Urteil des LG Itzehoe vom 14.03.2017

LG Itzehoe: grobe fahrlässigkeit, eltern, unfall, verjährung, betreiber, eigentümer, rechtshängigkeit, unterlassen, verschulden, nachlässigkeit

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Gericht:
LG Itzehoe 7.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 O 303/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 195 BGB, § 199 BGB, § 823
Abs 1 BGB
Zur groben Fahrlässigkeit bei Unkenntnis von Schadensfall
und Schädigung
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerinnen sind eine in xxx ansässige Ortskrankenkasse und Pflegekasse. Sie
machen aus übergegangenem Recht Ansprüche des bei ihnen versicherten xxx
aufgrund eines Unfalls geltend. Der seinerzeit 3 jährige xxx stürzte am 7.
September 2002 auf dem Gelände des xxx in einen 5,4 m tiefen Treppenschacht
und zwar entweder, indem er einen kleinen Mauersockel überstieg und unter dem
Geländer hindurch kroch oder indem er die Treppe hinunterstürzte. Die
Einzelheiten sind streitig. xxx erlitt schwerste Kopfverletzungen, Er wurde mit dem
Helikopter ins xxx überführt und musste aufwendig behandelt werden. Die
Behandlung dauert an. Die Klägerinnen erbringen weiterhin für die Heilbehandlung
xxx und seiner Pflege erhebliche finanzielle Leistungen, die im Einzelnen streitig
sind, nach Vortrag der Klägerinnen mehr als 200.000,00 €.
Unmittelbar nach dem Unfall hat die Klägerin zu 1.) den Eltern des Kindes einen
Unfallfragebogen übermittelt. Diese haben am 27. September 2002 die
Geschäftsstelle der Klägerin in xxx aufgesucht und dort zu Protokoll der
Mitarbeiterin der Klägerin den Unfall geschildert und dabei u. a. erklärt, xxx sei
über ein niedriges Geländer 6 m in die Tiefgarage gestürzt. Diese sei schlecht
abgesichert. Die Mitarbeiterin hat hinsichtlich des Verschuldens aufgenommen,
der Unfall sei „selbst verschuldet“. Im Fragebogen ist weiterhin angegeben, dass
die Eltern sich wegen des Unfalls bereits an einen Rechtsanwalt gewandt hätten.
Zu den Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Anlage Bl. 243 im Anlagenband
der Akte. Der Fragebogen ist unmittelbar im Anschluss daran der für
Regressansprüche zuständigen Mitarbeiterin der Regressabteilung der Klägerin
zugeleitet worden. Diese hat - nach Vorbringen der Klägerin - nachdem sie sich
über die angefallenen Kosten informiert habe, ohne weitere Ermittlungen den Fall
eingestellt und in den Terminal gegeben, dass zu diesem Fall kein Ersatzanspruch
bestehe.
Auf Klage des seiner Eltern vertretenen ist die Beklagte zu 2.) rechtskräftig
verurteilt worden, Schmerzensgeld und Schadensersatz zu leisten, es ist weiter
festgestellt worden, dass die Beklagte für weitere Schäden des zu haften hat,
soweit der Anspruch nicht auf andere übergegangen ist oder übergeht. Die
Klägerin hat nach ihrem Vorbringen durch ein Schreiben des Anwalts s erstmals
von dem Prozess im Jahre 2007 erfahren. Betreiber des Xxx und Eigentümer des
Klinikgeländes ist der unter Ziffer 2.) beklagte Kreis. Dieser hat im Jahre 2004
durch Ausgliederung die Beklagte zu 1.) gegründet als Betreiberin des Klinikums.
Mit der am 17.11.2009 eingegangenen Klage machen die Klägerinnen
Schadensersatzansprüche sowie Feststellung geltend. Die Klägerinnen sind der
Auffassung, es liege eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor, seitens des
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Auffassung, es liege eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vor, seitens des
Betreibers des Klinikums. Die Klägerinnen haben die Klage zunächst gegen die
Beklagte zu 1) gerichtet. Sie haben sodann mit Schriftsatz vom 31.03.2010 die
Klage auf die Beklagte zu 2) erweitert mit dem Vortrag, die Ansprüche seien auf
die Beklagte zu 1) übergegangen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 1)
190.512,77 € nebst Verzugszinsen hierauf in Höhe von jeweils p. a. fünf
Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 188.342,09 € ab dem 13.
