Urteil des LG Kiel vom 15.03.2017

LG Kiel: sachverständiger, irreführende werbung, zertifizierung, öffentlich, geschäftsführender gesellschafter, verkehr, qualifikation, gutachter, begriff, industrie

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Gericht:
LG Kiel 1. Kammer
für Handelssachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
14 O 59/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 5 UWG
Irreführende Werbung: Bezeichnung eines Gutachters als
„geprüfter“ bzw. „zertifizierter“ Sachverständiger
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt,
es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 €, und für den Fall,
dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu sechs Monaten,
oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu unterlassen,
im geschäftlichen Verkehr und im Wettbewerb handelnd, im Zusammenhang mit
dem Angebot einer Tätigkeit als Immobiliensachverständiger
sich als geprüfter Sachverständiger zu bezeichnen und/oder die Aussage zu
tätigen, die Teilnahme am IHK-Lehrgang „Sachverständiger für bebaute und
unbebaute Grundstücke“ entspreche bezüglich der Ausbildung und Qualifikationen
den Mindestanforderungen, die an öffentlich bestellte und vereidigte
Sachverständige gestellt werden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 10.000,00 € vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin nimmt den Beklagten, der geschäftsführender Gesellschafter der C-
Gesellschaft für Immobilienberatung mbH aus Z ist, auf Unterlassung in Anspruch.
Der Beklagte nahm im Zeitraum 16.04. - 25.09.2004 an einem von der
Wirtschaftsakademie Schleswig-Holstein (WAK) angebotenen Lehrgang „Der
Grundstücksgutachter“ teil. Der Lehrgang umfasste 150 Stunden, in denen
Kenntnisse auf den Gebieten Wirtschaft, Technik, Recht und
Wertermittlungsverfahren vermittelt wurden. Er endete mit einer Prüfung, die nach
Behauptung der Klägerin 6 Stunden und nach Behauptung des Beklagten 7
Stunden dauerte. Im Anschluss daran erhielt der Beklagte ein von der Klägerin
ausgestelltes „Zertifikat“, in dem ihm bescheinigt wurde, dass er den IHK-
Zertifikatslehrgang „Sachverständige/r für bebaute und unbebaute Grundstücke“
absolviert habe (Anlage K 1 zur Klageschrift). Der Beklagte wirbt auf der Website
der von ihm geleiteten Gesellschaft sowie auf seiner Website mit folgenden
Aussagen:
„Durch die IHK-Kiel zertifizierter Sachverständiger für die Bewertung von
bebauten und unbebauten Grundstücken““,
„Als qualifizierter Gutachter für die Grundstücksbewertung mit
Zertifizierung durch die IHK Kiel erstellen wir Gutachten...“ und
„Als Absolvent der Wirtschaftakademie Kiel WAK hat er nach dem Studium
alle Bereiche der anerkannten und modernen Bewertungslehre vermittelt
bekommen und als geprüfter Sachverständiger die Zertifizierung durch die
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bekommen und als geprüfter Sachverständiger die Zertifizierung durch die
Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Kiel erhalten, die bezüglich der Ausbildung
und der Qualifikation als Mindestanforderung denen der öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen gleichgestellt ist“.
Die Klägerin hält diese Werbung des Beklagten für seine Person für irreführend i. S.
d. § 5 UWG. Die Bezeichnungen als „Gutachter mit Zertifizierung durch die IHK“
und „durch die IHK Kiel zertifizierter Sachverständiger“ würden vom Verkehr
dahingehend verstanden, dass eine prüfungsabhängige Zulassung nach den
einschlägigen DIN-Vorschriften erfolgt sei. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch
beziehe sich der Begriff der Zertifizierung auf die Erreichung bestimmter Normen.
Das von ihr ausgestellte Zertifikat dagegen dokumentiere lediglich die erfolgreiche
Teilnahme an der Weiterbildungsveranstaltung. Durch seine Werbung rücke sich
der Beklagte in die Nähe der öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen. Auch die Bezeichnung als „geprüfter Sachverständiger“ sei
irreführend, weil der Verkehr diese Angabe dahingehend verstehe, dass der
Werbende mit seinem durch eine umfassende Prüfung von dritter Seite
nachgewiesenen Fachwissen den Standard seiner Mitbewerber in besonderer
Weise übertreffe. Eine solche Prüfung habe der Beklagte aber nicht abgelegt.
