Urteil des LG Kaiserslautern vom 28.12.2005

LG Kaiserslautern: treu und glauben, fahrzeug, internet, haftpflichtversicherung, sachverständiger, beweislast, 1849, ersatzbeschaffung, wirtschaftlichkeit, datum

Verkehrsrecht
LG
Kaiserslautern
28.12.2005
1 S 106/05
Der Geschädigte eines Verkehrsunfalls bewegt sich in den Grenzen der für die Schadensbehebung nach
§ 249 Abs. 2 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten Kfz zu dem Preis
vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf dem allgemeinen regionalen
Markt ermittelt hat. Angebote räumlich entfernter Interessenten muss er nicht berücksichtigen.
1 S 106/05 Landgericht Kaiserslautern
1 C 571/04 Amtsgericht Kusel
Verkündet am:
28.12.2005
Hüther, Justizobersekretärin als
Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Landgericht
Kaiserslautern
IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
In dem Rechtsstreit
A.AG,
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
gegen
F.L.
- Beklagter und Berufungsbeklagter -
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte
wegen Schadensersatzes
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern durch den Präsidenten des Landgerichts Dr.
Asmus, die Richterin am Landgericht Heid und die Richterin Dr. Baum
auf die mündliche Verhandlung vom 06. Dezember 2005
f ü r R e c h t e r k a n n t :
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Kusel vom 16. Juni
2005 (1 C 571/04) wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt bis zu 1.200,00 Euro.
Gründe:
I.
Die Klägerin, Haftpflichtversicherung eines Unfallverursachers, nimmt den Beklagten als vom
Unfallgeschädigten beauftragten Kfz-Sachverständigen wegen angeblich zu niedrig ermittelten Restwerts
des beschädigten Fahrzeugs auf Schadensersatz in Anspruch.
Am 22. Dezember 2002 ereignete sich ein Verkehrsunfall, bei dem ein Versicherungsnehmer der Klägerin
das Fahrzeug des F.B. beschädigte. Die Einstandspflicht der Klägerin als Haftpflichtversicherung stand
nicht im Streit. Der Geschädigte beauftragte den Beklagten mit der Erstellung eines Gutachtens zu den
Schäden an seinem Fahrzeug. Das unter dem Datum vom 23. Dezember 2002 erstellte Gutachten kam zu
dem Ergebnis, dass an dem Wagen ein wirtschaftlicher Totalschaden vorlag. Die Reparaturkosten
betrugen 7.000,00 Euro brutto, der Wiederbeschaffungswert lag bei 4.500,00 Euro brutto, der Restwert
bezifferte sich auf 600,00 Euro brutto. Die Klägerin erhielt das Gutachten am 30. Dezember 2002 und ließ
das streitgegenständliche Fahrzeug durch ihren Sachverständigen hinsichtlich des
Wiederbeschaffungswertes und des Restwertes überprüfen. Sie kam zu einem Restwert von 1.850,00
Euro brutto.
Mit Kaufvertrag vom 16. Januar 2003 verkaufte der Geschädigte das Fahrzeug zum Preis von 600,00
Euro.
Mit der Klage vor dem Amtsgericht Kusel machte die Klägerin einen Schadensersatzanspruch in Höhe
von 1.134,44 Euro geltend. Sie behauptete, der Restwert des verunfallten Fahrzeugs sei um 1.000,00
Euro zu niedrig festgestellt worden. Der Sachverständige sei seinen Sorgfaltspflichten zur Marktforschung
nicht nachgekommen, da er schon den auf dem allgemeinen regionalen Markt erzielbaren Erlös falsch
festgestellt und es zudem unterlassen habe, bei spezialisierten Restwerteaufkäufern nachzufragen und
auf Internetangebote in den Restwertbörsen zurückzugreifen. Zudem sei er wegen des unbrauchbaren
Gutachtens verpflichtet, die von der Klägerin geleistete Sachverständigenvergütung in Höhe von 134,44
Euro zurückzuzahlen.