Dezember 2008 sowie auf 2.10,69 € ab jeweiliger Rechtshängigkeit zu zahlen,
die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 2)
26.638,00 € nebst Verzugszinsen hierauf in Höhe von jeweils p. a. fünf
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 14.252,00 € ab dem 13. Dezember
2008 sowie auf 2.386,00 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, der
Klägerin zu 1) wie der Klägerin zu 2) jeweils alle ihnen infolge des Unfalls vom
07.09.2002 ihres gesetzlich Versicherten auf dem Gelände des Xxx noch
entstehenden Aufwendungen zu ersetzen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Sie rügen die Passivlegitimation der Beklagten zu 1). Die Ausgliederung durch
Gründung der Beklagten zu 1) betreffe weder den Grundsbesitz noch die
streitgegenständlichen Ansprüche. Sie wenden Verjährung ein und verweisen auf
die Schadensmeldung der Eltern des geschädigten Kindes.
Die Klägerinnen haben nach Erweiterung der Klage auf den Beklagten zu 2).die
Auffassung vertreten, es müsse eine Rubrumsberichtigung, offenbar dahin, dass
Beklagte nur die Beklagte zu 2) sei, vorgenommen werden.
Zum weiteren Vorbringen wird Bezug genommen auf den Inhalt der zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze.
Entscheidungsgründe
Beklagte sind sowohl die durch Ausgliederung entstandene Beklagte GmbH zu 1)
als auch jetzige Betreiberin des Krankenhauses als auch der Beklagte zu 2) als
damaliger Betreiber des Krankenhauses und Eigentümer des Grundstücks.
Soweit die Klägerinnen meinen, es müsse insoweit eine Parteiberichtigung
vorgenommen werden, folgt das Gericht dem nicht. Denn die Voraussetzungen
hierfür sind nicht gegeben. Die Klägerin hat zunächst nämlich die falsche Partei,
die ausgegliederte xxx verklagt und nicht lediglich die richtige Partei falsch
bezeichnet. Eine falsche Parteibezeichnung, die durch Berichtigung behoben
werden kann, liegt nämlich nur dann vor, wenn alle Beteiligten ohne weiteres
erkennbar nicht die im Rubrum bezeichnete Partei, sondern eine andere von
vornherein verklagt werden sollte. So liegt es hier schon deshalb nicht, weil die
Klägerinnen nach wie vor daran festhalten, dass beide Beklagten für den Unfall
haften sollen. Sie hat ausdrücklich auch zunächst die durch Ausgliederung
entstandene xxx verklagen wollen und sich nicht nur etwa in der Bezeichnung des
ihr wohl bekannten beklagten Kreises geirrt. Der Hinweis der Klägerinnen auf die
Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Januar 2010 geht fehl.
Denn diese betrifft den gerade nicht einschlägigen Fall, dass eine durch
Verschmelzung erloschene xxx unter ihrer ursprünglichen Bezeichnung verklagt
worden ist.
Die Klägerinnen haben auch nicht dargetan, dass die Beklagte zu 1) unter
irgendeinem rechtlichen Gesichtspunkt durch die Ausgliederung Gegner der gegen
sie im vorliegenden Rechtsstreit erhobenen gesetzlichen Ansprüche geworden ist.
Insoweit ist schon von vornherein auszuschließen, dass beide Beklagte als
Gesamtschuldner haften könnten, vielmehr schließt die Haftung der einen Partei
die Haftung der anderen aus, so dass hier nicht eine Parteierweiterung sondern
allenfalls ein Parteiwechsel in Frage gekommen wäre.
Soweit es die Beklagte zu 2) betrifft, ist zwar entgegen der Ansicht der Beklagten
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Soweit es die Beklagte zu 2) betrifft, ist zwar entgegen der Ansicht der Beklagten
davon auszugehen, dass der Anspruch dem Grunde nach bestand. Insoweit wird
auf das Urteil im Vorprozess gegen die Beklagte zu 2) verwiesen, dem die
Beklagten nichts erinnernswertes Erhebliches entgegengehalten haben. Dem
Anspruch steht jedoch die von der Beklagten zu 2) erhobene Einrede der
Verjährung entgegen. Denn Ansprüche aus übergegangenem Recht des verletzten
Kindes gegen die Beklagten sind durch Verjährung erloschen.