Besonders irreführend sei auch die mit dem Antrag zu 2. beanstandete Äußerung,
weil sie den Eindruck vermittle, die theoretische Vorbildung entspreche der eines
vereidigten Sachverständigen, es fehle sozusagen nur eben diese Vereidigung.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen,
es bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000,00 € oder
Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu zwei Jahren, zu
unterlassen, im geschäftlichen Verkehr und im Wettbewerb handelnd, im
Zusammenhang mit dem Angebot einer Tätigkeit als Immobiliensachverständiger
1. sich wie folgt zu bezeichnen:
a) Gutachter mit Zertifizierung durch die IHK Kiel und/oder
b) durch die IHK Kiel zertifizierter Sachverständiger und/oder
c) geprüfter Sachverständiger und/oder
2. die Aussage zu tätigen, die Teilnahme am IHK-Lehrgang
„Sachverständiger für bebaute und unbebaute Grundstücke“ entspreche
bezüglich der Ausbildung und Qualifikationen den Mindestanforderungen, die an
öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige gestellt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, seine Werbung sei nicht irreführend. Rein sprachlich biete jeder eine
Zertifizierung an, der einen Zertifikatslehrgang mit Abschlussprüfung anbiete.
Dass sich der Lehrgang nur mit der Vermittlung von Grundkenntnissen befasse,
habe die WAK zudem weder hervorgehoben noch verdeutlicht. Die Inhalte des
Lehrgangs hätten sich an die Voraussetzungen des Instituts für
Sachverständigenwesen angelehnt, die Voraussetzung für die Bestellung zum
vereidigten Sachverständigen seien. Die Klägerin selbst habe im Übrigen die
wesentlichen tatbestandlichen Grundlagen für die von ihr behauptete irreführende
Werbung gesetzt, so dass die Klagerhebung missbräuchlich sei.
Wegen aller Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nur zum Teil begründet.
Der Anspruch der Klägerin auf Unterlassung der im Tenor aufgeführten
Äußerungen im geschäftlichen Verkehr und im Wettbewerb ergibt sich aus § 8 Abs.
1, Abs. 3 Nr. 4 i. V. m. §§ 5, 3 UWG.
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Darin, dass sich der Beklagte als „geprüfter Sachverständiger“ bezeichnet, liegt
eine irreführende und damit unlautere Werbung i. S. d. §§ 5, 3 UWG.
Bei der Feststellung, ob eine Werbeangabe irreführend ist, ist auf das Verständnis
der angesprochenen Verkehrskreise abzustellen, hier also maßgeblich auf das
Verständnis derjenigen, die einen Sachverständigen für die Grundstücksbewertung
heranziehen wollen.
Irreführend i. S. d. § 5 UWG ist eine werbende Angabe im Allgemeinen, wenn ein
objektiv falscher Tatbestand behauptet wird. Gemessen hieran ist die Angabe des
Beklagten, er sei „geprüfter Sachverständiger“, vom Wortlaut her nicht
irreführend, weil er den Lehrgang „Sachverständiger für bebaute und unbebaute
Grundstücke“ tatsächlich mit einer Prüfung beendet hat.
Irreführend kann eine Angabe jedoch auch dann sein, wenn sie zwar objektiv richtig
ist, ein beachtlicher Teil der angesprochenen Verkehrskreise hiermit aber eine
unrichtige Vorstellung verbindet (vgl. die Nachweise aus der Rspr. bei
Hefermehl/Köhler/Bornkamm, UWG, 26. Aufl. § 5 Rdnr. 2.71). Dies ist hier der Fall.