Der Beklagte behauptete, den Restwert durch drei Anfragen bei regionalen Autohäusern, von denen er
zwei Restwertangebote in Höhe von 500,00 Euro und 300,00 Euro erhalten habe, zutreffend und
realistisch festgestellt zu haben.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass der Beklagte seine Pflichten bei der
Ermittlung des Restwertes nicht verletzt habe. Die Vernehmung der Zeugen H. und R. habe ergeben, dass
er ausreichende Ermittlungen auf dem allgemeinen regionalen Automarkt vorgenommen habe. Da sich
der Zeuge Sch. nicht an eine Nachfrage des Beklagten habe erinnern können, gehe die
Nichterweislichkeit dieser Tatsache zu Lasten der Klägerin, die bezüglich der Pflichtverletzung des
Beklagten die Darlegungs- und Beweislast trage. Zu Nachforschungen bei spezialisierten
Restwerteaufkäufern, ggf. unter Nutzung des Internets, sei der Beklagte nicht verpflichtet gewesen.
Mit der Berufung greift die Klägerin das erstinstanzliche Urteil vollumfänglich an. Die Aufgabe des
Sachverständigen bestehe darin, den örtlichen Markt in einem Umkreis bis zu 70 km ständig zu
beobachten, um die Höhe der Restwertangebote festzustellen. Dagegen könne es nicht genügen, zwei
oder drei Restwertaufkäufer immer wieder zu befragen. Insoweit habe das Amtsgericht die Beweislast
verkannt, da der Beklagte die ordnungsgemäße Marktbeobachtung als eine ihm günstige Tatsache zu
beweisen habe. Dieser Beweis sei nicht geführt, weil es sich bei dem Zeugen H. um einen
Abschleppunternehmer handele und der Zeuge Sch. eine Nachfrage des Beklagten nicht habe bestätigen
können. Außerdem habe das Erstgericht die vorgelegten Restwertangebote dreier seriöser Autohändler
und das Beweisangebot der Klägerin (Sachverständigengutachten) übergangen. Entgegen der
Rechtsansicht des Amtsgerichts sei es Aufgabe eines Sachverständigen, an den Onlinebörsen seriöse
Restwertaufkäufer abzufragen. Da der Beklagte den Restwert falsch bewertet und die Reparaturkosten
nicht konkret aufgeschlüsselt, sondern nur überschlägig geschätzt habe, sei das Gutachten vollständig
unbrauchbar gewesen, so dass auch die Vergütung zurückzuerstatten sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Amtsgerichts Kusel vom 16. Juni 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,
an die Klägerin 1.134,44 Euro nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu
zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen des Vorbringens des Beklagten wird auf die Berufungserwiderung vom 18. November 2005
Bezug genommen.
II.
Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.
Das Amtsgericht hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Schadensersatz (§§ 634
Nr. 4, 280 Abs. 1 i.V.m. 328 Abs. 1 BGB) zusteht, da sich ein Mangel des Gutachtens nicht feststellen lässt.
Ein Schadensersatzanspruch der gegnerischen Haftpflichtversicherung ergibt sich dem Grunde nach nur
dann, wenn der Sachverständige ein fehlerhaftes Gutachten erstattet hat und ihr dadurch ein Schaden
entstanden ist. Die Versicherung des Unfallverursachers ist in den Schutzbereich des Vertrages zwischen
dem Geschädigten und dem Sachverständigen einbezogen, da für diesen erkennbar war, dass der
Geschädigte gegenüber der Versicherung von seiner Sachverständigenäußerung Gebrauch machen
würde (st. Rspr., vgl. hierzu BGH NJW 2001, 3115 m.w.N.; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 328 Rdnr.
34 m.w.N.).
