Urteil des LG Kassel vom 05.07.2005

LG Kassel: zur unzeit, vergleich, unterlassen, vollstreckung, initiative, hauptsache, verfügung, rechtsschutzinteresse, form, wohnung

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Gericht:
LG Kassel 1.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 T 109/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 922 ZPO, § 936 ZPO
(Gewaltschutzverfahren: Unzulässiges weiteres
Gewaltschutzverfahren nach Zuwiderhandeln gegen eine
Unterlassungsvereinbarung mit Vertragsstrafeversprechen)
Tenor
Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Kassel vom 27.06.2005 – 423 C 3410/05 – wird zurückgewiesen.
Gründe
Die Antragstellerin beabsichtigt, gegen den Antragsgegner Klage auf Anordnungen
nach dem Gewaltschutzgesetz zu erheben und hat hierzu mit Antragsschrift vom
24.06.2005 bei dem Amtsgericht Kassel auf Bewährung von Prozesskostenhilfe
angetragen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 27.06.2005 den Antrag
wegen fehlender Erfolgsaussicht zurückgewiesen. Ebenfalls mit Schriftsatz von
24.06.2005 hat die Antragstellerin in dem anderweitigen Verfahren … Amtsgericht
Kassel wegen derselben Vorfälle den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach
dem Gewaltschutzgesetz und auch hierfür auf Gewährung von Prozesskostenhilfe
angetragen. Das Amtsgericht Kassel hat ebenfalls mit Beschluss vom 27.06.2005
in diesem Verfahren den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
zurückgewiesen und die nachgesuchte Prozesskostenhilfe versagt, wogegen die
Antragstellerin sich mit sofortiger Beschwerde zum Verfahren … Landgericht
Kassel gewandt hat. In diesem Verfahren … Landgericht Kassel ist mit Beschluss
vom 05.07.2005 die sofortige Beschwerde zurückgewiesen worden und zur
Begründung ausgeführt worden:
„Die Parteien haben – ohne miteinander verheiratet zu sein – zusammen ein
Kind, den am „…“ geborenen Sohn „…“. Die Parteien leben getrennt.
Mit Schriftsatz vom 24.06.2005, bei dem Amtsgericht Kassel eingegangen am
selben Tage, hat die Antragstellerin um Bewilligung von Prozesskostenhilfe
angetragen mit „Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffend
Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz“ und dem Zusatz im Kopf des
Schriftsatzes „Gewaltschutz II EA“. Sie begehrt den Erlass einer Schutzanordnung
wie folgt:
„1. Der Antragsgegner hat es zu unterlassen, mit der Antragstellerin in
irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, auch unter Verwendung von
Fernkommunikationsmitteln. Im Einzelnen wird dem Antragsgegner untersagt, bei
der Antragsgegnerin anzurufen, sie anzusprechen oder ihr SMS zu schicken.
2. Ferner wird dem Antragsgegner untersagt, die Wohnung der Antragstellerin im
Hause „…“, zu betreten und sich dem Haus auf eine Entfernung von 50 m zu
nähern.
3. Sollte es zu einer zufälligen Begegnung kommen, so hat der Antragsgegner
sofort einen Abstand von 50 m herzustellen und einzuhalten.
4. Dem Antragsteller wird für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis
zu 250.000,00 €, ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, oder Ordnungshaft
bis zu zwei Jahren angedroht.“
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Zur Begründung hat sie sich auf neun Telefonanrufe in der Zeit am 29.04., 30.04.,
14.05. und 07.06.2005 sowie einen Vorfall am 11.06.2005 berufen, als nach dem
für diesen Tag vereinbarten begleiteten Umgangskontakt zwischen dem Sohn der
Parteien und dem Antragsgegner es zu einem Zusammentreffen an einer
Bushaltestelle gekommen ist. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung
wird auf die Antragsschrift vom 24.6.2005 nebst Anlagen Bezug genommen (Bl. 1
bis 13 d.A.).
