Urteil des LG Itzehoe vom 15.03.2017

LG Itzehoe: gericht erster instanz, falsche auskunft, arglistige täuschung, vermieter, anfechtung, anwaltskosten, bonität, widerklage, leistungsfähigkeit, räumung

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Gericht:
LG Itzehoe 9.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 S 132/07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 546 BGB
Mietvertrag: Anfechtung wegen einer Falschauskunft des
Mietinteressenten hinsichtlich bestehender Mietschulden
Leitsatz
Die Frage nach Mietschulden in einer Selbstauskunft der Mieter ist zulässig. Wird sie
durch Querstrich wahrheitswidrig verneint, so steht dem Vermieter ein
Räumungsanspruch zu.
Tenor
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden den Beklagten als Gesamtschuldnern
auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
I.
Der Kläger hat die Beklagten in erster Instanz auf Räumung einer Mietsache und
auf Zahlung vorprozessual für seinen Bevollmächtigten angefallener
Anwaltskosten in Anspruch genommen. Widerklagend haben die Beklagten
Freihaltung von der Forderung sie vorprozessual getroffener Anwaltskosten wegen
angeblich unberechtigter Kündigung begehrt.
Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil des
Amtsgerichts Pinneberg vom 21. 09. 2007 verwiesen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Der Kläger hat sein Begehren auf Räumung der Mietwohnung gemäß dem
zwischen den Parteien am 27. 11. 2005 geschlossenen Mietvertrage auf eine
unrichtige Selbstauskunft der Beklagten zu früheren Mietschulden gestützt.
Das Amtsgericht hat der Räumungsklage stattgegeben und wegen des Anspruchs
auf Ersatz vorprozessualer Anwaltskosten nicht zur Zahlung, sondern
einschränkend zur Freistellung verurteilt. Die Widerklage hat es abgewiesen. Das
Amtsgericht hat einen Grund zur Anfechtung wegen arglistiger Täuschung für den
Kläger als Vermieter gegenüber den Beklagten gesehen, weil diese in ihrer
Selbstauskunft unrichtige Angaben gemacht hätten. Jedenfalls könne der Kläger
deshalb außerordentlich fristlos kündigen. Sollten sich die Beklagten in ihren
Angaben zu den Mietschulden geirrt haben, hätten sie zumindest grob fahrlässig
eine falsche Auskunft erteilt. Die Frage nach Mietschulden sei zulässig. Die
Beklagten hätten kein Recht zur Lüge. Das Kündigungsschreiben des Klägers
genüge den Begründungserfordernissen des § 569 Abs. 4 BGB.
Hiergegen wendet sich die Berufung der Beklagten, mit der sie rügen, die Frage in
der Selbstauskunft nach Mietschulden sei unzulässig gewesen und habe deshalb
nicht wahrheitsgemäß beantwortet werden müssen. Der Wohnungsinteressent
müsse die Frage nach Mietschulden uneingeschränkt verneinen, um seine
Chancen auf Abschluss eines Mietvertrages zu wahren. Andernfalls werde dem
Mietinteressenten auferlegt, sich über das gesamte frühere Mietverhältnis zu
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Mietinteressenten auferlegt, sich über das gesamte frühere Mietverhältnis zu
erklären. Im übrigen hätten sie keine unzutreffende Auskunft erteilt, indem sie die
Frage nur mit einem Querstrich kommentiert hätten.
Sie - die Beklagten - hätten ihre Mietzinszahlungen in geschuldeter Höhe erbracht
und lediglich mängelbedingte Kürzungen vornehmen dürfen. Daher habe eine
etwaige durch sie begangene arglistige Täuschung die Rechte und Interessen des
Klägers als Vermieter nicht beeinträchtigt. Die Anfechtung erweise sich als
missbräuchlich.
Die Beklagten beantragen,
unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Pinneberg vom 21. 09. 2007 -
72 C 150/07 - die Klage abzuweisen und den Kläger auf die Widerklage zu
verurteilen, sie von der Forderung des Rechtsanwaltes ... in Höhe von € 1.101,46
aus der Kostenrechnung vom 03. 05. 2007 freizuhalten.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Berufung rügt vergeblich, eine falsche Beantwortung durch die
Mietinteressenten in deren Selbstauskunft löse keinerlei Rechte des Vermieters
aus, weil Fragen zu einem früheren Mietverhältnis unzulässig seien. Das
Amtsgericht hat im angefochtenen Urteil darauf hingewiesen, dass in der
Selbstauskunft nicht allgemein nach einem früheren Mietverhältnis, sondern
speziell nach „Mietschulden“ gefragt worden sei. Diese Frage ziele auf die
wirtschaftliche Situation des Mieters ab, weil durch Schulden aus früheren
Mietverhältnissen die gegenwärtige Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein könne.
