Urteil des LG Heidelberg vom 27.07.2016

fahrzeug, kollision, verschulden, haus

LG Heidelberg Urteil vom 27.7.2016, 1 S 6/16
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg vom 18.12.2015, Az. 27 C 124/15,
im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:
a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.257,71 EUR nebst Zinsen
hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 09.07.2015 zu zahlen.
b) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
3. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 14 % und die Beklagten als
Gesamtschuldner 86 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
1
Die Parteien streiten um die Haftung aus einem Verkehrsunfall.
2
Am 05.01.2015 gegen 9.00 Uhr stand das Fahrzeug des Klägers auf dem zum Grundstück seines Anwesens
B. Weg 1 in S. gehörenden Parkplatz senkrecht zur Grundstücksgrenze vor dem Haus geparkt. Das
Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1, das bei der Beklagten Ziffer 3 haftpflichtversichert war, stand parallel zur
Grundstücksgrenze am Straßenrand vor dem Nachbaranwesen B. Weg 3 mit dem Heck auf Höhe eines mit
Büschen bewachsenen Grünstreifens. Im Fahrzeug befand sich der Beklagte Ziffer 2. Die Ehefrau des Klägers
verließ das Haus B. Weg 1 und stieg zusammen mit ihrer Tochter und zwei von deren Freundinnen in das
Auto des Klägers. Sie fuhr rückwärts in einem Rechtsbogen aus dem Parkplatz aus. Der Beklagte Ziffer 2
setzte seinerseits mit dem Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 zurück, wobei es zur Kollision mit dem
klägerischen Fahrzeug kam, das hinten rechts beschädigt wurde. Der Kläger machte einen Schaden in Höhe
von insgesamt 2.708,88 EUR geltend. Die Beklagte Ziffer 3 regulierte den Schaden auf der Basis einer
Haftungsquote von 50 %. Bei den vom Kläger fiktiv berechneten Reparaturkosten berücksichtigte sie die
geltend gemachten Verbringungskosten und UPE-Aufschläge nicht. Der Kläger klagt nunmehr die Differenz
zu dem von ihm geltend gemachten Schaden ein.
3
Er hat behauptet, seine Ehefrau habe zum Kollisionszeitpunkt ihre Rückwärtsfahrt beendet gehabt und sei
gestanden. Als sie aus dem Haus gekommen sei, habe sie das Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 gesehen und
wahrgenommen, dass der Motor nicht in Betrieb gewesen sei. Sie habe während der gesamten
Rückwärtsfahrt mit nach hinten gedrehtem Kopf zurück geschaut und dabei den stehenden PKW der
Beklagten Ziffer 1 im Blick gehabt. Erst nach Beendigung der Rückwärtsfahrt habe sie wieder nach vorne
geschaut und den ersten Gang eingelegt. In diesem Moment sei es zur Kollision gekommen.
4
Die Beklagten haben behauptet, beide Fahrzeuge seien zum Kollisionszeitpunkt rückwärts gefahren. Die
Ehefrau des Klägers habe den rückwärtigen Verkehrsraum nicht ausreichen beachtet. Die Beklagten haben
die Ansicht vertreten, dass sowohl gemäß § 9 Abs. 5 StVO als auch gemäß § 10 StVO ein Anscheinsbeweis
für ein Verschulden der Ehefrau des Klägers spreche, und zwar auch, wenn sie vor der Kollision kurzzeitig
gestanden haben sollte.
