Urteil des LG Karlsruhe vom 06.11.2002

LG Karlsruhe: örtliche zuständigkeit, erfüllungsort, kritik, vollstreckbarkeit, steuerberater, verfügung, gerichtsstand, rechtsberatung

LG Karlsruhe Entscheidung vom 6.11.2002, 1 S 137/02
Erfüllungsort für Ansprüche aus Anwalts- oder Steuerberatervertrag
Leitsätze
Für Ansprüche aus einem Anwalts- oder Steuerberatervertrag besteht ein einheitlicher Erfüllungsort und Gerichtsstand am Sitz der Kanzlei
Tenor
1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe-Durlach vom 02.07.2002 - Az. 1 C 202/02 - abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 3.202,76 EUR nebst 10% Zinsen p. a. hieraus seit 31.01.2002 sowie 15,11 EUR vorgerichtliche Kosten zu
zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
1 Die Berufung ist zulässig und, nachdem für die Beklagte im Verhandlungstermin vom 06.11.2002 niemand erschienen ist, gemäß § 539 Abs. 2
ZPO auch erfolgreich.
2 Die Kammer hält die vor dem Amtsgericht Karlsruhe-Durlach erhobene Klage für zulässig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 29 ZPO.
Erfüllungsort für Honorarforderungen der Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe ist der Sitz der Kanzlei.
3 Das Amtsgericht folgt mit seiner gegenteiligen Ansicht einer in Literatur und Rechtsprechung vertretenen Ansicht, wonach für Ansprüche aus
einem Anwalts- oder Steuerberatervertrag kein einheitlicher Erfüllungsort am Sitz der Kanzlei begründet sei, so dass für die wechselseitigen
Ansprüche je gesondert der Erfüllungsort am Ort des Wohnsitzes oder Sitzes des Verpflichteten liege (OLG Hamburg, OLGR 2000, 222; LG
Frankfurt, NJW 2001, 2640; Schmid, MDR 1993, 410; Prechtel, NJW 1999, 3617; Einsiedler, NJW 2001, 1549; vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 2001,
1583; OLG Dresden, NJW-RR 2002, 929: Verweisung durch das Gericht am Sitz der Kanzlei jedenfalls nicht willkürlich). Dieser Ansicht tritt die
Kammer nicht bei. Es entspricht gefestigter ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung, dass für Honorarklagen der Angehörigen der steuer-
und rechtsberatenden Berufe eine Gerichtszuständigkeit am Sitz der Kanzlei gemäß § 29 ZPO begründet ist (BGH, NJW 1991, 3095; BayObLG,
NJW-RR 2001, 928; OLG Köln, NJW-RR 1997, 825; OLG Hamburg, BRAK-Mitt 2002, 44; OLG München, VersR 2001, 395; ebenso Zöller, ZPO, 23.
Aufl., § 29 Rdnr. 25 „Anwalt“, „Steuerberater“; MünchKommZPO-Patzina, 2. Aufl., § 29 Rdnr. 26, 81). Es bestehen keine Gründe, von dieser
gefestigten Rechtsprechung, auf die sich der Rechtsverkehr eingestellt hat, abzugehen. Die Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe
unterhalten eine Kanzlei und erbringen wesentliche vertragstypische Dienstleistungen nach wie vor dort - oder zumindest von dort aus. Dies gilt
beispielsweise (entgegen Schmid, MDR 1993, 410) auch für den überregional tätigen Strafverteidiger, der zwar die Verteidigung selbst am
Prozessort durchführt, die gesamte Vorarbeit - Aktenstudium, Recherche, Vorbereitung - aber in seiner Kanzlei. Die Annahme, angesichts dieser
Ortsbezogenheit des Schuldverhältnisses ergebe sich aus dessen Natur (§ 269 Abs. 1 BGB) ein gemeinsamer Erfüllungsort für alle
Vertragspflichten an diesem Ort, erscheint nach wie vor auch unter Berücksichtigung der hiergegen im Schrifttum vorgebrachten Kritik
überzeugend. Insbesondere ist die Behauptung der Kritiker nicht zutreffend, § 269 Abs. 1 BGB stelle eine Regel auf, nach welcher aus
Schuldnerschutzgründen der Schuldner grundsätzlich an seinem Wohnort in Anspruch zu nehmen sei (Prechtel, NJW 1999, 3617, 3618; ebenso
die angegriffene Entscheidung). Nach der gesetzlichen Vorschrift sind - in dieser Reihenfolge - für den Erfüllungsort die vertragliche Vereinbarung,
die Natur des Schuldverhältnisses und erst an letzter Stelle der Schuldnerwohnsitz maßgebend. Die letzte Alternative des § 269 Abs. 1 BGB ist
somit keineswegs eine Regel, sondern ein Auffangtatbestand.
4 Da die Klage schlüssig begründet ist, war ihr gemäß § 539 Abs. 2 ZPO auf Antrag der Kläger unter Abänderung der angegriffenen Entscheidung
durch Versäumnisurteil stattzugeben.
5 Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 2 ZPO.