel (492 Gramm Heroin) und 511
Gramm Streckmittel werden eingezogen.
- §§ 30 Abs. 1 Nr. 4, 29a Abs. 1 Nr. 2, 33 BtMG, 27, 52, 64 StGB -
G r ü n d e
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Der einschlägig vorbestrafte und unter Bewährung stehende Angeklagte Xx war im
Raum aa als Rauschgifthändler tätig. Am 10.03.2010 schmuggelte er gemeinsam mit
der Angeklagten Xy ca. 492 Gramm Heroin mit anteilig 279 Gramm Heroinhydrochlorid,
das – wie auch die Angeklagte Xy wusste – zum gewinnbringenden Weiterverkauf
durch den Angeklagten Xx bestimmt war, im präparierten Luftfilterkasten des von der
Angeklagten Xy gefahrenen Mietwagens über den Grenzübergang -------------in die
Bundesrepublik Deutschland ein, wobei der Angeklagte Xx der Angeklagten Xy hierfür
geldwerte Vorteile versprochen hatte.
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II. Feststellungen zur Sache
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Vorgeschichte
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Die Angeklagten kennen sich über --- Xy, der rauschgiftsüchtigen Sohn der Angeklagten
Xy. Der Angeklagte Xx ist mit ----- Xy befreundet und unterstützte diesen bei der
Renovierung seines Hauses, wo er auch häufiger auf dessen Mutter, die Angeklagte Xy,
traf und diese deshalb kannte.
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Der arbeitslose Angeklagte Xx betätigte sich spätestens seit Januar 2010 als
Rauschgifthändler. So kaufte er in der Zeit vom 16.01.2010 bis zum 21.02.2010 im
Rahmen von 8 Einzelgeschäften für die Gesamtsumme von 8.060,--€ insgesamt 365
Gramm Heroin und 335 Gramm Streckmittel von einem Dealer "D". Von diesen
erworbenen Betäubungsmitteln und Streckmitteln verkaufte er seit dem 16.01.2010 fast
täglich an drei unterschiedliche Personen, einen F, eine M und einen M, Mengen jeweils
zwischen 1,2 Gramm und maximal 20 Gramm Heroin, wobei er diesen jeweils zusätzlich
eine etwa identische Menge Streckmittel mitverkaufte. Insgesamt verkaufte er in dieser
Zeit ca. 260 Gramm Heroin und etwa ebenso viel Streckmittel an die drei Personen, die
offensichtlich ihrerseits an Endabnehmer weiterverkauften. Der Angeklagte hatte feste
Preise, die je nach Abnahmemenge etwas variierten. Pro Gramm Heroin nebst ein
Gramm Streckmittel bekam er etwa 35,--€ und nahm von seinen drei Abnehmern bis
zum 11.02.2010, also innerhalb von knapp 4 Wochen, den Gesamtbetrag von 9.175,--€
ein. Von den übrigen über 100 Gramm Heroin und 100 Gramm Streckmitteln aus den
genannten Einkäufen bei D. verwendete er einen Teil von maximal 20 Gramm Heroin für
seinen Eigenbedarf. Der Verbleib der übrigen Betäubungsmittel ist ungeklärt.
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Vorliegende Tat
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Nachdem der Angeklagte Xx von der Möglichkeit eines größeren Heroingeschäftes im
Umfang von 500 Gramm Heroin zuzüglich Streckmittel erfahren hatte, wollte er sich
dieses nicht entgehen lassen. Er wusste aus früheren Ankäufen bei D., dass man bei
Abnahme einer größeren Menge einen günstigeren Preis bekommen würde. Das halbe
Kilo Heroin und die Streckmittel sollte er in Mm für einen Betrag von 9.000,--€ erhalten.
Das Heroin sollte später in D--- über einen Bekannten für den Angeklagten verkauft
werden. Der Angeklagte rechnete bei diesem Geschäft mit einem persönlichen Gewinn
von mindestens 12.000,--€. Der Angeklagte buchte in Vorbereitung der Fahrt nach Mm
einen Mietwagen bei einer Autofirma in -----. Da ihm der ursprünglich vorgesehene
Fahrer absagte, fragte der Angeklagte, der nicht über eine Fahrerlaubnis verfügt, die
Angeklagte Xy, ob diese ihn mit dem Mietwagen nach Holland fahren könne. Die
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Angeklagte Xy, die den Angeklagten Xx schon ab und zu nach -------- mitgenommen
hatte und wusste, dass dieser Drogenprobleme hatte und im Methadonprogramm war,
ahnte, dass es bei der Fahrt um einen Drogenschmuggel gehen würde. Genaues
wusste sie jedoch nicht. Ob sie einen Kurierlohn in Form von Bargeld oder Heroin bzw.
einen Schuldenerlass für den Sohn erhalten sollte, konnte nicht festgestellt werden. Der
Angeklagte Xx sagte ihr jedenfalls zu, dass er als Gegenleistung für diese Fahrt ihrem
Sohn weiterhin oder noch in größerem Umfang unentgeltlich Unterstützung bei dessen
Umbauarbeiten oder in anderer Form zukommen lassen würde. Da die Angeklagte am
10.03.2010 Zeit hatte, wurde vereinbart an diesem Tag nach Holland zu fahren. Am
Morgen dieses Tages holte die Angeklagte den Angeklagten ab und sie fuhren nach -----
-- zu der Autovermietung. Dort unterschrieb die Angeklagte Xy unter Vorlage ihres
Führerscheins den Mietvertrag betreffend einen Pkw der Marke ---- und zahlte den
Tagesmietpreis von 69,-- € in bar. Nach Angaben der Angeklagten sollte sie das Geld
von dem Angeklagten Xx später wiederbekommen. Im Anschluss fuhren die
Angeklagten Richtung Holland, wobei der Angeklagte Xx die Fahrtroute angab und die
Angeklagte sich von ihm lotsen ließ. Während eines Zwischenstopps baute der
Angeklagte Xx aus dem Luftfilterkasten des Wagens den Luftfilter aus. Dabei bediente
er sich eines Kreuzschraubenziehers der Angeklagten Xy, den diese in ihrer
Handtasche zu diesem Zweck mitgenommen hatte. Weiteres Werkzeug verwahrte der
Angeklagte in einer Plastiktüte im Fahrzeuginnenraum. Danach fuhren die Angeklagten
weiter nach Mm. Dort hielten sie auf einem Platz und der Angeklagte Xx ging zu Fuß
weiter, um von seinem Lieferanten das Heroin zu holen. Die Angeklagte Xy ging
währenddessen spazieren bzw. einkaufen und wartete verabredungsgemäß im Wagen
bis der Angeklagte zurückkam. Dieser hatte sich mit dem von ihm nicht namentlich
benannten Dealer an einem vorher verabredeten Ort in Mm getroffen; dort 1 Gramm
Heroin und ½ Gramm Kokain konsumiert und hatte die bestellten 500 Gramm Heroin
und 500 Gramm Streckmittel in einem mit silbernem Klebeband fest verpackten Paket
gegen Zahlung von 9.000,--€ von diesem übernommen. Nachdem er mit den Drogen
zum Mietwagen zurückgekommen war, versteckte er das Paket in dem Luftfilterkasten
und schraubte – wiederum mit dem Kreuzschraubenzieher der Angeklagten Xy – diesen
wieder zu. Die Angeklagte Xy selbst war nicht am Einbau beteiligt, nahm aber zur
Kenntnis, das der Angeklagte Xx sich an dem Motor zu schaffen machte und erkannte,
dass er nunmehr die Drogen versteckte. Die konkrete Menge und die Art der versteckten
Drogen hielt sie für möglich und nahm sie billigend in Kauf. Sie wusste auch, dass die
Drogen zum Gewinn bringenden Weiterverkauf bestimmt waren und nahm, auch weil
sie wusste, dass der Angeklagte harte Drogen nahm, billigend in Kauf, dass es sich um
eine sog. "harte Droge", z.B. Heroin, handelte. Sie ließ sich auf dieses Unternehmen
ein, weil der Angeklagte Xx ihren Sohn in dessen schwieriger finanzieller Situation
finanziell oder jedenfalls durch geldwerte Hilfeleistungen in nicht unerheblicher Weise
unterstützen wollte. Nachdem der Angeklagte Xx die Drogen versteckt hatte machten
beide sich auf die Rückreise nach Deutschland.
