Urteil des LG Karlsruhe vom 17.11.2015

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LG Karlsruhe Urteil vom 17.11.2015, 11 S 46/15
Wohnungseigentumssache: Nichtigkeit eines Beschlusses wegen Verletzung des
Teilnahmerechts eines Wohnungseigentümers an der Eigentümerversammlung;
Wiederbestellung des Verwalters trotz fehlerhafter Verwaltung in der Vergangenheit
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 25.02.2015, Az. 9 C 152/14, wird
unter Aufhebung der Entscheidung im Kostenpunkt zurückgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen einschließlich der Kosten der
Nebenintervention zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung
in Höhe von 110 Prozent des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagten und ihre
Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leisten.
4. Die Revision wird hinsichtlich der Frage der Nichtigkeit des Beschlusses zugelassen.
Gründe
I.
1 Die Parteien sind die Mitglieder der Wohnungseigentümergemeinschaft … in … und streiten über die weitere
Bestellung der Verwalterin und die Verlängerung des Verwaltervertrags. Die Verwalterin ist dem
Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten beigetreten.
2 Bereits in der Versammlung vom 17. Juli 2013 beschlossen die Eigentümer mehrheitlich die
Wiederbestellung der Verwalterin. Dieser Beschluss wurde auf die Anfechtung der Kläger vom Amtsgericht
für ungültig erklärt, weil die Verwalterin und eine mit ihr personell und wirtschaftlich eng verbundene ...
innerhalb der Gemeinschaft aktiv für die Beauftragung der … bei der Vermittlung von Wohnungsverkäufen
geworben hatten, obwohl die Verwalterin nach der Teilungserklärung über die Zustimmung zu
Wohnungsveräußerungen entscheiden muss. Daraus ergebe sich ein Interessenkonflikt, der einer weiteren
Bestellung der Verwalterin entgegenstehe. Die gegen dieses Urteil eingelegte Berufung der Streithelferin
blieb erfolglos.
3 Zwischenzeitlich legte die ... eine Erklärung vor, wonach sie in Zukunft keine Vermittlungen von Verkäufen
betreffend die Gemeinschaft übernehmen werde.
4 In der dem hiesigen Rechtsstreit zugrundeliegenden Versammlung vom 21. März 2014 war kurz nach
Verkündung des erstinstanzlichen Urteils unter Tagesordnungspunkt 4 eine Erörterung über das weitere
Vorgehen und die Abstimmung über einen Antrag auf einen Zweitbeschluss zur Wiederbestellung
vorgesehen. Laut Protokoll der Versammlung (Akten erster Instanz Seite 13 f.) berichtete unter dem
Tagesordnungspunkt zunächst der Geschäftsführer der Streithelferin als Versammlungsleiter über das Urteil
des Amtsgerichts und über die Berufung, die die Streithelferin dagegen eingelegt hatte, und bat die
Eigentümer, dem Antrag auf Fassung eines erneuten Beschlusses zur Wiederbestellung zuzustimmen.
Sodann rief der Geschäftsführer der Streithelferin den Prozessbevollmächtigten der Beklagten (mit
Ausnahme des Beklagten ...) hinein, damit „dieser ein Mandantengespräch mit den anwesenden
Eigentümern führen" könne. Der Kläger widersprach der Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten. Ein
Geschäftsordnungsbeschluss über dessen Anwesenheit fand laut Protokoll aber nicht statt, auch keine
ausdrückliche Entscheidung des Versammlungsleiters. (Begonnen hatte die Versammlung mit längeren
Diskussionen über das Anwesenheitsrecht des Prozessbevollmächtigten der Kläger, dem schließlich nur die
Anwesenheit als Dolmetscher gestattet wurde, vgl. Akten erster Instanz Seite 9 f.) Nach Betreten des
Versammlungssaals forderte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten, dass der Kläger und zwei weitere
Eigentümer, die er im Vorprozess nicht vertrat, den Saal verlassen müssten. Daraufhin unterbrach der
Geschäftsführer der Streithelferin die Versammlung und verließ den Saal. Der Kläger und die beiden anderen
Eigentümer verließen ebenfalls den Saal, aber unter Protest. Die Dauer der Unterbrechung ist nicht
protokolliert. Nach Fortführung der Versammlung unter Einschluss der zuvor aus dem Saal geschickten
Eigentümer teilte der Versammlungsleiter mit, dass die … keine Vermittlungen von Wohnungsverkäufen in
der Anlage vornehmen werde, sodann wurde über den Antrag auf Wiederbestellung der Verwalterin
abgestimmt. Es gab 53 Ja-Stimmen und 21 Nein-Stimmen. Das Protokoll vermerkt, dass der Antrag
angenommen wurde.
