Urteil des LG Heidelberg vom 24.06.2013

begründung des urteils, treu und glauben, gesetzliche vermutung, wiederherstellung

LG Heidelberg Urteil vom 24.6.2013, 5 S 52/12
Mietverhältnis: Schadensersatzanspruch des Vermieters bei Verlust eines zu
einer Schließanlage gehörenden Schlüssels
Leitsätze
Der Mieter hat dem Vermieter bei Verlust oder sonstiger Nichtrückgabe eines ihm
überlassenen Schlüssels bei Vertragsende Schadensersatz zu leisten, sofern er sich
hinsichtlich seines Verschuldens nicht entlasten kann.
Zu ersetzen sind im Fall eines zu einer Schließanlage gehörenden Schlüssels nicht
nur die erforderlichen Kosten zur Wiederherstellung des fehlenden Schlüssels,
sondern darüber hinaus auch die erforderlichen Kosten zur Erneuerung der
Schließanlage. Dies gilt auch, wenn die Schließanlage tatsächlich nicht erneuert wird.
Tenor
1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom
31.08.2012 - 27 C 221/10 - wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufung werden dem Beklagten auferlegt.
3. Dieses Urteil sowie das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 31.08.2012 - 27 C
221/10 - sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
1 Der klagende Wohnungsvermieter verlangt vom Beklagten, seinem ehemaligen
Mieter, restlichen Schadensersatz mit der Behauptung, der Beklagte habe einen
ihm überlassenen Schlüssel der Schließanlage nicht zurückgegeben.
2 Der Beklagte mietete vom Kläger eine diesem gehörende Wohnung in einem in
Wohnungseigentum aufgeteilten Mehrparteienhaus in N. Das Mietverhältnis
begann zum 01.03.2010. Wegen des Inhalts des schriftlich geschlossenen
Mietvertrages sowie wegen des von den Parteien bei Übergabe der Wohnung an
den Beklagten am 27.02.2010 erstellten schriftlichen Übergabeprotokolls wird auf
die Anlage zur Klageschrift vom 21.09.2010 (I 11 ff. und 29 ff.) verwiesen. Die
Parteien beendeten das Mietverhältnis bereits zum 31.05.2010 einvernehmlich.
Bei Mietende gab der Beklagte dem Kläger einen Wohnungsschlüssel zurück.
Nachdem der Kläger die Auffassung vertrat, ein weiterer dem Beklagten
überlassener Schlüssel fehle, hat die Verwaltung der
Wohnungseigentümergemeinschaft vom Kläger EUR 1.468,- für den Austausch
der Schließanlage des Anwesens gefordert, die der Kläger bislang nicht beglichen
hat. Auch wurde die Schließanlage bis jetzt nicht ausgetauscht.
3 Der Kläger hat behauptet, er habe dem Beklagten bei Mietbeginn zwei
Wohnungsschlüssel übergeben, bei welchen es sich um Schlüssel einer
Schließanlage gehandelt habe, die nicht nur zur Abschlusstür der Wohnung selbst,
sondern auch zur Haustür und zur Tür des Kellerzuganges gepasst hätten. Zum
Ausschluss der Gefahr, dass sich Unbefugte mit dem fehlenden Schlüssel Zutritt
verschafften, müssten sämtliche 24 Zylinder der Schließanlage nebst jeweils
zugehöriger Schlüssel ausgetauscht werden. Unter Berufung hierauf hat der
Kläger gegen den Beklagten vorgerichtlich EUR 1.468,- netto geltend gemacht.
Von diesem Betrag hat er ein Kautionsguthaben des Beklagten in Höhe von EUR
500,- abgezogen. Gegen die Nichtauszahlung dieses Guthabens wendet sich der
Beklagte in einem anderen Rechtsstreit. Nachdem der im vorliegenden
Rechtsstreit vom Amtsgericht bestellte Sachverständige Kosten für den
notwendigen Austausch von Zylindern und Schlüsseln in Höhe von EUR 1.729,82
netto ermittelt hat und der Kläger zudem gemeint hat, ihm stehe ein weiterer
Anspruch für Kosten der Demontage und Montage sowie für die An- und Abfahrt
des Handwerkers in Höhe von insgesamt EUR 137,50 zu, hat er die Klage von
ursprünglich EUR 968,- auf EUR 1.367,32 nebst Zinsen erhöht. Die Zahlung
dieses Betrages hat er zuletzt nicht mehr an sich selbst, sondern an die
Eigentümergemeinschaft des Anwesens begehrt.