Ein Sachverständigengutachten ist dann mangelhaft, wenn es auf einer unzutreffenden
Tatsachengrundlage erstellt wurde oder wenn in ihm falsche Schlussfolgerungen aus vorgegebenen oder
vom Sachverständigen zu erarbeitenden Tatsachen gezogen werden. Ein beauftragter Sachverständiger
hat die Richtigkeit des Inhalts und des Ergebnisses des Gutachtens zu gewährleisten und insbesondere
dafür einzustehen, dass seine tatsächlichen Feststellungen vollständig sind, seine fachlichen
Beurteilungen dem aktuellen Stand der Wissenschaft, Technik, Forschung und Erfahrung entsprechen
und seine Schlussfolgerungen mit der sachlich gebotenen Sorgfalt vorgenommen wurden (OLG Köln
NJW-RR 2005, 26)
Das von dem Beklagten im Auftrag des Geschädigten erstellte Gutachten diente der Ersatzbeschaffung (§
249 Abs. 2 S. 1 BGB) im Totalschadensfall. Wenn der Geschädigte von seiner Ersetzungsbefugnis
Gebrauch macht, kann er nur Ersatz des Wiederbeschaffungswerts abzüglich des Restwerts verlangen
(vgl. BGH NJW 2005, 2541; NJW 2005, 357; BGHZ 143, 189, 193; 115, 364, 372; NJW 1993, 1849; 1992,
903). Die Ersatzbeschaffung als Variante der Naturalrestitution steht unter dem Gebot der
Wirtschaftlichkeit, das auch für die Frage gilt, in welcher Höhe der Restwert des Unfallfahrzeugs bei der
Schadensabrechnung berücksichtigt werden muss. Dies bedeutet, dass der Geschädigte bei der
Schadensbehebung im Rahmen des ihm Zumutbaren und unter Berücksichtigung seiner individuellen
Erkenntnis- und Einflussmöglichkeiten sowie der gerade für ihn bestehenden Schwierigkeiten den
wirtschaftlichsten Weg zu wählen hat („subjektbezogene Schadensbetrachtung“; BGH NJW 2005, 357;
BGHZ 143, 189, 193; 132, 373, 376; NJW 1993, 1849; 1992, 903). Der Geschädigte genügt im
Allgemeinen dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn er das Unfallfahrzeug zu dem am örtlichen Markt
(„allgemeiner Markt“) erzielbaren Preis verkauft oder in Zahlung gibt. Der Restwert ist also der Erlös, den
der Geschädigte bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler im örtlichen Bereich oder bei dem
Kraftfahrzeughändler seines Vertrauens noch erzielen könnte (BGH NJW 2005, 3134; BGHZ 143, 189;
BGH NJW 2000, 800; 1993, 1849; 1992, 903; OLG Köln NJW-RR 2005, 26; LG Berlin, Urt. v. 09.07.1998,
Az.: 59 S 466/97, zit. nach juris). Folglich bewegt sich der Geschädigte in den für die Schadensbehebung
nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB gezogenen Grenzen, wenn er die Veräußerung seines beschädigten
Kraftfahrzeugs zu dem Preis vornimmt, den ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger als Wert auf
dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Angebote räumlich entfernter Interessenten muss er nicht
berücksichtigen.
Der Schädiger oder dessen Versicherung können den Geschädigten nicht auf einen höheren
Restwerterlös verweisen, den dieser auf einem überregionalen Sondermarkt (Verwertungsbetriebe,
Restwerthändler, Anbieter der elektronischen Restwertbörsen; zur Definition vgl. Trost VersR 2002, 795,
800) erzielen könnte (BGH NJW 2005, 3134, 3135; BGHZ 143, 189, 194; OLG Karlsruhe VersR 2005, 706;
OLG Köln NJW-RR 2005, 26, 27). Auch muss er sich nicht an einem Gutachten orientieren, das den
Restwert anhand über das Internet recherchierter Angebote ermittelt hat (BGH NJW 2005, 3134). Damit
soll verhindert werden, dass die dem Geschädigten nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zustehende
Ersetzungsbefugnis, die ihm die Möglichkeit der Schadensbehebung in eigener Regie eröffnet,
unterlaufen wird und ihm die von der Versicherung gewünschte Verwertungsmodalitäten aufgezwungen
werden (BGH NJW 2005, 3134, 3135; BGHZ 143, 189, 194 f; NJW 1993, 1849; 1992, 903). Dies entspricht
dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes, wonach der Geschädigte als „Herr des
Restitutionsgeschehens“ grundsätzlich selbst bestimmen darf, wie er mit der beschädigten Sache verfährt
(BGH NJW 2005, 3134, 3135; NJW 2005, 357; BGHZ 143, 189, 194; 66, 239, 246; a.A. Huber DAR 2002,
385, 391). Der Schädiger kann ihn nicht auf einen unübersichtlichen (Speer VersR 2002, 17, 22)
Sondermarkt spezialisierter Restwertaufkäufer verweisen, der dem Geschädigten „in aller Regel“ (BGHZ
143, 189, 194; OLG Köln NJW-RR 2005, 26, 27) nicht zugänglich ist und wodurch ihm im Ergebnis ein
zeitaufwändiges, risikobehaftetes Doppelgeschäft (Verhandlungen mit Gebrauchtwagenhändlern und
Restwertverkäufern) zugemutet werden würde (AG Grünstadt, Urt. v. 17.08.2004, Az.: 1 C 135/03).