Ebenfalls mit Schriftsatz vom 24.06.2005 hat die Antragstellerin bei dem
Amtsgericht Kassel zum Verfahren 423 C 3410/05 auf Bewilligung von
Prozesskostenhilfe angetragen und zur Begründung auf einen „Antrag nach dem
Gewaltschutzgesetz“, im Kopf des Schriftsatzes versehen mit dem Zusatz
„Gewaltschutz II Hauptsache“ verwiesen, der dem Wortlaut nach identisch ist mit
oben zu Ziffern 1 bis 4 wiedergegebenen Antrag im Verfahren … .Amtsgericht
Kassel. Dieses Verfahren ist nunmehr anhängig vor der Beschwerdekammer des
Landgerichts Kassel zum Aktenzeichen 1 T 109/05. Diesem Verfahren liegen
ebenfalls die angeführten Vorfälle (neun Telefonate und Vorfall vom 11.06.2005)
zugrunde.
Bereits zuvor ist es zwischen den Parteien zu verschiedenen
„Umgangsregelungen“ gekommen. So haben die Parteien zunächst vor dem
Amtsgericht Kassel – Familiengericht – im Verfahren … am 11.03.2005 zu Protokoll
des Amtsgerichts eine Zwischenvereinbarung getroffen, wonach für die Zeit
begleiteten Umganges des Antragsgegner mit dem Sohn der Parteien, der über
die Initiative begleiteter Umgang in den Räumlichkeiten der Kindertagesstätte „…“
stattfinden soll, vereinbart wurde:
„Die Kindsmutter, Frau „…“, verpflichtet sich, Herrn „…“ initiativ darüber zu
informieren, wenn sich etwas Besonderes für „…“ ereignet, insbesondere wenn er
krank wird.
Herr „…“ verpflichtet sich, in dieser Zeit andere Kontakte als die bei IBU zu der
Kindsmutter, insbesondere Telefonate oder Besuche an oder in ihrem Haus zu
meiden und insoweit nicht mehr zu injizieren. Wir sind uns einig, dass „…“ bei der
Mutter lebt.“
Darüber hinaus hat die Antragstellerin gegen den Antragsgegner bereits mit
Beschluss vom 15.03.2005 eine einstweilige Anordnung nach dem
Gewaltschutzgesetz bei dem Amtsgericht Kassel in dem Verfahren … erwirkt. Auf
den Antrag des hiesigen Antragsgegners war sodann über den Erlass der
einstweiligen Anordnung mündlich zu verhandeln. In der mündlichen Verhandlung
schlossen sodann die Parteien bereits folgenden weiteren Vergleich:
„Der Antragsgegner verpflichtet sich, es zu unterlassen, mit der Antragstellerin
in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen, auch unter Verwendung von
Fernkommunikationsmitteln. Im Einzelnen wird dem Antragsgegner untersagt, bei
der Antragstellerin anzurufen, sie anzusprechen und ihr SMS zu schicken. Ferner
verpflichtet sich der Antragsgegner es zu unterlassen, die Wohnung der
Antragstellerin im Hause „…“ zu betreten und sich dem Hause auf eine
Entfernung von 50 m zu nähern.
Sollte es zu einer zufälligen Begegnung kommen, so hat der Antragsgegner
sofort einen Abstand von 50 m herzustellen und einzuhalten.
Ausgenommen von dem Verbot sind zwingend notwendige Kontaktaufnahmen
im Rahmen eines geregelten Umgangsverfahrens.
Für den Fall der Zuwiderhandlung verpflichtet sich der Antragsgegner 500,00 €
zugunsten der IBU (Initiative begleiteter Umgang e.V. Kassel) zu zahlen unter
Ausschluss des Fortsetzungszusammenhangs. Die Parteien vereinbaren, dass
eine telefonische Kontaktaufnahme durch die Frau „…“ einmal wöchentlich erfolgt.
In diesem Rahmen darf der Herr mit seinem Sohn sprechen. Ebenso ist es im
Rahmen dieses Gesprächs möglich, über sonstige Punkte zu sprechen, die
besprochen werden müssen. Die Anrufe haben nicht zur Unzeit zu erfolgen.
Die Behauptungen im einstweiligen Verfügungsverfahren und im
Hauptsacheverfahren werden vor dem Hintergrund der gütlichen Einigung nicht
weiter aufrecht erhalten.“
Im Zusammenhang mit dem zuletzt angeführten Vergleich hat die
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Im Zusammenhang mit dem zuletzt angeführten Vergleich hat die
Antragsgegnerin zwischenzeitlich bei dem Amtsgericht Kassel auf
Prozesskostenhilfe angetragen, da sie beabsichtigt, Klage gegen den Antragsteller
wegen der auch in vorliegenden Verfahren angeführten Vorfälle (neun Telefonate
und Vorfall vom 11.06.2005) zu erheben, mit dem sie die Verurteilung des
Antragsgegners zu Zahlung in Höhe von 7.500,00 € an das Institut IBU Kassel
begehrt.