4 Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und bereits bestritten, bei Mietbeginn
mehr als einen Wohnungsschlüssel erhalten zu haben. Darüber hinaus hat er in
Abrede gestellt, dass das Mehrparteienhaus mit einer Schließanlage ausgestattet
sei, dass der Austausch von 24 Profilzylindern notwendig sei und dass hierfür
auch nur der ursprünglich begehrte Betrag von EUR 1.468,- erforderlich und
angemessen sei. In rechtlicher Hinsicht hat er den Kläger nicht für aktivlegitimiert
gehalten, weil die Schließanlage nicht in dessen Eigentum stehe. Auch komme ein
Anspruch auf Kostenersatz allenfalls dann in Betracht, wenn die Schlösser wegen
der Gefahr des Missbrauchs tatsächlich ausgetauscht worden wären und der
Kläger selbst mit entsprechenden Kosten belastet worden wäre.
5 Das Amtsgericht hat der Klage nach Erhebung von Zeugen- und
Sachverständigenbeweis in Höhe der ursprünglichen Klageforderung von EUR
968,- nebst Zinsen stattgegeben. Es sah als erwiesen an, dass der Beklagte bei
Mietbeginn zwei Wohnungsschlüssel erhalten gehabt habe, dass das Anwesen
mit einer Schließanlage versehen sei, dass sämtliche Schlösser dieser
Schließanlage ausgetauscht werden müssten und dass der vom Kläger hierfür in
Ansatz gebrachte Betrag von EUR 1.468,- (abzüglich EUR 500,-
Kautionsguthaben) angemessen sei. Dem Kläger stehe in entsprechender Höhe
ein Zahlungsanspruch wegen der Nichtrückgabe eines Schlüssels zu. Die darüber
hinausgehende Klage hat das Amtsgericht abgewiesen, da die
Wohnungseigentümergemeinschaft lediglich EUR 1.468,- für den Austausch der
Schließanlage vom Kläger fordere und nicht mehr.
6 Wegen des weiteren unstreitigen und des streitigen Vortrags der Parteien in erster
Instanz sowie wegen des Inhalts und der Begründung des Urteils des
Amtsgerichts Heidelberg vom 31.08.2012 einschließlich der dort getroffenen
tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf
Entscheidungsformel, Tatbestand und Entscheidungsgründe dieses Urteils (I 439
ff.) Bezug genommen.
7 Hiergegen richtet sich die Berufung des Beklagten. Er vertieft seinen
erstinstanzlichen Vortrag einschließlich seiner bereits erstinstanzlich geäußerten
Angriffe gegen das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten und
meint im Übrigen, durch den Schlüsselverlust allein erleide eine Schließanlage
keine Wertminderung. Eine abstrakte Schadensberechnung sei daher, anders als
in Fällen der Verletzung der Substanz einer Sache, nicht zulässig. Das bisherige
Unterlassen des Austauschs der Anlage durch die Verwaltung der
Wohnungseigentümergemeinschaft zeige auch, dass diese selbst kein
Sicherheitsrisiko sehe. Ein solches bestehe auch spätestens jetzt nicht mehr.
Jedenfalls müsse der Anspruch durch einen Abzug „neu für alt“ gekürzt werden.
Schließlich beruft sich der Beklagte auf Verjährung.
8 Der Beklagte beantragt:
9
1. Das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 31.08.2012, AZ. 27 C 221/10, wird
aufgehoben.
2. Die Klage wird zurückgewiesen.
10 Der Kläger beantragt
11 Zurückweisung der Berufung.
12 Er verteidigt das amtsgerichtliche Urteil und tritt insbesondere einem Abzug „neu
für alt“ entgegen, dessen rechtliche Voraussetzungen nicht vorlägen. Eine
Schließanlage funktioniere quasi verschleißfrei. Im Übrigen stamme die vorgelegte
Sicherheitskarte der Schließanlage zwar aus dem Jahr 1996. Dies spiegele jedoch
nicht das Alter der gesamten Schließanlage wider. Vielmehr seien mehrere der
auszutauschenden Zylinder erst in den Jahren 2003, 2004 und 2009 eingesetzt
worden.