5 Die Kläger fochten diesen Beschluss rechtzeitig an und sind der Auffassung, die Wiederbestellung
widerspreche ordnungsmäßiger Verwaltung. Zur Begründung werfen sie der Streithelferin Fehlverhalten bei
der Vorbereitung von Sanierungsmaßnahmen vor. Auffällig sei, dass eine bestimmte Firma regelmäßig die
angeblich günstigsten Angebote abgebe und dann auch beauftragt werde. Tatsächlich arbeite die Firma zu
teuer, die Sanierungsarbeiten seien am Markt günstiger zu haben. So habe die Verwalterin bei einer
beabsichtigten Teilsanierung des Daches die Erkenntnisse des Architekten, dass Kosteneinsparungen möglich
seien, nicht an die Eigentümer weitergegeben. In anderen von der Verwalterin betreuten Objekten habe sie
Handwerker nach der Angebotsabgabe aufgefordert, höhere Angebote abzugeben, und zwar mit der
Begründung, sie seien zu billig. Die Verwalterin habe den Hausmeister angewiesen, vom Kläger
herbeigerufene Handwerker, die sich zwecks Angebotsvorbereitung die Heizung der Gemeinschaft
anschauen wollen, nicht in den Heizungsraum zu lassen. Über laufende Rechtsstreitigkeiten seien die
Eigentümer nicht rechtzeitig informiert worden. In einer früheren Sitzung des Verwaltungsbeirats sei der
Beklagte ... zu Unrecht ausgeschlossen worden. Zudem habe die Verwaltung wegen der Dachsanierung
eigenmächtig einen Architektenvertrag abgeschlossen.
6 Formale Fehler bei der Beschlussfassung rügten die Kläger innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist nicht.
7 Das Amtsgericht hat nach Beweisaufnahme durch Vernehmung von Zeugen mit dem angegriffenen Urteil die
Klage abgewiesen. Unredliches Verhalten bei der Auftragsvorbereitung sei der Verwalterin nicht
nachgewiesen worden. Die Nichtberücksichtigung zu billiger Angebot sei zulässig und könne die
Gemeinschaft vor Verlusten bei Handwerkerinsolvenzen bewahren. Zwar gebe es kleinere Verfehlungen,
gleichwohl sei es noch vom Ermessen der Eigentümer gedeckt, die Verwalterin wiederzubestellen.
8 Gegen dieses Urteil legten die Kläger rechtzeitig Berufung ein, mit der sie ihre Anträge aus erster Instanz in
vollem Umfang weiterverfolgen. Sie rügen eine falsche Beweiswürdigung und eine fehlerhafte
Rechtsanwendung des Amtsgerichts. Insbesondere sei es nicht Aufgabe der Verwalterin, angeblich „zu
billige" Angebote auszusortieren; die Gemeinschaft habe selbst zu befinden, welche Angebote sie für seriös
und vertrauenswürdig halte.
9 Die Kläger beantragen daher:
10 Unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Karlsruhe vom 25. Februar 2015 - 9 C 152/14 - wird der
Beschluss der Wohnungseigentümerversammlung ... in ... vom 21.03.2014 zu TOP 4.2 (Verwalterwahl und
Verlängerung des Verwaltervertrags) für ungültig erklärt.
11 Die Beklagten (mit Ausnahme des Beklagten ...) und ihre Streithelferin beantragen Zurückweisung der
Berufung.
