Urteil des LG Giessen vom 18.08.2010

LG Gießen: anstalt, litauen, aushändigung, widerruf, informationsfreiheit, zukunft, post, paket, verminderung, verbringen

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Gericht:
LG Gießen 2.
Strafvollstreckungskammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 StVK - Vollz 477/10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 68 StVollzG
Aushändigung von Zeitungen und Zeitschriften
Leitsatz
Die in § 68 StVollzG erfolgte Anordnung des Bezuges "durch Vermittlung der Anstalt"
soll lediglich der Verminderung des Kontrollaufwandes dienen. Sofern die Anstalt im
Einzelfall faktisch nicht in der Lage ist, dem Gefangenen in einem angemessenen
Umfang Zeitschriften zu vermitteln, kann im Hinblick auf das Grundrecht der
Informationsfreiheit auch ein anderer Bezugsweg (hier: private Paktübersendung aus
dem Ausland) zuzulassen sein.
Tenor
1. Der Bescheid vom 04.05.2010 wird aufgehoben.
2. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller die ihm im April
zugesandten, auf der Kammer befindlichen Zeitungen und Zeitschriften
auszuhändigen.
3. Im Übrigen wird der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückgewiesen.
4. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers
fallen der Staatskasse zur Last.
5. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
6. Der Gegenstandswert wird auf bis 300,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antragsteller verbüßt in der JVA … eine lebenslange Freiheitsstrafe. 15 Jahre
werden am 23.03.2018 verbüßt sein.
Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung, datiert vom 13.05.2010,
eingegangen am 19.05.2010, wendet er sich gegen die Nichtaushändigung von
Zeitungen und Zeitschriften.
Seit Juni 2009 erhielt der Antragsteller jeden Monat von seiner Mutter aus Litauen
eine Zusammenstellung von bis zu 10 verschiedenen Zeitungen und Zeitschriften
per Paket übersandt, welche ihm von der Antragsgegnerin jeweils nach
entsprechendem Antrag auch ausgehändigt wurden.
Im Januar 2010 wurde dem Antragsteller nahegelegt, er solle ein entsprechendes
Formular („Bezugserlaubnis“) ausfüllen, damit er nicht immer ein Anliegen
schreiben müsse. Der Antragsteller füllte ein solches Formular aus und bekam die
Bezugserlaubnis auch erteilt. Die Bezugserlaubnis wurde im April noch einmal
bestätigt.
Als wenige Tage nach dieser Bestätigung wieder eine Zusendung erfolgte,
verweigerte die Antragsgegnerin die Aushändigung der Zeitschriften. In dem
darauffolgenden Gespräch wurde dem Antragsteller mitgeteilt, dass Zeitungen
und Zeitschriften nicht mehr ausgehändigt werden könnten, da es eine neue
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und Zeitschriften nicht mehr ausgehändigt werden könnten, da es eine neue
Verfügung gebe und hierauf auch in der hausamtlichen Mitteilung aufmerksam
gemacht worden sei.
Die im April 2010 zugesandten Zeitungen und Zeitschriften wurden dem
Antragsteller nicht ausgehändigt, sondern zu seiner Habe gebracht.
Mit Schreiben vom 03.05.2010 bat der Antragsteller die Antragsgegnerin um
Aushändigung der bereits übersandten Zeitschriften. Er verwies in diesem
Schreiben darauf, dass es in der Anstalt weder ein litauisches Fernsehprogramm
noch Bücher in litauischer Sprache gebe.
Mit Entscheidung vom 04.05.2010, dem Antragsteller eröffnet am 05.05.2010, gab
die Antragsgegnerin bekannt, dass Zeitschriften nur noch über den Fachhandel
bezogen werden dürften, da der Kontrollaufwand für die Bediensteten sonst zu
hoch wäre. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Entscheidung
vom 04.05.2010 (Bl. 20 d. A.) verwiesen.
Der Antragsteller ist der Ansicht, die Verfahrensweise der Antragsgegnerin sei
offensichtlich rechtswidrig.
Es handele sich ausschließlich um Zeitungen und Zeitschriften, welche nur in
Litauen erhältlich seien. Es gebe für den Antragsteller keine Möglichkeit die von
ihm begehrten Schriften zu abonnieren, da diese von Litauen nicht ins Ausland
geliefert würden. Der Antragsteller trägt vor, er werde sein weiteres Leben nach
der Haftentlassung in Litauen verbringen und sei nicht nur deshalb auf dortige
Informationen angewiesen.
