Urteil des LG Karlsruhe vom 09.10.2015

bausparvertrag, anwendungsbereich, ausdehnung, rückzahlung

LG Karlsruhe Urteil vom 9.10.2015, 7 O 126/15
Leitsätze
Der Bausparkasse steht ein Recht zur Kündigung eines Bausparvertrags aus § 489
Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht zu, solange das Bauspardarlehen nicht zugeteilt und die
vereinbarte Bausparsumme nicht vollständig angespart wurde. Da die Bausparkasse
während der Ansparphase des Bausparvertrags eine Doppelrolle als
Darlehensnehmerin und Darlehensgeberin innehat, ist der Anwendungsbereich von §
489 BGB nicht eröffnet.
Tenor
1. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien unter der
Bausparvertragsnummer … abgeschlossene Bausparvertrag über den 20.08.2015
hinaus fortbesteht.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110%
des jeweils zu vollstreckenden Betrags.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten darum, ob ein zwischen den Parteien geschlossener
Bausparvertrag wirksam durch die Beklagte gekündigt wurde.
2 Am 16.04.1991 schlossen die Kläger mit der Beklagten einen Bausparvertrag mit
der Nummer … über eine Bausparsumme in Höhe von DM 23.000,00 (entspricht
EUR 11.759,71 / Anlage K1). Nach den von der Beklagten vorgelegten
Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (im Folgenden: ABB/Anlage B3 -
Stand 01/2013), die in den Vertrag einbezogen wurden, wird ein Guthaben des
Bausparers mit 2,5% jährlich verzinst. Die nach § 32 ABB für eine Senkung der
Verzinsung des Bausparguthabens erforderliche Zustimmung der Bundesanstalt
für Finanzdienstleistungsaufsicht (im Folgenden: BaFin) konnte die Beklagte
bislang nicht erwirken.
3 Unstreitig ist die Bausparsumme aus dem Bausparvertrag der Kläger gemäß § 11
Abs. 1 lit. a) ABB seit dem 15.04.2002 zuteilungsreif. Die Kläger erhielten
Zuteilungsnachricht, haben diese jedoch nicht angenommen, sondern den Vertrag
fortgesetzt.
4 Mit Schreiben vom 16.02.2015 erklärte die Beklagte die Kündigung des
Bausparvertrags zum 20.08.2015 unter Berufung auf § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB
(Anlage K2).
5 Die Kläger sind der Auffassung, die Voraussetzungen für eine Kündigung nach §
489 Abs. 1 Nr. 2 BGB lägen hier nicht vor, da ein vollständiger Empfang des
Darlehens auf Seiten der Beklagten nicht etwa schon mit Zuteilungsreife der
Bausparsumme gegeben sei, sondern erst dann, wenn der Bausparer die
vereinbarte Bausparsumme vollständig angespart habe. Durch die Kündigung
würde der Bausparer in seinem vertraglichen Recht auf Erhalt eines
Bauspardarlehens unzulässig beschnitten. Nach den von der Beklagten selbst
vorgegebenen Vertragsbedingungen sei der Bausparer schließlich berechtigt, den
Bausparvertrag auch nach Zuteilungsreife fortzusetzen. Ein Kündigungsrecht für
die vorliegende Fallkonstellation habe die Beklagte in ihren ABB gerade nicht
vorgesehen.
6 Die Kläger beantragen:
7
Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien unter der Bausparvertrag Nr.
… abgeschlossene Bausparvertrag über den 20.08.2015 hinaus fortbesteht.
8 Die Beklagte beantragt:
9
Die Klage wird abgewiesen.
10 Die Beklagte meint, sie sei nach § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB zur Kündigung des
Bausparvertrags berechtigt gewesen. Ab Zuteilungsreife liege ein vollständiger
Empfang des Darlehens auf Seiten der Beklagten in ihrer Rolle als
Darlehensnehmerin im Sinne dieser Vorschrift vor. Das Kündigungsrecht aus §
489 BGB könne den Bausparkassen auch deshalb nicht abgeschnitten werden,
weil auf Grund des Kollektivcharakters des Bausparens die Gesamtinteressen der
Bauspargemeinschaft zu berücksichtigen seien.
11 Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen.
Entscheidungsgründe
I.