Denn die Kammer geht davon aus, dass zumindest ein nicht unerheblicher Teil des
angesprochenen Verkehrskreises die Werbeaussage „geprüfter Sachverständiger“
dahingehend versteht, dass der Sachverständige eine besondere, den Standard
seiner Mitbewerber deutlich überragende Qualifikation aufweist, die er in einer
amtlich festgelegten, einheitlichen Prüfung unter Beweis gestellt hat (vgl. dazu
auch BGH NJW 1984, 2365; LG Duisburg WRP 2002, 853 für vergleichbare
Werbeaussagen). Eine solche Prüfung hat der Beklagte jedoch unstreitig nicht
abgelegt. Die Prüfung am Ende des Lehrgangs wurde nicht von einer amtlichen
Stelle nach allgemein festgelegten, einheitlichen Kriterien, sondern von der WAK
selbst abgenommen und diente erkennbar dazu, die Kenntnisse zu prüfen, die
zuvor im Lehrgang vermittelt worden waren.
Auch die weiter im Tenor aufgeführte werbende Angabe des Beklagten, die
Zertifizierung durch die IHK Kiel sei bezüglich der Ausbildung und der Qualifikation
als Mindestanforderung denen der öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständigen gleichgestellt, ist geeignet, bei einem erheblichen Teil der
angesprochenen Verkehrskreise unrichtige Vorstellungen zu erwecken. Die
beanstandete Aussage erweckt nämlich den Eindruck, der Beklagte verfüge über
eine Qualifikation, die derjenigen eines öffentlich bestellten und vereidigten
Sachverständiger gleichkommt, es fehle quasi nur die Bestellung und Vereidigung
selbst. Er rückt sich damit erkennbar in die Nähe eines öffentlich bestellten und
vereidigten Sachverständigen. Diese werbende Angabe ist aber unrichtig:
Aus den von der Klägerin als Anlage K 4 eingereichten, vom Institut für
Sachverständigenwesen e.V. herausgegebenen, ab Februar 2006 geltenden
Bestellungsvoraussetzungen für den Sachverständigen für die Bewertung von
bebauten und unbebauten Grundstücken ergibt sich, dass Mindestvoraussetzung
für die Bewerbung um eine Bestellung entweder ein abgeschlossenes Studium an
einer staatlich anerkannten Hochschule oder Fachhochschule einer einschlägigen
Fachrichtung und eine mindestens fünfjährige praktische Tätigkeit oder eine
sachgebietsbezogene abgeschlossene Berufsausbildung mit Bezug zur
Immobilienwirtschaft und eine mindestens achtjährige immobilienbezogene
praktische Tätigkeit, davon fünf Jahre in der Immobilienbewertung, ist. Der
Bewerber hat seine Kenntnisse nachzuweisen und aus seiner praktischen Tätigkeit
mindestens sieben Gutachten einzureichen. Aufgrund der vom Bewerber
vorgelegten Unterlagen wird dann seine Fähigkeit, Gutachten auf dem
betreffenden Sachgebiet zu erstellen, von einem Fachgremium geprüft. Den
vorstehend aufgeführten Mindestanforderungen für eine Bestellung als öffentlich
bestellter und vereidigter Sachverständiger steht die von der Klägerin zertifizierte
Teilnahme an dem Lehrgang der WAK zweifelsfrei nicht gleich. Selbst wenn die
gleichen Fachgebiete behandelt wurden, die auch ein öffentlich bestellter und
vereidigter Sachverständiger beherrschen muss, so liegen die
Mindestanforderungen für eine Bewerbung als öffentlich bestellter und vereidigter
Sachverständiger doch deutlich darüber. Dasselbe gilt unter Zugrundelegung der
vom Beklagten eingereichten, bis Februar 2006 geltenden
Bestellungsvoraussetzungen. Diese entsprechen inhaltlich bis auf den Umstand,
dass eine sachgebietsbezogene abgeschlossene Berufsausbildung nicht zur
Voraussetzung gemacht wurde, sondern nur „vorhanden sein sollte“, den später
geltenden weitgehend.
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Soweit Klagantrag und Tenor geringfügig von der konkreten Werbeangabe des
Beklagten abweichen, liegt hier lediglich eine sprachliche und keine inhaltliche
Änderung vor.
