Urteil des LG Kassel vom 25.02.2010

LG Kassel: vollstreckung der strafe, aussetzung, therapie, wichtiger grund, unterbrechung, strafbefehl, bewährung, strafvollstreckung, strafvollzug, form

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 VAs 6/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 43 Abs 4 StVollstrO, § 454b
StPO, § 458 Abs 2 StPO, § 23
GVGEG, § 28 Abs 2 GVGEG
Änderung der Vollstreckungsreihenfolge bei der
Vollstreckung von zurückstellungsfähigen und
nichtzurückstellungsfähigen Strafen
Tenor
1. Die Bescheide der Vollstreckungsbehörden werden aufgehoben. Die
Vollstreckungsbehörde wird verpflichtet, den Antragsteller unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.
2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des
Antragstellers hat die Staatskasse zu tragen.
3. Der Gegenstandswert wird auf 5000 € festgesetzt.
4. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Nach der Vollstreckungsübersicht der JVA 1 hat der Verurteilte zunächst bis zum
Zweidrittelzeitpunkt (23.1.2010) eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs
Monaten wegen Verstoßes gegen das BtMG aus dem Urteil des Amtsgerichts
Kassel vom 27.3.2007 (8831Js 42920/06) verbüßt.
Seither wird gegen ihn eine 4-monatige Freiheitsstrafe wegen Diebstahls aus dem
Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 2.10.2006 (9641 Js 3819/06) vollstreckt.
Der Zweidrittelzeitpunkt datiert auf den 12.4.2010.
Im Anschluss daran ist inzwischen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und
sechs Monaten wegen Verstoßes gegen das BtMG aus dem Urteil des
Amtsgerichts Krefeld vom 8.1.2010 (31 Js 204/09) notiert. Zwei Drittel dieser
Strafe werden am 12.12.2011 verbüßt sein.
Mit Schreiben vom 4.5.2009 beantragte der Verurteilte, die
Vollstreckungsreihenfolge dahingehend zu ändern, dass zunächst die nicht
zurückstellungsfähige Strafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom
2.10.2006 (9641 Js 3819/06) vollstreckt wird, da er zum nächstmöglichen
Zeitpunkt einen (erneuten) Antrag nach § 35 BtMG in Sachen 8831Js 42920/06
stellen wolle.
Dieses Begehren lehnte die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Kassel mit
Bescheid vom 15.6.2009 ab.
Zur Begründung führte sie aus, bei Vollstreckung mehrerer Freiheitsstrafen
unterbreche die Vollstreckungsbehörde die Strafe gem. § 454 b StPO zum 2/3
Termin für die Anschlussstrafe, um eine gemeinsame Entscheidung gem. § 57
StGB herbeizuführen. Die Unterbrechung sei zwingend. § 43 StVollstrO regele die
Vollstreckungsreihenfolge, wenn mehrere Freiheitsstrafen hintereinander zu
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Vollstreckungsreihenfolge, wenn mehrere Freiheitsstrafen hintereinander zu
vollstrecken seien. § 43 IV StVollstrO ermögliche eine Abweichung aus wichtigem
Grund, der auch in der Ermöglichung einer Zurückstellung gem. § 35 BtMG
gesehen werden könne. Nicht aber vorgesehen in § 43 StVollstrO sei die
Vollverbüßung einer Strafe unter Verzicht auf § 454 b StPO.
Die dagegen gerichtete Beschwerde des Verurteilten sah die
Strafvollstreckungskammer Fulda als Einwendung nach § 458 II StPO an und
verwarf sie mit Beschluss vom 28.8.2009.
Auf die dagegen eingelegte sofortige Beschwerde hob der Senat mit Beschluss
vom 15.10.2009 die Entscheidung auf, weil gegen die Ablehnung der
Vollstreckungsbehörde, die Reihenfolge der (weiteren) Vollstreckung mehrerer
Freiheitsstrafe entsprechend einem Antrag des Verurteilten zu ändern, der
Rechtsweg nach §§ 23 EGGVG eröffnet sei, so dass zunächst die
Generalstaatsanwaltschaft über die Vorschaltbeschwerde zu entscheiden habe.
II.
Mit dem angefochtenen Bescheid hat die Generalstaatsanwaltschaft die
Beschwerde verworfen.
