Urteil des LG Kassel vom 16.12.2009

LG Kassel: vergütung, funktionelle zuständigkeit, auszahlung, auflage, gerichtsbarkeit, rückwirkung, bekanntgabe, reform, rechtspflege, anweisung

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Gericht:
LG Kassel 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 T 604/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1836 Abs 1 BGB, § 1908i
BGB, § 4 VBVG, § 5 VBVG, §
69a Abs 3 FGG
Betreuervergütung: Rechtswidrige rückwirkende Bestellung
eines Berufsbetreuers
Leitsatz
Erwächst ein Beschluss, mit dem das Amtsgericht die rückwirkende Bestellung eines
Berufsbetreuers angeordnet hat, in Bestandskraft, steht dem Betreuer auch für den
von der Rückwirkung betroffenen Zeitraum eine Vergütung zu; denn die rückwirkende
Bestellung eines Betreuers ist zwar rechtswidrig, aber nicht nichtig und deshalb
wirksam.
Tenor
Die Beschwerde gegen die Auszahlungsanordnung des Amtsgerichts Kassel
vom 20.05.2009 wird zurückgewiesen.
Gründe
I. Nachdem der - inzwischen verstorbene - Betroffene in ein Koma verfallen war,
bestellte das Amtsgericht durch Beschluss vom 14.08.2008 (Bl. 8 f. d.A.) die
eingangs bezeichnete Vereinsbetreuerin zur vorläufigen Betreuerin und bestimmte
zugleich, dass die vorläufige Bestellung am 14.02.2009 ende. Auf Anfrage des
Amtsgerichts vom 17.11.2008 (Bl. 13 d.A.), ob eine „Verlängerung oder
Aufhebung der Betreuung“ erforderlich sei, legte die Vereinsbetreuerin - erst - mit
Schreiben vom 03.03.2009 (Bl. 30 d.A.) ein Attest vor, das die „Verlängerung“ der
Betreuung befürwortete. Nach persönlicher Anhörung des Betroffenen, zu der es
schließlich am 21.04.2009 kam, bestellte das Amtsgericht daraufhin durch
Beschluss vom selben Tag (Bl. 45 f. d.A.) die Vereinsbetreuerin „mit Wirkung ab
15.02.2009“.
Mit Schreiben vom 18.05.2009 machte der Betreuungsverein die für die Tätigkeit
seiner Mitarbeiterin angefallene Vergütung für die Zeit vom 15.02.2009 bis
14.05.2009 mit insgesamt 660 € geltend. Zur Auszahlung des entsprechenden
Betrages kam es auf Anordnung der zuständigen Kostenbeamtin vom 20.05.2009
(Bl. 52 d.A.). Auf den den Folgezeitraum betreffenden Antrag des
Betreuungsvereins wurde die Akte der Beschwerdeführerin erstmals mit Verfügung
vom 08.09.2009 vorgelegt.
Diese hat mit Schreiben vom 26.10.2009 (Bl. 61 f. d.A.) Beschwerde gegen die am
20.05.2009 erfolgte Auszahlung erhoben und zur Begründung ausgeführt, dass
eine rückwirkende Betreuerbestellung nicht in Betracht komme. Deshalb stehe
dem Betreuungsverein - neben der unstreitig bereits geflossenen Vergütung für
die Dauer der vorläufigen Bestellung seiner Mitarbeiterin – eine weitere Vergütung
erst mit Bekanntgabe des Beschlusses vom 21.04.2009 zu. Dem
Betreuungsverein wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, er hat auf eine
Äußerung verzichtet.
