Urteil des LG Karlsruhe vom 20.07.2016

begriff, meinungsfreiheit, beitrag, beleidigung

LG Karlsruhe Beschluß vom 20.7.2016, 4 Qs 25/16
Leitsätze
Die Bezeichnung "wunderbares Inzuchtsprodukt" erfüllt den Tatbestand der Beleidigung. Sie kann jedoch nach §
193 StGB gerechtfertigt sein, wenn sie sich gegen einen Politiker richtet, der kurz zuvor in einer bundesweit
ausgestrahlten Fernsehsendung einen bekannten Entertainer als "wunderbarer Neger" bezeichnet hat.
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 09.05.2016 gegen den ihren Antrag auf
Erlass eines Strafbefehls ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Karlsruhe vom 27.04.2016 (Az. 5 Cs 520 Js
39011/15) wird als unbegründet
z u r ü c k g e w i e s e n .
2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschuldigten hierin entstandenen notwendigen
Auslagen trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
1 Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe legt dem Beschuldigten zur Last, am 08.09.2015 in den Räumlichkeiten
seiner Anwaltskanzlei unter der Anschrift … ein Schreiben an den Bayerischen Staatsminister … H, verfasst
und an diesen versandt zu haben. Das Schreiben, mit dem er beabsichtigt habe, gegenüber H seine
Missachtung auszudrücken, habe folgenden Inhalt:
2
„Ihre rassistische Gesinnung
Hallo, Herr H…,
Sie sind ein ganz wunderbares Inzuchtsprodukt!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. S…“
3 Mit Verfügung vom 25.02.2016 beantragte die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Karlsruhe deshalb den
Erlass eines Strafbefehls wegen Beleidigung.
4 Das Amtsgericht Karlsruhe lehnte den Erlass des Strafbefehls mit dem angefochtenen Beschluss vom
27.04.201 (Az. 5 Cs 520 Js 39011/15) aus rechtlichen Gründen ab. Der Beschuldigte, der eingeräumt habe,
das Schreiben verfasst und versandt zu haben, habe dieses in engen Zusammenhang mit der Äußerung des
Geschädigten in der Fernseh-Talkshow „Hart aber Fair“ am 31.08.2015, [der bekannte Entertainer] R sei
immer ein wunderbarer Neger gewesen, der den meisten Deutschen wunderbar gefallen habe, gestellt. Es
stehe in engem Zusammenhang mit dieser Äußerung und sei als Reaktion auf diese zu sehen. Vor diesem
sowie dem Hintergrund, dass die Bezeichnung „Neger“ abwertender und rassistischer Natur sei, habe der
Beschuldigte, der sich durch diese Äußerung offensichtlich in erheblichem Maß persönlich betroffen gefühlt
habe, von seinem ihm durch Artikel 5 GG grundrechtlich garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung in
Form des „Rechts zum Gegenschlag“ Gebrauch gemacht. Das Schreiben des Beschuldigten sei sachbezogen
und stelle eine adäquate Reaktion auf die vorausgegangene Ehrverletzung dar.
5 Gegen den am 04.05.2016 zugestellten Beschluss legte die Staatsanwaltschaft am 09.05.2016,
eingegangen beim Amtsgericht am 10.05.2015, sofortige Beschwerde ein. Die Äußerung des Beschuldigten
sei nicht von einem „Recht zum Gegenschlag“ gedeckt. Bei der Bezeichnung als „Inzuchtsprodukt“ handle
es sich um so genannte Schmähkritik, zumal nicht der Beschuldigte, sondern R. Adressat der Äußerung
gewesen sei. Auch habe der Beschuldigte das Schreiben erst acht Tage nach Ausstrahlung der
Fernsehsendung verfasst, sodass es sich nicht um eine spontane Reaktion handle. Schließlich liege dem
grundrechtlichen Schutz der Meinungsfreiheit und dem „Recht zum Gegenschlag“ die öffentliche
Meinungsbildung als wesentliches Element zugrunde. Das Schreiben des Beschuldigten stelle jedoch keinen
Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung dar. Er habe nicht im Rahmen eines öffentlich ausgetragenen
Meinungskampfes Stellung bezogen, sondern sich lediglich nicht-öffentlich an den Geschädigten gewandt.