Gegen 16.30 Uhr am 10.03.2010 reisten die Angeklagten - der Angeklagte als Beifahrer
und die Angeklagte als Fahrerin – mit dem Mietwagen und den im Luftfilterkasten
versteckten 492 Gramm Heroin (mit anteilig 279 g Wirkstoff) und 512 Gramm
Streckmittel von den Niederlanden aus über den Grenzübergang Bundesautobahn ----
nach Deutschland ein.
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An der Anschlussstelle -- wurde das Fahrzeug im Rahmen einer polizeilichen
Routinekontrolle aus dem fließenden Verkehr abgeleitet und die Angeklagten
kontrolliert. Beide Angeklagte machten einen nervösen und angespannten Eindruck und
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zitterten am ganzen Körper. Der Angeklagte Xx schwitzte zudem sehr stark, wies eine
ungesunde Gesichtsfarbe auf und machte auf die kontrollierenden Polizeibeamten den
Eindruck, als habe er Drogen konsumiert. Der Angeklagte, der seinen Personalausweis
nicht dabei hatte, gab sich zunächst als --- Xx, seinen unbestraften Bruder, aus, weil er
befürchtete bei richtiger Namensnennung schon wegen seiner Vorstrafen in den
Verdacht eines Drogenschmuggels zu kommen. Da die Beamten aber auch so den
Verdacht hatten, dass es sich um eine Schmuggelfahrt handeln könnte, machten sie
zunächst bei beiden Personen einen Drogenschnelltest, der positiv ausfiel. Bei der
anschließenden Durchsuchung wurde – auch weil eine der vier Schrauben am
Luftfilterkasten hoch stand – das Drogenversteck schnell gefunden und das mit
silberfarbenem Klebeband umwickelte Paket mit dem Rauschgift sichergestellt. Auch
die Tüte mit dem Werkzeug in der Beifahrertür wurde sichergestellt, ebenso wie der
Kreuzschraubenzieher in der Handtasche der Angeklagten Xy. Nunmehr zeigte sich der
Angeklagte Xx sehr redselig und erklärte, dass sich in dem aufgefundenen Paket Heroin
und Streckmittel befinden würden.
Zum Zeitpunkt der Begehung der Tat war die Fähigkeit beider Angeklagten, das Unrecht
der Tat einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, nicht wesentlich
beeinträchtigt.
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In der ersten Vernehmung erklärte der Angeklagte Xx, dass die Angeklagte Xy mit dem
Heroin nichts zu tun hätte und davon nichts gewusst hätte. Er habe sie nur benutzt und
ausgetrickst. Er alleine sei für das Heroin verantwortlich.
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Im Rahmen der daraufhin erfolgen Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten Xx
wurde u.a. ein Notizbuch (----Kalender) sichergestellt, in welchem der Angeklagte in den
vom 16.01.2010 bis zum 11.02.2010 vorgesehenen Zeilen Eintragungen vorgenommen
hatte, und die Abnehmer, die jeweilige Menge des überlassenen Heroins und der
Streckmittel sowie den Preis und noch offene Rechnungsbeträge dokumentiert hatte.
Auf der ersten Seite des Telefonverzeichnisses dieses Kalenders befand sich eine
Aufstellung der "von D." erworbenen Drogen und Streckmittel unter Angabe der Mengen
und der dafür gezahlten Preise, teils mit Angabe des Abnahmedatums (16.1., 3.2., 11.2.
und 21.2).
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III. Beweiswürdigung
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Die Angeklagten haben sich zur Person entsprechend den getroffenen Feststellungen
(I.) eingelassen. Bezüglich des Angeklagten Xx beruhen die Feststellungen zur Person
und insbesondere den letzten Vorstrafen zudem auf den in der Hauptverhandlung
auszugsweise verlesenen Urteilen des Amtsgerichts ---- vom 09.08.2004 und vom
02.01.2007 sowie dem Urteil des Landgerichts Hagen vom 19.06.2007, sowie dem
verlesenen Bundeszentralregisterauszug.
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1) Zur Sache hat sich der Angeklagte
Xx
vorstehenden Feststellungen (II.) eingelassen und eingeräumt, zwecks eigener
Gewinnerzielungsabsicht durch den späteren Verkauf des Heroins das von ihm im
Wagen versteckte Rauschgift in den Niederlanden erworben und in die Bundesrepublik
Deutschland eingeführt zu haben. Abweichend von den Feststellungen hat der
Angeklagte Xx bestritten, dass er schon früher Rauschgift verkauft habe. Er habe sich zu
dem Geschäft nur entschlossen, um 6.000,-- €, die er seit Sommer 2009 geliehen und
verspielt habe, an die Druck machenden Gläubiger zurückzahlen zu können. Er habe
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sich deshalb bei anderen Bekannten die 9.000,--€ für den Ankauf der Drogen geliehen.
Ebenfalls abweichend zu den Feststellungen hat der Angeklagte Xx sich dahingehend
eingelassen, dass die Angeklagte Xy nichts von den Drogen gewusst habe.
2) Die Angeklagte Xy hat sich dahingehend eingelassen, dass sie von Anfang an genau
gewusst habe, dass es sich um eine Rauschgiftbeschaffungsfahrt ("irgendwelche
Drogen aus Holland") handelte. Der Mitangeklagte habe ihr als Gegenleistung
versprochen, dafür ihrem Sohn bei der Hausrenovierung zu helfen. Sie habe den
Mietwagen vorfinanziert und die ganze Zeit über gefahren. Den
Kreuzschlitzschraubendreher habe sie aber nur zufällig dabei gehabt.
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3) Dieses Vorbringen der Angeklagten ist – soweit es den Feststellungen widerspricht –
aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme widerlegt.
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Die Feststellungen zum objektiven Ablauf der Einreise am 10.3.2010 gegen 16:30 Uhr
und der Entdeckung des Rauschgiftes im Luftfilterkasten des Mietwagens basieren auf
der Zeugenaussage der Polizeibeamtin -----. Die genaue Menge und der Wirkstoffgehalt
der aufgefundenen Drogen ergibt sich aus dem verlesenen Gutachten des Bildungs-
und Wissenschaftszentrums der Bundesfinanzverwaltung ---- vom 23.07.2010.
