Urteil des LG Karlsruhe vom 22.01.2016

schutz der ehe, haftbefehl, verdunkelungsgefahr, kauf

LG Karlsruhe Beschluß vom 22.1.2016, 4 Qs 76/15
Besuchserlaubnis für Ehegatte trotz Verdunkelungsgefahr
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Beschuldigten F. M. wird die gerichtliche Entscheidung des
Amtsgerichts - Ermittlungsrichter - Karlsruhe vom 27. November 2015 und die
Entschließung der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 17. November 2015, mit der der
Antrag der Beschuldigten
F. M.
auf Erteilung einer Besuchserlaubnis für den Besuch
ihres Ehemannes, des Beschuldigten C. M. in der JVA abgelehnt worden war
,
aufgehoben.
Der Beschuldigten und Beschwerdeführerin F. M. ist eine Besuchserlaubnis
zu erteilen.
Zur näheren Ausgestaltung der Besuchserlaubnis hinsichtlich Datum, Dauer
und den als erforderlich angesehenen Sicherungsmaßnahmen wird die
Sache zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des
Landgerichts Karlsruhe
an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe
zurückgegeben.
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit der Beschuldigten F. M.
entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Gründe
I.
1 Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe führt gegen eine Gruppierung von rumänischen
Staatsangehörigen, der auch das Ehepaar M. zugerechnet wird, ein
Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des gewerbs- und bandenmäßigen
Betrugs.
2 Am 23.06.2015 erließ das Amtsgericht Karlsruhe Haftbefehle gegen 4 Personen,
die damals jeweils nur mit den jeweils verwendeten Alias-Personalien bekannt
waren, nämlich:
-
M. D.
-
C.M.
-
N.C.
-
F.B.
3 mit dem Vorwurf, sich spätestens im Februar 2015 mit mindestens 4 weiteren
Personen zusammengeschlossen zu haben, um zukünftig in einer im Voraus noch
nicht feststehenden Vielzahl von Einzelfällen bei verschiedenen Banken im
Großraum Karlsruhe unter Vorlage verschiedener total-gefälschter französischer
Ausweispapiere jeweils Girokonten zu eröffnen und über diese Konten Gelder
entgegenzunehmen, die aus strafbaren Handlungen (Betrugsdelikten) im In- und
Ausland herrühren, sowie diese Gelder nach Eingang auf den jeweiligen Konten
jeweils zeitnah bar abzuheben. Dabei handelten die Beschuldigten jeweils, um
sich eine Erwerbsquelle von einigem Umfang und einiger Dauer zu erschließen.
4 Wegen der Einzelheiten, insbesondere wegen der im Einzelnen den jeweiligen
Beschuldigten vorgeworfenen Tathandlungen wird auf die jeweiligen Haftbefehle
Bezug genommen.
5 Mit Beschluss vom 13.07.2015 hob das Amtsgericht den Haftbefehl gegen „F.B.“
(31 Gs 1902/15) wieder auf und erließ gleichzeitig Haftbefehl gegen
6
-
C.M.
alias
F.B.
7 mit folgendem Vorwurf:
8
Der unter den Alias F.B. auftretende Beschuldigte
C.M.
schloss sich zu einem
unbekannten Zeitpunkt, spätestens jedoch im Februar 2015, mit mindestens vier
weiteren bislang nicht identifizierten Tatgenossen zusammen, um zukünftig in
einer im Voraus noch nicht feststehenden Vielzahl von Einzelfällen bei
verschiedenen Banken im Großraum Karlsruhe unter Vorlage verschiedener
totalgefälschter französischer Ausweisdokumente jeweils Girokonten zu eröffnen
und über diese Konten Gelder entgegenzunehmen, die aus strafbaren
Handlungen (Betrugsdelikten) im In- und Ausland herrühren, sowie diese Gelder
nach Eingang auf den jeweiligen Konten jeweils zeitnah bar abzuheben. Dabei
handelte der Beschuldigte in der Absicht, sich aus den Taten eine Erwerbsquelle
von einigem Umfang und gewisser Dauer zu verschaffen.
9
In Ausführung dieses gemeinsamen Tatplanes kam es zu folgenden Taten:
10
Fall 1
11 Am 13.05.2015 eröffnete eine weibliche Tatgenossin unter den Alias-Personalien
C.M. [2]
bei der Volksbank E. eG (Filiale M.) die beiden Konten ...07 (Privatkonto)
und ...15 (Geschäftskonto). Der Beschuldigte
C.M.
war ebenfalls anwesend und
unterstützte
C.M. [2]
bei der Eröffnung des Kontos, wobei er als Wortführer auftrat.