Der Berufung ist indes zuzugeben, dass nicht jede unrichtige Selbstauskunft dem
Mieter nachteilige Rechtsfolgen auslöst, weil sein Recht auf informationelle
Selbstbestimmung beeinträchtigt sein kann. Vielmehr rechtfertigt die unrichtige
Beantwortung einer in einem Fragebogen gestellten Frage nur dann eine
Kündigung, wenn die Frage zulässigerweise gestellt worden ist und wenn die
Falschauskunft wesentliche Bedeutung für den Fortbestand des Mietverhältnisses
besitzt (Schmidt-Futterer, Mietrecht, 8. Aufl. 2003 § 543 BGB Rn. 191; LG
Wuppertal WuM 1999, 39). So werden Fragen nach den Einkommensverhältnissen,
nach der Bonität, nach dem Beruf oder nach dem Familienstand als zulässig
angesehen. Mietschulden aus früheren Rechtsverhältnissen berühren die Bonität
eines Mietinteressenten, die nicht nur durch die laufenden Einkünfte, sondern auch
durch die offenen Verbindlichkeiten geprägt ist. Deshalb hat das AG Bonn (WuM
1992, 597) zutreffend darauf abgestellt, dass Fragen des Vermieters nach der
Bonität des Mietinteressenten, nach seinem Arbeitsverhältnis und seinem
Einkommen wahrheitsgemäß in einer Selbstauskunft beantwortet werden
müssten, um eine Anfechtung des Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung
auszuschließen. Gegenteiliges können die Beklagten auch nicht aus dem Urteil
des Amtsgerichts Rendsburg vom 05.07.1990 (WuM 1990, 507) herleiten, das
lediglich Fragen nach der Art der Beendigung früherer Mietverhältnisse für
unzulässig hält. Bei objektiver Würdigung ist aber die Frage nach aktuellen
Mietschulden für den Vermieter bei Abschluss des Vertrages wesentlich, berührt
sie doch die Frage, ob die Mieter annehmbar in der Lage sein werden, ihren
Vertragspflichten auf Zahlung des vereinbarten Mietzinses zukünftig nachkommen
zu können.
Die Berufung kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, eine geschuldete
Selbstauskunft über „Mietschulden“ dürfe nicht zur umfassenden Mitteilungspflicht
hinsichtlich jeder irgendwann bestehenden Mietzinsforderung führen. Darum geht
es bei der notwendigen Bonitätsprüfung durch den Vermieter nicht.
Mitteilungspflichtig sind nach obiger Abgrenzung nur berechtigte und offene
Mietzinsverpflichtungen des Mietinteressenten. Eine weitergehende Pflicht hat
auch das Amtsgericht im angefochtenen Urteil nicht begründen wollen. Ob solche
Zahlungen mangels Leistungsfähigkeit oder Leistungsunwilligkeit des Mieters
ausgeblieben sind, ist für die berechtigte Bonitätsprüfung des Vermieters ohne
Bedeutung, im Zweifel auch nicht ermittelbar.
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Warum zum Zeitpunkt der Selbstauskunft am 04.11.2005 keine Mietschulden der
Beklagten gegenüber ihrem früheren Vermieter bestanden haben sollen, wie sie in
ihrem erstinstanzlichen Schriftsatz vom 08.09.2007 geltend gemacht haben,
erschließt sich nicht, wenn über derartige Ansprüche seinerzeit bereits vor Gericht
eine vergleichsweise Regelung getroffen worden war. Die Leistungsfähigkeit der
Mieter ist auch dann eingeschränkt, wenn ihnen durch vertragliche Regelung
gestattet ist, eine titulierte Forderung ratenweise erfüllen zu dürfen.