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Es liegt ein "Eigengeschäft" des Angeklagten Xx vor, der zuvor schon Heroingeschäfte
abgewickelt hatte. Zum einen ist durch das im Rahmen der Durchsuchung der Wohnung
des Angeklagten sichergestellte Notizbuch erwiesen, dass der Angeklagte bereits im
Vorfeld eigene Drogenverkaufsgeschäfte in erheblichem Umfang vorgenommen hat. Die
sorgfältige umfassende – in der Hauptverhandlung verlesene - Auflistung seiner
Absatzgeschäfte vom 16.01.2010 bis zum 11.02.2010, die zeitlich und im Umfang mit
der Aufstellung seiner Einkäufe bei D. in Übereinstimmung zu bringen ist, beweist
hinlänglich, dass der Angeklagte selber gewinnbringend Heroin und Streckmittel
jedenfalls an die drei bezeichneten Personen F , M und M verkauft hat. Die von dem
Angeklagten verwandten Abkürzungen ("H" steht offensichtlich für Heroin und "L"
[Lidocain?] bzw. "C" [Coffein?] für Streckmittel) sowie die entsprechenden
Mengenangaben und Preise sind an Deutlichkeit kaum zu überbieten und lassen eine
andere als die festgestellte Auswertung der Eintragungen nicht zu. Dass der
Verkaufserlös für etwa ¾ der erworbenen Drogen schon innerhalb dieses kurzen
Zeitraums laut Buchhaltung des Angeklagten 9.175,-- € betrug und damit der
Ankaufsbetrag von 9.000,-- € für das Drogengeschäft am 10.03.2010 gerade erreicht
war, mag Zufall sein. Es zeigt aber, dass der Angeklagte Xx in der Vergangenheit
durchaus durch Drogengeschäfte Gewinne gemacht hat, die er jeweils zwecks künftiger
gewinnbringender Drogenhandelsgeschäfte zum erneuten Drogenerwerb eingesetzt
hat. Er hatte es bei der von ihm kalkulierten und erlangten Gewinnmarge nicht nötig,
sich Geld zu leihen. Damit korrespondiert auch der erwartete Gewinn aus dem
geplanten und durch den Aufgriff gescheiterten Verkaufsgeschäft. Nach Angaben des
Angeklagten Xx in der Hauptverhandlung kostet ein Gramm Heroin plus Streckmittel
zum Tatzeitpunkt zwischen 35,-- und 40,-- €. Bei einer Menge von 500 Gramm Heroin
und Streckmittel war mit einem Verkaufserlös von etwa 20.000,-- € und daher tatsächlich
ein Gewinn der erwarteten Höhe von 12.000,--€ realistisch.
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Soweit der Angeklagte Xx sich dahingehend eingelassen hat, dass die Angeklagte Xy
nichts von den Drogen gewusst habe, ist diese Einlassung widerlegt durch die
Einlassung der Angeklagten Xy. Nachdem diese im Rahmen ihrer ersten Vernehmung
und auch noch bei Beginn der Hauptverhandlung vorgegeben hatte, von einem
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Drogentransport nichts gewusst zu haben, sondern von einem Autokauf des
Angeklagten Xx in den Niederlanden ausgegangen zu sein, hat sie auf Vorhalt und
unter dem Eindruck der erdrückenden Beweislage in der Hauptverhandlung eingeräumt,
dass sie von Anfang an gewusst habe, dass es um ein Drogenschmuggelgeschäft geht.
Dies hatte ihre Verteidigerin bereits vorher namens der Mandantin schriftlich
eingeräumt. Auch nach der Beweislage in der Hauptverhandlung ergibt sich, dass die
Angeklagte Xy angesichts des Tuns des Angeklagten Xx am Motor des Mietwagens in
ihrer Anwesenheit erkannt hat, dass er dort etwas einbaute. Der Umstand, dass sie
selbst den Kreuzschraubenzieher, mit welchem der Angeklagte Xx den Luftfilterkasten
montierte, beisteuerte, zeigt, dass sie in die Einzelheiten des Schmuggels näher
involviert war, als sie bis zum Schluss der Hauptverhandlung zugeben wollte. Es ist
realitätsfern, dass eine Frau anlässlich einer längeren Reise ohne ausreichenden Grund
einen größeren Schraubenzieher in ihrer Handtasche bei sich führt, welcher dann
genau auf die Schrauben des Luftfilterkastens des gefahrenen Autos passt. Ihre
Erklärung, sie habe am Morgen mit dem Schraubenzieher eine handwerkliche Tätigkeit
in ihrer Wohnung ausgeführt und den Schraubenzieher dann in ihre Handtasche getan
und dort vergessen, ist nicht glaubhaft. Dies gilt auch für die nicht nachvollziehbare
Erklärung des Angeklagten Xx, er habe zunächst versucht, den Luftfilterkasten mit
seinem eigenen Schraubenzieher zu öffnen, dieser sei jedoch zu klein gewesen. Die
Darstellung, er habe diesen dann aus dem Fenster des Wagens geworfen, ist
offensichtlich dem Umstand geschuldet, dass bei der Durchsuchung im Wagen kein
zweiter Schraubenzieher gefunden werden konnte. Der Angeklagte Xx, der sichtlich
bemüht war, den Tatbeitrag der Angeklagten Xy herunterzuspielen, sah in dieser
Einlassung offenbar die einzige Möglichkeit, plausibel darzustellen, dass der
Schraubenzieher aus der Handtasche der Angeklagten nicht zielgerichtet mitgenommen
worden war. Die Kammer ist jedoch vom Gegenteil überzeugt. Da die Angeklagte Xy
selbst erklärt hat, der Schraubenzieher gehöre ihr, bleibt nach dem Vorstehenden nur
die Erklärung, dass sie – möglicherweise auf Aufforderung des Angeklagten Xx - extra
einen passenden Kreuzschraubenzieher aus ihrem Besitz mitgenommen hat, um das
notwendige Werkzeug für das Verstecken der Drogen beizusteuern. Dies wiederum
zeigt, dass sie das Drogenschmuggelgeschäft nicht nur dadurch befördert hat, dass sie
in Kenntnis der wesentlichen Umstände die Drogen über die Grenze gefahren hat,
sondern dass sie den Angeklagten Xx auch darüber hinaus unterstützt hat und tiefer in
das Schmuggelgeschäft verstrickt war, als sie eingeräumt hat. Dass sie selber in
Eigengewinnabsicht oder für ihren Sohn auch an dem Handelsgeschäft mit dem Heroin
über die festgestellten Förderbeiträge hinaus beteiligt war, konnte die Kammer indes
nicht sicher feststellen.
Dass das eingeschmuggelte Heroin zum gewinnbringenden Weiterverkauf in
Deutschland bestimmt war, ergibt sich bereits aus der insoweit geständigen Einlassung
des Angeklagten Xx und darüberhinaus aus der großen Menge des transportierten
Rauschgiftes. Auch der Angeklagten Xy war angesichts des betriebenen Aufwandes
und der ihr bekannten schmalen legalen Einkünfte des Mitangeklagten klar, dass es
nicht nur um Rauschgift zum Eigenkonsum ging.
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Der Sachverständige Chefarzt der Forensischen Psychiatrie für Suchtkranke Straftäter
der LVR-Klinik ---, -----, hat in seinem in der Hauptverhandlung erstatteten Gutachten
dargestellt, dass bei dem Angeklagten Xx ein polyvanter Suchtmittelgebrauch (ICD 10.
F 19.2) vorliegt. Bei ihm sind sämtliche Kriterien für die Substanzabhängigkeit nach der
Internationalen Klassifikation psychischer Störungen (ICD 10) vorhanden. Den
schlüssigen und auch durch die Angaben des Angeklagten Xx zu seinen persönlichen
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Verhältnissen bestätigten Ausführungen des Sachverständigen schließt sich die
Kammer insoweit an.