Hiergegen wendet sich der Verurteilte mit seinem form- und fristgerecht
eingelegten Antrag auf gerichtliche Entscheidung gem. §§ 23 EGGVG.
Allerdings ist er – nach dem derzeitigen Vollstreckungsstand – sinngemäß
dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller begehrt, die Strafe aus dem
Strafbefehl des Amtsgerichts Kassel vom 2.10.2006 (9641 Js 3819/06) nach
Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge aus wichtigem Grund bis zum Zwei-Drittel-
Zeitpunkt als vollstreckt anzusehen und sodann die Strafen aus den Urteilen des
Amtsgerichts Kassel vom 27.3.2007 und des Amtsgerichts Krefeld vom 8.1.2010
anzuschließen bis in diesen Sachen jeweils die 2 Jahresgrenze des § 35 BtMG
erreicht ist.
Der Antrag hat den aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg.
Bei der von der Vollstreckungsbehörde getroffenen Entscheidung, nicht von § 43 IV
StVollStrO Gebrauch zu machen, handelt es sich um eine
Ermessensentscheidung, die vom Senat gem. § 28 III EGGVG nur darauf überprüft
werden kann, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden
sind, oder ob die Vollstreckungsbehörde ihr Ermessen gar nicht oder in einem dem
Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise betätigt hat.
Die Vollstreckungsbehörde hat vorliegend ihr Ermessen überhaupt nicht ausgeübt.
Sie hat sich vielmehr an ihrer Ausübung aus rechtlichen Gründen gehindert
gesehen.
Eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge aus wichtigem Grunde kommt nach
Meinung der Generalstaatsanwaltschaft nicht in Betracht:
Die Frage, wie die Vollstreckung im Falle des Zusammentreffens von nach § 35
BtMG zurückstellungsfähiger und nicht zurückstellungsfähiger Strafen zu gestalten
sei, werde -soweit ersichtlich - uneinheitlich gelöst. So werde zum einen in der
Praxis -entsprechend dem ursprünglichen Antrag- die Vollstreckungsreihenfolge
dergestalt nach § 43 IV StVollstrO geändert, dass die nicht zurückstellungsfähige
Strafe vollständig vollstreckt werde oder - wie in der ergänzenden
Beschwerdebegründung vorgetragen - die nichtzurückstellungsfähige Strafe bis
zum Zwei Drittel Zeitpunkt vollstreckt, deren Strafrest alsdann zur Bewährung
ausgesetzt und die zurückstellungsfähige Strafe zurückgestellt werde.
Alledem stehe aber § 454 b III StPO entgegen, wonach über die Aussetzung der
Reste aller Strafen gleichzeitig zu entscheiden sei. Einzelentscheidungen, etwa in
Form einer isolierten Reststrafenaussetzung durch das Gericht einerseits und einer
Zurückstellungsentscheidung durch die Vollzugsbehörde andererseits seien
danach verwehrt. Der Grundsatz der Entscheidungskonzentration sei letztendlich
als vorrangig anzusehen.
Die von der Generalstaatsanwaltschaft genannten Gründe tragen die
Entscheidung nicht.
Zwar kommt weder in Betracht, dass eine nicht zurückstellungsfähige Strafe
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Zwar kommt weder in Betracht, dass eine nicht zurückstellungsfähige Strafe
vollständig vorab verbüßt wird (vgl. OLG Karlsruhe, Justiz 1985, 171 = MDR 1985,
697; vgl. auch StV 2003, 287) noch dass eine nicht zurückstellungsfähige Strafe –
wie der Verteidiger meint - nach Verbüßung von zwei Dritteln nach § 57 StGB
isoliert zur Bewährung ausgesetzt wird (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom
20.12.1990, zit. nach Körner, a. a. O. Rn 269 zu § 35), um sodann jeweils nach § 35
BtMG zu verfahren. Beide Auffassungen tragen zwar § 35 VI Nr. 2 BtMG Rechnung,
ihnen stehen jedoch zum einen § 454 b II StPO entgegen, der zwingend die
Unterbrechung der nicht zurückstellungsfähigen Strafe gebietet, und zum anderen
§ 454 b III StPO, der die Aussetzung nur einer von mehreren im Wege der
Anschlussvollstreckung verbüßten Strafen nach einhelliger Auffassung verbietet.