II. Über das Rechtsmittel hat die Kammer nach Maßgabe von Art 111 des
Gesetzes zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (BGBl. I 2586)
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Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17.12.2008 (BGBl. I 2586)
noch nach den Bestimmungen des Gesetzes über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit in der bis zum 31.08.2009 geltenden Fassung zu
entscheiden; denn das Verfahren – gerichtet auf die Festsetzung einer Vergütung
für die Vereinsbetreuerin – ist bei dem Amtsgericht vor dem 01.09.2009 anhängig
geworden. Darauf – und nicht etwa auf den Eingang des Beschwerdeverfahrens bei
dem Landgericht oder gar den Zeitpunkt der Entscheidung über die Beschwerde –
kommt es an (vgl. zur vergleichbaren Konstellation bei WEG-Verfahren OLG
Frankfurt, Beschluss vom 04.09.2007 – 20 W 325/07).
(1) Danach ist das Rechtsmittel insgesamt zulässig.
Zunächst fehlt es nicht an einer anfechtbaren erstinstanzlichen Entscheidung.
Nach § 19 I FGG findet gegen Verfügungen des Gerichts erster Instanz das
Rechtsmittel der Beschwerde statt. Verfügungen in diesem Sinne sind sachliche
Entscheidungen des Gerichts mit Außenwirkung, mithin Willensäußerungen, die auf
einen bestimmten Erfolg abzielen oder eine solche Feststellung oder Änderung
ablehnen. Wie die Kammer schon in anderem Zusammenhang entschieden hat
(vgl. Beschluss vom 18.11.2005 - 3 T 889/05 m.w.N.), liegt in der unter Verzicht auf
einen förmlichen Beschluss ergehenden Anweisung der beantragten Vergütung
dann eine Festsetzung i.S.v. § 56g I FGG, wenn sie vom zuständigen Organ der
Rechtspflege veranlasst wurde und eine sachliche Entscheidung über den
Vergütungsantrag beinhaltet. Dies ist hier zu bejahen. Die streitbefangene
Auszahlungsanordnung wurde ersichtlich von der Kostenbeamtin getroffen, die
hierzu befugt gewesen ist; denn richtet sich der festzusetzende Anspruch – wie
hier – gegen die Staatskasse, ist für die Entscheidung nach Maßgabe von § 56g I 4
FGG – jedenfalls zunächst – die funktionelle Zuständigkeit des Kostenbeamten
eröffnet (im Einzelnen Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Auflage § 56g Rn. 4).
Schließlich ist die nach §§ 56g V, 22 I FGG zu beachtende Beschwerdefrist schon
deshalb gewahrt, weil eine solche Frist mangels förmlicher Zustellung nicht zu
laufen begonnen hat, § 16 II FGG. Auch die Tatsache, dass die Beschwerdeführerin
vom Akteninhalt bereits am 09.09.2009 Kenntnis erlangt und ihr Rechtsmittel erst
am 29.10.2009 bei der Kammer eingegangen ist, führt nicht zur Verfristung der
Beschwerde; denn zu einer Heilung von Zustellungsmängeln gemäß § 189 ZPO
analog ist es vorliegend nicht gekommen, weil bei der Übersendung der Akten an
die Beschwerdeführerin der hierfür erforderliche Zustellungswille des Amtsgerichts
nicht gegeben war (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, aaO. § 16 Rn. 63 m.w.N.).
(2) Das danach insgesamt zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
Dabei hatte die Kammer die Ausgangsentscheidung nur in dem angefochtenen
Umfang zu überprüfen. Die Beschwerde beschränkt sich vorliegend auf die
Festsetzung einer Vergütung, soweit diese für die Zeit vor Bekanntgabe des
Beschlusses über die Betreuerbestellung vom 21.04.2009 gewährt worden ist.
Dagegen wurden die sonstigen Grundlagen der Berechnung nicht angegriffen. Die
Beschränkung der Beschwerde auf einzelne Punkte ist zulässig, wenn der
angefochtene Beschluss mehrere Regelungsgegenstände zum Inhalt hat bzw. der
Regelungsgegenstand teilbar ist und der Rechtsmittelführer eindeutig erklärt, die
Ausgangsentscheidung nur teilweise angreifen zu wollen. (Keidel/Kuntze/ Winkler,
aaO. § 21 Rn. 24 ff.). Das ist vorliegend der Fall.