Trotz des geschilderten Rauschgiftkonsums war auch der Angeklagte Xx bei
Tatbegehung voll schuldfähig. Betäubungsmittelkonsum, aber auch die Abhängigkeit
von Betäubungsmitteln, begründet nach ständiger Rechtsprechung (BGH NStZ 1990,
384; 1999, 448; 2001, 82 und 85) für sich allein noch nicht die erhebliche Verminderung
der Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB. Trotz des vorangegangenen Konsums von
1 Gramm Heroin und ½ Gramm Kokain in Mm und der von der Zeugin ----------
beschriebenen körperlichen Auffälligkeiten des Angeklagten xx (Zittern, Schwitzen,
ungesunde Gesichtsfarbe) war die Fähigkeit des Angeklagten, das Unrecht der Tat
einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, zur Tatzeit nicht beeinträchtigt. Der
Angeklagte Xx hat selber erklärt, sich am 10.03.2010 nicht in seinem Denken und
Handeln eingeschränkt gefühlt zu haben. Er war seit längerem an den regelmäßigen
Drogenkonsum gewöhnt, hatte nach seinen Angaben morgens Methadon genommen
und fühlte sich nach seiner Selbsteinschätzung zur Tatzeit nicht "breit". Er war auch
durchaus in der Lage das Geschäft in Mm zu Ende abzuwickeln, nachdem er dort
Drogen konsumiert hatte, zu dem Wagen zurückzukehren und die erforderlichen
technischen Fertigkeiten aufzubringen, das Rauschgift in den Luftfilterkasten
einzubauen und diesen mit den vorgesehenen Schrauben zu verschließen. Im
Anschluss konnte er die Angeklagte Xy wieder nach Deutschland lotsen, was zeigt,
dass er drogengewöhnt in Folge einer Toleranzerhöhung in seiner Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit nicht nachhaltig beeinträchtigt war.
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IV. Rechtliche Würdigung
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1) Nach dem festgestellten Sachverhalt hat sich der Angeklagte Xx der Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) in Tateinheit (§ 52
StGB) mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1
Nr. 2 BtMG) schuldig gemacht.
26
Handeltreiben im Sinne des BtMG ist jede eigennützige auf den Umsatz von
Betäubungsmitteln gerichtete Tätigkeit, einschließlich einmaliger, vermittelnder und
unterstützender Tätigkeiten (BGH – Großer Senat für Strafsachen – Beschluss vom
26.10. 2005 – GSSt 1/05, BGHSt 50, 252, 256; BGH Urteil vom 28.02. 2007 – 2 StR
516/06, NStZ 2007, 338).
27
Eine "nicht geringe Menge" im Sinne des BtMG liegt bei Heroin ab 1,5 g
Heroinhydrochlorid vor.
28
Hinsichtlich der Einfuhr und des Handeltreibens war der Angeklagte Xx Mittäter bzw.
Täter und nicht lediglich Gehilfe, da er die Mitangeklagte nach Holland dirigiert, das
Rauschgift im eigenen Namen und auf eigene Rechnung erworben und eigenhändig im
Schmuggelfahrzeug versteckt hatte, um dieses gewinnbringend an Endabnehmer zu
verkaufen bzw. verkaufen zu lassen.
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2) Die Angeklagte Xy hat sich der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge (§ 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG) in Tateinheit (§ 52 StGB) mit Beihilfe (§ 27 StGB) zum
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG)
schuldig gemacht.
30
Die Angeklagte Xy hat den Einfuhrtatbestand eigenhändig verwirklicht, war mithin
insoweit Täterin und nicht lediglich Gehilfin der Einfuhr. Sie steuerte in Kenntnis des von
dem Angeklagten Xx im Wagen versteckten Rauschgiftes das Fahrzeug und hatte in
Bezug auf die Einfuhr Tatherrschaft inne.
31
Hinsichtlich des Handeltreibens war sie dagegen nicht (Mit-) Täterin (§ 25 StGB),
sondern lediglich Gehilfin (§ 27 StGB). Die Abgrenzung zwischen Täterschaft und
Beihilfe erfolgt beim Handeltreiben nach den allgemeinen Grundsätzen. Kriterien sind
dabei der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft, der Grad des eigenen
Interesses am Erfolg sowie der Wille zur Tatherrschaft (BGH Beschluss vom 08.01.2002
– 3 StR 489/01, StV 2002, 255). Die Angeklagte Xy hat gegen die Zusicherung des
Angeklagten Xx ihren Sohn bei der Renovierung seines Hauses und auch so zu
unterstützen den Mietwagen vorfinanziert und gefahren, in dem das Rauschgift
transportiert, wurde, ohne aktiv am An- oder Verkauf beteiligt gewesen zu sein und ohne
größere Einflussmöglichkeiten auf das Gesamtgeschäft gehabt zu haben. Auch die
Leistung der Unterschrift unter den Mietvertrag für das Schmuggelfahrzeug und selbst
das Zurverfügungstellen ihres Schraubenziehers für den Einbau in das Drogenversteck
stellen untergeordnete Tatbeiträge dar, die für die Durchführung zwar notwendig waren,
aber in ihrem Umfang deutlich hinter dem zurückbleiben, was ein tatherrschaftlich
Beteiligter zu dem Geschäft beiträgt.
32
Die Angeklagten handelten auch rechtswidrig und schuldhaft.
33
V. Strafzumessung
34
Ausgangspunkt der Strafzumessung ist bei beiden Angeklagten der durch § 30 Abs. 1
BtMG bestimmte Strafrahmen von Freiheitsstrafe von 2 bis 15 Jahren.
35
Eine Gesamtabwägung der Strafzumessungsgesichtspunkte ergibt, dass ein minder
schwerer Fall im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG trotz der geständigen Einlassungen und
der anderen nachfolgend angeführten Strafmilderungsgründe angesichts der
erheblichen Menge des tatbetroffenen Rauschgifts bei beiden Angeklagten nicht
vorliegt. Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Angeklagten neben der Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auch des Handeltreibens bzw. der Beihilfe
zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge strafbar gemacht und
damit jeweils einen weiteren Verbrechenstatbestand erfüllt haben.
36
Auch eine Strafrahmenmilderung wegen Aufklärungshilfe nach §§ 31 BtMG, 49 Abs. 1
StGB kommt den Angeklagten vorliegend nicht zu Gute, weil sie keine Angaben
gemacht haben, die dazu beigetragen hätten, die Tat über ihren eigenen Tatbeitrag
hinaus aufzudecken.
37
1) Innerhalb des Normalstrafrahmens hat die Kammer bezüglich des Angeklagten
Xx
dessen sehr frühes Geständnis insbesondere auch hinsichtlich des von ihm
beabsichtigten Eigengeschäftes berücksichtigt. Strafmildernd wirkte sich auch aus, dass
das Rauschgift sichergestellt werden konnte. Zu Gunsten des Angeklagten wurde auch
gewertet, dass seine Hemmschwelle zur Begehung der Tat aufgrund seines eigenen
regelmäßigen Rauschgiftkonsums niedriger gewesen sein mag, ohne dass allerdings
die Voraussetzungen des § 21 StGB vorlagen. Strafschärfend musste sich die
tatbetroffene Menge, das 186fache des Grenzwertes der "nicht geringen Menge" von
1,5 g Heroinhydrochlorid, auswirken. Zu Ungunsten der Angeklagten war auch die
38
besondere Gefährlichkeit der "harten" Droge Heroin zu berücksichtigen. Hinzu kommt,
dass der Angeklagte neben der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
täterschaftlich mit dem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge
einen weiteren Verbrechenstatbestand schuldhaft verwirklicht hat. Auch die vielen –
teils einschlägigen – Vorstrafen des Angeklagten und der Umstand, dass er zur Tatzeit
noch unter Bewährung stand, wirkt sich strafschärfend aus. Nach Abwägung aller für die
Strafzumessung erheblichen Umstände ist beim Angeklagten
Xx
von
6 Jahren und 6 Monaten
39
tat- und schuldangemessen.
