Urteil des LG Kaiserslautern vom 26.11.2004

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Wirtschaftsrecht
LG
Kaiserslautern
26.11.2004
2 O 394/04
Zur Frage des Anscheinsbeweises bei einer behaupteten missbräuchlichen Verwendung einer ec-Karte
2 O 394/04
verkündet am 26. November 2004
In dem Rechtsstreit
- Kläger -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwältin
gegen
- Beklagte -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen Forderung,
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern durch den Vizepräsidenten des Landgerichts
Berzel, den Richter am Landgericht Stiefenhöfer und den Richter am Landgericht Leube
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. November 2004
für
R e c h t
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Dem Kläger werden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicher-
heitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, soweit nicht die Beklagte
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils von ihr zu vollstreckenden Betrages geleistet hat.
T a t b e s t a n d :
Der Kläger unterhält bei der beklagten Bank ein Girokonto, über das er mit einer ausgestellten EC-Karte
verfügen kann. Zwischen den Parteien war vereinbart, dass bei nicht regelmäßiger Abholung von
Kontoauszügen diese spätestens alle 3 Monate an eine vom Kläger anzugebende Adresse zu versenden
waren. Am 10. April 2001 wurde die Adresse des Klägers bei der Beklagten dahingehend geändert, dass
nunmehr Frankfurt/Oder als Wohnsitz bestimmt wurde. Zumindest bis zur Übersendung des Kontoauszugs
vom 10. April 2001 traten keine Probleme bei der Versendung von Kontoauszügen auf.
Mit seinem Schreiben vom 3. Dezember 2001 monierte der Kläger das Ausbleiben der Kontoauszüge.
Mitte Januar 2002 erhielt der Kläger einen Kontoauszug betreffend den Jahresabschluss; am 22. Mai
2002 wurde ihm eine vollständige Übersicht über die Kontobewegungen der vergangenen Monate
übersandt. Am 23. Mai 2002 ließ der Kläger sein Konto bei der Beklagten sperren.
Mit außergerichtlichem Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 20. August 2002 forderte der
Kläger die Beklagte erfolglos zur Zahlung von 10.953,34 EUR auf mit dem Hinweis auf unberechtigte
Geldautomatenverfügungen in Polen in der Zeit vom 3. Mai 2001 bis 22. Mai 2002.
Der Kläger trägt vor:
Zahlreiche Belastungen seines Kontos in der Zeit vom 3. Mai 2001 bis 22. Mai 2002 seien ohne seine
Zustimmung, also missbräuchlich, erfolgt. Derartige Fremdabhebungen seien heutzutage durch
technische Manipulationen auch möglich (vgl. die vorgelegten Berichte auf Bl. 12 ff. d. A.). Er habe die EC-
Karte nie aus der Hand gegeben, nicht einmal seiner Lebensgefährtin. Zudem sei zu berücksichtigen,
dass er sich im Zeitpunkt unrechtmäßiger Abhebungen von seinem Konto in der Zeit vom 8. bis 31. Juli
2001 nicht in Polen, sondern in Frankfurt/Oder aufgehalten habe, was gegen Abhebungen am 10. Juli und
19. Juli 2001 in Polen durch ihn spreche. Ferner habe er letztmals den Kontoauszug vom 10. April 2001
erhalten. Da nach einem Vierteljahr kein weiterer Auszug zugegangen sei, habe er bei seinem damaligen
Sachbearbeiter in Mehlingen nach dem Stand gefragt und das Ausbleiben der neuen Auszüge moniert.
Ende Juli/Anfang August habe er nochmals schriftlich um Übersendung der Kontounterlagen nach Polen
gebeten. Bei einem weiteren Telefonat im September 2001 sei es in erster Linie nicht um die Mitteilung
seiner neuen Anschrift, sondern um eine Bestätigung des Eingangs seiner Rente und der Monierung der
ausstehenden Kontoauszüge gegangen. Weiterhin habe er aus dem Kontoauszug zum Jahresabschluss
2001 keine Unregelmäßigkeiten erkennen können (vgl. die vorgelegten Kontoauszüge auf Bl. 57 d. A.).
Sowohl am 8. Januar als auch am 28. Januar 2002 habe er an die Übersendung der vollständigen
Unterlagen erinnert.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.953,34 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit 28. August 2002 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte macht geltend:
Dem Kläger seien etwaige Unregelmäßigkeiten bereits aus dem Kontoauszug vom 10. April 2001
aufgefallen, was sich aus seinem Schreiben vom 3. Dezember 2001 ergebe. Spätestens jedoch mit
Zugang des Jahresabschlusses 2001 habe der Kläger von den angeblichen Fremdabhebungen Kenntnis
erlangt. Allerdings habe der Kläger erst mit Schreiben vom 8. Mai 2002 den Verdacht von
Unregelmäßigkeiten auf seinem Girokonto geäußert und sich damit grob fahrlässig verhalten. Darüber
hinaus seien die von dem Kläger vermuteten Manipulationen aufgrund der technischen Gegebenheiten
nicht möglich. Gegen etwaige Manipulationen spreche zudem die Art der Abhebungen über einen
längeren Zeitraum hinweg und die Höhe der Beträge. In diesem Zusammenhang sei auch zu
berücksichtigen, dass die Lebensgefährtin des Klägers seit 10. Dezember 1997 kontobevollmächtigt
gewesen sei und sich der Kläger von den Bankmitarbeitern in Polen bei der Abhebung habe helfen
lassen, wobei er geheime Daten bekannt gegeben habe (vgl. die vorgelegten Belege zu den einzelnen
Lastschriftvorgängen als Anlage zum Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 8. November 2004 -
Aktenanlage).