12 Sie verteidigten das erstinstanzliche Urteil.
13 Die Kammer hat im Termin zur mündlichen Verhandlung über die Berufung gemäß § 46 Absatz 2 WEG auf
eine mögliche Nichtigkeit des Beschlusses hingewiesen, da der Kläger und zwei weitere Eigentümer de facto
kurz vor der Beschlussfassung für gewisse Zeit von der Versammlung ausgeschlossen worden seien. Die
Kläger beriefen sich daraufhin auf diesen Fehler zur Begründung ihrer Klage. Die Parteien erhielten
Gelegenheit, zu diesem Hinweis Stellung zu nehmen
14 Die Beklagten sind der Ansicht, dass die - bloß kurze - Unterbrechung zulässig und der Versammlung dienlich
gewesen sei. Die Streithelferin macht geltend, dass die Eigentümerversammlung unterbrochen gewesen sei.
Von einer unterbrochenen Versammlung könne man „denknotwendigerweise" nicht ausgeschlossen werden.
Selbst bei einem Ausschluss habe dies nicht die Nichtigkeit des Beschlusses zur Folge. Auf die
Teilnahmerechte könne jedes Mitglied verzichten; dies stehe einer Annahme der Nichtigkeit entgegen.
15 Die Kläger machen geltend, dass die Versammlung nicht unterbrochen gewesen sei. Die Dauer der
Unterbrechung sei nicht angegeben worden. Vielmehr seien sie und andere für unbestimmte Dauer aus der
Versammlung gedrängt worden und hätten tatsächlich ca. eine Stunde auf dem Flur vor dem Saal
gestanden. Die Gegenseite könne sich auch nicht auf anwaltliche Rechtsvorschriften (§ 43a BRAO) berufen,
andernfalls könne jeder Miteigentümer seinen Anwalt mitbringen und stets verlangen, dass zu bestimmten
Tagesordnungspunkten die übrigen Eigentümer den Saal auf unbestimmte Zeit verlassen, damit er sich mit
seinem Anwalt vertraulich unterhalten kann.
II.
16 Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht die Klage
abgewiesen. Der Beschluss ist trotz einer erheblichen Rechtsverletzung in der Eigentümerversammlung
nicht nichtig. Zutreffend hat das Amtsgericht auch keine hinreichenden Gründe gesehen, aus denen die
Wiederbestellung der Verwaltung mit ordnungsmäßiger Verwaltung nicht mehr vereinbar wäre.
17 1. Der Beschluss ist nicht nichtig. Die Kammer hat auch im Anfechtungsprozess mögliche Nichtigkeitsgründe
vom Amts wegen zu prüfen (BGH, Urteil vom 26. Oktober 2012 - V ZR 7/12 - NJW 2013, 65 Rn. 8).
18 a. Allerdings erging der Beschluss formell fehlerhaft, indem der Versammlungsleiter offenbar aus eigener
Initiative trotz Protestes des Klägers ohne Beschluss der Versammlung den Prozessbevollmächtigten der
Beklagten (mit Ausnahme des Beklagten ...) in die Versammlung rief und auf dessen Wunsch die
Versammlung „unterbrach", damit dieser eine als „Mandantengespräch" deklarierte Sonderversammlung mit
den meisten Eigentümer unter Ausschluss des Klägers und zweier weiterer Eigentümer durchführen durfte.
