Urteil des LG Itzehoe vom 14.03.2017

LG Itzehoe: treu und glauben, hohes alter, haus, unterbringung, wohnrecht, eigentümer, pflegebedürftigkeit, wohnung, dienstbarkeit, zustand

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Gericht:
LG Itzehoe 6.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 O 82/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 133 BGB, § 157 BGB, § 242
BGB, § 313 BGB, § 1092 Abs 1
S 2 BGB
Dingliches Wohnungsrecht: Zahlung einer
Nutzungsentschädigung bei auswärtiger Unterbringung in
Pflegeheim
Leitsatz
Bei persönlicher Verhinderung des Wohnberechtigten ist das dingliche Wohnrecht nicht
in einen Geldanspruch umzuwandeln.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die am 28.02.1928 geborene Klägerin ist die Mutter des Beklagten.
Durch Überlassungsvertrag des Notars S. vom 09.04.2003 (Urkundenrolle
…/2003) übertrug die Klägerin dem Beklagten ihr Eigentum an dem im Grundbuch
von W. Blatt … eingetragenen Hausgrundstück - Flurstück …/19 der Flur 12
Gemarkung W. Hof- und Gebäudefläche, J.-Straße in W. in einer Größe von 752 m².
Der Beklagte räumte der Klägerin in § 2 des Vertrages ein lebenslängliches,
unentgeltliches Wohnrecht an dem gesamten Haus nebst Garage und Stall ein,
das dinglich gesichert wurde.
Eine Ausübungsüberlassung wurde der Klägerin nicht eingeräumt.
Mit Wissen und auf Wunsch der Klägerin zog der Beklagte im August 2003 zu ihr in
das Haus.
Für die Klägerin wurde im September 2004 auf Grund einer dementiellen
Erkrankung eine Betreuung eingerichtet. Sie wohnt seitdem in dem ca. 100 m von
ihrem ehemaligen Haus entfernten DRK-Seniorenzentrum W.
Die Klägerin bezieht monatlich Renten in Höhe von 824,28 € sowie Leistungen aus
der Pflegeversicherung in Höhe von 1.023,00 €. Die Kosten ihrer Unterbringung im
Pflegezentrum betragen monatlich 2.268,72 €. Damit besteht eine monatliche
Unterdeckung von 421,44 €.
Die Klägerin macht mit der Klage einen Anspruch auf Zahlung einer monatlichen
Nutzungsentschädigung von 450,00 € geltend.
Sie ist der Auffassung, dass der Beklagte nach Treu und Glauben und in
ergänzender Vertragsauslegung zur Zahlung einer Nutzungsentschädigung
verpflichtet sei, nachdem sie selbst das Wohnrecht nicht mehr ausüben könne.
Anderenfalls habe der Beklagte jedenfalls die anderweitige Nutzung durch Dritte zu
dulden. Sie sei Not leidend geworden, denn sie könne die Kosten für die
Unterbringung im Seniorenzentrum nicht aufbringen und müsse mit einer
Kündigung des Heimvertrages rechnen.
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Bei Abschluss des Übertragungsvertrages seien beide Parteien davon
ausgegangen, dass sie bis an ihr Lebensende in ihrem Haus verbleiben könne. Die
Parteien hätten den Fall einer notwendigen anderen Unterbringung der Klägerin
damals nicht in Betracht gezogen. Wenn das geschehen wäre, dann wäre im
Vertrag die Zahlung einer Nutzungsentschädigung oder die Möglichkeit der
anderweitigen entgeltlichen Überlassung an Dritte geregelt worden.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 2250,00 € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.02.05 zu zahlen,
an die Klägerin eine monatliche Nutzungsentschädigung in Höhe von
450,00 €, beginnend mit dem Monat März 2005, jeweils bis zum dritten Werktag
eines Monats zu zahlen,
hilfsweise
der Klägerin zu gestatten, das Anwesen J.-Straße in W. zu vermieten bzw.
anderweitig zu nutzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er behauptet, die Klägerin übe ihr Wohnrecht tatsächlich noch aus. Sie sei täglich
bei ihm im Haus und nehme nur die Mahlzeiten im Seniorenzentrum ein. Die
Klägerin wolle wieder ganz in das Haus zurückziehen, er könne und wolle die
Betreuung seiner Mutter übernehmen.
Soweit die Klägerin Nutzungsentschädigung seit Oktober 2004 verlange, sei ihr
Anspruch schon deshalb nicht begründet, weil die Ersparnisse der Klägerin bis
Februar ausreichend gewesen seien, die Unterbringungskosten zu zahlen.
Im Übrigen sei das Haus in einem so schlechtem Zustand, dass es sich an Dritte
nicht vermieten oder sonst verwerten lasse.
Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der
zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, insbesondere auch auf
das im Betreuungsverfahren vor dem Amtsgericht Itzehoe zum Aktenzeichen 81
XVII 462/04 erstattete vertrauensärztliche Gutachten der Dr. med. Sch. vom
9.6.2005 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist nicht begründet, denn der Klägerin steht aus keinem rechtlichen
Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung gegen den
Beklagten oder der hilfsweise Anspruch auf Duldung der entgeltlichen Überlassung
an Dritte zu.
Der Klägerin ist im notariellen Vertrag vom 09. April 2003 ein dingliches
Wohnungsrecht eingeräumt worden. Nach § 1092 Abs. 1 S.2 BGB kann allerdings
die Ausübung einer beschränkt persönlichen Dienstbarkeit einem anderen nur
überlassen werden, wenn die Überlassung gestattet ist. Eine solche Gestattung ist
vorliegend nicht eingeräumt worden. Damit trägt die Klägerin das Risiko, infolge
späterer Erkrankung oder Pflegebedürftigkeit die Wohnung nicht mehr persönlich
nutzen zu können (OLG Köln, 2. ZS, Beschluss vom 17.05.1991 - 2 W 76/91).
Dieses von der Klägerin zu tragende Risiko kann nicht im Wege ergänzender
Vertragsauslegung auf den Beklagten als Eigentümer verlagert werden. Der
notarielle Vertrag, der unter Berücksichtigung des Parteiwillens gemäß §§ 133,157
BGB auszulegen ist, enthält keinen Anhaltspunkt für die Risikoverlagerung in dem
Falle, dass die Klägerin aus persönlichen Umständen gehindert sein würde, das
Wohnrecht auszuüben (anders als in dem vom BGH entschiedenen Fall, in dem
zusätzlich eine Pflegevereinbarung enthalten war, in NJW 2002, 440). Eine solche
über den Vertragstext hinausgehende Auslegung würde zu einer wesentlich über
den Vertragsinhalt hinaus gehenden Bindung des Beklagten und zu einer
inhaltlichen Erweiterung des Vertragsgegenstandes führen; sie ist damit
unzulässig (OLG Köln Urteil vom 08.01.1997, Az.: 17 ZS U 8/96).
Soweit das OLG Köln (Beschluss vom 02.02.1995, Az.: 2 W 21/95) und das OLG
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Soweit das OLG Köln (Beschluss vom 02.02.1995, Az.: 2 W 21/95) und das OLG
Celle (Beschluss vom 13.07.1998, Az.: 4 W 129/98) aus dem Institut des Wegfalls
der Geschäftsgrundlage vertreten haben, dass ein nicht mehr ausübbares
Wohnungsrecht unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit für den Eigentümer
Geldansprüche auslösen kann, tritt das Gericht dieser Auffassung nicht bei.
Der Wegfall der Geschäftsgrundlage setzt voraus, dass unvorhergesehene und
unvorhersehbare Umstände den Vertragszweck vereiteln. Bei der Vereinbarung
des Wohnungsrechts irren die Parteien sich aber grundsätzlich nicht über die
Rechtslage - dazu werden sie vom Notar belehrt - noch über die mögliche künftige
Entwicklung. Die Klägerin war im Zeitpunkt des Vertragsschlusses 75 Jahre alt.
Damit ist beiden vertragsschließenden Parteien bewusst, dass gerade dann, wenn
der Wohnungsberechtigte ein sehr hohes Alter erreicht, Pflegebedürftigkeit oder
die Notwendigkeit eines Heimaufenthaltes eintreten können. Treten diese
Umstände dann tatsächlich ein, kann nicht davon ausgegangen werden, dass
unvorhergesehene oder unvorhersehbare Umstände den Vertragszweck vereiteln
(OLG Köln Beschluss vom 17.05.1991 -2 W 76/91; OLG Oldenburg Urteil vom
03.05.1994 Az: 12 U 16/94; Anm. Schneider zu OLG Celle vom 13.07.1998 in MDR
1999 S. 87).
Die Vorstellung des Beklagten, er hätte die Klägerin im Falle von Krankheit und
Pflegebedürftigkeit im Hause selbst pflegen können, ist angesichts der sich aus
dem Gutachten der Frau Dr. Sch. im Betreuungsverfahren dargelegten Tatsachen
und Schlussfolgerungen völlig unrealistisch. Sie taugt deshalb nicht als
Entscheidungsgrundlage für die Annahme des Wegfalls einer Geschäftsgrundlage.
Der Klägerin steht nach allem weder gegen den Beklagten als Eigentümer des
Hauses ein Anspruch auf Nutzungsentschädigung zu, noch ist der Beklagte
verpflichtet, die mietweise Verwertung des Hauses an Dritte zu dulden.
Auf die Frage, ob der Überlassungsvertrag teilweise ein Schenkungsvertrag ist und
der Beklagte wegen der eingetretenen Bedürftigkeit zur Herausgabe der
Schenkung verpflichtet sein könnte, kam es nicht an, denn einen solchen Antrag
hat die Klägerin nicht gestellt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.