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2) Hinsichtlich der Angeklagten
Xy
von Freiheitsstrafe von 2 bis 15 Jahren neben ihrem Geständnis strafmildernd
berücksichtigt, dass es sich für sie um die erste Verurteilung überhaupt handelt.
Innerhalb des Gesamtgeschäftes nahm die Angeklagte Xy eine vergleichsweise
untergeordnete Rolle ein. Beim Handeltreiben war sie lediglich Gehilfin. Sie hatte im
Verhältnis zu dem Angeklagten Xx eine deutlich kleinere Rolle und auch ein weitaus
geringeres Eigeninteresse an der Tat, zumal sie selber gar keine finanzielle
Gegenleistung für die Fahrt erhalten, sondern lediglich ihren tatsächlichen Aufwand
(Auslagen für den Mietwagen) erhalten sollte. Sie wollte dem Angeklagten letztlich
einen Gefallen tun und ihn dadurch veranlassen und in die Pflicht nehmen, sich
gegenüber ihrem Sohn durch Renovierungsleistungen oder andere Unterstützung
erkenntlich zu zeigen. Ihr ist zugute zu halten, dass sie, da sie selbst nicht mehr über die
von dem Sohn benötigten Geldmittel verfügte, sich in einer psychischen Zwangslage
befand und keine andere Möglichkeit sah, ihrem Sohn auf andere Art die benötigte
Unterstützung zukommen zu lassen. Weil sie sich als Mutter für das Versagen und die
Drogenabhängigkeit ihres Sohnes mitverantwortlich fühlte, und sich in einer für sie
emotional sehr belastenden Situation befand, ging sie – nachdem ihre eigenen
finanziellen Möglichkeiten erschöpft waren - aus falsch verstandener Mutterliebe auf das
kriminelle Unternehmen des Angeklagten Xx ein, der diese besondere
Ausnahmesituation erkannte und ausnutzte. Strafmildernd wirkte sich auch für sie aus,
dass das Rauschgift sichergestellt werden konnte und sie bei ihrer ersten Inhaftierung
besonders haftempfindlich ist. Strafschärfend musste sich allerdings auch für die
Angeklagte Xy die tatbetroffene Menge, das 186fache des Grenzwertes der "nicht
geringen Menge" von 1,5 g Heroinhydrochlorid, auswirken. Auch hier war auch die
besondere Gefährlichkeit der "harten" Droge Heroin zu berücksichtigen, ebenso wie der
Umstand, dass auch sie neben der Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge mit der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge eine weiteren Verbrechenstatbestand verwirklicht hat. Für die Angeklagte
Xy
nach Abwägung aller für und gegen sie sprechenden Umstände – insbesondere ihrer
deutlich geringeren Tatbeteiligung – eine Freiheitsstrafe von
41
3 Jahren und 3 Monaten
42
tat- und schuldangemessen.
43
VI. Unterbringung nach § 64 StGB
44
Bezüglich des Angeklagten Xx war dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
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Bezüglich des Angeklagten Xx war dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt
nach § 64 StGB anzuordnen.
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a) Bei diesem liegt nach den von der Kammer getroffenen Feststellungen und der
Einschätzung des in der Behandlung von suchtkranken Straftätern sehr vertrauten
Chefarztes der forensischen Psychiatrie der Klinik des LVR ------- ein Hang I.S.d. § 64
Satz 1 StGB vor, berauschende Mittel, nämlich die illegale Droge Heroin, im Übermaß
zu sich zu nehmen. Der Angeklagte konsumierte – selbst in der letzten Zeit der
Teilnahme am Methadonprogramm und regelmäßiger Methadongabe – seit vielen
Jahren regelmäßig und in erheblichen Mengen Heroin. Nach seinen Angaben
konsumierte er täglich 1 bis 2 Gramm Heroin. Bei ihm hat sich schon seit einigen Jahren
eine körperliche und psychische Abhängigkeit nach dieser Droge entwickelt, die er
selbst nicht mehr beherrschen kann. In körperlicher Hinsicht zeigt sich dies daran, dass
er nach seiner Festnahme in der Justizvollzugsanstalt erhebliche
Entzugserscheinungen hatte und mit Methadon behandelt werden musste, so dass von
einer chronischen körperlichen Abhängigkeit auszugehen ist. Bei dem Angeklagten
kommt auch noch eine psychische Abhängigkeit hinzu. Sein Denken und Handeln ist –
spätestens seit seiner Arbeitslosigkeit – in erster Linie auf die Beschaffung von Drogen
bzw. Geld für Drogen zum Eigenkonsum gerichtet. Zwar lebt der Angeklagte seit einigen
Jahren in einer festen Beziehung, wobei seine Lebensgefährtin allerdings auch
Methadon konsumiert. Die ihn treibende und beherrschende Neigung nach Drogen
bestimmt jedoch seinen Alltag und führt ihn immer weiter weg von einem sozial
adäquaten Leben.
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b) Dieser Hang war mitursächlich für die angeklagte Straftat und es ist mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit zu erwarten, dass dieser Hang – wie auch die
vorangegangenen Beschaffungstaten der letzten Jahre zeigen - auch in Zukunft dazu
führen wird, dass der (unbehandelte) Angeklagte erhebliche rechtswidrige Straftaten
begehen würde. Die Unterbringungsanordnung ist auch verhältnismäßig. Eine
Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung ist nicht möglich.
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c) Auch die Voraussetzung des § 64 S. 2 StGB liegt vor.
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Es besteht bei dem Angeklagten eine hinreichend konkrete Aussicht, ihn durch die
Behandlung in einer Entziehungsanstalt über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in
den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten
abzuhalten, die auf seinen Hang zurückgehen.
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aa) Er selbst gibt sich ausreichend therapiemotiviert und geht davon aus, dass eine
weitere Entziehungsbehandlung ihn in die Lage versetzen kann, die Ursachen seiner
Sucht zu erkennen und in den Griff zu bekommen. Er ist – nach dem Eindruck, den die
Kammer von ihm in der Hauptverhandlung gewonnen hat und auch nach Einschätzung
des Sachverständigen – von der Intelligenz und den Fähigkeiten her grundsätzlich in
der Lage die anspruchsvolle auf Gruppentherapie angelegte psychotherapeutische
Behandlung für sich nutzen zu können. Dass er bereits einige Therapien nach § 35
BtMG abgebrochen hat, steht einer Erfolgsaussicht nicht entgegen. Es ist eher typisch
für langjährig Drogenabhängige, dass sie mehrere Therapien beginnen und ohne
nachhaltige Erfolge durchlaufen. So hat auch der Angeklagte in den letzten 8 Jahren
schon mehrere Entziehungstherapien nach § 35 BtMG begonnen und teilweise auch
über mehrere Monate durchgeführt. Diese Behandlungen konnten jedoch – wohl auch
aufgrund ihrer Kürze – bei ihm keine nachhaltigen Erfolge im Sinne einer auch nur
kurzzeitigen Abstinenz zeigen. Lediglich während der stationären Behandlungszeit
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konnte der Angeklagte, wie auch schon vorher während der Haftzeit, den Drogen
weitgehend widerstehen. Unter freiheitlichen eigenverantworteter Lebensführung
gelang ihm jedoch nie, drogenfrei zu bleiben. Auch während der Methadonsubstitution
konnte der Untergebrachte seinen Hang zusätzlich Heroin zu konsumieren schon nach
einigen Monaten nicht mehr beherrschen. Er selbst sieht in einer Therapie nach § 64
StGB für sich die Chance, sein Leben zu ändern. Er hofft darauf in den
Therapiegesprächen die Ursachen seiner Sucht zu bearbeiten und Lösungsstrategien
für ein abstinentes Leben zu entwickeln.