Die formale Unterbrechung vermag die in diesem Vorgehen liegende Verletzung der Mitwirkungsrechte der
ausgeschlossenen Mitglieder nicht zu kaschieren. Allerdings gehört es zu den Befugnissen des
Versammlungsleiters, die Versammlung zu unterbrechen, wenn dies für ihre ordnungsmäßige Fortführung
erforderlich ist (Bärmann/Merle WEG 12. Auflage 2013 § 24 Rn. 115). Dabei hat er aber fair und unparteilich
nach rechtsstaatlichen und demokratischen Prinzipien zu moderieren und zu leiten, insbesondere unter
Beachtung des Grundrechts auf rechtliches Gehör, des Gleichbehandlungsgrundsatzes sowie des
Erforderlichkeits- und Verhältnismäßigkeitsprinzips (Schultzky in: Jennißen WEG 4. Auflage 2015 § 24 WEG
Rn. 117). Die Eigentümerversammlung ist der Ort, an dem die gemeinsamen Belange der Gemeinschaft von
allen Mitgliedern diskutiert und durch anschließenden Beschluss geregelt werden. Dieser Funktion als
Diskussionsforum unter Einschluss aller Mitglieder steht es von vornherein entgegen, dass die Versammlung
auf Betreiben der Mehrheit nach Belieben unterbrochen wird, damit sie unter Ausschluss der Minderheit
ungestört weiterdiskutieren kann, bevor anschließend über den Beschluss abgestimmt wird. Ein solches
Vorgehen ist mit einer Raucher- oder Toilettenpause in keiner Weise zu vergleichen. Es ist schon nicht
erkennbar, weshalb inmitten der Diskussion über die Wiederbestellung der Verwalterin ein gesondertes
Mandantengespräch überhaupt erforderlich sein sollte. Im Protokoll ist zudem nicht einmal dokumentiert,
dass aus den Reihen der Mandanten dieser Wunsch an die Versammlungsleitung heran getragen wurde. Die
formale Unterbrechung war auch nicht mit einer fairen Versammlungsleitung vereinbar. Denn die Mehrheit
nutzte die formale Unterbrechung mitten in einem Tagesordnungspunkt zur weiteren Diskussion im
exklusiven Kreis und setzte so die Versammlung tatsächlich fort. Dass der Versammlungsleiter die
Versammlung selbst verlässt, ist vor diesem Hintergrund unerheblich. Er hätte vielmehr die Versammlung
inmitten des bereits begonnen Willensbildungsprozesses zum Zwecke eines „Mandantengesprächs" gar nicht
„unterbrechen" dürfen. Zudem ist dem Protokoll auch nicht zu entnehmen, dass den ausgeschlossenen
Mitgliedern die Dauer des „Mandantengesprächs" angekündigt wurde, so dass sich die Frage stellt, wie lange
sie denn warten sollten, bis sich die Mehrheit mit ihrem Anwalt ausgesprochen hat.
19 b. Die Mitwirkungsrechte der ausgeschlossenen Mitglieder wurden also in erheblicher Weise verletzt. Dass
die Verwalterin ausgerechnet vor der Abstimmung über ihre Wiederbestellung der sie stützenden Mehrheit
der Eigentümer solche Bevorzugung gewährt - und das vor dem Hintergrund der erfolgreichen Anfechtung
des Erstbeschlusses -‚ muss an ihrer gebotenen Neutralität zweifeln lassen und bemakelt ihre
Wiederbestellung ganz erheblich. Mit ihrer Neutralität ist auch nicht vereinbar, dass sie, nachdem der
Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht als Anwalt zur Versammlung zugelassen wurde, kurze Zeit später
selbst den Prozessbevollmächtigten der Beklagten (mit Ausnahme des Beklagten …) in die Versammlung rief
und auf Widerspruch des Klägers nicht über dessen Zulassung abstimmen ließ, sondern dem Anwalt das
Wort erteilte. Bei Bewertung dieser Vorgänge aus der Sicht eines objektiven, verständigen Dritten muss der
Eindruck entstehen, dass die Verwalterin - sich an ihr Amt klammernd - kurz vor der Abstimmung über ihre
Wiederbestellung die Mehrheit der Eigentümer durch einen Anwalt im Schutze von dessen
Verschwiegenheitspflicht auf sich einschwören ließ und zu diesem Zweck die ihre Position angreifende
Minderheit vor die Tür setzte. Was die Mehrheit mit ihrem Anwalt im Detail besprach, muss nicht im
Einzelnen geklärt werden; denn Gegenstand des Gesprächs war die Wiederbestellung der Verwalterin, so
dass der Willensbildungsprozess zum Tagesordnungspunkt fortgesetzt wurde. Es bestehen keine Zweifel,
dass die in diesem Vorgehen liegende Verletzung der Mitwirkungsrechte einzelner Mitglieder die
Ungültigerklärung des Beschlusses zur Folge haben müsste, wenn sie denn innerhalb der Frist aus § 46
Absatz 1 Satz 2 WEG als formeller Fehler bei der Beschlussfassung gerügt worden wäre. Ebenso wäre der in
diesem Verhalten der Verwalterin zum Ausdruck kommende Mangel an Neutralität gegenüber allen
Mitgliedern der Gemeinschaft ein Umstand, der einen wichtigen Grund gegen ihre Wiederbestellung
darstellte und ihre Wiederbestellung nicht mehr vertretbar erscheinen ließe. Da er aber nicht - auch nicht im
Kern - innerhalb der Anfechtungsfrist gerügt wurde, ist die Kammer gehindert, ihn bei der Beurteilung der
materiellen Rechtsmäßigkeit des Beschlusses als Anfechtungsgrund zu berücksichtigen. Erfolgreich kann die
Klage daher nur sein, wenn die Verletzung der Mitwirkungsrechte der ausgeschlossenen Mitglieder einen
Nichtigkeitsgrund darstellt.