12
Fall 2
13 Am 21.05.2015 eröffnete der Beschuldigte
C.M.
unter den Alias-Personalien F.B.
bei der Volksbank K. eG das Konto ...00, wobei er ein totalgefälschtes
französisches Ausweisdokument vorlegte.
14 In der Folge kam es zu keinen nennenswerten Umsätzen auf dem Konto, da es
von Seiten der Bank rechtzeitig gesperrt wurde.
15
Fall 3
16 Am 27.05.2015 eröffnete der Beschuldigte
C.M.
wiederum unter den Alias-
Personalien F.B. und wiederum unter Vorlage eines total-gefälschten
französischen Ausweisdokuments bei der Postbank AG das Geschäftskonto Nr.
...01. In der Folge erfolgten auf dieses Konto im Zeitraum vom 15.06.2015 bis
18.06.2015 insgesamt acht Gutschriften in einer Gesamthöhe von
23.180 Euro
,
die mutmaßlich aus strafbaren Handlungen herrühren. Die eingegangenen Gelder
wurden nahezu vollständig bar abgehoben.
17 Der Haftbefehl ist auf die Haftgrund der Flucht- und der Verdunkelungsgefahr
gestützt.
18 Der Beschuldigte befindet sich seit seiner Verhaftung am 19.09.2015 in
Untersuchungshaft in der JVA Stuttgart.
19 Am 18.09.2015 erließ das Amtsgericht Karlsruhe Haftbefehl gegen die Ehefrau des
Beschuldigten
C.M.
:
20 -
F.M.
alias
C.M. [2]
21 mit folgendem Vorwurf:
22 Die Beschuldigten
C.M., F.M., …
sowie mindestens drei weitere bislang nicht
identifizierte Tatgenossen schlossen sich zu einem unbekannten Zeitpunkt,
spätestens jedoch im Februar 2015, zusammen, um zukünftig in einer im Voraus
noch nicht feststehenden Vielzahl von Einzelfällen bei verschiedenen Banken im
Großraum Karlsruhe unter Vorlage verschiedener totalgefälschter französischer
Ausweisdokumente jeweils Girokonten zu eröffnen und über diese Konten Gelder
entgegenzunehmen, die aus strafbaren Handlungen (Betrugsdelikten) im In- und
Ausland herrühren, sowie diese Gelder nach Eingang auf den jeweiligen Konten
jeweils zeitnah bar abzuheben. Dabei handelten die Beschuldigten in der Absicht,
sich aus den Taten eine Erwerbsquelle von einigem Umfang und gewisser Dauer
zu verschaffen. In Ausführung dieses gemeinsamen Tatplanes verübte die
Beschuldigte
F.M.
folgende Taten:
23
Fall 1
24 Am 13.05.2015 eröffnete die Beschuldigte unter den Alias-Personalien
C.M
. [2] bei
der Volksbank E. eG (Filiale M.) die beiden Konten ...07 (Privatkonto) und ...15
(Geschäftskonto), wobei sie ein total-gefälschtes französisches Ausweisdokument
vorlegte.
25 In der Folge gingen auf dem Konto Nr. ...15 am 17.06.2015 zwei Gutschriften von
verschiedenen Auftraggebern aus Großbritannien über 2.200 GBP (
3.068,34
Euro)
und 7.995 GBP (
11.150,63 Euro
) ein, die mutmaßlich aus strafbaren
Handlungen herrühren. Aufgrund einer sofortigen Kontosperre und späteren
Beschlagnahme des Kontos konnte über das Geld nicht verfügt werden.
26
Fall 2
27 Am 15.05.2015 eröffnete die Beschuldigte unter den Alias-Personalien
C.M. [2]
bei
der Postbank AG das Konto ...58, wobei sie ein total-gefälschtes französisches
Ausweisdokument vorlegte.
28 In der Folge gingen zwischen dem 05.06.2015 und dem 06.07.2015 auf dem
Konto Gutschriften aus dem In- und Ausland über insgesamt
28.832,43 Euro
unter anderem im Zusammenhang mit Fahrzeuggeschäften ein, die mutmaßlich
aus strafbaren Handlungen herrühren. Im Zeitraum vom 10.06.2015 bis
16.06.2015 wurden hiervon bei sieben Abhebungen in Karlsruhe insgesamt
13.930 Euro bar
abgehoben.
29
Fall 3
30 Am 15.06.2015 eröffnete die Beschuldigte unter den Alias-Personalien
E.B.
bei
der VR Bank S.W. eG (Filiale B.-I.) das Konto ...00, wobei sie ein total-gefälschtes
französisches Ausweisdokument vorlegte.