5
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, die Beklagten treffe keine höhere als eine
hälftige Haftung. Der Unfall sei für keinen der Beteiligten ein unabwendbares Ereignis gewesen, weil beide
wegen eines Verstoßes gegen § 9 Abs. 5 StVO ein Verschulden an dem Unfall treffe. Sowohl die Ehefrau des
Klägers als auch der Beklagte Ziffer 2 hätten so langsam zurückfahren müssen, dass sie beim Auftauchen
eines anderen Verkehrsteilnehmers in ihrem Sichtfeld hätten bremsen können. Unerheblich sei, ob die
Ehefrau des Klägers kurz vor der Kollision angehalten habe, denn ein spezifischer Bezug zum
Rückwärtsfahren bestehe auch dann noch, wenn das Fahrzeug kurzzeitig zum Stehen gekommen sei. Für
eine mehr als hälftige Haftung der Beklagten hätte der Kläger beweisen müssen, dass sein Fahrzeug schon
längere Zeit vor der Kollision gestanden habe, was er aber gar nicht behaupte. Selbst in diesem Fall hätte
seine Ehefrau den Unfall jedoch dadurch verschuldet, dass sie kein Warnzeichen gegeben habe, als sie
bemerkt habe, dass sie den Beklagten Ziffer 2 beim Rangieren behinderte. Da die Beklagte Ziffer 3 mit
1.479,14 EUR mehr als 50 % des geltend gemachten Schadens bezahlt habe, sei die Klage abzuweisen.
6
Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Zur Begründung führt er aus, der Unfall sei für ihn
ein unabwendbares Ereignis gewesen, weil auch ein Idealfahrer sich nicht anders als seine Ehefrau
verhalten hätte. Das Amtsgericht sehe es zu Unrecht als unstreitig an, dass beide Fahrer zur gleichen Zeit
rückwärts gefahren seien. Die Ehefrau des Klägers habe vielmehr zum Kollisionszeitpunkt ihre
Rückwärtsfahrt beendet gehabt. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer sei ausgeschlossen gewesen.
Die Ehefrau des Klägers habe das Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 parken sehen, als sie das Haus verlassen
habe. Sie habe es immer noch parken sehen, als sie in ihren PKW gestiegen sei, und auch dann noch, als sie
rückwärts gefahren sei. Das Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 habe sich während dieser ganzen Zeit nicht
bewegt. Der Rückwärtsgang sie nicht eingelegt gewesen, weil die Rückfahrleuchten nicht aufgeleuchtet
hätten. Warnzeichen hätte die Ehefrau des Klägers nicht geben können, weil sie kein rangierendes Fahrzeug
gefährdet habe. Das Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 sei vielmehr plötzlich mit hoher Geschwindigkeit aus
kürzester Distanz auf das klägerischen Fahrzeug aufgefahren.
7
Der Kläger beantragt,
8
das Urteil des Amtsgerichts Heidelberg, Aktenzeichen 27 C 124/15, aufzuheben und die Beklagten als
Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger Euro 1.469,66 EUR nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 09.07.2015 zu zahlen.
9
Die Beklagten beantragen,
10 die Klage abzuweisen.
11 Sie bestreiten, dass die Ehefrau des Klägers zum Kollisionszeitpunkt gestanden habe. Jedenfalls habe das
klägerische Fahrzeug unstreitig noch nicht länger gestanden. Dass die Rückleuchten des Fahrzeugs der
Beklagten Ziffer 1 nicht aufgeleuchtet hätten und das Fahrzeug mit hoher Geschwindigkeit aus kurzem
Abstand auf das klägerische Fahrzeug aufgefahren sei, sei neuer Vortrag und daher nicht zu berücksichtigen.
12 Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst
Anlagen Bezug genommen.
13 Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L.B., B.B. und V.. Wegen des Ergebnisses
der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.06.2016 verwiesen.
II.
14 Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet.
15 1. Das Vorbringen des Klägers ist vollumfänglich zu berücksichtigen. Soweit er in der Berufungsinstanz
Details zum Unfallgeschehen vorträgt, die er in erster Instanz so nicht vorgetragen hat, handelt es sich
lediglich um eine Konkretisierung des im Kern bereits erstinstanzlich gehaltenen Vortrags, dass die Ehefrau
des Klägers den Vorgang des Rückwärtsausparkens bereits beendet hatte, als der Beklagte Ziffer 2, der
seitlich vor dem Nachbargrundstück parkte, rückwärts auf sie aufgefahren sei.
16 2. Die Klägerin hat gegen die Beklagten als Gesamtschuldner einen Anspruch auf Zahlung weiterer
1.257,71 EUR aus §§ 7 StVG, 823, 840 BGB, 115 VVG, 1 PflVG.