Das Vorenthalten der bereits mehrfach genehmigten Zusendungen stellte die
Aufhebung eines begünstigenden Verwaltungsaktes dar.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Bescheid der Antragsgegnerin vom 04.05.2010 aufzuheben, die
Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm die auf der Kammer befindlichen, im April
2010 übersandten Zeitungen und Zeitschriften auszuhändigen, die
Antragsgegnerin zu verpflichten, auch in Zukunft die von ihm begehrten Zeitungen
und Zeitschriften auszuhändigen, sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Die Antragsgegnerin beantragt;
den Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dem Antragsteller sei grundsätzlich eine Bezugsgenehmigung für die
von ihm gewünschten Zeitschriften erteilt worden. Aus dem Antragstext des
Vordrucks gehe hervor, dass die Zeitschriften zwar auf Kosten seiner Mutter, sie
aber nur selbst, über die Anstalt, den Postzeitungsdienst oder ein Abonnement
beziehen dürfe. Die nicht ausgehändigten Zeitschriften seien aber als Beilage in
der privaten Post von der Mutter zugesandt und daher nicht ausgehändigt worden.
Zwar sei es zutreffend, dass dem Antragsteller früher nach einer entsprechenden
Kontrolle durch die Bereichsleitung Zeitschriften aus der Post der Mutter
ausgehändigt worden seien. Allerdings sei dies mit einem hohen Kontrollaufwand
verbunden, der nicht mehr geleistet werden könne.
Wegen des weiteren Vortrags der Antragsgegnerin wird auf deren Stellungnahmen
vom 14.06.2010 (Bl. 15/16 d. A.) und vom 04.08.2010 (Bl. 23 d. A.) verwiesen.
II.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist zulässig, § 109 StVollzG. Er hat auch
in der Sache überwiegend Erfolg.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 04.05.2010 ist rechtswidrig und
verletzt den Antragsteller in seinen Rechten.
Dem Antragsteller war in der Vergangenheit eine Bezugsgenehmigung erteilt
worden. Seit Juni 2009 erhielt der Antragsteller jeden Monat von seiner Mutter aus
Litauen eine Zusammenstellung von bis zu 10 verschiedenen Zeitungen und
Zeitschriften per Paket übersandt, welche ihm von der Antragsgegnerin jeweils
nach entsprechendem Antrag auch ausgehändigt wurden.
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Ein Widerruf dieses begünstigenden Verwaltungsaktes ist grundsätzlich möglich.
Die von der Antragsgegnerin nach § 68 StVollzG vorgenommene Beschränkung
des Zeitungs- und Zeitschriftenbezugs unter dem Hinweis, dass die Zeitschriften
nur durch Vermittlung der Anstalt und über den Fachhandel bestellt werden
dürften, erfüllt jedoch nicht die erforderlichen Voraussetzungen.
Nach § 68 Abs. 1 StVollzG darf der Gefangene Zeitungen und Zeitschriften in
angemessenem Umfang durch Vermittlung der Anstalt beziehen. Die in § 68
StVollzG erfolgte Anordnung des Bezuges „durch Vermittlung der Anstalt“ soll
allerdings lediglich der Verminderung des Kontrollaufwandes dienen (Arloth,
StVollzG, 2. Aufl., § 68 Rn. 2). Dies befreit die Antragsgegnerin jedoch nicht von
ihrer Verpflichtung, im Einzelfall eine Abwägung zwischen den Interessen der
Anstalt und dem Informationsbedürfnis des Gefangenen vorzunehmen.
Wenn die Anstalt – wie im vorliegenden Fall – nicht in der Lage ist, dem
Gefangenen in angemessenem Umfang Zeitschriften in seiner Muttersprache zu
vermitteln, kann dem Gefangenen ein Zeitschriftenbezug ohne Vermittlung der
Anstalt nicht generell versagt werden. Dies liefe faktisch auf eine Versagung des
Zeitschriftenbezuges hinaus, was nach der Intention des § 68 StVollzG nicht
gewollt ist.
Mit Rücksicht auf die Bedeutung des Grundrechts der Informationsfreiheit (Art. 5
Abs. 1 S. 1 GG) erscheint vorliegend das Verbot des Bezuges durch private
Paketübersendung nur dann zulässig, wenn eine solche Einschränkung im Hinblick
auf die Sicherheit und Ordnung der Anstalt unerlässlich ist.
Die Entscheidung der Antragsgegnerin vom 04.05.2010 war daher aufzuheben.
Die dem Antragsteller erteilte Bezugserlaubnis hat bis auf weiteres, d.h. bis zu
einem wirksamen Widerruf ihre Gültigkeit. Demzufolge ist die Antragsgegnerin
auch verpflichtet, dem Antragsteller die im April übersandten Zeitungen und
Zeitschriften auszuhändigen.
Soweit der Antragsteller beantragt hat, die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihm
auch in Zukunft die begehrten Zeitungen und Zeitschriften auszuhändigen, war
der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zurückzuweisen.
Es handelt sich hierbei um einen allgemeinen Leistungsantrag in Form eines
vorbeugenden Unterlassungsantrages. Dieser Antrag ist vorliegend nicht statthaft,
da der Antragsteller auf andere Weise effektiven Rechtsschutz erlangen kann.
Gegen einen erneuten Widerruf der Bezugserlaubnis kann der Antragsteller
wiederum mit einem Anfechtungsantrag vorgehen.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, da der Antragsteller kein
Formular über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse eingereicht
hat.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 121 StVollzG, 52, 60, 65 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.