Nach §§ 195, 199 BGB beträgt die 3 Jahre. Sie beginnt mit dem Schluss des
Jahres, indem der Geschädigte vom Täter, den umständen des Falles und dem
Schaden Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen
können. Maßgeblich ist dabei, worauf die Klägerinnen zu Recht hinweisen; bei
übergegangenen Ansprüchen die Kenntnis oder das Kennenmüssen des
Anspruchsinhabers bzw. des für die Geltendmachung derartiger Ansprüche
zuständigen Sachbearbeiters. Grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich der Unkenntnis von
Schaden Umständen, und Schädiger liegt vor, wenn die für die Aufnahme und
Bearbeitung des Schadens Verantwortlichen sich aufdrängende Fragen nicht
stellen und sich aufdrängende Widersprüche nicht aufklären, alle einfachsten
Überlegungen nicht anstellen und leicht zu ermittelnden Tatsachen nicht weiter
nachgehen, ferner in organisatorischer Hinsicht, wenn der Geschädigte seinen
Betrieb nicht so organisiert, dass derartige Fragen und Widersprüchen
nachgegangen und auf der Hand liegende Ermittlungen getätigt werden und in
subjektiver Hinsicht dieses zumutbar und dessen Unterlassen daher dem Vorwurf
erheblicher Nachlässigkeit ausgesetzt ist, ferner aufgrund dieser Umstände die
Kenntnis des Geschädigten vom Schädiger und dem Schadensfall sowie dessen
wesentlichen Umständen unterbleibt. So liegt es hier. Schon der schlichtesten
Mitarbeiterin auf der Geschäftsstelle der Beklagten in Uetersen hätte bei
Aufnahme des Schadensfalls sich aufdrängen müssen, dass Fremdverschulden
des Betreibers des xxx sich aufdrängte, ebenso wie die Sachbearbeiterin der
Klägerinnen für Regressfälle. Dies ergibt sich schon aus dem Fragebogen. Denn
nach dem Inhalt des Fragebogens konnten beide Mitarbeiterinnen schon aufgrund
des Vermerks „selbst verschuldet“ hiervon nicht ausgehen. Es lag insoweit ein
offenkundiger Widerspruch vor. Das Kind selbst, das damals 3 Jahre war, konnte
schwerlich den Unfall selbst verschuldet haben. Ein Verschulden der Eltern an einer
ungesicherten Absturzstelle auf dem Gelände des Krankenhauses ist auch mit
elementaren Rechtskenntnissen eines Laien undenkbar. Beide Mitarbeiterinnen
hätten daher diesen Widerspruch durch Nachfragen aufklären müssen, sofern die
Eltern insoweit unzureichende Angaben gemacht haben sollten.
Aufgrund des Fragebogens lag es auch auf der Hand, durch weitere Nachfragen zu
klären, dass offenbar eine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorlag, für die der
Eigentümer und Betreiber des Krankenhauses verantwortlich sein könnte. Dies
drängte sich umso mehr auf, weil nach dem Inhalt des Fragebogens die Eltern des
geschädigten Kindes bereits wenige Tage nach dem Unfall einen Rechtsanwalt mit
der Wahrnehmung der Interessen des Kindes beauftragt hatten. Angesichts
dessen die Sache mit dem Stichwort „selbst verschuldet“ wegzulegen widerspricht
aller einfachsten Überlegungen. Die Klägerinnen hätten durch weitere Nachfragen
bei den Eltern bzw. beim Krankenhaus auch ohne weiteres die Person des
Schädigers, nämlich der Beklagten zu 2) erfahren können, zumal ihr diese aus
ständiger „Geschäftsbeziehung“ bestens bekannt ist.
Die Klägerinnen müssen sich auch das Verhalten ihrer für Regressfälle zuständigen
Sachbearbeiterin zurechnen lassen. Sie trifft zudem ein eigenes
Organisationsversäumnis. Ein solches Organisationsversäumnis hinsichtlich der
fehlenden Erkenntnis über Schaden und Schädiger ist hier darin zu sehen, dass es
die Klägerinnen versäumt haben, ihren Geschäftsbetrieb so zu organisieren, dass
auf der Hand liegende Ermittlungen und Nachfragen, wie sie hier erforderlich
waren, erhoben und Widersprüche geklärt werden. In organisatorischer Hinsicht ist
es insoweit erforderlich, dass die sowohl mit der Aufnahme von
Schadensformularen beauftragten Mitarbeiter als auch die für Regressansprüche
zuständigen Mitarbeiter angeleitet und darin überwacht werden, die erforderlichen
Nachfragen und Nachforschungen zu erheben.