Auch greift das Argument der Verteidigung nicht, gem. § 43 II Nr. 1 StVollstrO sei
die Reihenfolge schon deshalb umzustellen, weil die aus dem Strafbefehl des
Amtsgerichts Kassel zu vollstreckende Strafe die kürzere sei. Denn § 43 III
StVollstrO bestimmt u. a., dass dies dann nicht in Betracht kommt, wenn – wie hier
– die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe bereits begonnen hat.
Sind nach der begehrten Umstellung jedoch zwei Drittel einer nicht
zurückstellungsfähigen Strafe verbüßt, so kann die Vollstreckung
zurückstellungsfähiger Strafen bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen des §
35 BtMG zurückgestellt werden, obwohl diese Strafen noch nicht zu Zweidrittel
verbüßt sind.
Die gegenteilige Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft fußt auf dem vom
Oberlandesgericht München (NStZ 2000, 223; ihm folgend OLG Schleswig; SchlHA
2002, 173) entwickelten Vorrang des § 454 b III StPO. Dieser verbiete eine
Einzelaussetzung einer nicht zurückstellungsfähigen Strafe, § 35 VI Nr. 2 BtMG
hingegen verbiete eine Zurückstellung einer zurückstellungsfähigen Strafe solange
nicht die Aussetzung der nichtzurückstellungsfähigen erfolgt sei. Zurückstellung
und Aussetzung seien deshalb frühestens zum gemeinsamen Zweidrittelzeitpunkt
möglich.
Dieser Auffassung ist der Senat bereits im o.g. Beschluss vom 15.10.2009 (3 Ws
844/09) entgegengetreten und hat (obiter dictum) ausgeführt, dass eine
Zurückstellung der zurückstellungsfähigen Strafen bereits zu dem Zeitpunkt
möglich sei, zu dem die nichtzurückstellungsfähige Strafe zu Zweidrittel verbüßt
und ihre weitere Vollstreckung unterbrochen sei:
„Aus dem Normzweck des § 35 VI BtMG folgt nicht, dass vor einer Zurückstellung
eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung vorgenommen werden
müsste - was tatsächlich - wegen § 454 b StPO - zur Folge hätte, dass alle Strafen,
also auch die zurückstellungsfähige Strafe bis zum Zweidrittelzeitpunkt vollstreckt
sein müssten, da zuvor eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur
Bewährung über alle Strafen nicht vorgenommen werden kann. Es reicht aus, dass
die Vollstreckung des Strafrestes aussetzungsfähig ist (vgl. Körner, Komm. zum
BtMG, 6. Aufl. § 35, Rn 269). Denn die Norm des § 35 VI BtMG soll lediglich
verhindern, dass der Verurteilte nach erfolgreicher Therapie wieder in den
Strafvollzug gelangt (OLG Stuttgart, NStZ-RR 2009, 28). Dieser Fall kann nicht
eintreten, weil im Falle erfolgreicher Therapie die zurückstellungsfähige Strafe nach
§ 36 BtMG und die nicht zurückstellungsfähige Strafe nach § 57 StGB ausgesetzt
wird.“ Damit folgte der Senat im Ergebnis der Auffassung des OLG Stuttgart (a. a.
O) unter Inkaufnahme einer Aufsplittung der gerichtlichen Zuständigkeiten für die
Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafen (vgl. OLG Stuttgart, a. a. O., S.
30).
An dieser Auffassung hält der Senat fest.
Die Generalstaatsanwaltschaft verkennt, dass nach diesseitiger Auffassung
(ebenso OLG Stuttgart, a. a. O., S. 29 f.) lediglich eine der nicht
zurückstellungsfähigen Entscheidung zum Zweidrittelzeitpunkt, nicht aber deren
(mit § 454 b III StPO nicht zu vereinbarende) erforderlich ist, um das
Zurückstellungshindernis des § 35 VI BtMG zu beseitigen. Die Entscheidung über
die Aussetzung auch über die nicht zurückstellungsfähige Strafe erfolgt erst nach
Abschluss der Therapie. Sie wird dann auch in aller Regel einheitlich erfolgen. Erfolg
oder Misserfolg der Therapie werden im Regelfall die Entscheidung über die
Aussetzung der nicht zurückstellungsfähigen Reststrafe maßgeblich beeinflussen,
so dass -trotz unterschiedlicher gerichtlicher Entscheidung (§ 462 a I, II StPO
einerseits, § 36 V BtMG andererseits) - ein nur geringes und hinnehmbares Risiko
gegenläufiger Entscheidungen besteht. Im Falle des Widerrufs einer Zurückstellung
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gegenläufiger Entscheidungen besteht. Im Falle des Widerrufs einer Zurückstellung
wird ohnehin einheitlich und zum gemeinsamen Zweidrittelzeitpunkt entschieden.