Ausgehend davon muss dem Rechtsmittel der Erfolg versagt werden.
Gemäß den hier anwendbaren §§ 4, 5 VBVG, §§ 1908 i, 1836 I BGB erhält der
Berufsbetreuer eine von der Dauer der Betreuung, seiner Qualifikation und der
Zuordnung der Betreuung zu einer der in § 5 VBVG genannten
Betreuungsgruppen abhängige Pauschalvergütung. Ist - wie vorliegend - eine
Vereinsbetreuerin bestellt, finden diese Bestimmungen nach § 7 I VBVG
entsprechende Anwendung, wobei der Anspruch auf Vergütung lediglich dem
Verein, nicht aber dem Vereinsbetreuer zusteht, § 7 III VBVG.
Die Vergütung ist für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 15.02.2009 bis
14.05.2009 zu berechnen; denn mit seinem Beschluss vom 21.04.2009 hat das
Amtsgericht ausdrücklich angeordnet, dass die Vereinsbetreuerin „mit Wirkung ab
15. Febr. 2009“ bestellt werde und damit den Beginn der Betreuung konkret
bestimmt.
Allerdings weist die Beschwerdeführerin in der Hinsicht zutreffend darauf hin, dass
die damit ausgesprochene rückwirkende Bestellung nicht in Betracht kommen
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die damit ausgesprochene rückwirkende Bestellung nicht in Betracht kommen
könne, da Beschlüsse, mit denen ein Betreuer bestellt werde, gemäß § 69a III FGG
- sofern nicht deren sofortige Wirksamkeit angeordnet werde - mit
Bekanntmachung an den Betreuer wirksam würden. Dem schließt sich die
Kammer an. Bei der Bestellung eines Betreuers handelt es sich um eine
rechtsgestaltende Entscheidung, die weder mit Wirkung für die Vergangenheit
aufgehoben (hierzu BayObLG, Beschluss vom 04.06.2003 - 3Z BR 81/03) noch mit
rückwirkender Kraft begründet werden kann (so OLG Hamm, Beschluss vom
16.03.2006 - 15 W 355/05). Damit war es dem Amtsgericht verwehrt, durch
Beschluss vom 21.04.2009 die Bestellung der Vereinsbetreuerin „mit Wirkung ab
15. Febr. 2009“ anzuordnen, wenngleich es sich nach dem Inhalt dieser
Entscheidung – anders als noch das an die Vereinsbetreuerin gerichtete
Anschreiben vom 17.11.2008 (Bl. 13 d.A.), ob eine „Verlängerung oder Aufhebung
der Betreuung“ in Betracht komme, vermuten lässt – sich durchaus bewusst
gewesen ist, dass nach dem Ende der vorläufigen Bestellung durch Fristablauf
nicht eine „Verlängerung“ der Betreuung sondern nur die konstitutive Bestellung
eines Betreuers anstehen kann.
Die nach der eindeutigen Gesetzeslage mithin unter keinem Gesichtspunkt
haltbare rückwirkende Bestellung der Vereinsbetreuerin steht der angefochtenen
Auszahlung jedoch nicht entgegen; denn die Entscheidung des Amtsgerichts vom
21.04.2009 ist mangels Anfechtung in Bestandskraft erwachsen. Deshalb ist sie
von der Kostenbeamtin zu Recht als Grundlage für die Berechnung der der
Vereinsbetreuerin zustehenden Vergütung herangezogen worden. Anderes könnte
nur dann gelten, wenn der Beschluss vom 21.04.2009, soweit er die rückwirkende
Bestellung der Vereinsbetreuerin anordnet, nichtig wäre. Dies vermag die Kammer
für die vorliegende Fallgestaltung indes nicht zu erkennen. Eine gerichtliche
Handlung ist u. a. dann nichtig, wenn es an jeder gesetzlichen Grundlage für die
Entscheidung fehlt oder wenn sie eine der Rechtsordnung unbekannte Rechtsfolge
ausspricht (Keidel/Kuntze/Winkler aaO. § 7 Rn. 40 ff., insbes. 42b mit Beispielen).