13 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Verfahrensakte Bezug
genommen. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung des ergänzenden
schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Sch. vom 25.03.2013 (II 81 ff.) auf
Grund Beweisbeschlusses vom 14.12.2012 (II 49 ff.). Mit Beschluss vom
02.05.2013 (II 125) hat sie das schriftliche Verfahren angeordnet und als Termin,
der dem Schluss der mündlichen Verhandlung gleichsteht, den 31.05.2013
bestimmt.
II.
14 Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das angefochtene Urteil
beruht im Ergebnis weder auf einem Rechtsfehler (§§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO),
noch rechtfertigen die nach § 529 Abs. 1 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen
eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO).
15 1. Die Klage ist zulässig.
16 Das Berufungsgericht ist vorliegend zwar, in Ausnahme zu dem in § 268 ZPO zum
Ausdruck kommenden Grundsatz, nicht davon entbunden, die vom Amtsgericht
(stillschweigend) zugelassene Klageänderung im Sinne des zuletzt, im Termin am
10.07.2012 (Prot. S. 2 - I 433) gestellten Klageantrages darauf zu überprüfen, ob
die Voraussetzungen des § 263 ZPO vorliegen, nachdem sich das Amtsgericht
nicht erkennbar mit der Zulässigkeit auseinandergesetzt hat (vgl. Zöller/Greger,
ZPO, 29. Aufl. 2012, § 268 Rz. 1 m.w.N.). Die Zulässigkeit ist aber schon
deswegen gegeben, weil der Beklagte sich durch Stellung des Antrags auf
Abweisung der geänderten Klage (Prot. a.a.O.) rügelos auf diese eingelassen und
damit im Sinne des § 263 Alt. 1 ZPO in sie eingewilligt hat (§ 267 ZPO).
17 Der Kläger ist auch prozessführungsbefugt. Dabei kommt es auf die
Voraussetzungen einer (gewillkürten) Prozessstandschaft nicht an. Denn mit
seinem (zuletzt gestellten) Antrag auf Leistung an die
Wohnungseigentümergemeinschaft, welcher er angehört, macht der Kläger nicht
etwa deren (fremdes) Recht im eigenen Namen geltend, sondern einen ihm selbst
zustehenden Freistellungsanspruch im Sinne des § 257 BGB, nachdem der Kläger
von der Eigentümergemeinschaft auf Zahlung des streitgegenständlichen
Betrages in Anspruch genommen wird. Er verfolgt mithin ein eigenes und kein
fremdes Recht.
18 2. Die Klage ist jedenfalls in Höhe des vom Amtsgericht zugesprochenen Betrages
auch begründet.
19 a) Der vom Kläger verfolgte Schadensersatzanspruch ergibt sich allerdings nicht
unmittelbar aus § 1 Nr. 2 Abs. 5 Satz 2 des von den Parteien unterschriebenen
schriftlichen Mietvertrags (I 11), wonach der Mieter bei Verlust eines Schlüssels
verpflichtet ist, auf Verlangen des Vermieters die Kosten für entsprechende
Türschlösser bzw. bei einer Schließanlage deren Kosten und auch die Kosten für
den Austausch der Schlüssel zu übernehmen, sofern der Mieter nicht nachweisen
kann, dass Missbrauch ausgeschlossen ist. Der Kläger hat sich selbst nicht auf
diese Klausel berufen.
20 Die Klausel kann jedenfalls deswegen keinen eigenständigen
Schadensersatzanspruch begründen, weil sie als Allgemeine Geschäftsbedingung
den Beklagten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligt und daher unwirksam ist (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB).
21 Bei der Klausel handelt es sich um eine für eine Vielzahl von Verträgen
vorformulierte Vertragsbedingung, wie sich bereits aus ihrem unspezifizierten
Wortlaut („Kosten für entsprechende Türschlösser bzw. bei einer Schließanlage
deren Kosten“; Hervorhebung nicht im Orig.) hinreichend deutlich ergibt, und die
der Kläger als Vermieter dem Beklagten als Mieter bei Vertragsabschluss gestellt
hat (§ 305 Abs. 1 Satz 1 BGB).