bb) Dabei ist – bei erfolgreichem Verlauf - angesichts seiner langjährigen verfestigten
Abhängigkeit eine Therapiedauer von 3 Jahren erforderlich. Dies entspricht auch der
Einschätzung des mit dem Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB besonders vertrautem
Sachverständigen. Auch der Angeklagte rechnet mit einem solchen Zeitraum. Diese
Einschätzung teilt die (bezüglich der Berufsrichter in gleicher Besetzung auch als
Strafvollstreckungskammer tätige) Kammer. Die täglich mit suchtkranken und nach § 64
StGB untergebrachten Straftätern beschäftigten Berufsrichter wissen aus ihren gemäß
§§ 67 d, e StGB zu treffenden Entscheidungen, dass bis zum Erreichen eines stabilen
Behandlungserfolges von einer durchschnittlichen Behandlungsdauer in der
Entziehungsanstalt von 30 bis 40 Monaten auszugehen ist, wobei diese Dauer – je nach
den Besonderheiten des Einzelfalls – unterschritten, aber auch überschritten werden
kann. Angesichts der langen Dauer und des hohen Grades der Ausprägung der
Abhängigkeit, sowie der zusätzlichen von dem Sachverständigen festgestellten
dissozialen Persönlichkeitsanteile des Angeklagten ist bei diesem allerdings nicht von
einem Unterschreiten der durchschnittlichen Behandlungsdauer einschließlich der
abschließenden erprobenden Dauerbeurlaubung auszugehen, wenn er in die Lage
versetzt werden soll, seinem Leben eine neue Wendung zu geben. Bei dem
Angeklagten Xx ist vielmehr von einer Behandlungsdauer von 3 Jahren auszugehen.
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cc) Der in einer Entscheidung des 3. Strafsenates des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil
vom 11.03.2010 – 3 StR 538/09, StraFo 2010, 299; a.A. BGH, Beschluss vom
06.02.1996 – 5 StR 16/96) vertretenen Ansicht, dass bei einer Therapiedauer von mehr
als zwei Jahren generell die erforderliche hinreichend konkrete Erfolgsaussicht gemäß
§ 64 Satz 2 StGB zu verneinen sei, folgt die Kammer nicht. Diese Ansicht ist mit dem
Gesetzeswortlaut (vgl. § 67d Abs. 1 S. 3 StGB) und dem Normzweck (Schutz der
Allgemeinheit vor gefährlichen Tätern) nicht zu vereinbaren.
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aaa) Zur Begründung der zweijährigen Höchstgrenze wird in der genannten
Entscheidung ausgeführt, die gesetzliche Dauer einer Suchtbehandlung sei durch den
Gesetzeswortlaut des § 67 d Abs.1 Satz 1 StGB vorgegeben, wobei der 3. Strafsenat
(anders als der 5. Strafsenat aaO) die Verlängerung der Höchstfrist gemäß § 67 d Abs. 1
Satz 3 StGB nicht als Argument für ein eventuelles Erfordernis einer längeren
Therapienotwendigkeit zulässt. Zum Teil wird noch apodiktischer eine generelle
Höchstfrist von zwei Jahren (vgl. BGH, Beschl. vom 6.12.2007 – 3 StR 355/07, StV
2008, 300, 301) oder vier Jahren (Volckart, NStZ 1987, 215) angenommen.
Demgegenüber folgt aus dem eindeutigen Wortlaut des § 67d StGB, dass sich die
Höchstfrist, d.h. die maximale Zeit der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt,
gemäß § 67 d Abs. 1 Satz 1 StGB i.V.m. §§ 67 d Abs. 3, § 67 Abs. 4 StGB um die auf die
Strafe anrechenbare Zeit verlängert. Dies bedeutet, dass die rechnerische Obergrenze
der tatsächlichen Behandlung in einer Entziehungsanstalt zwei Jahre plus 2/3 der Zeit
der gleichzeitig verhängten Freiheitsstrafe beträgt. Bei einer Begleitstrafe von 3 Jahren
bedeutet dies z.B. eine maximale Unterbringungszeit von 4 Jahren; bei einer
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gleichzeitig angeordneten Freiheitsstrafe von 6 Jahren dauert die Therapie nach § 64
StGB demnach höchstens 6 Jahre und bei einer Anlassstrafe von 15 Jahren könnte die
Behandlungszeit gar bis zu 12 Jahren dauern (OLG Frankfurt, NStZ 1993, 453; Rissing-
van Saan/Peglau LK § 67 d Rdn. 16), wobei jeweils die Untersuchungshaft
abzurechnen wäre. Bei der hier verhängten Strafe von 6 Jahren und 6 Monaten beträgt
die maximale Dauer der Entziehungsbehandlung demnach 6 Jahre und 4 Monate.
bbb) Auch die weiteren Argumente der o.a. Entscheidung des 3. Strafsenates des BGH
überzeugen nicht. Der 3. Senat führt aus, dass eine Unterbringungsdauer von mehr als
einem Jahr äußerst selten und eine Behandlung über den Zweijahres-Zeitraum hinaus
nicht erforderlich, vielmehr eher schädlich sei (vgl. Horstkotte in LK 10. Aufl. § 67 d Rdn.
4; Schöch in LK 12. Aufl. § 64 Rdn. 167). Er beruft sich dabei auf die
Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 16/1110, S. 14), in denen tatsächlich – allerdings ohne
jegliche Begründung - zu lesen ist, die voraussichtliche Dauer der Entziehungstherapie
bis zur Erzielung eines Behandlungserfolges liege im Durchschnitt bei etwa einem Jahr.
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Diese Einschätzung ist zwar vor dem Hintergrund der Einführung der Vorschrift des § 67
Abs. 2 StGB n.F. schlüssig. Die Dreijahresgrenze für einen teilweisen Vorwegvollzug
offenbart tatsächlich, dass der Gesetzgeber von einer sehr kurzen Behandlungsdauer
ausgeht, wenn das Ziel der Halbstrafenentlassung bei einem zu einer bis zu
dreijährigen Freiheitsstrafe und nach § 64 StGB unterzubringenden Verurteilten
spätestens binnen 1 ½ Jahren abzüglich der erlittenen Untersuchungshaft erreichbar
sein soll.
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Diese Erwägungen stehen jedoch im deutlichen Widerspruch zu den empirischen
Erfahrungen der Praxis, wonach ein Behandlungserfolg bei den nach § 64 StGB
Untergebrachten in der Regel erst deutlich später eintritt. Die Übernahme dieser Ansicht
durch die Tatgerichte würde im Zusammenhang mit Anordnung und Durchführung der
Unterbringung in der Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB zu erheblichen negativen
Ergebnissen für suchtkranke Straftäter und den Schutz der Allgemeinheit führen und
letztlich den Sinn und Nutzen der Maßregel des § 64 StGB als solches in Frage stellen.
Dies wiegt um so schwerer, als die dem zugrunde liegenden Erwägungen des 3.
