Urteil des LG Kassel vom 20.12.2010

LG Kassel: grobes verschulden, verfügung, zwangsgeld, gerichtsgebühr, ermessen, rechnungslegung, vergütung, akte, alter, gerichtsbarkeit

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Gericht:
LG Kassel 3.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 T 712/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 35 FamFG, § 48 FamFG, § 81
FamFG
Leitsatz
Soll nach Vornahme der zu erzwingenden Handlung von einem bereits erlassenen
Zwangsgeldbeschluss nach § 35 FamFG Abstand genommen werden, kann dies (1) -
nach Erhebung einer Beschwerde - im Abhilfeverfahren, (2) durch
Abänderungsbeschluss nach § 48 FamFG oder durch Unterlassen der Vollstreckung
erfolgen. Wird eine Abänderungsentscheidung nach § 48 FamFG getroffen, steht es im
Ermessen des Gerichts, ob es - auch - die im Festsetzungsbeschluss getroffene
Kostengrundentscheidung aufhebt. Bei der Ausübung des Ermessens kann das Gericht
auf die in § 81 FamFG niedergelegten Kriterien zurückgreifen.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 5. August
2010 wird zurückgewiesen.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird festgesetzt auf 107,00 €.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
I.
Die Betroffene leidet unter einer fortgeschrittenen Demenz vom Alzheimer-Typ
sowie Multimorbilität im Alter und ist deswegen nicht mehr in der Lage, ihre
Angelegenheiten alleine zu erledigen. Seit dem 29. November 2007 ist für die
Betroffene deshalb eine Betreuung eingerichtet, die dem Beschwerdeführer
zunächst zum Teil (vgl. Beschluss Bl. 64 f. I d. A.) und seit dem 11. Dezember
2008 insgesamt (vgl. Beschluss Bl. 110 f. I d. A.) übertragen wurde.
Mit Verfügung vom 21. Januar 2010 (Bl. 60 R II d. A.) wurde der Beschwerdeführer
um Einreichung eines Berichts für den Zeitraum 13. Dezember 2008 bis 12.
Dezember 2009 gebeten. Weil der Beschwerdeführer zunächst weder den Bericht
einreichte noch sich sonst zur Akte meldete, wurde er mit Verfügung vom 1. März
2010 (Bl. 60 R II d. A.) nochmals hieran erinnert. Am 16. Juni 2010 sprach der
Beschwerdeführer bei dem Amtsgericht vor und sagte die Einreichung des Berichts
bzw. der Rechnungslegung bis zum 1. Juli 2010 zu. Nachdem auch dies binnen der
angegeben Frist nicht geschehen war, drohte das Amtsgericht dem
Beschwerdeführer durch Verfügung vom 1. Juli 2010 (Bl. 66 II d. A.) ein Zwangsgeld
in Höhe von 1.188,00 € (entsprechend der Höhe der mit Beschluss vom 22. Juni
2010 festgesetzten Vergütung des Beschwerdeführers) für den Fall an, dass der
Beschwerdeführer den angeforderten Bericht nicht binnen einer Frist von einer
Woche einreichen sollte.
Auch diese Frist lies der Beschwerdeführer verstreichen, weshalb das Amtsgericht
durch Beschluss vom 14. Juli 2010 (Bl. 68 II d. A.) gegen den Beschwerdeführer ein
Zwangsgeld in Höhe von 1.188,00 € festsetzte und dem Beschwerdeführer die
Kosten des Verfahrens auferlegte.
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Mit Schreiben vom 21. Juli 2010 (Bl. 72 ff. II d. A.) legte der Beschwerdeführer den
geforderten Bericht sowie die Rechnungslegung vor und bat um Aufhebung des
Beschlusses vom 14. Juli 2010, „da der geforderten Handlung nachgekommen
wurde.“
Mit Beschluss vom 5. August 2010 (Bl. 106 II d. A.) hat das Amtsgericht den
Beschluss vom 14. Juli 2010 aufgehoben, „da die zu erzwingende Handlung
nunmehr vorgenommen wurde.“ Zugleich hat es dem Beschwerdeführer die
Kosten des Verfahrens auferlegt und zudem die Beschwerde gemäß § 61 II FamFG
zugelassen.