6 Der Beschuldigte hat unter dem 04.07.2016 zur Beschwerde der Staatsanwaltschaft Stellung genommen
und ausgeführt, der Begriff des „Inzuchtsprodukts“ sei nicht so schwerwiegend, dass er eine
würdeverletzende Schmähung darstelle, zumal er mit diesem Begriff die Auseinandersetzung mit dem vom
Geschädigten öffentlich geäußerten rassistischen Begriff „Neger“ gesucht habe. Unerheblich sei dabei, ob er
persönlich Adressat der Äußerung gewesen sei, da er als gemischt-ethnischer Mensch hierdurch jedenfalls
auch persönlich getroffen worden sei. Sein Schreiben sei als spontane Reaktion zu werten, da er den
betreffenden Fernsehbeitrag erst mit einiger zeitlicher Verzögerung gesehen habe, zumal die mediale
Berichterstattung über den Fall noch heute andauere. Schließlich sei der Geschädigte in seiner Eigenschaft
als Bayerischer … Minister aufgetreten, weshalb sich die Äußerung als legitimes Instrument zur
Herrschaftskritik und einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung darstelle, zumal der Geschädigte mit
seinem Fernsehauftritt selbst die Öffentlichkeit gesucht habe. Nur hilfsweise sei zu erwähnen, dass er aus
Rechtsgründen vom Erlaubtsein seiner Äußerung ausgegangen und somit jedenfalls einem unvermeidbaren
Verbotsirrtum unterlegen sei.
II.
7 Die nach §§ 408 Abs. 2 S. 2, 210 Abs. 2 StPO statthafte und auch sonst zulässige, insbesondere innerhalb
der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO eingelegte sofortige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.
8 Nach § 408 Abs. 2 S. 2 StPO lehnt der Richter den Erlass eines Strafbefehls ab, wenn er den
Angeschuldigten für nicht hinreichend verdächtig erachtet. Am hinreichenden Tatverdacht fehlt es nicht nur,
wenn der den Schuldvorwurf begründende Sachverhalt nicht beweisbar erscheint, sondern auch dann,
wenn er ergibt, dass der Beschuldigte aus Rechtsgründen nicht strafbar ist (
Meyer-Goßner/Schmitt, StPO,
59. Auflage 2016, § 408 Rn. 7). Von letzterem ist das Amtsgericht in vorliegendem Fall zutreffend
ausgegangen. Zwar erfüllt die vom Beschuldigten getätigte Bezeichnung des Geschädigten als „ganz
wunderbares Inzuchtsprodukt“ den Tatbestand der Beleidigung gemäß § 185 StGB (1.). Sie unterfällt jedoch
der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlich garantierten Meinungsfreiheit, weshalb der Beschuldigte
nach § 193 StGB gerechtfertigt ist (2.).
9 1. Die Bezeichnung des Geschädigten als „Inzuchtsprodukt“ durch den Beschuldigten erfüllt den Tatbestand
der Beleidigung gemäß § 185 StGB.
10 a. Der Begriff „Inzucht“ bezeichnet die Fortpflanzung naher Blutsverwandter miteinander. Diese ist in vielen
Kulturen - abhängig von Grad und Linie der Verwandtschaft - tabuisiert. In Deutschland wird in § 173 StGB -
verfassungsrechtlich unbedenklich (siehe BVerfG, NJW 2008, 1137ff.) - der Beischlaf zwischen Verwandten
in bestimmten Fällen sogar unter Strafe gestellt. Die Bezeichnung des Geschädigten als „Inzuchtsprodukt“
lässt sich zwar nicht konkret über den Grad der Verwandtschaft dessen Eltern aus. Ihr kommt gleichwohl die
negative Konnotation zu, der Adressat verdanke seine Existenz einem kulturell tabuisierten, rechtlich
verbotenen Zeugungsakt und ist deshalb ehrverletzender Natur.
