Urteil des LG Giessen vom 09.10.2009

LG Gießen: in dubio pro reo, universität, sachbeschädigung, gerste, öffentliche ordnung, gemeinnützige arbeit, geldstrafe, gentechnik, wasser, ausbildung

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Gericht:
LG Gießen 8.
Kleine
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
8 Ns - 501 Js
15915/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 32 StGB, § 34 StGB, § 227
BGB, Art 20 Abs 4 GG
Rechtfertigungsgründe bei sog. Feldbefreiungsaktionen
Tenor
Die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts … vom
04.09.2008 wird zurückgewiesen.
Die Berufung des Angeklagten … gegen das Urteil des Amtsgerichts … vom
04.09.2008 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Angeklagten … wird das Urteil des Amtsgerichts … vom
04.09.2008 im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der
Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wird, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Kosten der Berufung der Staatsanwaltschaft und die insoweit entstandenen
notwendigen und ausscheidbaren Auslagen der Angeklagten fallen der
Staatskasse zur Last.
Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Berufungen und ihre insoweit
entstandenen Auslagen, der Angeklagte … jedoch mit der Maßgabe, dass die
Berufungsgebühr um 1/3 reduziert wird und seine notwendigen Auslagen in diesem
Umfang der Staatskasse zur Last fallen.
Hinzukommende Vorschrift: § 47 I StGB.
Gründe
Das Amtsgericht … – Strafrichter – hat die Angeklagten am 04.09.2008 wegen
gemeinschaftlich begangener Sachbeschädigung in Tateinheit mit
Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von jeweils sechs Monaten verurteilt.
Die hiergegen form- und fristgemäß eingelegten Berufungen der
Staatsanwaltschaft, welche auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt war, und
des Angeklagten … waren auf die Berufungshauptverhandlung hin zurückzuweisen.
Auf die form- und fristgemäß eingelegte Berufung des Angeklagten … wurde das
angefochtene Urteil im Rechtsfolgenausspruch dahingehend abgeändert, dass der
Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt wurde, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt werden konnte.
I.
1. Der heute 45 Jahre alte Angeklagte … ist ledig. Er hat zwei Kinder im Alter von
jetzt 13 und 16 Jahren, die nicht bei ihm leben. Sein Studium / Ausbildung zum
Landschaftsplaner schloss er nicht ab. An regelmäßigem und vor allen Dingen
fremdbestimmten Gelderwerb in abhängiger Beschäftigung ist er nicht interessiert.
Auf offizielle Urkunden und Zertifikate einer abgeschlossenen Ausbildung oder
eines abgeschlossenen Studiums legt er keinen Wert. Der Angeklagte ist Initiator,
intellektueller Kopf und mediales Sprachrohr der Projektwerkstatt in … Hierbei
lehnt es der Angeklagte auch ab, seine investigativen journalistischen Fähigkeiten
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lehnt es der Angeklagte auch ab, seine investigativen journalistischen Fähigkeiten
finanziell zu nutzen. Die Mitglieder der Projektwerkstatt bemühen sich um eine
alternative, selbstbestimmte und von öffentlichen oder gesellschaftlichen
Zwängen befreite Lebensweise. Außer von Gartenprodukten leben sie von den
Überschüssen einer Konsumgesellschaft, die infolge der Überproduktion und
anschließender Vernichtung von natürlichen oder industriell verarbeiteten
Lebensmitteln, auch für alle die genügend Ressourcen bereitstellt, welche sich
ihren Lebensunterhalt nicht verdienen wollen oder können. Sonstiger Lebensbedarf
wie etwa Sanitärartikel wird auch durch geschicktes Erbetteln bei Unternehmen
beschafft. Wesentliches Ziel der Projektwerkstatt ist es, der die Umweltressourcen
vernichtenden Gesellschaft den Spiegel vorzuhalten und die Macht - und
Herrschaftsstrukturen ihrer wirtschaftlichen, politischen und administrativen
Vertreter zu entlarven. Der Angeklagte bezeichnet sich als Berufsrevolutionär.
Der Angeklagte ist bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Am 03.05.2005 hatte das Landgericht … den Angeklagten … in der
Berufungsinstanz wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in sechs Fällen,
wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher
Körperverletzung, wegen Hausfriedensbruchs und wegen Beleidigung zu einer
Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt (Az.: 25 S 19696/02 pol). Die
hiergegen eingelegte Revision verwarf das Oberlandesgericht … mit der Maßgabe,
dass die Tagessatzhöhe der verhängten Einzelgeldstrafen auf 1,00 € festgesetzt
wurde. Das Urteil des Landgerichts … wurde am 17.03.2006 vorerst rechtskräftig.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Angeklagten … hatte Erfolg.