12 Die Klage ist zulässig und begründet.
13 1. Die besonderen Voraussetzungen für die Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1
ZPO liegen vor. Nach Kündigung durch die Beklagte haben die Kläger ein
rechtliches Interesse an der Feststellung des Fortbestands des Bausparvertrags.
14 2. Der Bausparvertrag zwischen den Parteien ist durch die Kündigung der
Beklagten vom 16.02.2015 nicht beendet worden. Er besteht somit fort.
15 Der Beklagten steht kein Kündigungsrecht zu.
a)
16 Aus den dem Vertrag zu Grunde liegenden ABB ergibt sich vorliegend kein Recht
der Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Bausparvertrags.
17 Nach § 5 Abs. 3 ABB kann die Bausparkasse den Bausparvertrag kündigen, wenn
der Bausparer unter Anrechnung von Sonderzahlungen mit mehr als zwölf
Regelsparbeiträgen rückständig ist und er der schriftlichen Aufforderung der
Bausparkasse, nicht geleistete Bausparbeiträge zu entrichten, länger als zwei
Monate nach Zugang der Aufforderung nicht entsprochen hat. Dass diese
Voraussetzungen vorliegen, behauptet die Beklagte nicht.
18 Nach § 21 ABB kann die Bausparkasse das Bauspardarlehen zur sofortigen
Rückzahlung unter bestimmten in dieser Regelung aufgeführten Voraussetzungen
kündigen. Dieses Kündigungsrecht ist hier schon deshalb nicht einschlägig, weil
die Kläger das Bauspardarlehen unstreitig noch nicht in Anspruch genommen
haben.
19 Schließlich hat die Bausparkasse gemäß § 32 Abs. 2 ABB ein Kündigungsrecht,
wenn der Bausparer zu bestimmten vorgesehenen Bedingungsänderungen sein
Einverständnis nicht erteilt, sondern der Änderung widerspricht. Auch diese
Voraussetzungen liegen hier unstreitig nicht vor.
b)
20 Das gesetzliche Kündigungsrecht aus § 488 Abs. 3 BGB steht der Beklagten hier
nicht zu. Nach § 488 Abs. 3 BGB hängt die Fälligkeit der Rückzahlung eines
Darlehens von der Kündigung des Darlehensgebers oder des Darlehensnehmers
ab, wenn für die Rückzahlung des Darlehens eine Zeit nicht bestimmt ist.
21 Dieses Kündigungsrecht ist dispositiv und durch die vertraglich vereinbarten ABB
jedenfalls insoweit abbedungen, als nach § 1 Abs. 1 ABB und § 21 Satz 1 ABB
das Bauspardarlehen grundsätzlich unkündbar ist. Die genannten Regelungen
schließen zwar ein Kündigungsrecht der Bausparkasse nach § 488 Abs. 3 BGB für
den Fall, dass der Bausparer die vereinbarte Bausparsumme voll angespart hat,
nicht aus. Aus der grundsätzlichen Unkündbarkeit des Bauspardarlehens folgt
aber, dass die Bausparkasse den Bausparvertrag nicht kündigen darf, wenn sie
dadurch dem Bausparer den Anspruch auf das Tilgungsdarlehen entzieht. Der
Bausparvertrag ist mithin so lange unkündbar, wie die Auszahlung des
Tilgungsdarlehens möglich ist und der Bausparer seine hierzu erforderlichen
planmäßigen Sparpflichten erfüllt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 14.10.2011 - 9 U
151/11 - = juris Rn 9 ff.; OLG Frankfurt, Beschlüsse vom 02.09.2013 und
02.10.2013 - 19 U 106/13 -).
22 Im Streitfall haben die Kläger unstreitig die vertraglich vereinbarte Bausparsumme
noch nicht angespart, so dass die Gewährung eines Bauspardarlehens nach wie
vor möglich ist und die insoweit vereinbarte Unkündbarkeit das gesetzliche
Kündigungsrecht aus § 488 Abs. 3 BGB ausschließt.
c)
23 Der Beklagten steht auch aus § 489 Abs. 1 Nr. 2 BGB kein Kündigungsrecht zu.
aa)
24 Der Anwendungsbereich dieser gesetzlichen Regelung über ein Kündigungsrecht
des Darlehensnehmers ist nicht eröffnet. Es handelt sich bei dem Kündigungsrecht
aus § 489 BGB um ein solches, das ausschließlich dem Darlehensnehmer
zusteht. Bei der Kündigung des Bausparvertrags durch die Bausparkasse vor
Vollansparung der Bausparsumme und vor Zuteilung des Bauspardarlehens
handelt es sich aber um eine Kündigung, mit welcher sich die Bausparkasse
sowohl aus ihrer Rolle als Darlehensnehmerin löst, als auch aus ihrer Rolle als
Darlehensgeberin. Für eine solche Kündigung enthält § 489 BGB keine Grundlage.