Aus den vorstehenden Ausführungen ergeben sich Maßstab und Umfang der Pflichten des
Sachverständigen im Zusammenhang mit dem im Rahmen seines Gutachtens zu ermittelnden Restwert.
Die vertraglichen Pflichten des Gutachters sind darauf gerichtet, dem Geschädigten die Liquidation seines
Schadens durch Feststellung der hierfür maßgeblichen Schadenspositionen zu erleichtern. Im Falle der
Ersatzbeschaffung ist der Geschädigte an einem hohen Restwert nicht interessiert, da er dann auch zu
diesem Wert das Fahrzeug veräußern müsste, um von der Versicherung in voller Höhe entschädigt zu
werden (OLG Karlsruhe VersR 2005, 706; LG Frankfurt, Urt. v. 06. April 2005, Az.: 2-16 S 285/04, zit. nach
juris; Geigel, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl. 2004, S. 87; Huber DAR 2002, 385, 388). Bei
Berücksichtigung des Sondermarktes würde der Sachverständige also zum Nachteil des Geschädigten
handeln, da dies im Regelfall zu einem höheren Restwert führen würde und der Geschädigte größere
Anstrengungen unternehmen müsste, um das Fahrzeug zu veräußern. Der zu Gunsten der gegnerischen
Haftpflichtversicherung wirkende Schutz aus dem Gutachtenauftrag kann aber nicht dazu führen, dass der
Sachverständige in seinem Gutachten einen Restwert angeben muss, dessen Berücksichtigung dem
eigentlichen Vertragspartner nicht zumutbar ist oder ihn sogar schlechter stellt (so auch Huber a.a.O.;
Riedmeyer DAR 2002, 42, 45). Der Sachverständige ist deshalb gegenüber der in die Schutzwirkung des
Gutachterauftrags einbezogenen Haftpflichtversicherung des Unfallgegners zu keinen weitergehenden
Erhebungen verpflichtet als gegenüber seinem Auftraggeber und muss bei der Restwertermittlung den
Sondermarkt für Restwertaufkäufer im Internet nicht berücksichtigen (OLG Köln NJW-RR 2005, 26, 27; LG
Koblenz NZV 2005, 46; LG Frankfurt, Urt. v. 06. April 2005, Az.: 2-16 S 285/04, zit. nach juris; LG München
DAR 2005, 287, 288: „für das Jahr 2001 jedenfalls“; LG Köln NZV 2002, 513), sondern ist im Regelfall
gehalten, drei Angebote auf dem allgemeinen Markt bei den örtlichen Autohändlern einzuholen (LG
Frankfurt a.a.O.; Dt. Verkehrsgerichtstag NZV 2002, 77; Höke NZV 2002, 254, 257; Riedmeyer DAR 2002,
42, 45; Steffen DAR 1997, 297, 302).
Teilweise wird in der Rechtsprechung (LG Zweibrücken, Urt. v. 22.02.2005, Az.: 3 S 62/04, m.w.N., zit.
nach juris; LG Koblenz VersR 2003, 1050; LG Saarbrücken, Urt. v. 08.06.2000, Az.: 2 S 310/99, zit. nach
juris) und Literatur (Fuchs DAR 2002, 189, 191; Hopfner MDR 2002, 801, 803; Trost VersR 2002, 795)
vertreten, dass der Sachverständige im Rahmen einer zeitgemäßen Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit
verpflichtet sei, Recherchen in Restwertbörsen im Internet durchzuführen. Als Begründung wird die
inzwischen weitgehende Verbreitung des Internets im Wirtschaftsleben genannt, wohingegen die bloße
Beschaffung von regionalen Angeboten auch von dem Geschädigten selbst vorgenommen werden könne
(Trost VersR 2002, 795, 804). Durch den gesteigerten Einsatz elektronischer Medien habe sich ein Markt
entwickelt, der wegen seines Umfanges und des Grades seiner Nutzung - gerade auch durch
Endverbraucher - nicht mehr als „Sondermarkt“ bezeichnet werden könne, sondern vielmehr längst ein
wesentlicher integrativer Teil des allgemeinen Wirtschaftslebens geworden sei (LG Zweibrücken a.a.O.).