20 c. Anders als zunächst von der Kammer erwogen ist die oben dargestellte Verletzung der Mitwirkungsrechte
kein Grund für die Nichtigkeit des angefochtenen Beschlusses.
21 (1) Allerdings hat nach verbreiteter Ansicht die bewusste Vereitelung der Teilnahmerechte von Mitgliedern
der Gemeinschaft wegen des darin liegenden Eingriffs in den Kernbereich ihrer Mitwirkungsrechte die
Nichtigkeit der in der anschließenden Versammlung gefassten Beschlüsse zur Folge (BayObLG, Beschluss
vom 8. Dezember 2004 - 2Z BR 199/04 - NZM 2005, 630; OLG Köln, Beschluss vom 3. Dezember 2003 - 16
Wx 216/03 - ZMR 2004, 299; Kümmel in: Niedenführ/Kümmel/Vandenhouten WEG 11. Auflage 2015 § 24
Rn. 57; Schultzky in: Jennißen WEG 4. Auflage 2015 § 23 Rn. 159 und § 25 Rn. 102). Noch weitergehend
wird wegen der zentralen Bedeutung der ordnungsgemäßen Mitwirkung der Mitglieder an der
gemeinschaftlichen Willensbildung sogar die versehentliche Vereitelung der Mitwirkungsrechte als
Nichtigkeitsgrund angesehen (Bärmann/Merle WEG 12. Auflage 2013 § 23 Rn. 188). Nach beiden Ansichten
wäre hier die Nichtigkeit zu bejahen, denn der Kläger und zwei weitere Mitglieder wurden vor der
Beschlussfassung vorsätzlich von der Diskussion ausgeschlossen. Zwar durften sie mit abstimmen, aber ihre
Einflussmöglichkeit auf die Willensbildung wurde ganz erheblich beschnitten. Auch geschah dies vorsätzlich.
Die formale Unterbrechung steht dem vorsätzlichen Handeln nicht entgegen, denn Vorsatz in diesem Sinn
erfordert kein Bewusstsein der Rechtswidrigkeit.