Strafsenates zur tatsächlichen Dauer einer Suchtbehandlung eben gerade nicht den
Erfahrungen der Praxis entsprechen. Eine Behandlungsdauer von lediglich zwei Jahren
oder sogar weniger ist nämlich nicht die Regel, sondern die absolute Ausnahme.
Entsprechend haben mehrere Sachverständige im Gesetzesverfahren darauf
hingewiesen (so Jutta Muysers; Rüdiger Müller-Isberner; Norbert Leygraf; Norbert
Nedopil in der öffentlichen Anhörung des BT-Rechtsausschusses am 28.02.2007), dass
die gewählte Dreijahresgrenze des § 67 Abs. 2 StGB zu kurz bemessen sei.
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Die einzig herangezogene Untersuchung von Metrikat (Die Unterbringung in einer
Entziehungsanstalt nach § 64 StGB, 2002, S. 251 ff.), mit der der 3. Strafsenat sein
Ergebnis auch empirisch begründet, steht in deutlichem Widerspruch zu anderen
(neueren und aussagekräftigeren) Untersuchungen. Die Diskrepanz lässt sich
vermutlich darauf zurückführen, dass in die von Metrikat ermittelten Durchschnittszeiten
eben nicht nur erfolgreich abgeschlossene Therapien nach § 64 StGB sondern auch
jene Suchttherapien einbezogen worden sind, die (meist schon innerhalb des ersten
Jahres) wegen Erfolglosigkeit abgebrochen wurden. Hier offenbart sich der fehlende
Aussagewert von Untersuchungsergebnissen, bei denen der Mittelwert aus den
durchschnittlichen Verweildauern aller Maßregelvollzugspatienten ungeachtet der Art
der Beendigung der Maßregel (Aussetzung, Abbruch oder sonstige Erledigung) ermittelt
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wurde.
Wie auch die Untersuchungen in der alljährlichen bundesweiten Stichtagserhebung im
Maßregelvollzug nach § 64 StGB (von der Haar, M.A. Fachabteilung Bad Rehburg des
NLKH Brauel ) geben solche Daten nämlich nur Aufschluss über die Mittelwerte der
Behandlungsmonate der Untergebrachten in einzelnen Kiniken. Zu welchem Zeitpunkt
eine Behandlung erfolgreich abgeschlossen wurde (nur dies kann vorliegend erheblich
sein), lässt sich solchen Erhebungen gerade nicht entnehmen.
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Anhaltspunkte für die Prognose, wie lange voraussichtlich und realistisch eine
erfolgreiche Behandlung im Einzelfall dauern wird, bis der Verurteilte mit günstiger
Prognose in Freiheit entlassen werden kann und wird, können dagegen einige wenige
differenzierte Untersuchungen für einzelne Maßregelvollzugseinrichtungen bieten.
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Pollähne und Kemper ermittelten in ihrer 2007 veröffentlichten Untersuchung der 2005
in NRW entlassenen erfolgreich behandelten Maßregelvollzugspatienten gemäß § 64
StGB die minimale Verweildauer mit 19 Monaten und die maximale Verweildauer mit 47
Monaten (Pollähne/Kemper, Fehleinweisungen in die Entziehungsanstalt, 2007, S. 49).
Kemper (Kemper, Fehleinweisungen in der Entziehungsanstalt, Ergebnisse eines
Forschungsprojektes zum Maßregelvollzug gemäß § 64 StGB, R & P 2008, 15) belegt in
ihrer anschließenden umfänglichen Untersuchung aller im Jahr 2005 in NRW
entlassenen Patienten nach § 64 StGB, dass es bei den erfolgreichen Fällen durchweg
erst nach Ablauf von 2 Jahren zu einer Aussetzung zur Bewährung kam, und der
Entlassungszeitpunkt in mehr als der Hälfte der Fälle deutlich über der Zweidrittelstrafe
lag, und oft sogar der Endstrafentermin der Begleitstrafe – im Durchschnitt um 9 Monate
- überschritten wurde. Sie ermittelte eine durchschnittliche Therapiedauer der erfolgreich
entlassenen Untergebrachten von 40 Monaten.
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Die Untersuchungen von Dimmek (Vortrag bei der Forensischen Fachtagung in
Bedburg-Hau, Wunsch und Wirklichkeit der Wiedereingliederung suchtkranker
Straftäter, 2010; Wiedereingliederung suchtkranker Rechtsbrecher, 2010 - im Druck -),
die dieser bei 160 im Zeitraum von 2001 bis 2003 in Freiheit entlassenen nach § 64
StGB Untergebrachten durchführte, bestätigen diese Zahlen. Er kommt zum Ergebnis
einer durchschnittlichen Verweildauer der dort erfolgreich behandelten süchtigen
Straftäter in der Entziehungsanstalt zwischen 30 und 40 Monaten.
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Die Kammer hat über einen Zeitraum von 10 Jahren (2000 – 2010) die Verweildauer der
nach § 64 StGB untergebrachten und nach erfolgreicher Behandlung in Freiheit
entlassenen Straftäter aus dem Maßregelvollzug der hiesigen LVR-Klinik ermittelt.
Danach betrug die Behandlungsdauer für eine erfolgreiche Therapie nach § 64 StGB
durchschnittlich 37 Monate. Nachweislich stand dabei die durchschnittliche Dauer der
Behandlung in Abhängigkeit zur Höhe der Begleitstrafe und/oder einer zusätzlichen
psychischen Erkrankung. Im Zeitraum von Januar 2000 bis April 2010 wurden im
Rahmen der halbjährlichen Überprüfungen nach § 67 e StGB insgesamt 1.015 nach
§ 64 StGB Untergebrachte in ca. 4.300 Einzelterminen mündlich angehört. Die jeweils
getroffenen Entscheidungen wurden dokumentiert und es wurde – neben weiteren
Faktoren - der Grund der Beendigung der Maßregel festgehalten. Auf diese Weise
lassen sich eine "Erfolgsstatistik" und Aussagen über die Dauer der Behandlung nach
§ 64 StGB bis zur erfolgreichen Entlassung (Aussetzung der Unterbringung und/oder
der Reststrafe) darstellen. Es wurden in den 10 Jahren insgesamt lediglich 125 alkohol-
und/oder drogensüchtige Straftäter (110) und Straftäterinnen (15) erfolgreich behandelt
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aus dem Maßregelvollzug der Entziehungsanstalt in Freiheit entlassen (§ 67 d Abs. 2
StGB). Dies entspricht einer Quote von 12,5% der Gesamtpatientenzahl. Die längste
Verweildauer betrug 82 Monate (bei einer Begleitstrafe von 9 Jahren), die kürzeste 6
Monate. Die durchschnittliche Verweildauer betrug 37 Monate, wobei die
Untergebrachten mit zusätzlicher psychischer Erkrankung (sogenannter
Doppeldiagnose) länger benötigten, um die Behandlung erfolgreich abzuschließen.
Dies verwundert nicht angesichts des Behandlungsauftrages, der nicht allein auf eine
"isolierte Suchttherapie" lauten kann, wenn langjährig verfestigte schwere bis schwerste
Persönlichkeitsstörungen als Ursache von Sucht und Kriminalität behandelt werden
müssen. Die erfolgreiche therapeutische Bearbeitung der neben der Sucht bestehenden
und die Sucht u.U. begünstigender Persönlichkeitsstörungen oder anderer psychischer
Störungen beansprucht einfach mehr zusätzliche Zeit. Auch ergibt sich eine
entsprechende Zunahme der tatsächlichen Verweildauern parallel zur Höhe der
Begleitstrafe.