Gegen den dem Beschwerdeführer am 25. August 2010 zugestellten Beschluss
richtet sich dessen am 27. September 2010 eingegangene Beschwerde, mit der
die Aufhebung der Kostengrundentscheidung begehrt wird.
Das Amtsgericht hat der Beschwerde gegen die Kostengrundentscheidung – unter
Ankündigung der Korrektur des Kostenansatzes – nicht abgeholfen und das
Verfahren der Kammer zur Entscheidung vorgelegt.
II.
Die Beschwerde ist gemäß § 58 I FamFG statthaft. Das Beschwerdeverfahren
richtet sich nach dem Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und den
Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG); denn abzustellen ist
nicht etwa auf das Betreuungsverfahren sondern auf das Zwangsgeldverfahren,
welches nach dem 31.08.2009 eingeleitet worden ist.
Soll nach Vornahme der zu erzwingenden Handlung von einem bereits erlassenen
Zwangsgeldbeschluss im Sinne von § 35 FamFG Abstand genommen werden, so
stehen dem Amtsgericht hierfür verschiedene Wege zur Verfügung.
Zunächst (1) kann es auf eine Beschwerde hin im Rahmen des Abhilfeverfahrens
nach §§ 35 V FamFG, 572 I 1 ZPO die Ausgangsentscheidung durch das
erstinstanzliche Gericht aufheben. Zur Abhilfe ist das Amtsgericht auch dann
befugt, wenn die eingelegte Beschwerde beispielsweise aufgrund von Verfristung
unzulässig sein sollte (vgl. Zöller, ZPO, 28. Aufl., § 572 Rn. 14). Daneben bestehen
die Möglichkeiten (2), den Ausgangsbeschluss gemäß § 48 FamFG – auch von
Amts wegen – nachträglich abzuändern oder (3), den Ausgangsbeschluss, der sich
nach Vornahme der zu erzwingenden Handlung ohnehin erledigt hat, ohne dass es
zwingend dessen Aufhebung bedürfte, unangetastet zu lassen und gegebenenfalls
lediglich zu verfügen, dass das Zwangsgeld nicht mehr vollstreckt werden soll (vgl.
Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 35 Rn. 18).
Vorliegend hat das Amtsgericht den Ausgangsbeschluss gemäß § 48 FamFG
aufgehoben (oben (2)). Dabei ist es dem ausdrücklichen Antrag des
Beschwerdeführers gefolgt, der die Aufhebung des Beschlusses aufgrund der
nachträglichen Erfüllung der Verpflichtung begehrt und nicht etwa die
Rechtmäßigkeit des ursprünglichen Beschlusses in Zweifel gezogen hat.
Ausgehend davon hat das Amtsgericht nicht allein über eine etwaige Abhilfe
entschieden sondern eine eigenständige (Abänderungs-)Entscheidung nach § 48
FamFG getroffen. Es kommen deshalb die allgemeinen Vorschriften über die
Beschwerde nach Maßgabe der §§ 58 ff. FamFG und nicht etwa die Bestimmung
des § 35 V FamFG zur Anwendung, wonach ein Beschluss, durch den
Zwangsmaßnahmen angeordnet werden, mit der sofortigen Beschwerde in
entsprechender Anwendung der §§ 567 – 572 ZPO anfechtbar ist.
Die danach zu beachtenden Zulässigkeitsvoraussetzungen, insbesondere Form
und Frist der §§ 64, 64 FamFG sind gewahrt und aufgrund der Zulassung der
Beschwerde steht das Nichterreichen des Beschwerdewerts in Höhe von 600,01 €
der Zulässigkeit nicht entgegen (§ 61 II FamFG).
Das Rechtsmittel konnte in der Sache indes keinen Erfolg haben.