31 In der Folge gingen zwischen dem 03.07.2015 und dem 10.07.2015 auf dem
Konto Gutschriften aus dem In- und Ausland in Höhe von insgesamt
19.557,14
Euro
ein. Hiervon stammte eine Überweisung in Höhe von 2.500 Euro von dem
Geschädigten
A.P
., der das Geld am 09.07.2015 für den Kauf eines Motorrollers
überwies, diesen aber niemals erhielt. Weitere Überweisungen stammten von den
auf die Namen … eröffneten Konten, die ebenfalls von der Tätergruppierung
genutzt wurden. Im Zeitraum vom 29.06.2015 bis 10.07.2015 wurden von diesem
Geld insgesamt
14.170 Euro bar
abgehoben.
32
Fall 4
33 Am 24.06.2015 eröffnete die Beschuldigte unter den Alias-Personalien „
L.T.
“ bei
der VR Bank R.-N. eG in M. das Konto ...08, wobei sie ein total-gefälschtes
französisches Ausweisdokument vorlegte.
34
Fall 5
35 In der Folge gingen auf dem Konto ...08 bei der VR Bank Rhein-Neckar eG (Fall 4)
zwischen dem 14.07.2015 und dem 16.07.21015 Gutschriften über insgesamt
45.700 Euro
im Zusammenhang mit Fahrzeug- und Immobiliengeschäften ein.
Hiervon stammten drei Überweisungen über insgesamt 10.500 Euro von den
Geschädigten
U.J.
und
S.H
., die das Geld am 15.07.2015 für den Kauf eines
Quad überwiesen, dieses jedoch niemals erhielten. Eine weitere Überweisung
über 8.800 Euro stammte von dem Geschädigten
P.W.
, der das Geld am
16.07.2015 für den Kauf eines Motorrades überwies, das ebenfalls niemals
geliefert wurde.
36 Am 15. und 16.07.2015 hob die Beschuldigte von diesem Geld in Ludwigshafen
und Mannheim insgesamt
27.000 Euro in bar
ab, und zwar am 15.07.2015 um
10:43 Uhr am Geldautomaten in der Filiale L.-M. in der K.-W.-Straße ... in L. einen
Betrag von 500 Euro und um 11:30 Uhr in der Filiale Sp. in der S.-straße ... in M...
weitere 500 Euro. Barauszahlungen am Schalter über 5.000 Euro und zweimal je
8.000 Euro erfolgten am selben Tag in den beiden genannten Filialen sowie
gegen 11:15 Uhr in der Filiale N. in der F.-straße ... in M.. Eine letzte
Barauszahlung über 6.000 Euro erfolgte am 16.07.2015.
37 Über weitere 2.050 Euro wurde per Lastschrift bzw. Übertrag verfügt.
38 Der Haftbefehl ist auf den Haftgrund der Fluchtgefahr und der
Verdunkelungsgefahr gestützt.
39 Am gleichen Tag erließ das Amtsgericht Karlsruhe Haftbefehl gegen:
-
G.G.
- A.P.
- A.L
.
40 Ferner erließ das Amtsgericht Haftbefehl gegen 2 nicht identifizierte Personen, die
unter den Namen
A.B.
und
L.D
. auftraten.
41 Wegen der Einzelheiten wird auf die jeweiligen Haftbefehle Bezug genommen.
42 Am 19.09.2015 wurden die Beschuldigten
C.M.
und seine Ehefrau, die
Beschuldigte
F.M.
, vorläufig festgenommen und dem Haftrichter vorgeführt.
C.M.
befindet sich seitdem in der JVA Stuttgart.
43 Mit Beschluss vom 27.10.2015 (31 Gs 3237/15 - Bd. IV AS 2061) erhielt das
Amtsgericht Karlsruhe den Haftbefehl gegen die Beschuldigte und
Beschwerdeführerin
F.M
. aufrecht, setzte den Vollzug des Haftbefehls jedoch
gegen eine Meldeauflage außer Vollzug.
44 Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 16.11.2015 beantragte die Beschuldigte und
Beschwerdeführerin eine Besuchserlaubnis betreffend ihren Ehemann, den
Beschuldigten
C.M.
(Bd. V AS 2569).
45 Mit Entschließung vom 17.11.2015 (Bd. V AS 2573) lehnte die Staatsanwaltschaft
die Erteilung einer Besuchserlaubnis mit der Begründung ab, bei beiden
Beschuldigten bestehe weiterhin - wenn auch abgeschwächt -
Verdunkelungsgefahr und die dadurch erforderliche Besuchsüberwachung sei nur
mit unverhältnismäßigem Aufwand zu bewerkstelligen. Brieflicher Kontakt reiche
aus.