17 a. Gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG hängen bei der Beteiligung mehrerer Kraftfahrzeuge an einem
Verkehrsunfall die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den
Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen
Teil verursacht worden ist. Diese Ersatzpflicht ist jedoch gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, wenn der
Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden ist, das weder auf einem Fehler in der
Beschaffenheit des Fahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht, wobei als
unabwendbar ein Ereignis dann gilt, wenn sowohl der Halter als auch der Fahrer jede nach den Umständen
gebotene Sorgfalt beachtet haben.
18 b. Die Haftung des Klägers ist hier gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen, weil der Unfall für ihn ein
unabwendbares Ereignis war und auch durch die Anwendung äußerst möglicher Sorgfalt nicht abgewendet
werden konnte.
19 aa) Entgegen der Ansicht der Beklagten trifft die Ehefrau des Klägers kein Verschulden an dem Unfall.
20 (1) Ein nachgewiesener schuldhafter Verstoß der Ehefrau des Klägers gegen § 9 Abs. 5 StVO oder § 10 StVO
liegt nicht vor. Die dafür beweisbelasteten Beklagten haben zwar vorgetragen, die Ehefrau des Klägers habe
ihrer Pflicht zur Beobachtung des rückwärtigen Verkehrsraums nicht genügt. Die von ihnen benannte
Zeugin V. konnte jedoch zum genauen Unfallhergang und dem Verhalten der Ehefrau des Klägers nichts
sagen, ihre Wahrnehmung beschränkte sich darauf, dass sie beim Einsteigen in das Fahrzeug der Beklagten
Ziffer 1 das klägerische Fahrzeug ausparken sah und es später zur Kollision kam.
21 (2) Es spricht auch kein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Ehefrau des Klägers. Die Anwendung des
Anscheinsbeweises setzt auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der
allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur
Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat; es muss sich um Tatbestände handeln, für die
nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist (BGH, Urteil vom 15.12.2015, VI ZR
6/15). Die Anwendung des Anscheinsbeweises gegen den Rückwärtsfahrenden ist dann nicht zu
beanstanden, wenn feststeht, dass die Kollision beim Rückwärtsfahren des Verkehrsteilnehmers
stattgefunden hat. Die geforderte Typizität liegt aber regelmäßig nicht vor, wenn zwar feststeht, dass ein
Fahrzeugführer vor der Kollision rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass sein
Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, als der andere Verkehrsteilnehmer in das stehende Fahrzeug
hineingefahren ist. Denn letztere Situation lässt nicht typischerweise auf ein Verschulden schließen. Anders
als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, bei denen der
Verkehrsteilnehmer grundsätzlich darauf vertrauen darf, dass sein Verkehrsfluss nicht durch ein
rückwärtsfahrendes Fahrzeug gestört wird, gilt in der Situation auf dem Parkplatz ein solcher
Vertrauensgrundsatz nicht ( vgl. im Einzelnen BGH, aaO). Diese Erwägungen sind auf den hier vorliegenden
Fall übertragbar, weil auch an diesem Unfall kein Fahrzeug des fließenden Verkehrs beteiligt war, sondern
beide Fahrzeugführer sich in einem Vorgang des Rückwärtsausfahrens aus einer Parksituation befanden.
Beide Fahrzeugführer mussten ständig den rückwärtigen Verkehrsraum beobachten und sich darauf
einstellen, beim Auftauchen eines Hindernisses bremsen zu müssen. Wenn dann ein Fahrzeugführer vor der
späteren Kollision zum Stehen kommt, hat er seinen Sorgfaltspflichten in der Regel genügt.
22 Ein Anscheinsbeweis für ein Verschulden der Ehefrau des Klägers kann daher in der vorliegenden Situation
nur angenommen werden, wenn feststeht, dass die Kollision während ihrer Rückwärtsfahrt stattgefunden
hat. Die insoweit beweispflichtigen Beklagten haben jedoch nicht bewiesen, dass die Ehefrau des Klägers
sich zum Kollisionszeitpunkt noch in Rückwärtsfahrt befand. Die dafür benannte Zeugin V. hat ausdrücklich
erklärt, sie könne nicht sagen, ob die Ehefrau des Klägers mit dem von ihr geführten Fahrzeug im Moment
des Unfalls noch in Bewegung war oder stand. Die übrigen Zeugen haben ausgesagt, dass das
Klägerfahrzeug im Moment der Kollision stand.