22 Die Klausel stellt eine unangemessene Benachteiligung dar. Dies ist im Zweifel
anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der
gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist (§ 307
Abs. 2 Nr. 1 BGB). Denn die Klausel begründet einen verschuldensunabhängigen
Schadensersatzanspruch, den der Mieter nur abwenden können soll, wenn er den
Ausschluss des Missbrauchs des verlorenen Schlüssels nachweist. Kann er
hingegen nur nachweisen, dass er den Schlüssel ohne sein Verschulden verloren
hat, etwa durch einen nicht auf einer Sorgfaltspflichtverletzung des Mieters
beruhenden Diebstahl, soll er weiterhin haften, solange er nicht auch ausschließt,
dass der Dieb oder irgendein Dritter Missbrauch mit dem entwendeten Schlüssel
treiben.
23 Dies ist mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelungen (§§ 280
Abs. 1 Satz 2, 276 Abs. 1 BGB) nicht vereinbar, nach denen ein vertraglicher
Schadensersatzanspruch grundsätzlich ein Vertretenmüssen im Sinne eines
Verschuldens seitens des Schuldners voraussetzt. Mietvertragsklauseln, die eine
verschuldensunabhängige Ersatzpflicht für einen Schlüsselverlust vorsehen,
benachteiligen den Mieter daher unangemessen und verstoßen gegen § 307 BGB
(Schmidt-Futterer/Streyl, MietR, 10. Aufl. 2011, § 546 Rz. 35 a.E., m.w.N.).
24 b) Der klagegegenständliche Schadensersatzanspruch folgt aber aus §§ 280 Abs.
1, 249 Abs. 2, 257 BGB.
25 Der Beklagte hat durch die Nichtrückgabe eines der ihm vom Kläger überlassenen
Schlüssel seine Obhuts- und Rückgabepflicht (§ 546 Abs. 1 BGB) verletzt, die sich
auch auf mitvermietetes Zubehör der Mietsache erstreckt (vgl. Schmidt-
Futterer/Streyl, § 546 Rz. 32 m.w.N.). Hierzu gehört der vom Kläger vermisste
Schlüssel.
26 Die Beweiswürdigung des Amtsgerichts, nach der auf Grund des
Übergabeprotokolles vom 27.01.2010 und der Aussagen der hierzu vernommenen
Zeugen H. und D. B. sowie M. E. im Termin am 11.01.2011 (Prot. S. 2 f. - I 141 f.)
feststehe, dass der Beklagte zwei Wohnungsschlüssel erhalten habe, lässt keine
konkreten Anhaltspunkte erkennen, die insoweit Zweifel an der Richtigkeit und
Vollständigkeit dieser entscheidungserheblichen Feststellung begründeten. Die
Kammer ist als Berufungsgericht daher an sie gebunden (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO).
27 Dass der Beklagte dem Kläger nur einen Wohnungsschlüssel zurückgegeben hat,
ist zwischen den Parteien unstreitig. Eine objektive Verletzung der
Vertragspflichten des Beklagten steht damit fest.
28 c) Diese Vertragsverletzung ist vom Beklagten auch zu vertreten. Umstände, die
die dahingehende gesetzliche Vermutung widerlegten (§ 280 Abs. 1 Satz 2 BGB),
sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Die endgültige Vorenthaltung eines dem
Mieter anvertrauten Wohnungsschlüssels geht über den vertragsgemäßen
Mietgebrauch, in dessen Rahmen der Mieter Veränderungen oder
Verschlechterungen der Mietsache nicht zu vertreten hat (§ 538 BGB), hinaus.
