Urteil des LG Kleve vom 11.11.2009

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Landgericht Kleve, 5 S 88/09
Datum:
11.11.2009
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 88/09
Schlagworte:
Sorgfaltspflicht, Rückwärtsfahrt
Normen:
StVG § 17 Abs. 1; StVO § 9 Abs. 5
Leitsätze:
Die mit der Rückwärtsfahrt typischer weise Verbundenen Gefahren, die
den Fahrzeugführern gem. § 9 Abs. 5 StVO dazu Verpflichten, eine
Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, enden nicht
sogleich mit dem Stillstand des Fahrzeuges.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts
Rheinberg vom 15.06.2009 unter Zurückweisung des weitergehenden
Rechtsmittels teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin
442,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 19.10.2008 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage
abgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten als
Gesamtschuldner zu 16 % und die Klägerin zu 84 % zu tragen. Die
übrigen Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten als
Gesamtschuldner zu 21 % und die Klägerin zu 79 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1
I.
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Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall.
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Am 16.08.2008 gegen 11:20 Uhr parkte die Tochter der Klägerin mit dem Pkw der
Klägerin der Marke W auf einem Parkplatz in B an der Straße Y-Straße X 3. Die
Beklagte zu 1.) parkte mit ihrem Fahrzeug, das bei der Beklagten zu 2.)
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haftpflichtversichert ist, etwas seitlich versetzt, auf der gegenüberliegenden Seite des
Parkplatzes. Beide parkten rückwärts aus. Dabei stieß die Beklagte mit der
Anhängerkupplung ihres Fahrzeuges gegen die hintere rechte Seite des Fahrzeuges
der Klägerin.
Der Gesamtschaden der Klägerin in Höhe von 3.314,03 EUR ist in der Berufungs-
instanz unstreitig. Die Beklagte zu 2.) zahlte außergerichtlich 1.214,89 EUR.
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Die Klägerin begehrt den Ausgleich des restlichen Schadens sowie die Erstattung
vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von 272,87 EUR.
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Sie hat behauptet, ihre Tochter habe den Ausparkvorgang bereits vollständig beendet,
als die Beklagte zu 1.) begonnen habe, ihr Fahrzeug rückwärts zu setzten. Ihr Fahrzeug
habe bereits einige Zeit gestanden, als die Beklagte zu 1.) rückwärts gegen ihr
Fahrzeug gefahren sei.
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Die Beklagten haben behauptet, das Fahrzeug der Klägerin sie noch nicht in Bewegung
gewesen, als die Beklagte zu 1.) rückwärts aus der Parklücke gefahren sei. Das
Fahrzeug der Klägerin sei plötzlich rückwärts gefahren. Dadurch sei es zu dem
Zusammenstoß gekommen.
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Rechtsverfolgungskosten seien nicht erstattungsfähig, weil eine Kostennote nicht erteilt
sei und die Klägerin die Kosten nicht bezahlt habe.
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Das Amtsgericht hat nach Vernehmung der Zeugin X2 die Beklagten zur Zahlung des
restlichen Sachschadens und zur Freistellung von vorgerichtlichen
Rechtsanwaltskosten verurteilt. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei es davon überzeugt, dass die Zeugin X2 bereits
gestanden habe, als es zu der Kollision gekommen sei. Die Beklagten hafteten daher
alleine für den Schaden. Die Klägerin habe nicht belegt, dass sie die
Rechtsanwaltskosten gezahlt habe. Sie könne jedoch die Freistellung von dieser
Verbindlichkeit verlangen.
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Gegen diese Beweiswürdigung wenden sich die Beklagten mit der Berufung, wobei sie
die Verurteilung nur in Höhe von 1.972,75 EUR und hinsichtlich der Verurteilung zur
Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten angreifen.
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II.
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Die zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.
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Die Klägerin hat gemäß §§ 7 Abs. 1 StVG, 3 PflVG einen Anspruch auf Zahlung von
442,13 EUR gegen die Beklagten.