22 (2) Die höchstrichterliche Rechtsprechung fasst die Voraussetzungen für die Nichtigkeit wegen formeller
Fehler aber noch enger und erkennt nur in ganz besonders schwerwiegenden Ausnahmefällen hinreichende
Gründe für die Nichtigkeit des Beschlusses, etwa wenn ein Wohnungseigentümer in böswilliger Absicht
gezielt von der Teilnahme ausgeschlossen werden soll (BGH, Urteil vom 20. Juli 2012 - V ZR 235/11 - NJW
2012, 3571). Allerdings erfolgte im vorliegenden Fall der Teilnahmeausschluss böswillig, denn es entsteht bei
der Gesamtbetrachtung der Geschehnisse der Eindruck, dass man sich der beiden Instrumente der
„Unterbrechung" und des „Mandantengesprächs" bewusst bediente, um ohne die ausgeschlossenen
Mitglieder ungestört über die Wiederbestellung diskutieren zu können. Aber bereits aus anderem Grund
besteht kein „ganz besonders schwerwiegender Ausnahmefall": Das Gesetz sieht für die Überprüfung der
Rechtmäßigkeit von Beschlüssen einer Eigentümerversammlung Ausschlussfristen vor, innerhalb deren die
Anfechtung erklärt und begründet werden muss. Ziel dieser Regelung ist die Herstellung von
Rechtssicherheit und Rechtsfrieden. Die Gemeinschaft soll nach Ablauf der Anfechtungsfrist regelmäßig in
den Bestand der gefassten Beschlüsse vertrauen dürfen (BGH, Urteil vom 16. Januar 2009 - V ZR 74/08 -‚
BGHZ 179, 230; LG Düsseldorf, Urteil vom 9. November 2010 - 16 S 128/09 -‚ juris; Suilmann in: Jennißen
WEG 4. Auflage 2015 § 46 WEG Rn. 70). Die angestrebte Rechtssicherheit würde aber durch eine zu
großzügige Annahme von Nichtigkeitsgründen beeinträchtigt. Bei der Verletzung von Mitwirkungsrechten ist
daher für die Nichtigkeitsfolge vorauszusetzen, dass die betroffenen Mitglieder in besonderer Weise
schutzbedürftig und auf die Nichtigkeitsfolge in besonderer Weise angewiesen sind. Hintergrund dieser
Anforderung ist, dass die Eigentümer auf ihre Mitwirkungsrechte, selbst auf deren Kernbereich, ohne
Weiteres verzichten können, worauf die Streithelferin zutreffend hinweist. Niemand muss an
Eigentümerversammlung teilnehmen, jeder kann die Versammlung jederzeit verlassen, und ein Eigentümer,
der auf welch böswillige und rechtswidrige Art auch immer von der Versammlung ausgeschlossen wurde,
kann diesen Ausschluss selbstverständlich hinnehmen. Im letzten Fall kann von dem betroffenen Eigentümer
grundsätzlich erwartet werden, dass er die Verletzung seiner Rechte, seien sie auch noch so gravierend, in
einer Anfechtungsklage rügt. Für eine zeitlich unbegrenzte Schwebe der Beschlüsse muss ein hinreichender
Grund vorhanden sein, der in der Person des betroffenen Eigentümers liegen muss.
23 (3) Eine solche besondere Schutzbedürftigkeit ist im vorliegenden Fall nicht gegeben. Sie könnte sich
allerdings aus dem Umstand ergeben, dass der Ausschluss des Klägers durch eine „Unterbrechung" der
Versammlung getarnt wurde. Jedoch wurde der Kläger in der Versammlung von seinem Anwalt begleitet, der
die Vorgänge unmittelbar beobachten konnte; außerdem protestierte der Kläger unmittelbar gegen das
„Mandantengespräch" und seinen Ausschluss. Vor diesem Hintergrund ist es unverständlich, weshalb dieser
formelle Fehler nicht innerhalb der Anfechtungsbegründungsfrist gerügt wurde.
24 2. Die Wiederbestellung der Verwalterin widerspricht auch nicht den Grundsätzen ordnungsmäßiger
Verwaltung.
25 a. Die Wiederbestellung eines Verwalters ist nur dann nicht mehr ordnungsmäßig, wenn nach
Berücksichtigung aller Umstände nach Treu und Glauben eine Zusammenarbeit mit dem zu bestellenden
Verwalter unzumutbar und das erforderliche Vertrauensverhältnis nicht zu erwarten ist. Selbst bei Vorliegen
eines wichtigen Grundes, der gegen die Wiederbestellung spricht, haben die Wohnungseigentümer einen
Beurteilungsspielraum und dürfen sich selbst dann für die Wiederbestellung entscheiden, wenn dies aus
objektiver Sicht noch vertretbar erscheint (BGH, Urteil vom 22. Juni 2012 - V ZR 190/11 - NJW 2012, 3175).