Eine bloße der nicht zurückstellungsfähigen Strafe gem. § 454 b II
StPO ist auch ohne Entscheidung über eine Aussetzung dieser Strafe und trotz
Zurückstellung der zurückstellungsfähigen Strafen rechtlich möglich. Denn der
Verurteilte wird aus der Vollstreckung letztgenannter Strafen nicht vollständig
entlassen. Zwar befindet sich der Verurteilte nicht mehr in der JVA und nicht mehr
im Strafvollzug im engeren Sinne. Die Anrechnung der Therapiezeit auf die Strafen
(§ 36 I 1 BtMG) und die Möglichkeit eines jederzeitigen Widerrufs der
Zurückstellung (§ 36 VI BtMG) mit anschließender erneuter
Vollstreckung der zurückgestellten Reststrafen zeigen indes, dass nach wie vor
eine vollzugsähnliche Situation gegeben ist (vgl. Schöfberger, NStZ 2005, 441,
442), die Strafvollstreckung im Sinne also andauert (vgl. KG, NStZ 2006,
580).
§ 35 VI Nr. 2 BtMG steht einer Zurückstellung deswegen nicht entgegen, weil die
nicht zurückstellungsfähige Strafe keine „zu vollstreckende Strafe“ im Sinne der
Vorschrift darstellt. Ihre Vollstreckung endet aktuell mit ihrer Unterbrechung und
ihre Weitervollstreckung (oder aber Aussetzung) hängt von der dann umfänglich zu
stellenden Prognose ab, in die u. a. der Therapieerfolg einzustellen ist. Die
gegenteilige Auffassung des Kammergerichts (Beschluss vom 3.4.2009 - 4 VAs
3/09, zitiert nach Juris) stellt demgegenüber entscheidend darauf ab, dass die
Vollstreckung der nicht zurückstellungsfähigen Strafe auch nach ihrer
Unterbrechung (i. e. im Anschluss an die zurückstellungsfähigen) notiert, deren
Vollstreckung also „gewiss“ sei, und erst entfalle, wenn die Strafe ausgesetzt
worden sei. Sie blendet damit die bestehende aktuelle Zurückstellungs- und
spätere Aussetzungsmöglichkeit sämtlicher Reststrafen argumentativ aus und
verkennt den dargestellten Zweck des § 35 VI Nr. 2 BtMG. Letzterer besteht nicht
darin, eine Zurückstellung der Strafvollstreckung in jedem Fall der Möglichkeit
einer weiteren Strafvollstreckung (hier also im Falle eines Misserfolges der
Therapie und Nichtaussetzung der Reststrafen) auszuschließen, sondern nur - und
dem trägt die Auffassung des Senats aber, wie dargestellt, Rechnung - zu
verhindern, dass der Erfolg einer durch Zurückstellung ermöglichten Therapie
durch die erneute Rückkehr des Verurteilten in den Strafvollzug zur Verbüßung
einer nicht zurückstellungsfähigen Strafe wieder beseitigt oder zumindest
gefährdet wird.
Die Senatsauffassung führt auch – entgegen der von der
Generalstaatsanwaltschaft in der Parallelsache 3 VAs 7/10 geäußerten
Befürchtung - zu keiner Bevorzugung eines betäubungsmittelabhängigen
Mehrfach-Verurteilten. Eine solche ist § 35 BtMG bereits immanent, der im
Gegensatz zu § 57 StGB keine günstige Sozialprognose und keine Vollstreckung
der (Rest)- Freiheitsstrafen zu Zweidrittel bzw. zur Hälfte voraussetzt. Würde man
hingegen der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft und des OLG München
folgen, so dürfte in einer Vielzahl der Fälle die Endvollstreckung der
nichtzurückstellungsfähigen Strafe ihre unausweichliche, dem Zweck des § 35
BtMG, in geeigneten Fällen die Therapie vor die Strafe zu setzen (Weber, BtMG, 3.