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Bei dem Betrieb des Fahrzeuges der Beklagten ist es zu einem Schaden an dem
Fahrzeug der Klägerin gekommen. Der Gesamtschaden in Höhe von 3.134,03 EUR ist
im Berufungsverfahren nicht mehr streitig.
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Die Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 1 StVG
ergibt, dass die Klägerin diesen Schaden zu 50 % selbst zu tragen hat. Kommt es auf
einem Parkplatz zum Zusammenstoß von zwei Fahrzeugen, die aus ihren Parkboxen
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zurücksetzen, so begründet der beiderseitige Verstoß gegen die identischen
Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO grundsätzlich eine Haftungsquote von 50 %. Eine
höhere Haftungsquote kommt nur in Betracht, wenn ein Unfallbeteiligter nachweisen
kann, dass er bereits längere Zeit gestanden hat (LG Kreuznach, ZfSch 2007, 559). Bei
einer Kollision während des Zurücksetzens spricht der Anschein für das Verschulden
des Rückwärtsfahrenden (Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Auflage, §
9 Rn. 55 am Ende). Die mit der Rückwärtsfahrt typischerweise verbundenen Gefahren,
die den Fahrzeugführer gemäß § 9 Abs. 5 StVO dazu verpflichten, eine Gefährdung
anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen, enden nicht sogleich mit dem Stillstand
des Fahrzeuges. Anderenfalls hinge die Haftung von der Frage ab, ob es dem
Rückwärtsfahrenden (zufällig) noch gelingt, sein Fahrzeug vor dem Zusammenstoß zum
Stillstand zu bringen.
Die Klägerin hat den ihr obliegenden Nachweis nicht geführt, dass ihre Tochter bereits
einige Zeit stand, bis es zu dem Unfall kam. Die Zeugin X2 hat bekundet, sie habe den
Parkplatz verlassen wollen. Sie sei rückwärts gefahren, habe das Fahrzeug angehalten
und habe vorwärts weiterfahren wollen, als es zu dem Zusammenstoß gekommen sei.
Ob sie bereits den ersten Gang eingelegt hatte, konnte sie nicht mehr sagen. Ein
solches Fahrverhalten spielt sich erfahrungsgemäß in sehr kurzer Zeit ab. Die Zeugin
hat nicht bekundet, dass sie aufgehalten oder an der Weiterfahrt gehindert worden sei.
Aus ihrer Aussage folgt somit, dass noch ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang mit
der Rückwärtsfahrt bestand. Etwas anderes hat auch das Amtsgericht nicht festgestellt.
Es hat lediglich die Auffassung vertreten, dass trotz des zeitlichen Zusammenhangs die
typischen Gefahren des Rückwärtsfahrens nicht mehr bestanden hätten.
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Von dem Gesamtschaden in Höhe von 3.314,03 EUR haben die Beklagten somit nur 50
% zu erstatten. Dies sind 1.657,02 EUR. Unter Berücksichtigung der Zahlung der
Beklagten in Höhe von 1.214,89 EUR verbleibt der zuerkannte Betrag in Höhe von
442,13 EUR.
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Die Beklagten sind nicht zur Freistellung von Rechtsanwaltskosten verpflichtet. Zwar
konnte das Amtsgericht anstatt zur Zahlung auch zur Freistellung von den
Rechtsanwaltskosten verurteilen. Ein solcher Freistellungsantrag ist als Minus in dem
Zahlungsantrag enthalten (vgl.: Zöller-Vollkommer, Kommentar zur ZPO, 27. Auflage, §
308, Rn. 4). Der Freistellungsanspruch setzt aber voraus, dass der Vergütungsanspruch
fällig ist. Der Rechtsanwalt kann die Vergütung gemäß § 10 RVG nur aufgrund einer von
ihm unterzeichneten und dem Auftraggeber mitgeteilten Berechnung einfordern. Die
Klägerin trägt nicht vor, eine solche Kostenrechnung erhalten zu haben. Daher ist die
Klage insoweit derzeit unbegründet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711,
713 ZPO.
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Gründe, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.972,75 EUR
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