Die Beklagten machen auch nicht mit Erfolg geltend, sie hätten keinerlei
unzutreffende Selbstauskunft abgegeben, indem sie die Spalte „Mietschulden“
lediglich mit einem Querstrich kommentiert hätten; darin liege überhaupt keine
Antwort. Die Abgabe eines Querstrichs stellt sich nicht als Ablehnung einer Antwort
auf eine gestellte Frage dar, sondern als deren Verneinung, worauf das
Amtsgericht zutreffend hingewiesen hat. Hätten die Beklagten die Frage nach den
Mietschulden unbeantwortet lassen wollen, hätten sie die Spalte leer lassen
müssen, anstatt sie mit einem Querstrich zu versehen, der im Geschäftsverkehr
als Verneinung einer Frage verstanden wird. Hinsichtlich einer Willenserklärung
kommt es auf den Empfängerhorizont an, nämlich darauf, wie ein objektiver
Erklärungsempfänger eine Willenerklärung verstehen darf. Wird in einer
Selbstauskunft in die Spalte „Mietschulden“ ein Querstrich eingetragen, versteht
der Rechtsverkehr dies als Verneinung, nicht als Verweigerung der Antwort. Das
war zur Überzeugung der Kammer den Beklagten auch klar.
Ob die Frage nach Mahn- oder Klageverfahren in der Selbstauskunft zulässig oder
unzulässig war, bedarf entgegen der Auffassung der Berufung keiner
Entscheidung, weil die Anfechtung des Mietvertrages durch den Kläger als
Vermieter vom 27. 4. 2007 nicht auf die Antwort der Beklagten zu dieser Frage
gestützt worden ist. Soweit das Amtsgericht meint, Antworten zur Frage nach
Mahn- und Klagverfahren müssten ebenfalls wahrheitsgemäß beantwortet werden,
kommt es hierauf nach Auffassung der Kammer in diesem Rechtsstreit nicht an.
Schließlich können sich die Beklagten nicht darauf berufen, die Anfechtung des
Klägers als Vermieters sei gemäß § 242 BGB rechtsmissbräuchlich, weil dessen
Rechte und Interessen durch eine etwaige Täuschung durch sie als Mieter gar nicht
beeinträchtigt worden seien. Sie hätten die Mietzahlungen im Mietverhältnis der
Parteien jeweils in geschuldeter Höhe geleistet. Zwar wird vertreten, dass falsche
Angaben bei Abschluss des Mietvertrages für die Belange des Vermieters
unerheblich seien, falls die Mieter die Mietkaution sofort gezahlt hätten und mit
den monatlichen Mietzinsen nicht in Rückstand geraten seien (AG Rendsburg
a.a.O.; LG Wiesbaden WuM 2004, 399); eine entsprechende Behauptung haben die
Beklagten auch in erster Instanz aufgestellt. Demgegenüber hat der Kläger bereits
in erster Instanz in der Klageschrift darauf hingewiesen, dass die Beklagten
„nahezu ausnahmslos nur mit erheblicher Verspätung die Miete zahlten. Im
gesamten Jahr 2006 wurde nur ein einziges Mal pünktlich die Miete gezahlt.
Teilweise erfolgten die Zahlungen bis zu 15 Tage zu spät“ (Klageschrift v. 16. 05.
2007 S. 4). Diesem Sachvortrag sind die Beklagten in der Klagerwiderungsschrift
vom 03.07.2007 nicht entgegengetreten, sondern haben sich zu
Zahlungszeitpunkten erstmals durch Schriftsatz vom 12.02.2008 in der
Berufungsinstanz erklärt. .Dieser Vortrag ist in der Berufungsinstanz aber nicht
mehr berücksichtigungsfähig. Nach § 529 ZPO sind lediglich die vom Gericht erster
Instanz festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete
Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der
entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute
Feststellung gebieten. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor; das Amtsgericht
hat den ihm von den Parteien unterbreiteten Sachverhalt umfassend gewürdigt.
Da die Beklagten den klägerischen Räumungsanspruch nicht in Zweifel zu ziehen
vermögen, bleibt auch ihr Angriff gegen den zuerkannten Freistellungsanspruch
wegen vorgerichtlicher Anwaltskosten und ebenso gegen die Abweisung ihrer
Widerklage wegen eigener vorgerichtlicher Anwaltskosten ohne Erfolg.
Über die Bewilligung einer Räumungsfrist hat die Kammer bereits durch Beschluss
vom 01.02.2008 entschieden (Bl. 98 d.A.).
Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Rechtssache weder grundsätzliche
Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.