Bei Verhängung eines Zwangsmittels sind gemäß § 35 III 2 FamFG dem
Verpflichteten zugleich die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen. Mit Kosten im
Sinne dieser Bestimmung sind die Gerichtskosten – Gebühren und Auslagen –
gemeint (Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 35 Rn. 44). Die Aufhebung bzw. Abänderung
der Entscheidung nach § 35 I FamFG hat auch Auswirkungen auf die
Kostengrundentscheidung nach § 35 III 2 FamFG.
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Die Aufhebung des Zwangsgeldbeschlusses im Rahmen des Abhilfeverfahrens
(o.g. Möglichkeit (1)) hat regelmäßig zur Folge, dass auch die
Kostengrundentscheidung aufgehoben ist bzw. aufzuheben ist (Keidel, FamFG, 16.
Aufl., § 35 Rn. 44), denn die Zwangsmittelverhängung und damit der Rechtsgrund
für die Kostentragung werden rückwirkend beseitigt (vgl. auch OLG Frankfurt am
Main, Beschluss vom 20.12.2000, 5 WF 118/00). Die Auferlegung der Kosten auf
den Verpflichteten kommt jedoch nach Maßgabe von § 81 FamFG in Betracht, der
neben außergerichtlichen Kosten der Beteiligten auch Gerichtskosten betrifft (vgl.
Keidel, FamFG, 16. Aufl., § 81 Rn. 1). Mangels endgültiger Verhängung eines
Zwangsgeldes dürften indes keine Gerichtsgebühr nach § 119 II KostO, sondern
ggfls. nur Auslagen entstanden sein.
Im Rahmen einer Entscheidung nach § 48 FamFG (o.g. Möglichkeit (2)) kann das
Gericht nach seinem Ermessen entscheiden, inwieweit es die
Ausgangsentscheidung aufheben bzw. abändern will. Sofern es – wie vorliegend
geschehen – lediglich eine Aufhebung der Zwangsmittelentscheidung unter
gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Kostengrundentscheidung beabsichtigt, kann
als Ermessensmaßstab ebenfalls die Vorschrift des § 81 FamFG herangezogen
werden.
Da die Zwangsmittelentscheidung nicht rückwirkend beseitigt wird, dürfte bei
dieser Möglichkeit jedoch die Gerichtsgebühr gemäß § 119 II KostO angefallen sein.
Wählt das Gericht schließlich die o.g. Möglichkeit (3), so ist zwar das Zwangsmittel
nicht mehr zu vollstrecken, die Kostengrundentscheidung bleibt jedoch wirksam.
Die vorliegend am Maßstab von § 81 FamFG zu messende Entscheidung ist nicht
zu beanstanden. Der Beschwerdeführer hat mehrfache Aufforderungen zur
Einreichung des Jahresberichts verstreichen lassen, ohne Gründe für die
Verhinderung anzuzeigen, um Fristverlängerung zu bitten oder auf gerichtliche
Anfragen überhaupt zu reagieren. Er hat damit durch grobes Verschulden selbst
Anlass zur Einleitung des Verfahrens auf Verhängung eines Zwangsmittels
gegeben.
Danach konnte die Beschwerde keinen Erfolg haben.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Hinsichtlich der Gerichtskosten
ergibt sich die Kostenfolge schon aus dem Gesetz; denn nach §§ 2, 131 I KostO ist
der Beschwerdeführer als Einreichungsschuldner (vgl. Hartmann, KostO, 40.
Auflage, § 2 KostO Rn. 21 „Beschwerde“) Schuldner der Gerichtskosten. Für eine
Auferlegung der außergerichtlichen Kosten der übrigen Beteiligten nach § 84
FamFG bestand kein Anlass, da solche Kosten in nennenswerter Höhe nicht
angefallen sind.
Die Festsetzung des Geschäftswertes für das Beschwerdeverfahren orientiert sich
an der Höhe der festgesetzten Gerichtskosten.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde folgt aus § 70 II FamFG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.