29 d) Dem Kläger ist in Gestalt der Inanspruchnahme durch die
Wohnungseigentümergemeinschaft, der gegenüber der Beklagte Erfüllungsgehilfe
im Rahmen der den Kläger als Miteigentümer treffenden Schutzpflichten
hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums ist (§§ 241 Abs. 2, 278 BGB), auch ein
Schaden entstanden. Diese Verbindlichkeit umfasst über die Wiederherstellung
des fehlenden Schlüssels hinaus auch die Kosten der Erneuerung der
Schließanlage in dem von dem gerichtlichen Sachverständigen Sch. für
erforderlich gehaltenen Umfang. Darauf, dass die Schließanlage bislang noch nicht
ausgetauscht ist, kommt es dabei nicht an (aa.). Auf den in diesem Sinne zur
Wiederherstellung erforderlichen Geldbetrag hat sich die Eigentümergemeinschaft
und damit auch der Kläger im Verhältnis zum Beklagten zwar einen Abzug „neu für
alt“ anrechnen lassen. Die konkrete Höhe dieses Abzugs führt jedoch nicht zu
einem Unterschreiten des berufungsgegenständlichen Schadensersatzbetrages
(bb.).
30 aa) Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der
Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen (§
249 Abs. 2 Satz 1 BGB). Voraussetzung hierfür ist ein Eingriff in die Sachsubstanz
(MünchKomm-BGB/Oetker, 6. Aufl. 2012, § 249 Rz. 424 m.w.N.).
31 Die der Vorenthaltung des fehlenden Schlüssels innewohnende
Substanzverletzung beschränkt sich nicht allein auf diesen Schlüssel und der
geschuldete Schadensersatz damit nicht auf den verhältnismäßig geringfügigen
Betrag für das Nachmachen dieses Schlüssels. Vielmehr hat der Beklagte auch in
die substanzielle Funktionalität der Gesamtheit der Bestandteile der Sache
„Schließanlage“ eingegriffen. Denn diese ist dadurch, dass der Verbleib des
fehlenden Schlüssels dauerhaft ungeklärt bleibt, in ihrer Funktion beeinträchtigt.
32 Diese Beeinträchtigung kann nicht mit der Erwägung in Abrede gestellt werden,
dass sich die Funktion der Sachgesamtheit Schließanlage auf das Auf- und
Zusperren der vor ihr umfassten Schlösser mit den verfügbaren Schlüsseln
beschränkt und der Substanzschaden folglich durch die Wiederherstellung des
fehlenden Schlüssels behoben ist (in diese Richtung aber AG Ludwigsburg, WuM
2010, 355 - juris Rz. 24; AG Rheinbach, NZM 2005, 822 f. - juris Rz. 19; LG
Wiesbaden, NZM 1999, 308; Ruthe, NZM 2000, 365, 366 unter 3.; Flatow, NZM
2011, 660, 662 unter 3. a. bb.). Diese Auffassung greift insoweit zu kurz, als der
Substanz der Schließanlage auch die Funktion innewohnt, dass niemand die zu ihr
gehörenden Schlösser auf- und zusperren kann, der nicht berechtigt im Besitz
eines zu ihr gehörenden Schlüssels ist. Die durch den unbekannt verbliebenen
Schlüssel begründete Missbrauchsgefahr verletzt nicht nur das Eigentum an dem
Schlüssel selbst, sondern zusätzlich die Sachgesamtheit Schließanlage für das
Gesamtgebäude (KG, NJW-RR 2008, 1245 ff. - juris Rz. 13 m.w.N.; LG Münster,
WuM 1989, 508 f. - juris Rz. 4).
33 Hierbei kommt es (entgegen AG Ludwigsburg, a.a.O.; AG Rheinbach, a.a.O.; LG
Wiesbaden, a.a.O.) nicht darauf an, ob der Vermieter die Schließanlage tatsächlich
und zeitnah ausgewechselt hat (vgl. KG, a.a.O. - juris Rz. 12 u. 14; einschränkend
Flatow, a.a.O., die es für einen Ersatzanspruch aber ausreichen lassen will, dass
der Vermieter beabsichtigt, die Schließanlage auszuwechseln). Denn soweit er
dies unterlässt, handelt er auf eigenes Risiko. Dann steht dem Gewinn der
„abstrakt“ liquidierten Schadensersatzsumme der materielle Verlust gegenüber, der
sich im Falle der Verwirklichung der Missbrauchsgefahr durch Diebstahl oder
Vandalismus Dritter niederschlägt, ohne dass diese Folgeschäden der
ursprünglichen Pflichtverletzung des Mieters noch haftungsrechtlich zurechenbar
und von diesem zu ersetzen wären. Auf Grund dieser Risikoverteilung ist die
Entscheidung des Vermieters, Schadensersatz zu verlangen und die
Schließanlage trotzdem (zunächst) nicht zu erneuern, auch nicht etwa treuwidrig
(so aber LG Essen, ZMR 2012, 103 f. - juris Rz. 5).