25 Es wird einhellig die Meinung vertreten, dass in dem Bausparvertrag ein
einheitlicher Darlehensvertrag zu sehen ist, bei welchem die Bausparkasse und
der Bausparer mit der Inanspruchnahme des Bauspardarlehens ihre jeweiligen
Rollen als Darlehensgeber und Darlehensnehmer tauschen. Die Einlagen des
Bausparers stellen daher ein Darlehen an die Bausparkasse dar, so dass die
Bausparkasse insoweit Darlehensnehmerin ist. Die Bausparkasse ist aber auch
vor Zuteilung des Bauspardarlehens, jedenfalls so lange die Bausparsumme noch
nicht voll angespart wurde, gleichzeitig Darlehensgeberin bezüglich des künftig zur
Verfügung zu stellenden Bauspardarlehens. Dass die Auszahlung des
Tilgungsdarlehens an den Bausparer in der Zeit vor der Zuteilung des
Bauspardarlehens noch nicht erfolgt ist, sondern erst bei Vorliegen der vertraglich
vereinbarten Voraussetzungen erfolgen wird, ändert nichts daran, dass die
Bausparkasse bereits auch in der Ansparphase Darlehensgeberin ist. Denn
bereits mit Abschluss des Bausparvertrags verpflichtet sie sich, dem Bausparer
einen Geldbetrag in vereinbarter Höhe zur Verfügung zu stellen. Da auf Grund der
vertraglichen Konstruktion des Bausparvertrags vor Zuteilung des
Bauspardarlehens eine Kündigung des von der Bausparkasse empfangenen
Darlehens ohne gleichzeitige Kündigung des von ihr zu gewährenden Darlehens
nicht möglich ist, und ohnehin eine Teilkündigung bei einem einheitlichen
Vertragsverhältnis nur im Fall einer gesetzlichen Gestattung oder bei einer
entsprechenden vertraglichen Abrede zulässig ist (BGH NJW 1993, 1320, 1322 =
juris Rn. 52), ist der Anwendungsbereich des gesetzlichen Kündigungsrechts aus
§ 489 BGB nicht eröffnet.
26 Mangels Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 489 BGB enthält der
Bausparvertrag auch keine unzulässige Einschränkung der Kündigungsrechte des
Darlehensnehmers im Sinne von § 489 Abs. 4 BGB.
bb)
27 Weder der Sinn und Zweck des Bausparvertrags noch der Umstand, dass auf
Grund des Kollektivcharakters des Bausparens auch die Gesamtinteressen der
Bausparergemeinschaft in den Blick zu nehmen sind, gebieten eine Ausdehnung
des Anwendungsbereichs des § 489 BGB auf die hiesige Fallkonstellation, in der
die Bausparkasse die dem Bausparvertrag immanente Doppelrolle als
Darlehensnehmerin und Darlehensgeberin innehat.
(1)
28 Richtig ist zwar, dass Zweck des Bausparvertrags nicht die zinsgünstige
Geldanlage, sondern die Erlangung eines Bauspardarlehens ist. Dieser Zweck
kann aber erst dann endgültig nicht mehr erreicht werden, wenn der Bausparer die
vereinbarte Bausparsumme vollständig angespart hat.