23 (3) Die gleichen Erwägungen gelten für einen schuldhaften Verstoß der Ehefrau des Klägers gegen § 10
StVO. Die Beklagten haben insoweit weder ein konkretes Fehlverhalten der Ehefrau des Klägers
nachgewiesen, noch können sie sich auf einen Anscheinsbeweis berufen. Auch für einen schuldhaften
Verstoß gegen § 10 StVO fehlt es an einer dafür typischen Situation. Es liegt ein Unfall zwischen zwei
Verkehrsteilnehmers vor, die beide im Ausparken und Einfahren auf die Straße begriffen waren. Gelingt es
einem von ihnen, vor dem an derselben Stelle auf die Straße fahrenden anderen Verkehrsteilnehmer
anzuhalten, hat er in der Regel den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten genügt.
24 bb) Der Kläger hat seinerseits bewiesen, dass der Unfall für ihn und seine Ehefrau unabwendbar war. Nach
dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Ehefrau des Klägers
während ihrer gesamten Rückwärtsfahrt den rückwärtigen Verkehrsraum beachtet hat und das klägerische
Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt stand. Dabei stützt sich die Kammer vorwiegend auf die Aussage der
Zeugin L.B.. Die Zeugin hat ausgesagt, dass ihre Mutter beim Rückwärtsfahren mittels Schulterblicks nach
hinten geschaut habe. Sie selbst habe auf die kleine Kamera geschaut, die beim Rückwärtsfahren angehe.
Als die Kamera ausgegangen sei und ihre Mutter nach vorne fahren wollte, habe es den Krach gegeben. Der
Bildschirm sei zu diesem Zeitpunkt schon aus gewesen, daraus schließe sie, dass der Rückwärtsgang nicht
mehr eingelegt gewesen sei. Diese Angaben, die die Zeugin erkennbar aus ihrer Erinnerung heraus machte,
sind klar und nachvollziehbar. Sie erklären anschaulich, dass die Zeugin aufgrund ihres Blicks auf die
Rückwärtskamera wahrgenommen hat, dass das Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt bereits zum Stillstand
gekommen war. Auch die von der Zeugin angegebene leichte Schrägstellung des klägerischen Fahrzeugs im
Verhältnis zur Grundstücksgrenze zum Kollisionszeitpunkt spricht nicht gegen einen Stillstand des
Fahrzeugs, weil die Zeugin dazu weiterhin nachvollziehbar ausgesagt hat, dass ihre Mutter aus dieser
Position heraus ohne erneutes Zurücksetzen nach vorne hätte wegfahren können. Die Zeugin war auch
glaubwürdig. Obwohl sie als Tochter des Klägers und der Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs ein mittelbares
Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits hat, schien ihre Aussage von solchen Erwägungen
unbeeinflusst und war ganz sachlich auf das Unfallgeschehen und die Erinnerung der Zeugin daran
konzentriert. Für den von der Zeugin B. geschilderten Ablauf spricht auch die Aussage der Zeugin V., sie
habe die Ehefrau des Klägers schon ausparken sehen, als sie in das Auto der Beklagten Ziffer 1 gestiegen
sei. Dies lässt den von der Zeugin B. geschilderten zeitlichen Ablauf naheliegend erscheinen, dass der
Beklagte Ziffer 2 erst auf des klägerische Fahrzeug auffuhr, als die Ehefrau des Klägers ihren
Ausparkvorgang bereits beendet hatte. Die Kammer legt ihre Angaben daher zugrunde.