Ohne Berücksichtigung der so genannten Online-Börsen hätten es einige wenige regionale Aufkäufer in
der Hand, den Markt in ihrem Sinne zu bestimmen. Da die allermeisten Unfallfahrzeuge letztlich bei den
spezialisierten Unfallwagenhändlern landeten, auch wenn das Fahrzeug zunächst von einem Autohaus
oder einer Reparaturwerkstatt eingekauft worden sei, werde mit dem Unfallwagen ein weiterer Erlös
erzielt, der dem Geschädigten nicht zugute komme, vom Versicherer aber bezahlt werden müsse (Höke
NZV 2002, 254, 255).
Diese Rechtsansicht überzeugt nicht, da sie zur Folge hätte, dass entweder die Pflichten des
Sachverständigen und die des Geschädigten auseinander klafften (so ausdrücklich LG Saarbrücken
a.a.O.) oder aber dem Geschädigten im Ergebnis doch zugemutet würde, Angebote aus dem Internet zu
berücksichtigen.
Im ersten Fall wären die Grundlagen, die der Sachverständige heranziehen müsste, nicht
übereinstimmend mit den Angeboten, die seinem Auftraggeber zumutbar wären. Dies würde zu
widersprüchlichen Ergebnissen führen, da auch im Rahmen des Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten
Dritter der Auftraggeber des Sachverständigen allein der Geschädigte bleibt, dessen berechtigte
Interessen der Sachverständige durch seine Tätigkeit wahrzunehmen hat. Insofern hat sich die
Restwertermittlung des Sachverständigen danach zu richten, was der geschädigte Auftraggeber
tatsächlich mit seinen Markterhebungen anfangen kann (LG Frankfurt a.a.O.; AG Grünstadt a.a.O.). Die
gutachterliche Berücksichtigung eines - im Zweifel höheren - Restwertes aus dem Internet würde dazu
führen, dass der Geschädigte sich gegenüber der Versicherung mit einem geringeren Schadensbetrag
abfinden müsste, weil er den Restwert auf dem ihm zugänglichen "allgemeinen Markt" nicht erzielen kann.
Es kann aber vom Sachverständigen nicht verlangt werden, ein Gutachten zu erstellen, auf das sich sein
Auftraggeber nach dem BGH (BGHZ 143, 189, 194; nochmals ausdrücklich: BGH VersR 2005, 1448) nicht
verweisen lassen muss, und das ihm überdies noch Nachteile bringen kann.
Im zweiten Fall - dem Geschädigten soll es zumutbar sein, bindende Angebote aus dem Internet zu
berücksichtigen, wenn er ohne überobligationsmäßige Anstrengungen einen tatsächlich höheren Preis
erzielen könne (LG Zweibrücken a.a.O.), - sind diese Entscheidungen mit der ständigen Rechtsprechung
des BGH nicht vereinbar. Dem Geschädigten sind Angebote aus dem Internet grundsätzlichen nicht
zumutbar. Es ist auch nicht Aufgabe des Sachverständigen, dem Geschädigten den Kontakt zu den im
Internet vorhandenen Anbietern zu ermöglichen, da der Gutachter den Wert des Fahrzeugs ermitteln, nicht
aber bei der Realisierung dieses Werts behilflich sein soll (LG Frankfurt a.a.O.).