An einer solchen gesetzlichen Grundlage fehlt es nach dem Gesagten allerdings
nur insoweit, als das Amtsgericht die rückwirkende Bestellung der
Vereinsbetreuerin angeordnet hat. Diesem Mangel kommt nach Auffassung der
Kammer ein Gewicht, das die Nichtigkeit der amtsgerichtlichen Entscheidung zur
Folge haben könnte, nicht zu. Diese hat nämlich in erster Linie die – fraglos
gesetzeskonforme – zeitlich unbefristete Bestellung der Vereinsbetreuerin zum
Gegenstand, weshalb dem von der Rückwirkung betroffenen Zeitraum nur geringe
Bedeutung für die Gesamtentscheidung zukommt. Zudem verbietet nicht etwa
eine ausdrückliche Gesetzesnorm die rückwirkende Bestellung, dieser steht
„lediglich“ das Ergebnis der – allerdings nicht fern liegenden – systematischen
Betrachtung der maßgeblichen Rechtsnormen entgegen.
Ist die Entscheidung des Amtsgerichts vom 21.04.2009 mithin auch insoweit in
Bestandskraft erwachsen, als die rückwirkende Bestellung der Vereinsbetreuerin
angeordnet worden ist, ist die hier verfahrensgegenständliche
Auszahlungsanordnung vom 20.05.2009 insoweit nicht zu beanstanden; denn für
die wirksam bestimmte Dauer der Betreuung (vgl. § 5 VBVG) steht dem
Betreuungsverein eine Vergütung zu.
Nur ergänzend weist die Kammer – wie oben bereits dargestellt – darauf hin, dass
es sich bei der Vergütung des Berufsbetreuers – was entsprechend auch für den
Betreuungsverein gilt – nach jetzt geltendem Recht um eine Pauschalvergütung
handelt, bei der es auf den Umfang der von der Betreuerin konkret erbrachten
Tätigkeiten nicht - mehr - ankommt. Die gesetzliche Neuregelung ist auch aus
verfassungsrechtlicher Sicht – und zwar sowohl aus der Sicht der Betreuer als auch
aus der Sicht der Betreuten – nicht zu beanstanden (vgl. OLG Celle BtPrax 2008,
171; OLG München BtPrax 2006, 149; OLG Stuttgart FamRZ 2007, 1271). Dafür,
dass die Vereinsbetreuerin im hier in Rede stehenden Zeitraum überhaupt nicht
tätig geworden ist, spricht nichts, vielmehr hat sie, wie es etwa aus dem Vermerk
vom 10.03.2009 folgt, die ihr zugewiesene Sorge für die Gesundheit des
Betroffenen wahrgenommen.
Da andere Grundlagen der Auszahlungsanordnung vom 20.05.2009 von der
Beschwerdeführerin nicht angegriffen werden, muss es bei der angefochtenen
Maßnahme sein Bewenden haben.
Eine nach Maßgabe von § 13a I 2 FGG mögliche Anordnung über die Erstattung
von außergerichtlichen Kosten des Betreuungsvereins war vorliegend nicht
angezeigt, da nicht ersichtlich ist, dass solche Kosten in nennenswerter Höhe
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angezeigt, da nicht ersichtlich ist, dass solche Kosten in nennenswerter Höhe
angefallen wären.
Die Zulassung der weiteren Beschwerde kam nicht in Betracht; denn der
vorliegenden Fallgestaltung kommt eine grundsätzliche Bedeutung nicht zu. Eine
solche grundsätzliche Bedeutung kann nämlich nur dann bejaht werden, wenn eine
klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer
unbestimmten Anzahl von Fällen zu erwarten ist (Zöller/Heßler, ZPO, 28. Auflage §
543 Rn. 11). Dafür ist nach den Erfahrungen der Kammer nichts ersichtlich.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.