25 Auf dieser Tatsachengrundlage war das Unfallereignis für die Klägerseite unabwendbar, weil die Ehefrau des
Klägers äußerste Sorgfalt beachtet und alle Gefährdungsmomente in ihre Fahrweise einbezogen hat. Sie hat
das am Straßenrand parkende Fahrzeug der Beklagten Ziffer 1 als mögliche Gefahrenquelle erkannt und
während ihrer gesamten Rückwärtsfahrt im Auge behalten. Nachdem sie aber ihr Fahrzeug in das Blickfeld
des Beklagten Ziffer 2 gefahren hatte, ohne dass dieses sich bewegt hätte, durfte sie darauf vertrauen, dass
sie nunmehr ihre Fahrt ungefährdet nach vorne fortsetzen konnte. Von einem besonders vorsichtigen Fahrer
ist auch nicht zu verlangen, dass er im Vorhinein überprüft hätte, ob das am Straßenrand geparkte
Fahrzeug besetzt ist - was für die Ehefrau des Klägers wegen sichtbehindernder Büsche nach der Aussage
der Zeugin B. nicht erkennbar war - und etwa rückwärts anfahren will. Zwar ist bei der Frage, ob sich ein
Fahrer wie ein „Idealfahrer“ verhalten hat, nicht nur zu prüfen, ob er in der konkreten Unfallsituation wie
ein solcher gehandelt hat, sondern auch, ob ein Idealfahrer überhaupt in eine solche Gefahrenlage geraten
wäre (BGH, Urteil vom 13.12.2005, VI ZR 68/04 juris Tz. 21). Nachdem für die Ehefrau des Klägers aber zu
dem Zeitpunkt, als sie ihr Fahrzeug bestieg, angesichts des noch nicht laufenden Motors des
Beklagtenfahrzeugs keine Anhaltspunkte für ein baldiges Wegfahren bestanden, würde eine diesbezügliche
Nachforschungspflicht jedoch die Anforderungen an einen Idealfahrer überspannen. Die Haftung des Klägers
für den Verkehrsunfall vom 05.01.2015 in S. ist daher gemäß § 17 Abs. 3 StVG ausgeschlossen.
26 b. Die Beklagten haften dem Kläger für den Unfall aus §§ 7 Abs. 1, 823 Abs. 1, Abs. 2, 840 BGB, 115 VVG, 1
PflVG als Gesamtschuldner. Gegen den Beklagten Ziffer 2 spricht ein Anscheinsbeweis für einen
schuldhaften Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO, weil insoweit unstreitig ist, dass er sich zum Zeitpunkt der
Kollision in Rückwärtsfahrt befand.
27 c. Der Höhe nach hat der Kläger einen ersatzfähigen Schaden von 2.509,43 EUR. Unstreitig sind eine
Wertminderung von 398,00 EUR, Gutachterkosten von 473,85 EUR und eine Unkostenpauschale von 25,00
EUR. Die zur Reparatur erforderlichen Kosten im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB belaufen sich auf 1.612,58
EUR. Verbringungskosten in Höhe von 123,50 EUR und UPE-Aufschläge in Höhe von 75,95 EUR kann der
Kläger nicht erstattet verlangen. Zwar können solche Kosten auch bei fiktiver Abrechnung erstattungsfähig
sein, wenn sie in Fachwerkstätten der Region typischerweise erhoben werden (vgl. z. B. OLG Düsseldorf,
Urteil vom 06.03.2012, 1 U 108/11). Nachdem der Kläger diesbezüglich aber nichts vorgetragen hat, können
diese Kosten hier nicht als zur Herstellung des ursprünglichen Zustands erforderlich angesehen werden. Auf
den somit erstattungsfähigen Betrag in Höhe von 2.509,43 EUR hat die Beklagte Ziffer 3 insgesamt
1.251,72 EUR bezahlt (473,85 EUR direkt an den Sachverständigen, 765,37 EUR gemäß Abrechnung vom
10.04.2015 und 12,50 EUR im Laufe des Prozesses). Geschuldet ist daher noch ein Betrag in Höhe von
1.257,71 EUR.
28 3. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286, 288 BGB.
III.
29 Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 4 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 ZPO)
liegen nicht vor.