34 Schließlich steht der Zulassung der abstrakten Schadensberechnung auch nicht
die Rechtsprechung des Reichsgerichts entgegen, nach der § 249 Abs. 2 BGB bei
der reinen Gefahr künftiger Beschädigung einer Sache nicht anwendbar und eine
abstrakte Schadensberechnung daher in diesem Fall nicht möglich ist (RGZ 91,
104 - juris). Denn Haftungsgrund ist vorliegend (anders als in dem vom
Reichsgericht entschiedenen Fall) nicht lediglich die Bedrohung der Sache durch
künftige Beschädigung, sondern die bereits real eingetretene Substanzverletzung
im oben dargelegten Sinne.
35 Der Kammer erscheint es nach alledem angezeigt, den Grundsatz, dass der
Geschädigte in der Verwendung des Geldschadensersatzes frei ist, auch im
vorliegenden Fall Platz greifen zu lassen.
36 bb) Der Beklagte schuldet dem Kläger unter Berücksichtigung eines
Kautionsguthabens von EUR 500,- die Freihaltung von einem
Schadensersatzanspruch der Eigentümergemeinschaft in Höhe von verbleibenden
EUR 968,-.
37 Wegen der Höhe des zur Wiederherstellung der Schließsicherheit der Anlage
erforderlichen Erneuerungsaufwandes hat das Amtsgericht Beweis erhoben durch
die Einholung des schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Sch. vom
28.10.2011 (I 265 ff.). Dieser kam nach sachkundiger Ermittlung des erforderlichen
Aufwandes sowie anschließender Einholung und Bewertung des Angebotes eines
Eisenwarenfachgeschäftes, dessen Endbetrag denjenigen Betrag, den die
Eigentümergemeinschaft vom Kläger fordert, überstieg, zu dem Ergebnis, dieser
Betrag sei angemessen (I 269). Zwar hielt der Sachverständige - insoweit in
Abweichung vom Amtsgericht - den Austausch von lediglich 15 der 24 zu der
Schließanlage gehörenden Zylinder für ausreichend (Gutachten - I 269). Da jedoch
selbst der hierfür vom Sachverständigen für erforderlich gehaltene Betrag den vom
Amtsgericht zugesprochenen Betrag übersteigt, ist eine Kürzung dieses Betrages
insoweit nicht angezeigt.
38 Allerdings hat der Beklagte, nachdem das Amtsgericht mit Beschluss vom
02.11.2011 (I 285) eine zweiwöchige Frist „gemäß § 411 ZPO“ gesetzt hatte, mit
Schriftsätzen vom 02. und 06.12 2011 (I 321 f., 325 f.) Einwendungen gegen das
Sachverständigengutachten erhoben, die das Amtsgericht zum Anlass für einen
am 02.01.2012 erlassenen ergänzenden Beweisbeschluss genommen hat (I 361
ff.). In diesem wurde dem Sachverständigen Sch. die ergänzende Stellungnahme
zu den Einwendungen des Beklagten aufgegeben. Dieses Ergänzungsgutachten
wurde letztlich nicht erstattet, weil der Beklagte den ihm vom Amtsgericht hierfür
auferlegten Auslagenvorschuss nicht eingezahlt hat (vgl. Urteilsgründe unter D., S.
6 vorletzter Absatz - I 444).
39 Mit dieser Begründung konnte die Einholung des Ergänzungsgutachtens jedoch
nicht unterbleiben. Ob dies ursprünglich mit der Begründung möglich gewesen
wäre, der Beklagte habe seine Einwendungen erst nach Ablauf der vom
Amtsgericht hierzu gesetzten Frist erhoben (vgl. I 285, 297), braucht vorliegend
nicht mehr entschieden zu werden. Denn soweit das Gericht mit der Zulassung der
Einwendungen des Beklagten mit Beweisbeschlusses vom 02.01.2012 gegen §
296 Abs. 1 i.V.m. § 411 Abs. 4 Satz 2 ZPO verstoßen hat, ist es dem
Berufungsgericht verwehrt, die vom Erstgericht fehlerhaft unterlassene
Zurückweisung verspäteten Vorbringens nachzuholen (vgl. Zöller/Greger, § 296
Rz. 35).