Mit Beschluss vom 27.06.2005 hat das Amtsgericht Kassel – … – den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 24.06.2005 samt des dort gestellten
Prozesskostenhilfeantrages auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass die Antragstellerin mit dem Vergleich vom
22.04.2005 im Verfahren … bereits über einen Titel verfüge, mit dem sie gegen die
hier gerügten Belästigungen durch den Antragsgegner vorgehen können. Die
gleichzeitig eingegangen Zahlungspflicht sei dabei ausreichendes Druckmittel, so
dass derzeit für den Antrag kein Rechtschutzbedürfnis bestehe.
Ebenfalls mit Beschluss vom 27.06.2005 hat das Amtsgericht Kassel im Verfahren
423 C 3410/05 den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das
Hauptsacheverfahren zurückgewiesen. Die beabsichtigte Klage biete keine
Aussicht auf Erfolg. Zur Begründung hat es auch insoweit auf den Vergleich im
Verfahren … verwiesen. Ein weiterer Titel daneben sei nicht erforderlich, jedenfalls
so lange nicht feststehe, dass eine Vollstreckung aus dem genannten Vergleich
nicht zum gewünschten Erfolg führe.
Jeweils mit Schriftsatz vom 29.06.2005, bei dem Amtsgericht jeweils eingegangen
am 30.06.2005, hat die Antragsstellerin sowohl gegen den Beschluss des
Amtsgerichts Kassel im vorliegenden Verfahren (… Amtsgericht Kassel = …
Landgericht Kassel) wie auch den Beschluss des Amtsgerichts Kassel im Verfahren
423 C 3410/05 = 1 T 109/05 Landgericht Kassel sofortige Beschwerde eingelegt,
nachdem ihr die beiden Beschlüsse vom 27.06.2005 jeweils am 29.06.2005
zugestellt worden waren.
Zur Begründung hat die Antragsgegnerin jeweils gleich lautend unter Hinweis auf
die Entscheidung OLG Frankfurt/Main, WRP 1997, 51 darauf verwiesen, dass
vorliegend das Rechtschutzbedürfnis zu bejahen sei. Das bei Abschluss des
Vergleichs vom 22.04.2005 in den Antragsgegner von der Antragstellerin
investierte Vertrauen sei nicht gerechtfertigt gewesen, wie die neuen Vorfälle
zeigen würden. Zudem habe der gegnerische Prozessbevollmächtigte die Zahlung
von Vertragsstrafen verweigert. Die bisherige Titulierung im Rahmen eines
Parteivergleichs mit Vertragsstrafe sei offenbar nicht ausreichend und geeignet,
den Beklagten bzw. Antragsgegner dazu zu bringen, sich an die Vorschriften zu
halten.
Das Amtsgericht hat jeweils mit Verfügung vom 30.06.2005 den Beschwerden
nicht abgeholfen, da der Vergleich bereits der Antragsgegnerin das gewähre, was
sie nunmehr begehre. Eine abgewandelte Verletzungshandlung des
Antragsgegners sei nicht ersichtlich. Entsprechende Mitteilung hat das
Amtsgericht der Antragstellerin übersandt.
Die sofortige Beschwerde ist, soweit sie sich zum einen gegen die Zurückweisung
des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung richtet gemäß §§ 567 Abs.
1 Nr. 2, 922 Abs. 1, 936 ZPO, soweit sie sich gegen die Versagung von
Prozesskostenhilfe wendet gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 1, 127 Abs. 2, 3 ZPO statthaft
und auch im Übrigen zulässig, insbesondere jeweils fristgerecht eingelegt worden.
In der Sache bleibt sie jedoch ohne Erfolg.