11 b. Zu einer anderen Beurteilung veranlasst nicht, dass nach dem ausdrücklich erklärten Verständnis des
Beschuldigten jeder „ethnisch nicht gemischte“ Mensch ein „Inzuchtsprodukt“ sei. Für die Frage, welchen
Sinngehalt eine Äußerung hat, ist weder die subjektive Absicht des Äußernden noch das subjektive
Verständnis des von der Äußerung Betroffenen, sondern allein der objektive Sinn, den die Äußerung nach
dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat, maßgeblich (BVerfG, NJW
1995, 3303 [3305]). Zwar hat sich das Gericht im Fall mehrerer Deutungsmöglichkeiten einer Äußerung mit
allen diesen auseinanderzusetzen. Indes braucht es nicht auf entfernte, weder durch den Wortlaut noch die
Umstände der Äußerung gestützte Alternativen einzugehen oder gar abstrakte Deutungsmöglichkeiten zu
entwickeln, die in den konkreten Umständen keinerlei Anhaltspunkte finden (BVerfG a.a.O.). So liegt es hier.
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird unter Inzucht eine Fortpflanzung verstanden, bei der die
Verwandtschaft der Eltern nur durch eine oder wenige vermittelnde Geburten begründet ist. Auch die
übrigen Umstände und der Zusammenhang, in dem die Bezeichnung als „Inzuchtsprodukt“ gefallen ist,
nämlich der Vorwurf der „rassistischen Gesinnung“ des Geschädigten lassen keine Deutung der Äußerung im
Sinne des Beschuldigten zu.
12 c. Der ehrverletzende Charakter der Bezeichnung als „Inzuchtsprodukt“ wird schließlich auch nicht dadurch
in Frage gestellt, dass der Beschuldigte ihm die Wörter „ganz wunderbares“ vorangestellt hat. Zwar erhält
die Äußerung hierdurch eine ironische Komponente. Die Bezeichnung als „ganz wunderbares
Inzuchtsprodukt“ orientiert sich jedoch offensichtlich an der vom Geschädigten gebrauchten gleichsam
ehrverletzenden Bezeichnung „wunderbarer Neger“. Demnach stellt sich die Reaktion des Beschuldigten
hierauf als bewusst ehrverletzende Äußerung dar.
13 2. Die Äußerung ist jedoch von der durch Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG grundrechtlich gewährleisteten
Meinungsfreiheit des Beschuldigten gedeckt und deshalb nach § 193 StGB gerechtfertigt.
14 a. Die Bezeichnung des Geschädigten als „Inzuchtsprodukt“ stellt keine Schmähung, welche die
Meinungsfreiheit regelmäßig hinter den Schutz der persönlichen Ehre zurücktreten lässt (BVerfG, NJW 2009,
3016 [3017] m.w.N.), dar. Der wegen seines die Meinungsfreiheit verdrängenden Effekts eng auszulegende
Begriff der Schmähung erfasst nicht schon jede überzogene oder gar ausfällige Kritik. Hinzutreten muss
vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung
der Person im Vordergrund steht. Sie muss jenseits auch von polemischer und überspitzer Kritik in der
Herabsetzung der Person bestehen (BVerfG, NJW 1995, 3303 [3304] m.w.N.). Wesentliches Merkmal der
Schmähung ist mithin eine das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängende persönliche Kränkung
(BVerfG, NJW 2014, 3357 [3358]). Das ist vorliegend nicht der Fall. Als Betreff hat der Beschuldigte in
seinem an den Geschädigten gerichteten Schreiben dessen „rassistische Gesinnung“ benannt. Demnach
steht das Schreiben und die darin enthaltene ehrverletzende Äußerung erkennbar in sachlichem und auch in
zeitlichem Zusammenhang mit der nur etwa eine Woche zuvor im Fernsehen ausgestrahlten Äußerung des
Geschädigten, R. sei immer ein „wunderbarer Neger“ gewesen.