46 Am 20.11.2015 erließ das Amtsgericht Karlsruhe einen weiteren Haftbefehl gegen
rumänische Staatsangehörige
N.C.
sowie einen Haftbefehl gegen einen unter dem
Falschnamen
M.G.
auftretenden Mann.
47 Die Beschwerdeführerin beantragte mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom
23.11.2015 gerichtliche Entscheidung gegen die oben angesprochene Versagung
der Besuchserlaubnis (Bd. V AS 2657).
48 Mit Beschluss vom 27.11.2015 (31 Gs 3761/15 - Bd. V AS 2667) lehnte das
Amtsgericht diesen Antrag als unbegründet ab mit der Begründung, die
notwendige Überwachung des Besuchs sei unverhältnismäßig im Hinblick auf die
erst seit 19.09.2015 andauernde Untersuchungshaft.
49 Mit Schriftsatz ihres Verteidigers vom 02.12.2014 hat die Beschwerdeführerin
gegen diese gerichtliche Entscheidung Beschwerde eingelegt. Wegen der
Einzelheiten wird auf den Schriftsatz Bezug genommen.
II.
50 Die Beschwerde der Beschuldigten und Beschwerdeführerin ist zulässig (§§ 119 a
Abs. 1 S. 1, Abs. 3 StPO) und wie aus dem Tenor ersichtlich begründet.
51 Zur Ermöglichung von Besuchen von Ehegatten müssen die zuständigen
Behörden die erforderlichen und zumutbaren Anstrengungen unternehmen. Dabei
ist der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Grundgesetz zu beachten. Eine
Versagung der Besuchserlaubnis kommt nur in Betracht, wenn einer konkreten
Gefährdungslage keinesfalls, auch gegebenenfalls bei Summierung verschiedener
Kontrollmaßnahmen hinreichend begegnet werden kann (Hilgert in Löwe-
Rosenberg, StPO,26. Aufl., § 119 StPO Rn. 41), wobei auch die bisherige
Vollzugsdauer zu berücksichtigen ist (BVerfGE 42, 95, 100 f; OLG Stuttgart, StV
2003, 628).
52 Nach diesen Grundsätzen kann der Beschwerdeführerin die beantragte
Besuchserlaubnis nicht versagt werden.
53 Auch wenn der Haftbefehl auf Verdunkelungsgefahr gestützt ist, genügt dies
grundsätzlich nicht, um allein damit die Gefahr zu begründen, dass auch Besuche
zu solchen Verdunkelungshandlungen missbraucht werden könnten. Aus den
Akten ergibt sich zwar durchaus die konkrete Gefahr der Verdunkelung durch
einen Austausch von Informationen zwischen den beiden verheirateten
Beschuldigten, die im Verdacht stehen, einer rumänischen Tätergruppierung
anzugehören, zumal die Beschwerdeführerin selbst geltend macht, sie und die
ehegemeinsamen Kinder würden durch Mitglieder dieser Gruppierung bedroht, da
sie selbst und vor allem ihr Ehemann Angaben bei der Polizei gemacht hätten.
54 Es liegen aber keine Anhaltspunkte dafür vor, dass dieser Gefahr nicht durch eine
Besuchsüberwachung durch einen in das Ermittlungsverfahren eingearbeiteten
Kriminalbeamten und die Anwesenheit eines Dolmetschers mit der Möglichkeit,
jederzeit den Besuch abzubrechen, begegnet werden könnte.
55 Der zweifellos hohe personelle und organisatorische Aufwand einer solchen
Besuchsüberwachung ist zumindest zum jetzigen Zeitpunkt - vier Monate nach der
Verhaftung des Ehemannes - nicht mehr geeignet, die Versagung von Besuchen
unter Eheleuten zu rechtfertigen.
56 Die Staatsanwaltschaft als Ermittlungsbehörde wird über die für die Erteilung der
Besuchserlaubnis konkret notwendigen Beschränkungen zu entscheiden haben
und hinsichtlich der Dauer des Besuchs auch zu berücksichtigen haben, dass die
Eheleute seit nunmehr über 4 Monaten keinen persönlichen Kontakt mehr hatten.
57 Das Landgericht weist darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Karlsruhe auch in
Zukunft dazu verpflichtet ist, der Beschwerdeführerin auch künftig in
angemessenem Abständen Besuche bei ihrem Ehemann zu ermöglichen, wobei
bei der Häufigkeit der erlaubten Besuche auch das Verhalten der
Beschwerdeführerin anlässlich der zurückliegenden Besuche zu berücksichtigen
sein wird.
58 Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der entsprechenden Anwendung von §
467 StPO.