Die Wahl einer Verwalterin ist eine Entscheidung der Wohnungseigentümer, die mehr als die meisten
anderen Maßnahmen der Verwaltung der Gemeinschaft vom Vertrauen geprägt ist. Die Kammer stellt daher
in ständiger Rechtsprechung sehr hohe Anforderungen an ein gerichtliches Eingreifen in diese
Vertrauensentscheidung (vgl. Urteil der Kammer vom 26. Juni 2013 - 11 S 241/11; Urteil der Kammer vom
14. Januar 2014 - 11 S 131/12).
26 b. Allerdings sind der Verwalterin in der Vergangenheit eine Reihe von Fehlern unterlaufen, die in ihrer
Gesamtheit einen wichtigen Grund gemäß § 26 Absatz 1 Satz 3 WEG darstellen. So hat die Verwalterin es
unstreitig unterlassen, gewisse Einsparungsmöglichkeiten bei der Dachsanierung an die Eigentümer
weiterzugeben. Solche Informationen sind aber dringend erforderlich, damit die Eigentümer sich ein
zutreffendes Bild von den auf sie zukommenden Instandhaltungskosten machen können. Zu diesem Fehler
passt, dass die Verwalterin (allerdings in einem anderen Objekt) das Angebot eines Handwerkers nicht an die
Eigentümer weitergab, weil es „zu billig" sei. Es ist allerdings nicht Aufgabe der Verwalterin, Angebote
vorzusortieren, sondern sie muss auch in ihren Augen zu günstige Angebote den Eigentümern vorlegen,
verbunden mit der Information, weshalb man diese Angebote für nicht seriös hält. Hinzu treten die beiden
Fehler, die bereits das Amtsgericht erkannt, aber nicht für ausreichend gehalten hat.
27 c. Der Ausschluss des Eigentümers ... von einer vorangehenden Verwaltungsbeiratssitzung zeigt die
rechtswidrige Übung der Mehrheit der Eigentümer, Sitzungen von Organen der Gemeinschaft zeitweilig als
exklusive und geheime "Mandantengespräche" zu deklarieren, um die Minderheit von den Sitzungen
ausschließen zu können, ist aber nicht direkt der Verwalterin anzulasten. Der Ausschluss resultierte nach
Vortrag der Beklagten und auch der Darstellung des Beklagten ... aus einem Wortgefecht zwischen den
Verwaltungsbeiratsmitgliedern und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten und ist mithin kein Fehler
der Verwalterin, die in Gestalt ihres Geschäftsführers nur dabeisaß und passiv blieb. Ebenso ist nicht zu
beanstanden, dass die Verwalterin darauf besteht, dass sich Handwerker, die ein Angebot für
Instandhaltungsmaßnahmen angeben wollen, sich zwecks Besichtigung des Gebäudes an sie wenden.
28 d. Unberücksichtigt bleibt der oben dargestellte Verstoß gegen das Neutralitätsgebot in der Versammlung
vom 21. März 2014. Er wurde nicht rechtzeitig gerügt.
29 e. Die festgestellten Fehler der Verwalterin sind von einigem Gewicht, lassen jedoch die Wiederbestellung
der Verwalterin und die Verlängerung des Verwaltervertrags nicht als unvertretbar erscheinen. Es ist noch
mit ordnungsmäßiger Verwaltung zu vereinbaren, dass die Mitglieder auch in Ansehen der festgestellten
Fehler der Verwalterin für weitere fünf Jahre das Vertrauen schenken.
30 3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf §§ 91, 97, 101 Absatz 1 ZPO. Die
fehlerhafte Kostenentscheidung ist im Rechtsmittelverfahren zu korrigieren und nicht im Rahmen der
Berufung gegen das Ergänzungsurteil (BeckOK ZPO/Jaspersen/Wache Stand: 1.9.2015 § 101 Rn. 15.1). Die
Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nummer 10 ZPO und § 711 ZPO.
31 4. Die Kammer lässt die Revision zu, da der Rechtsstreit Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft und
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist.
Denn die Kammer ergänzt in diesem Urteil die Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung an die
Nichtigkeit wegen einer Verletzung von Mitgliedschaftsrechten um eine weitere Voraussetzung und hält
eine besondere Schutzbedürftigkeit des betroffenen Wohnungseigentümers für erforderlich.
32 Tauscher
Dr. Meyer-Spasche Dr. Otto
Vorsitzender Richter
am Landgericht
Richterin
am Landgericht
Richter
am Landgericht