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die wechselseitigen vorbereitenden Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist nicht begründet.
Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung
von 10.953,34 EUR zu. Insbesondere liegen die Voraussetzungen für einen Erstattungsanspruch wegen
unberechtigter Belastungen seines Girokontos nicht vor, §§ 676 f, 676 h BGB.
Die Beklagte war aufgrund des mit dem Kläger geschlossenen Girovertrages zwar nur berechtigt, das
klägerische Konto mit den Beträgen zu belasten, die auf entsprechenden Belastungshandlungen des
Klägers beruhten. Der Kläger hat auch bestritten, dass ihm diverse Verfügungen über sein Konto bei der
Beklagten in der Zeit vom 3. Mai 2001 bis 22. Mai 2002 zuzurechnen seien. Den gegen ihn sprechenden
Anscheinsbeweis hat der Kläger jedoch nicht zu erschüttern vermocht.
Werden Verfügungen getroffen, die zu Belastungsbuchungen auf einem von der Bank eingerichteten
Konto eines Kunden nach sich ziehen, trägt die Bank sowohl die Beweislast für das Vorhandensein einer
Weisung ihres Kunden als auch für den fahrlässigen Umgang des Kunden mit den ihm eingeräumten
Zahlungsmitteln. Hierbei stehen der Bank allerdings Beweiserleichterungen, insbesondere der Beweis
des ersten Anscheins zur Seite. Die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins greifen bei
typischen Geschehensabläufen ein, also in Fällen, in denen ein bestimmter Sachverhalt feststeht, der
nach allgemeiner Lebenserfahrung auf eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als
maßgeblich für den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist. Spricht ein Anscheinsbeweis für einen
bestimmten Ursachenverlauf, kann der Inanspruchgenommene diesen Anscheinsbeweis entkräften,
indem er Tatsachen darlegt und ggfs. beweist, aus denen sich die ernsthafte, ebenfalls in Betracht
kommende Möglichkeit einer anderen Ursache ergibt. Nach diesen Maßstäben streitet hier der Beweis
des ersten Anscheins für ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers im Umgang mit seiner EC-Karte und
im Zusammenhang mit der Geheimhaltung seiner persönlichen Geheimzahl.
Der Kläger hat schon nicht behauptet, dass ihm seine EC-Karte gestohlen wurde. Eine kurzzeitige
Entwendung der EC-Karte zum Zwekke der Anfertigung einer Zweitkarte hält die Kammer im vorliegenden
Fall ebenfalls für sehr unwahrscheinlich. Hiergegen spricht das "Täterverhalten" bei der Verwendung
einer vermeintlichen Zweitkarte.
Selbst nach den von dem Kläger vorgelegten Berichten, die Manipulationen bei der Verwendung von EC-
Karten zum Inhalt haben, ist davon auszugehen, dass der erfolgreiche Missbrauch von EC-Karten einen
hohen organisatorischen, technischen und finanziellen Aufwand bedarf. Wer einen solchen Aufwand
betreibt, handelt nicht nur gelegentlich, sondern professionell, was sich in dem gesamten Verhalten ab
dem Zeitpunkt des Diebstahls der Zahlungsmittel bis zu deren Verwendung widerspiegelt. Typischerweise
werden nach dem Diebstahl der EC-Karte/Anfertigung einer Zweitkarte in einem kurzen Zeitraum
möglichst viele Zahlungsvorgänge bis zur Ausschöpfung des höchst möglichen Zahlungsrahmens
vorgenommen. Dies schon deshalb, weil die Täter jederzeit mit der Entdeckung des Missbrauchs des
Zahlungsmittels und der Kontosperrung rechnen müssen. Zudem werden Manipulationen regelmäßig
nicht am Ort des Diebstahls, sondern vorzugsweise im nahe gelegenen Ausland vorgenommen, um eine
Entdeckung zu erschweren. All dies ist vorliegend nicht geschehen.