Dass die Klägerinnen dies versäumt haben und nach wie vor versäumen, ergibt
sich schon daraus, dass nach ihrem eigenen Vorbringen sie das Vorgehen beider
Mitarbeiterinnen nach wie vor für gerechtfertigt halten, obwohl offenkundig ist,
dass es grob nachlässig war. Es hätte der Klägerinnen vielmehr oblegen, durch
hinreichende Anweisung der Anleitung der Mitarbeiter und der Überwachung der
Mitarbeiter sicher zu stellen, dass die notwendigen auf der Hand liegenden
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Mitarbeiter sicher zu stellen, dass die notwendigen auf der Hand liegenden
Maßnahmen nicht unterbleiben.
Das Versäumnis ist auch nicht entschuldbar. Soweit es die Mitarbeiterinnen der
Klägerinnen betrifft, bedarf es keiner besonderen Kenntnisse oder juristischer
Erfahrungen um zu erkennen, dass Ansprüche in Rede standen. Allein dies zeigt
sich schon daran, dass die Eltern des geschädigten Kindes, die nach den
Erfahrungen des erkennenden Gerichts aus dem Vorprozess zwar
deutschstämmig aber nicht besonders geschäftserfahren sind, sogleich erkannt
haben, dass hier ein Fremdverschulden in Form einer
Verkehrssicherungspflichtverletzung des Krankenhausbetreibers auf der Hand lag
und deshalb einen Rechtsanwalt beauftragt haben. Das Gericht vermag sich auch
der Ansicht der Klägerinnen, die Mitarbeiterinnen seien mit den teils schwierigen
Rechtsfragen der Verkehrssicherungspflicht überfordert, nicht anzuschließen. Auch
der einfach strukturierte Laie vermag ohne weiteres zu erkennen, dass wenn das
Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist, man nicht nur den Deckel auflegt
sondern nachfragt wer dies zuvor versäumt hat.
Soweit die Klägerinnen vortragen, angesichts des zum Zeitpunkt der Prüfung
durch die Regressmitarbeiterin seien lediglich Kosten in Höhe von rund 800,00 €
entstanden, entschuldigt dies ebenfalls nicht. Denn es ergab sich schon aus der
Schadensmeldung, dass sehr hohe Kosten entstehen würden, es war ein
Hubschraubertransport zum xxx durchgeführt worden, was auch bei
allereinfachsten Anforderungen auf hohe Kosten hinweist.
Soweit die Klägerinnen darauf hinweisen, dass sie jährlich etwa 50.000
Schadensmeldungen zu bearbeiten hätten, entlastet sie dies nicht. Im Gegenteil,
um schwere Nachteile für das Vermögen der Klägerinnen abzuwenden, ist es
vielmehr geboten und gerade in diesem Fall organisatorisch auch zumutbar, den
Betriebsablauf so zu gestalten, dass die notwendigen Ermittlungen auch getätigt
werden, dieses organisiert geschult und überwacht wird. Anderenfalls besteht die
Gefahr, dass nicht nur im Einzelfall, sondern in einer nicht unerheblichen Zahl von
Fällen Regressansprüche gegen Schädiger nicht verfolgt werden, obwohl dies ohne
weiteres möglich wäre und den Klägerinnen entsprechend hohe Einnahmen aus
der Verfolgung von Regressansprüchen entgehen. Legt man die Zahlen der
Klägerinnen zugrunde und berücksichtigt man, dass allein der hier vorliegende Fall
zu einem Einnahmeausfall von mehr als ¼ Million Euro führt, andererseits nur
durch Zufall überhaupt bekannt geworden ist, lässt sich nicht ausschließen, dass
durch nachlässige Organisation den Klägerinnen Regressansprüche in
mehrstelliger Millionenhöhe entgehen, letztlich zu Lasten ihrer Beitragszahler und
des Steuerzahlers. Dieses ist schlechthin auch unter den Anforderungen grober
Fahrlässigkeit schlechthin unentschuldbar.
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus §§ 91, 709 ZPO.