Unterschritten wurde die durchschnittliche Verweildauer von 37 Monaten in der
Therapie nach § 64 StGB in erster Linie von Untergebrachten, die vor ihrer Anlasstat
keine oder nur ganz geringe Delinquenz aufwiesen und/oder erst kürzere Zeit (etwa bis
zu 3 Jahren) Drogen konsumierten und neben der Sucht keine zusätzlichen
Persönlichkeitsstörungen hatten. Wenn solche Personen noch eine abgeschlossene
Schul- und Berufsausbildung, Erfahrungen mit Erwerbsarbeit, familiäre Anbindung
(häufig auch Partnerin und Kinder) hatten, sowie die Aussicht dort wieder einzusteigen,
wo sie vor ihrem suchtbedingten Scheitern aufgehört hatten, waren auch
Unterbringungszeiten von unter 2 ½ Jahren nicht unrealistisch.
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Überschritten wurden die Mittelwerte der Behandlung in erster Linie von älteren (über
40jährigen) Untergebrachten mit langjährigem Sucht- und Kriminalitätshintergrund,
mehrfach erfolglosen früheren Therapien nach § 64 StGB oder § 35 BtMG und/oder
zusätzlichen psychischen Störungen. Diese hatten neben Erfahrungen mit Gewalt,
Vernachlässigung und Sucht in der Ursprungsfamilie auch aktuell kein stabiles
familiäres Umfeld aufzuweisen. Zusätzlich fehlte bei Beginn der Behandlung die
Aussicht auf ein eigenverantwortetes Leben in eigener Wohnung und die (Wieder-)
aufnahme einer auskömmlichen Arbeit. In diesen Fällen nahm insbesondere die Zeit der
Belastungserprobung in Arbeit und der Dauerbeurlaubung – häufig zunächst in einer
unterstützenden kontrollierenden Einrichtung – und die Schaffung von
tagesstrukturierenden stabilen Entlassungsbedingungen sehr lange Zeit in Anspruch
(häufig bis zur Höchstfrist). 42 von den 125 erfolgreichen Maßregelvollzugspatienten,
d.h. ein Drittel, führten die therapeutische Behandlung unter voller Ausnutzung der
Therapiehöchstdauer bis zum Ablauf der Höchstfrist gemäß § 67 Abs. 1 Satz 1, 3 StGB
durch.
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All diese Untersuchungen belegen, dass die Annahme des 3. Strafsenates des BGH
von einer durchschnittlichen Verweildauer von unter 2 Jahren für eine erfolgreiche
Behandlung in der Unterbringung nach § 64 StGB sich in der Realität als Illusion
erweist, zumindest aber als Ausnahme.
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ccc) Die unzutreffende Annahme einer zu kurzen Therapiedauer hat für die Anordnung
und Berechnung des Teilvorwegvollzuges gemäß § 67 Abs. 2 StGB weitreichende
negative Konsequenzen. Wenn das Tatgericht von einer zu kurzen Therapiedauer
ausgeht und den vorweg zu vollziehenden Teil der Strafe entsprechend zu lang bemisst,
reicht die in der Entziehungsanstalt verbleibende Zeit für eine erfolgreiche Behandlung
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nicht mehr aus, um alle notwendig vorgesehenen Therapieschritte einschließlich der
unumgänglichen längeren Erprobung unter freiheitlicheren Bedingungen, möglichst im
Dauerurlaub, durchführen zu können. Die vom Gesetzgeber angestrebte Entlassung zur
Halbstrafe dürfte angesichts dessen in weite Ferne rücken. Es ist sogar zu erwarten,
dass bei Anordnung eines zu hoch bemessenen Teil-Vorwegvollzuges nicht nur eine
Entlassung zur Halbstrafe nicht realisierbar ist, sondern selbst eine Entlassung zum 2/3-
Zeitpunkt aus Zeitgründen ausscheidet. Vor dem Hintergrund der vorherrschenden viel
zu optimistischen Vorstellungen über die Dauer der Behandlung nach § 64 StGB muss
sogar befürchtet werden, dass eine günstige Kriminalprognose nur noch in den
seltensten Fällen vor Ablauf der Höchstfrist zu erreichen ist. Dies wiederrum
benachteiligt die süchtigen Straftäter gegenüber den nichtsüchtigen Verurteilten und
widerspricht der gegenläufigen Intention des Gesetzgebers, der mit der
Halbstrafenvorgabe in § 67 Abs. 2 StGB der Regelung des § 67 Abs. 5 StGB noch
einmal zusätzliches Gewicht verleihen und die süchtigen Verurteilten privilegieren
wollte. Wenn die Behandlung innerhalb der – nach Vorwegvollzug – verbleibenden Zeit
aber nicht erfolgreich beendet werden kann, bleibt bei negativer Prognose in der Regel
nur die Erledigung der Maßregel gemäß § 67 d Abs. 4 StGB oder § 67 d Abs. 5 StGB
und die Rückführung in Haft zur Weiterverbüßung des Restdrittels und das, obwohl die
Betroffenen schon bis zu 2 Jahre über dem 2/3-Zeitpunkt in Unfreiheit waren.
Noch dramatischer wären die Folgen, wenn sich die Ansicht des 3. Strafsenates bereits
bei der Feststellung der Tatbestandvoraussetzungen des § 64 StGB durchsetzen würde.
Die Verneinung einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht in allen Fällen, in denen
prognostisch von einer Behandlungsdauer von mehr als 2 Jahren auszugehen ist, wird
unter Berücksichtigung der eindeutig anderen Erfahrungen aus der
Maßregelvollzugspraxis dem Anspruch und Zweck der Vorschrift des § 64 StGB nicht
gerecht. Der Anwendungsbereich des § 64 StGB würde dramatisch zurückgehen und
eine Vielzahl süchtiger Straftäter würde die – insoweit bereits jetzt überforderten –
Justizvollzugsanstalten überschwemmen. Gerade Verurteilten mit schwerer langjähriger
Abhängigkeit und zusätzlichen Persönlichkeitsstörungen würde bei einer derart
restriktiven Auslegung des Tatbestandsmerkmals "hinreichend konkrete Aussicht auf
Erfolg" eine intensive therapeutische Behandlung ihrer kriminalitätsursächlichen Sucht-
und Persönlichkeitsstörungen verwehrt bleiben. Sie würden, da der Strafvollzug dies
nicht leisten kann, unbehandelt ihre Freiheitsstrafen verbüßen und im Anschluss – dies
allerdings mit hinreichend konkreter Aussicht - wieder straffällig werden. Solches
widerspricht dem Zweck der Maßregel, nämlich dem Schutz der Allgemeinheit vor
weiteren suchtbedingten Straftaten.
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d) Ein Vorwegvollzug gemäß § 67 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB ist beim
Angeklagten Xx trotz der Höhe der gegen den Angeklagten verhängten Strafe (6 ½
Jahre) nicht anzuordnen. Da bei dem Angeklagten von einer Behandlungsdauer von 3
Jahren auszugehen ist (s.o. VI., c, bb) und die von ihm bereits verbüßte
Untersuchungshaft inzwischen fast 6 Monate beträgt, wird selbst bei günstigem Verlauf
der Therapie der Halbstrafenzeitpunkt bereits verstrichen sein, wenn im Anschluss an
eine erfolgreiche Behandlung in der Entziehungsanstalt eine Aussetzung von
Unterbringung und Reststrafe zur Bewährung realistisch ansteht.
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VII. Nebenentscheidungen
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Die Einziehung des sichergestellten Rauschgiftes beruht auf § 33 BtMG.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 464, 465 Abs. 1, 466 StPO
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