40 Wie die Kammer bereits in ihrem ergänzenden Beweisbeschluss vom 14.12.2012
zum Ausdruck gebracht hat (S. 3 unter IV. - II 53), hat der Beklagte nicht in erster
Linie ergänzende sachverständige Feststellungen beantragt, für die er als
Antragsteller vorschusspflichtig wäre (vgl. Zöller/Greger, § 411 Rz. 5b m.w.N.),
sondern Tatsachen bestritten, die der Begutachtung zu Grunde lagen. Unter
diesen Umständen bedurfte es bereits von Amts wegen der Ergänzung des
Gutachtens, da dieses Beweisfragen betrifft (Erforderlichkeit und Angemessenheit
der Höhe des geltend gemachten Schadensersatzes), für die der Kläger die
Beweislast trägt.
41 Nachdem das Amtsgericht insoweit verfahrensfehlerhaft weitere Beweiserhebung
unterlassen hat, waren die entsprechenden Tatsachenfeststellungen vom
Berufungsgericht nachzuholen (§§ 529 Abs. 1, 538 Abs. 1 ZPO). In dem hierzu
eingeholten schriftlichen Ergänzungsgutachten des Sachverständigen Sch. vom
25.03.2013 (II 81 ff.) hat dieser überzeugend festgestellt, dass die vom Kläger
bereits in erster Instanz vorgelegte Sicherungskarte auch tatsächlich zu der
Schließanlage des streitgegenständlichen Anwesens gehört
(Ergänzungsgutachten unter 4.1.a. und b. - II 83 f.), was der Beklagte nach
Erstattung des erstinstanzlichen Gutachtens bestritten hatte. Ferner hat der
Sachverständige vertiefend ausgeführt, dass das von ihm im Rahmen seiner
erstinstanzlichen Tätigkeit eingeholte Angebot der Firma W. üblich und
angemessen sei, auch wenn er nur dieses eine Angebot eingeholt habe. Denn als
Metallbauer und anerkannter Errichter mechanischer Schließanlagen könne er
dies beurteilen (a.a.O. unter 4.2. - II 84). Gegen diese Feststellungen hat sich der
Beklagte nicht mehr gewandt. Sie begegnen auch sonst keinen Bedenken.
Vielmehr sind sie nachvollziehbar und widerspruchsfrei, weswegen sich die
Kammer ihnen anschließt.
42 Allerdings ist von dem vom Sachverständigen ermittelten und vom Kläger vor dem
Amtsgericht zuletzt auch geforderten Betrag von EUR 1.729,82 ein Abzug „neu für
alt“ vorzunehmen. Denn die Voraussetzungen eines solchen Abzugs liegen vor.
43 Wird eine gebrauchte Sache durch eine neue ersetzt oder durch den Einbau von
Neuteilen repariert, kann dies zu einer Wertsteigerung führen, die die
Schadensersatzpflicht mindert, soweit hierdurch eine messbare
Vermögensmehrung eingetreten ist und sich diese Werterhöhung für den
Geschädigten wirtschaftlich günstig auswirkt (Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl.
2013, Vorb v § 249 Rz. 97 ff.). Dies ist vorliegend der Fall.
44 Ersichtlich handelt es sich bei den in Rede stehenden Schließzylindern und
Schlüsseln einerseits um Bauteile, die der täglichen mechanischen
Beanspruchung und damit der Abnutzung unterliegen. Auf der anderen Seite ist
von einer hohen Lebensdauer einer Schließanlage auszugehen. Der
Sachverständige Sch. hat sie, insoweit unangegriffen, mit 20 bis 25 Jahren
beziffert (Ergänzungsgutachten unter 4.3. - II 84). Damit tritt eine - allerdings
moderate - Bereicherung der Wohnungseigentümer ein, da die auszutauschenden
Bauteile nach der notwendigen Erneuerung länger halten und erst in fernerer
Zukunft erneut ausgetauscht werden müssen. Bei der Berechnung des für den
(partiellen) Austausch der Schließanlage geschilderten Schadensersatzbetrages
ist daher ein Abzug „neu für alt“ vorzunehmen (vgl. LG Münster, WuM 1989, 508 f. -
juris Rz. 8).