Nach dem eigenen Vorbringen des Klägers hat er die EC-Karte nicht einmal seiner Lebensgefährtin
überlassen, so dass sich schon die Frage stellt, wie es zur Anfertigung einer Zweitkarte gekommen sein
soll. Darüber hinaus betreffen die vom Kläger beanstandeten Kontobelastungen den Zeitraum von mehr
als einem Jahr (03.05.2001 bis 22.05.2002), wobei zwischen den einzelnen Kontoverfügungen teilweise
mehrere Wochen liegen. Allein dies spricht gegen ein professionell ausgeführtes kriminelles Handeln.
Ferner wurden bei nahezu sämtlichen Kontobelastungen nicht mehr als 300 EURO - umgerechnet in
polnischer Währung PLN - abgehoben und der Verfügungsrahmen nicht ansatzweise ausgeschöpft.
Weiterhin lässt sich den Belegen über die einzelnen Lastschriftvorgänge entnehmen, dass die
Geldabhebungen entweder im Wohnort des Klägers in Polen - Olecko - bzw. in der nahe gelegenen Stadt
Elk vorgenommen wurden.
Angesichts der beschriebenen Umstände kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Kläger Opfer
eines professionellen EC-Kartenmissbrauchs wurde. Vielmehr spricht der Beweis des ersten Anscheins
für einen nicht hinreichend sorgfältigen Umgang des Klägers mit seiner EC-Karte und der dazugehörigen
Geheimnummer.
Fehlversuche sind bei den zahlreichen Geldabhebungen nicht behauptet worden und lassen sich auch
den Belegen der einzelnen Lastschriftvorgänge nicht entnehmen. Auszahlungen durch Geldautomaten
setzen aber voraus, dass die EC-Karte und die korrekte Geheimnummer (PIN) zusammen verwendet
werden. Ausreichende Anhaltspunkte dafür, dass die erfolgreichen Abhebungen durch unbefugte Dritte
ohne Zutun des Karteninhabers erfolgen konnten, sind - wie bereits ausgeführt - nicht vorhanden. Zudem
hätte es neben der Entwendung der EC-Karte erheblich weitergehender Bemühungen für das Ausspähen
der PIN bedurft, wie etwa das intensive Beobachten des Klägers bei Abhebungsvorgängen oder die
mathematische Entschlüsselung der PIN. Erstgenanntes hat der Kläger bei seiner Anhörung im Termin
selbst ausgeschlossen, so dass auch Missbrauchshandlungen von Bankmitarbeitern nicht in Betracht
kommen. Hinsichtlich der Entschlüsselung der PIN hält es die Kammer zumindest für sehr
unwahrscheinlich, dies lediglich mit den auf der EC-Karte vorhandenen Daten zu erreichen (vgl. BGH
Urteil vom 05. Oktober 2004, XI ZR 210/03). Zumindest wäre eine erfolgreiche Entschlüsselung einem
professionell kriminellen Verhalten zuzuschreiben, was hier wegen der Höhe der beanstandeten
Kontobelastungen und der Art und Weise der Geldabhebungen nicht angenommen werden kann.
Der Kläger kann den Beweis des ersten Anscheins auch nicht dadurch erschüttern, dass er auf einen
Aufenthalt in Frankfurt/Oder in der Zeit vom 08.07. bis 31.07.2001 abstellt. Die von ihm vorgelegten
Kontoauszüge belegen lediglich, dass er am 16.07., 20.07. und 23.07.2001 bei der Postbank Berlin
Geldabhebungen am Geldautomaten mit einer anderer als der von der Beklagten ausgestellten EC-Karte
vorgenommen hat. Eine Geldabhebung an Automaten in Polen unter Verwendung der auf das Konto bei
der Beklagten bezogenen EC-Karte war somit gleichwohl möglich.
Weitergehende Anhaltspunkte zur Erschütterung des Anscheinsbeweises hat der Kläger hingegen nicht
dargelegt. Die teilweise neuen Erwägungen im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 22. November 2004
waren schon deshalb nicht zu berücksichtigen, da sie erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung und
somit verspätet vorgetragen wurden, §§ 296 a, 283 ZPO. Es bestand auch kein Anlass zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO). Dies wäre etwa nur dann der Fall, wenn das
Gericht seiner Hinweis- und Prozessförderungspflicht nicht nachgekommen wäre. Die Sach- und
Rechtslage wurde im Termin vom 5. November 2004 vom Gericht jedoch eingehend erörtert und
insbesondere darauf hingewiesen, dass die vorgetragenen Indizien für eine Haftung der Beklagten nicht
genügen.
Nach alldem war von einer grob fahrlässigen Verletzung der Sorgfalts- und Mitwirkungspflichten durch
den Kläger auszugehen, so dass er für eine etwaige missbräuchliche Verwendung seiner EC-Karte haftet.
Aus diesem Grund stand der Beklagten ein Erstattungsanspruch in Höhe der vom Kläger beanstandeten
Beträge von insgesamt 10.953,34 EURO zu, mit denen sie das Konto des Klägers zu Recht belastet hat.
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
gez. Stiefenhöfer Leube
zugleich für VzPräsLGBerzel,
der infolge Erkrankung an der
Unterschriftleistung verhindert ist.