15 b. Bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen der persönlichen Ehre des Geschädigten und der
Meinungsfreiheit des Beschuldigten überwiegt letztere.
16 Der Geschädigte hat im Rahmen einer im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ausgestrahlten und somit einer
breiten Masse zugänglichen Talksendung, welche die steigende Zahl von Flüchtlingen und die damit
einhergehende Frage, ob und wie deren Integration zu bewältigen ist, zum Thema hatte, R. als
„wunderbaren Neger“ bezeichnet. Der Begriff „Neger“ ist nach inzwischen gefestigtem allgemeinem
Sprachverständnis diskriminierender Natur (vgl. OLG Köln, NJW 2010, 1676 [1676]). Wer sich an einer
öffentlichen Auseinandersetzung über gesellschaftlich oder politisch relevante Fragen beteiligt und hierbei -
wie der Geschädigte mit der Verwendung des diskriminierendes Begriffs „Neger“ - zu einem abwertenden
Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion grundsätzlich auch dann hinnehmen, wenn sie sein
Ansehen mindert (vgl. BVerfG, NJW 1980, 2069 [2069f.]).
17 Ohne Bedeutung ist, dass R. sich durch die Äußerung des Geschädigten nicht - so jedenfalls die
Berichterstattung in den Medien - beleidigt fühlte. Ob eine Äußerung einen ehrverletzenden Inhalt hat,
bestimmt sich nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums.
18 Ebenso wenig ist ausschlaggebend, dass der Geschädigte den Begriff „Neger“ in konkretem Bezug auf R.
verwendet hat. Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG räumt dem Beschuldigten - wie auch jedem anderen Menschen - das
Recht ein, sich an dieser öffentlichen Auseinandersetzung zu beteiligen.
19 Der vom Beschuldigten in seinem Schreiben gewählte Betreff der „rassistischen Gesinnung“, der enge
zeitliche Zusammenhang - acht Tage nach Ausstrahlung der Sendung im Fernsehen - und die erneute
Verwendung des Adjektivs „wunderbar“ stellen einen eindeutigen Bezug zur Äußerung des Geschädigten
her. Das Schreiben des Beschuldigten stellt sich demnach als Beitrag zur Auseinandersetzung in einer die
Öffentlichkeit zu dieser Zeit aktuell wesentlich berührenden Frage, mithin zur öffentlichen Meinungsbildung
dar. Derartige Beiträge genießen im Vergleich zu solchen Beiträgen, die lediglich der Verfolgung privater
Interessen dienen, einen stärkeren Schutz; für sie spricht eine Vermutung zugunsten der freien Rede (vgl.
BVerfG, NJW 1958, 257 [258f.]).
20 Dass der Beschuldigte seine Äußerung nicht öffentlich getätigt hat ändert nichts daran, dass Anlass hierfür
eine die Öffentlichkeit bewegende Frage war, sie sich mithin gleichwohl als Beitrag zum öffentlichen
Meinungskampf darstellt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Beschuldigte durch die
Wahl eines an den Geschädigten persönlich gerichteten Schreibens den Kreis derjenigen, welche von der
ehrverletzenden Bezeichnung hätten Kenntnis erlangen können, seinerseits klein gehalten hat. Wenn der
Beschuldigte die Äußerung aber sogar in der Öffentlichkeit und somit gegenüber einem nicht
überschaubaren Empfängerkreis hätte tätigen dürfen, muss dies erst recht gelten, wenn er dies in einem
nichtöffentlichen Schreiben an den Geschädigten tut.
III.
21 Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 S. 1 StPO.