Die Nichteinbeziehung von Online-Angeboten führt auch nicht zu unbilligen Ergebnissen. Zwar hat die
Versicherung ein nachvollziehbares Interesse an der Nutzung der Gebrauchtwagenbörsen, weil sie im
Ergebnis die Folgen der Festsetzung eines im Vergleich zu Online-Angeboten niedrigeren Restwertes
tragen muss. Sie kann aber zur Durchsetzung ihrer Restwertvorstellungen den Geschädigten auf eine
günstigere Verwertungsmöglichkeit durch Vorlage eines konkreten und verbindlichen Restwertangebots,
das nicht mit zusätzlichen Kosten verbunden ist, verweisen (vgl. BGHZ 143, 189, 194; OLG Karlsruhe
VersR 2005, 706; OLG Düsseldorf VersR 1998, 518, 519; OLG Frankfurt VersR 1992, 620; LG Koblenz
NZV 2005, 46; Speer VersR 2002, 17, 22). Auch bleibt es der Haftpflichtversicherung unbenommen, einen
Mehrerlös zu erwirtschaften, indem sie dem Geschädigten das Fahrzeug zum vom Sachverständigen
geschätzten Restwert abkauft und ihrerseits auf dem wirtschaftlich günstigeren Sondermarkt verwertet
(OLG Köln NJW-RR 2005, 26, 27). Die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruches gegen den
Sachverständigen würde demgegenüber dazu führen, dass sich die Haftpflichtversicherung nicht mehr in
eigenem Interesse an bestmöglicher Verwertung mit dem Geschädigten in Verbindung setzen und ihm
eine bessere und zumutbare Verwertungsmöglichkeit aufzeigen müsste, weil sie bei der
Nichtberücksichtigung von Online-Angeboten stets Regress beim Sachverständigen nehmen könnte.
Der Beklagte hat - von der Gegenseite bestritten - behauptet, drei Angebote bei regionalen Kfz-Händlern
eingeholt zu haben, sodass er zumindest nach eigenem Sachvortrag keine Vertragspflichten verletzt hat.
Der Klägerin ist der Beweis einer objektiven Pflichtverletzung des Beklagten nicht gelungen. Zutreffend
hat das Amtsgericht angenommen, dass die Darlegungs- und Beweislast für diese
anspruchsbegründende Tatsache bei der Klägerin liegt. Die Klägerin muss also darlegen und ggf. auch
beweisen, dass der Beklagte nicht seinen Pflichten nachgekommen ist, d.h. die Restwertangebote, auf die
sich der Beklagte beruft, auf dem allgemeinen Markt tatsächlich nicht eingeholt hat (OLG Köln NJW-RR
2005, 26, 28; LG München DAR 2005, 287). Den Schwierigkeiten beim Beweis einer negativen Tatsache
hat das Amtsgericht zutreffend prozessual wie folgt Rechnung getragen: Es erfolgt keine grundsätzliche
Umkehr der Darlegungs- und Beweislast, aber nach dem auch das Prozessrecht beherrschenden
Grundsatz von Treu und Glauben darf sich der Gegner (hier: der Beklagte) nicht mit einfachem Bestreiten
begnügen, sondern muss im Einzelnen darlegen, dass die von ihm bestrittene Behauptung unrichtig ist
(vgl. BGH NJW 1981, 577 m.w.N.).
Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts, wonach das Einholen zweier Restwertangebote bei örtlichen Kfz-
Händlern durch den Zeugen H. und den Zeugen R. feststeht und das Nichteinholen des dritten
Restwertangebotes nicht erweislich ist, was - wie bereits ausgeführt - zu Lasten der Klägerin geht, ist nicht
zu beanstanden.
Das Amtsgericht musste kein Sachverständigengutachten zum Restwert einholen. Denn selbst wenn ein
gerichtliches Gutachten zu einem höheren Restwert käme, ergäbe sich hieraus keine Pflichtverletzung
des Beklagten. Der Beklagte, der als Sachverständiger den Restwert eigenständig unter Berücksichtigung
der eingeholten Angebote zu schätzen hat, wobei ihm ein Ermessensspielraum zusteht (LG München
DAR 2005, 287), hat - wie oben erörtert - alle erforderlichen Auskünfte eingeholt, um den Restwert
bestimmen zu können.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision wird zugelassen, da es sich angesichts der Vielzahl der von der streitgegenständlichen
Problematik betroffenen Parteien um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt (§ 543
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).