Mit zutreffender Begründung hat das Amtsgericht den Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses
Verfahren zurückgewiesen. Für den Erlass der begehrten Anordnung fehlt der
Antragstellerin das erforderliche Rechtsschutzinteresse, somit zugleich die
erforderliche Aussicht auf Erfolg für die Bewilligung der begehrten Prozesshilfe. Wie
das Amtsgericht bereits zutreffend ausgeführt und aus dem oben nochmals
wiedergegebenen Vergleichstext vom 22.04.2005 im Vergleich mit dem Inhalt der
nunmehr begehrten Unterlassungsanordnung dies eindeutig ergibt, ist dieser nicht
nur vom Schutzumfang her, sondern auch vom Text der begehrten
(Unterlassungs)Anordnungen her gleichlautend. Die Antragstellerin ist somit
bereits ausreichend geschützt, allein der Umstand, dass der Antragsgegner sich
dementsprechend zu den jeweiligen Vorfällen nach dem Vorbringen der
Antragstellerin nicht verhalten hat, begründet kein weitergehendes
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Antragstellerin nicht verhalten hat, begründet kein weitergehendes
Rechtschutzinteresse. Der Verweis auf die Entscheidung des Oberlandesgericht
Frankfurt, Beschluss vom 12.11.1996 – 6 W 145/96 -, veröffentlicht in WRP 1997,51
f geht fehl, weil, worauf das Amtsgericht bereits hingewiesen hat, mit den nunmehr
geltend gemachten Vorfällen keine abgewandelten Verletzungshandlungen
dargetan werden, aus denen erkennbar werden könnte, dass der Antragsgegner
versucht, die einstweilige Anordnung durch „ausnutzen von Lücken“ zu umgehen,
sondern vielmehr allein ein Verstoß des Antragsgegner gegen den insoweit auch
nicht auslegungsbedürftigen, weil insoweit nicht unklaren Inhalt der
Unterlassungspflichten gemäß dem Vergleich vom 22.04.2005. Insoweit liegt
schon kein vergleichbarer Sachverhalt vor. Dass der Antragsgegner nach dem
Vorbringen der Antragstellerin sich über diese dort eindeutig normierten Verbote
hinweggesetzt hat, begründet kein weitergehendes Rechtsschutzinteresse,
sondern stellt sich als ein Problem der Vollstreckung der eingegangenen
Unterlassungsverpflichtung dar. Dem Antragsgegner wird durch die nunmehr
weitere Klage der Antragstellerin, mit der sie die „Vollstreckung“ der vertraglich für
jeden Fall der Zuwiderhandlung des Antragsgegners vereinbarten Zahlungen
betreibt, auch verdeutlicht, dass die Antragstellerin weitere Verstöße nicht duldet
und in ausreichendem Maße die Folgen etwaiger weiterer Verstöße – soweit sie
denn nachweislich vorliegen - kundgetan. Soweit der Prozessbevollmächtigte des
Antragsgegners Zahlung nach dem Vorbringen der Antragstellerin bereits
zurückgewiesen hat, folgt daraus nichts anderes, zumal schon der Grund für die
Zurückweisung weder dargetan noch glaubhaft gemacht ist.
Die sofortige Beschwerde war danach, soweit die Zurückweisung des Antrages auf
Erlass einer einstweiligen Anordnung betroffen war, mit der Kostenfolge aus § 7
Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Der Wert war insoweit auch für das
Beschwerdeverfahren auf 1.000,00 € festzusetzen.
Im Übrigen bedurfte es einer Kostenentscheidung nicht. Durch die Zurückweisung
der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist eine
Festgebühr von 50,00 € nach Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses zum GKG in der
seit dem 01.07.2004 geltenden Fassung entstanden. Außergerichtliche Kosten
werden auch im Beschwerdeverfahren insoweit nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).“
Aus den zuvor angeführten Gründen, auf die vollumfänglich Bezug genommen
wird, war danach auch die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den
Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 27.06.2005 – 423 C 3410/05 -
zurückzuweisen, weil der beabsichtigten Klage zur Hauptsache mangels des
erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis die Erfolgsaussicht fehlt.
Einer Kostenentscheidung bedurfte es nicht. Durch die Zurückweisung der
sofortigen Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe ist eine
Festgebühr von 50,00 € nach Nr. 1811 des Kostenverzeichnisses zum GKG in der
seit dem 01.07.2004 geltenden Fassung entstanden. Außergerichtliche Kosten
werden auch im Beschwerdeverfahren nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.