Aufl. vor §§ 35-38, Rn 2), widerstreitende Konsequenz sein: Deren Aussetzung zum
gemeinsamen Zweidrittelzeitpunkt steht gerade mehrfach Suchtrückfälligen häufig
der ungewisse Erfolg der beabsichtigten Therapie und damit eine nicht
ausreichend günstige Kriminalprognose entgegen (vgl. Senat, Beschluss vom
10.3.2009 - 3 Ws 151-154/09 -st. Rspr.).
Das Argument, zum Zeitpunkt des Umstellungsbegehrens sei oftmals ein
Zurückstellungsgesuch lediglich angekündigt, so dass die Voraussetzungen einer
Zurückstellung nach § 35 BtMG nur in seltenen Ausnahmefällen geprüft werden
könnten, schließt die Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne von § 43 IV
StVollstrO nicht aus. Denn ein wichtiger Grund im Sinne des § 43 IV StVollstrO liegt
bereits vor, wenn durch die Umstellung eine zukünftige Zurückstellung überhaupt
erst ermöglicht, d.h., das Hindernis des § 35 VI BtMG beseitigt werden soll (so
auch Wolf, in Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 8. Auflage, Rn 26 zu § 43). Es ist
lediglich zu prüfen, ob bereits zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. zu dem
Zeitpunkt, zu dem nach der begehrten Änderung der Vollstreckungsreihenfolge,
eine Antragstellung möglich ist, Gründe für eine Zurückstellung nach § 35 BtMG
erkennbar sind (vgl. hierzu auch Senat, NStZ-RR 2000, 282 ff.).
Schon deshalb greift die –ebenfalls in Sachen 3 VAs 7/10 geäußerte - Befürchtung
nicht, bei einem Verurteilten könne durch eine Entscheidung betreffend die
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nicht, bei einem Verurteilten könne durch eine Entscheidung betreffend die
Umkehr der Vollstreckungsreihenfolge der Eindruck erweckt werden, sein
Zurückstellungsantrag werde später ebenfalls positiv beschieden werden. Im
Übrigen ist in den Fällen, in denen eine solche Gefahr besteht, der Verurteilte
darüber aufzuklären, dass die Änderung der Vollstreckungsreihenfolge lediglich
eine von mehreren Voraussetzungen für die spätere Zurückstellung ist.
Dass im Falle des Verurteilten eine Zurückstellung nach § 35 BtMG erst nach
Verbüßung von sechs Monaten der insgesamt zwei Jahre und sechs Monate
betragenden Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Krefeld vom
8.1.2010 in Betracht kommt, steht der begehrten Umstellung demnach nicht
entgegen.
Die Bescheide waren daher aufzuheben und die Behörde zur Neubescheidung zu
verpflichten (§ 28 II 2 EGGVG). Im Rahmen der Neubescheidung wird die
Vollstreckungsbehörde auch darüber zu befinden haben, ob mit Blick auf die
unterlassene Prüfung des § 43 IV StVollstrO (vgl. Pohlmann/Jabel/Wolf, a. a. O. Rn
33 zu § 43) eine Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge dergestalt erfolgen
muss, dass ab Zeitpunkt der Antragstellung in vorliegender Sache (= 4.5.2009)
die Vollstreckung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Kassel vom
27.3.2007 zugunsten der Vollstreckung der Strafe aus dem Strafbefehl des
Amtsgerichts Kassel vom 2.10.2006 bis zum Zwei-Drittelzeitpunkt vorzunehmen
und sodann daran die Vollstreckung der Strafen aus den Urteilen des
Amtsgerichts Kassel vom 27.3.2007 und des Amtsgerichts Krefeld vom 8.1.2010
anzuschließen ist, bis in diesen Sachen jeweils die 2 Jahresgrenze des § 35 BtMG
erreicht ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 30 II EGGVG. Die Festsetzung des
Gegenstandswertes folgt aus §§ 30 III EGGVG, 30 KostO.
Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
zugelassen (§ 29 II Nr. 2 EGGVG).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.