Die Klägerin ist entgegen der Ansicht des Beklagten zur Geltendmachung der
Unterlassungsansprüche nach § 8 Abs. 3 Nr. 4 UWG berechtigt. Sie verhält sich
insoweit nicht etwa deswegen missbräuchlich, weil sie selbst ihm das Zertifikat
ausgestellt hat. Ein Missbrauch liegt vor, wenn der Anspruchsberechtigte mit der
Geltendmachung des Anspruchs überwiegend sachfremde, für sich gesehen nicht
schutzwürdige Interessen und Ziele verfolgt und diese als die eigentliche
Triebfeder und das beherrschende Motiv der Verfahrenseinleitung erscheinen. Dies
ist hier nicht der Fall. Die Klägerin verfolgt einen ihrer Ansicht nach begangenen
Wettbewerbsverstoß des Beklagten. Aufgabe der Industrie- und Handelskammern
ist es aber gerade, die Interessen ihrer Mitglieder und der Allgemeinheit an einem
unverfälschten Wettbewerb wahrzunehmen.
Im Übrigen ist die Klage dagegen unbegründet.
Soweit sich der Beklagte als „Gutachter mit Zertifizierung durch die IHK Kiel“ und
„durch die IHK Kiel zertifizierter Sachverständiger“ bezeichnet, ist dies nicht zu
beanstanden.
„Zertifizieren“ bedeutet vom Wortsinn her nicht mehr als das Ausstellen einer
Bescheinigung, eines Zertifikates, nicht etwa - wie die Klägerin meint - das
Erreichen bestimmter Normen. Der Beklagte ist im Besitz eines solchen
Zertifikates, das ihm die Klägerin nach erfolgreicher Teilnahme an einem immerhin
150stündigen Lehrgang ausgestellt hat, der sich mit der Bewertung von bebauten
und unbebauten Grundstücken befasste und mit einer sechs- oder
siebenstündigen Prüfung abschloss. Soweit daher die angesprochenen
Verkehrskreise unter einem „von der IHK zertifizierten“ Sachverständigen einen
solchen vermuten sollten, der sich von dem sonstigen Kreis der freien
Sachverständigen durch eine besondere Sachkunde abhebt, ist das Erwecken
einer derartigen - nicht auf eine bestimmte Art der Qualifizierung bezogenen -
Vorstellung nicht irreführend.
Die Kammer teilt aber nicht die Ansicht der Klägerin, dass mit den vom Beklagten
getätigten Angaben zumindest bei einem erheblichen Teil des angesprochenen
Verkehrskreises die unrichtige Vorstellung erweckt wird, er sei nach der DIN/EN
17024 personenqualifiziert. Denn im Gegensatz zum Begriff des „öffentlich
bestellten und vereidigten Sachverständigen“ ist die Möglichkeit einer
Zertifizierung eines Sachverständigen nach DIN/EN 17024 in den angesprochenen
Verkehrskreisen nach Einschätzung der Kammer weitgehend unbekannt, so dass
der Leser unter „Zertifizierung durch die IHK“ nicht mehr verstehen wird als den
zutreffenden Umstand, dass die IHK Kiel dem Beklagten ein Zertifikat ausgestellt
hat.
Aus vorstehend ausgeführten Gründen erscheint es auch fernliegend, dass die
angesprochenen Verkehrskreise annehmen, ein „zertifizierter“ Sachverständiger
stehe einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen gleich.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin zitierten
Entscheidung des Oberlandesgericht München vom 10.12.1998. Der dort
entschiedene Fall ist mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. In dem jener
Entscheidung zugrunde liegenden Fall warb die dortige Klägerin vielmehr mit einer
Zertifizierung nach bestimmten, in der Werbung ausdrücklich aufgeführten DIN-
Normen, wobei durch die räumliche Nähe des Hinweises auf die Zertifizierung nach
den angeführten Normen der Eindruck vermittelt wurde, die Zertifizierung beziehe
sich nicht nur auf das Unternehmen selbst, sondern auch auf dessen Produkte.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.