45 Das Alter der auszutauschenden Bauteile ist allerdings im Einzelnen zwischen den
Parteien streitig. Indes ist diese Frage der gerichtlichen Schätzung unter
Berücksichtigung der sachverständigen Feststellungen zugänglich (§ 287 Abs. 1
ZPO; vgl. bereits Beschluss v. 02.05.2013, unter IV. - II 125). Eine
Beweisaufnahme zu dieser Frage hielt die Kammer nicht für sinnvoll, da sie ihr
wirtschaftlich unverhältnismäßig erschien und sie auch keine feste Größe, sondern
ihrerseits ebenfalls nur weitere Anhaltspunkte für die richterliche Schätzung
geliefert hätte.
46 Unter Berücksichtigung der gesamten Umstände hält die Kammer einen Abzug
von 15 Prozent von dem vom Sachverständigen ermittelten, für die
Wiederherstellung der Schließsicherheit erforderlichen Betrag von EUR 1.729,82
für angemessen (i.E. ebenso LG Münster, a.a.O.). Auf die vom Kläger zuletzt noch
vorgetragenen Details des Alters einzelner der insgesamt 15 auszutauschenden
Schließzylinder kommt es dabei nicht entscheidend an.
47 Von dem Betrag von EUR 1.729,82 sind mithin EUR 259,47 in Abzug zu bringen.
Der verbleibende Betrag von EUR 1.470,35 liegt immer noch über dem von der
Wohnungseigentümergemeinschaft vom Kläger geforderten Betrag von EUR
1.468,-, so dass nach dem weiteren, in diesem Verfahren nicht im Streit stehenden
Abzug der Kaution in Höhe von EUR 500,- ein Betrag von EUR 970,35 verbleibt,
der den berufungsgegenständlichen Betrag von EUR 968,- weiterhin trägt.
48 Der vom Amtsgericht unterlassene Abzug „neu für alt“ wirkt sich mithin im Ergebnis
nicht aus.
49 e) Der Freistellungsanspruch ist auch nicht verjährt, nachdem der ursprünglich als
Zahlungsanspruch verfolgte Schadensersatzanspruch vom Kläger noch vor
Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 548 Abs. 1 BGB rechtshängig gemacht
wurde. Denn auch wenn der vom Schädiger zu ersetzende Schaden in der
Belastung mit einer Verbindlichkeit besteht, unterbricht die Zahlungsklage des
Geschädigten auch die Verjährung des Freistellungsanspruchs. Dabei ist
gleichgültig, welche Form des Ersatzbegehrens der Geschädigte im Hinblick auf
den Valutierungsstand des Passivschadens richtiger Weise hätte wählen
müssen. Denn sowohl der Freistellungsanspruch als auch der
Zahlungsanspruch sind in diesem Falle lediglich verschiedene Ausprägungen
ein- und desselben Anspruchs, nämlich des Schadensersatzanspruchs des
Geschädigten auf Vermögensausgleich wegen der vom Schädiger zu
verantwortenden Belastung des Vermögens mit der streitgegenständlichen
Verbindlichkeit (BGH, NJW 1985, 1152 ff. - juris Rz.27).
50 Auf die Frage, ob die erst in der Berufungsinstanz erhobene Verjährungseinrede
überhaupt noch zu berücksichtigen war, kommt es damit nicht an.
51 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
52 4. Gegen dieses Berufungsurteil war die Revision zuzulassen, weil die
Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr.
1 ZPO). Die Frage, ob und unter welchen Umständen der Vermieter vom Mieter die
Kosten des Austausches einer zentralen Schließanlage ersetzt verlangen kann,
insbesondere, ob dies auch noch der Fall ist, wenn die Schließanlage längere Zeit
nach dem Schlüsselverlust gleichwohl nicht ausgetauscht wurde, wird, wie
dargestellt (s.o. 2. c. aa.), in Instanzrechtsprechung und Literatur unterschiedlich
beantwortet und dürfte in der Mietpraxis in einer Vielzahl von Fällen auftreten. Eine
höchstrichterliche Entscheidung dieser Frage liegt, soweit ersichtlich, noch nicht
vor.