29 Es mag sich auch dann, wenn der Bausparer das Bauspardarlehen zehn Jahre
lang nach Zuteilungsreife nicht in Anspruch nimmt, die Frage stellen, ob er an dem
vereinbarten Vertragszweck, der Erlangung eines Bauspardarlehens, noch
ernsthaft interessiert ist. Diesen Zustand muss die Bausparkasse nach den
vorgelegten ABB jedoch nicht auf unbegrenzte Dauer hinnehmen. Nach § 5 Abs. 1
ABB ist der Bausparer bis zur ersten Auszahlung aus er zugeteilten
Bausparsumme - mithin auch im Fall der Vertragsfortsetzung nach Zuteilungsreife
der Bausparsumme - verpflichtet, den vertraglich vereinbarten monatlichen
Bausparbeitrag an die Bausparkasse zu entrichten. Kommt der Bausparer diesen
Pflichten nicht nach, besteht für die Bausparkasse nach § 5 Abs. 3 ABB eine
Kündigungsmöglichkeit. Erbringt der Bausparer hingegen die monatlichen
Bausparbeitragsleistungen, tritt zwangsläufig zu irgendeinem Zeitpunkt die
Vollansparung der vereinbarten Bausparsumme ein, mit der Folge, dass sodann -
wie oben aufgezeigt - ein Kündigungsrecht der Bausparkasse aus § 488 Abs. 3
BGB besteht.
30 Im Übrigen ließe sich die Eröffnung der Möglichkeit für die Bausparkasse, den
Bausparvertrag nach § 489 BGB insgesamt zu kündigen, mit der zulässigerweise
vereinbarten Unkündbarkeit des von der Bausparkasse zu gewährenden
Bauspardarlehens nicht vereinbaren. Die Gesamtbetrachtung aller Belange beider
Vertragsparteien verbietet daher gerade eine entsprechende Anwendung des §
489 BGB auf die vorliegende Fallkonstellation.
31 Hinzu kommt, dass eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 489 BGB
zu Gunsten der Bausparkassen einen - nicht gebotenen - Eingriff in die
Risikoverteilung zwischen den Parteien des Bausparvertrags darstellen würde.
Nach den Bedingungen des Bausparvertrags trägt nämlich jede Partei das Risiko
einer ihr ungünstigen künftigen Zinsentwicklung selbst.
(2)
32 Entgegen der Auffassung der Beklagten steht der Kollektivcharakter des
Bausparens einer Versagung des Kündigungsrechts der Bausparkasse aus § 489
BGB nicht entgegen.
33 Richtig ist zwar, dass die Bausparer eine Zweckgemeinschaft bilden und ihre
Verträge das Bausparkollektiv bilden (§ 30 Abs. 1 ABB). Richtig ist auch, dass die
Bausparkassen vor diesem Hintergrund zu einer kontinuierlichen
Hintergrundkontrolle verpflichtet sind, um zu überwachen, ob sich die Wartezeiten
der Bausparer bis zur Zuteilung unangemessen verlängern oder die Erfüllbarkeit
der Bausparverträge nicht mehr dauerhaft gewährleistet erscheint. Gegebenenfalls
sind die Bausparkassen zur Ergreifung von Gegenmaßnahmen verpflichtet.
Andernfalls kann Anlass für ein aufsichtsbehördliches Einschreiten nach § 8 Abs. 1
Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 2 BSpkG bestehen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16.06.2015 -
17 U 5/14 -). Die Wahrung der genannten Kollektivinteressen erfordert jedoch nicht
etwa eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 489 BGB zu Gunsten der
Bausparkassen. Denn der Schutz dieser Kollektivinteressen wird dadurch gewährt,
dass die vorgelegten ABB unter bestimmten Voraussetzungen eine Änderung der
Bedingungen auch für bestehende Verträge zulassen (§ 32 ABB). Sollte der
Umstand, dass wegen der derzeitigen andauernden Niedrigzinsphase eine
Vielzahl von Bausparern ihr Bauspardarlehen trotz Zuteilungsreife nicht in
Anspruch nimmt, sondern sich zur Vertragsfortsetzung entscheidet, dazu führen,
dass die Erfüllbarkeit der Bausparverträge nicht mehr dauerhaft gewährleistet ist,
käme eine Änderung der Bedingungen, etwa eine Senkung der Verzinsung der
Bausparguthaben, gemäß § 32 ABB in Betracht. Dass die BaFin einer
Bedingungsänderung bisher nicht zugestimmt hat, lässt darauf schließen, dass
eine Gefährdung der Belange des Bausparerkollektivs derzeit nicht vorliegt, denn
andernfalls hätte die Genehmigung nach § 9 BSpkG nicht versagt werden können.
d)
34 Andere Kündigungsrechte sind nicht ersichtlich. Insbesondere scheidet eine
Kündigung aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB aus den vorgenannten
Gründen aus.
II.
35 Die Kostenentscheidung basiert auf § 91 ZPO.
36 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Satz 1 und
Satz 2 ZPO.