Das Bundesverfassungsgericht hob mit Beschluss vom 30.04.2007 den Beschluss
des Oberlandesgerichts … vom 16.03.2006 und das Urteil des Landgerichts …
vom 03.05.2005 wegen Verletzung des Grundrechts aus Art. 8 Abs. 1 des
Grundgesetzes auf, soweit der Angeklagte … wegen Widerstands gegen
Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung verurteilt
worden war. Im Umfang der Aufhebung wurde das Verfahren an das Landgericht
zurückverwiesen. Dort wurde das Verfahren im Umfang der Aufhebung gemäß §
154 Abs. 2 StPO eingestellt. In der erneuten Berufungshauptverhandlung vom
29.11.2007 wurde der Angeklagte wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in
sechs Fällen, wegen Hausfriedensbruchs und wegen Beleidigung zu einer
Gesamtgeldstrafe in Höhe von 100 Tagessätzen zu je 1,00 € verurteilt. Dieses
Urteil wurde am 22.12.2007 rechtskräftig. Der Angeklagte zahlte auf die verhängte
Gesamtgeldstrafe 99,01 € in dem Bewusstsein, dass die Vollstreckung einer
Ersatzfreiheitsstrafe erst ab 1,00 € in Betracht kommt. Dieser Verurteilung liegt
folgender Sachverhalt zugrunde:
1. Während des Wahlkampfs zur Bundestagswahl 2002 entschlossen sich die
Angeklagten und andere unbekannt gebliebene Personen, die die Aktivitäten der
Angeklagten unterstützen, Wahlplakate durch Aufkleber zu verunstalten und
Parteien und ihre Vertreter lächerlich und damit deren Plakatwerbung sinnlos zu
machen. Auf diese Weise wollten sie demonstrieren, dass Wahlen, so wie sie
hierzulande durchgeführt werden, zur Herbeiführung politischer Veränderungen
ungeeignet und eine Farce seien. In Ausführung ihres Tatplans waren die
Angeklagten und nicht ausschließbar einige ihrer Mitstreiter am 28./29. 8. 2002
nachts in … unterwegs. Sie wollten zuvor ausgeschnittene Teile von
Computerausdrucken mit Klebstoff auf die Plakate aufbringen, und es war ihnen
klar, dass ihre Aufkleber ohne Zerstörung des Untergrunds nicht mehr entfernt
werden konnten.
So klebten die Angeklagten oder, was die Kammer nicht mit der notwendigen
Sicherheit ausschließen konnte, ihre unbekannt gebliebenen Mittäter mit Wissen
und Wollen der Angeklagten bei einem Plakat der SPD über das Gesicht des
abgebildeten Kandidaten einen Totenschädel, den Bundestagskandidaten der CDU
verunstalteten sie mit einem Aufkleber auf den Mund, der Zahnprothesen (Gebiss)
zeigte. Auf die gleiche Art wurden 2 weitere Plakate, die Bundeskanzler Schröder
und Edmund Stoiber zeigten, beklebt. Bei diesen beiden Plakaten wurde außerdem
der Schriftzug „14.9. Aktionstag … – www….de/… “ und das Wort „Typen“
aufgebracht. Bei zwei weiteren Plakaten der SPD wurde einmal das Gesicht des
Bundeskanzlers und zum anderen das des Bundestagskandidaten mit einem
Affenkopf überklebt sowie bei letzterem auch der Schriftzug www….de.vu
angebracht.
Die Polizeibeamten … und … waren gegen 1 Uhr am 29. 8. 2002 mit einem
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Die Polizeibeamten … und … waren gegen 1 Uhr am 29. 8. 2002 mit einem
Streifenwagen nach … gefahren, weil im Bereich … Straße ein Autoalarm
angegangen war und eine Anwohnerin in der Meinung, dass das Fahrzeug
gestohlen werden sollte, die Polizei gerufen hatte. Auf ihrem Weg zu dieser
Einsatzstelle sahen die Polizeibeamten, die bis dahin die beschädigten Plakate
noch nicht wahrgenommen hatten, an der Einmündung …straße –…Straße – nur
etwa 250 m von den in Rede stehenden Wahlplakaten entfernt – die Angeklagten
auf dem rechten Gehweg laufen. Während der Annäherung des Streifenwagens
wechselte der Angeklagte … auf die linke Gehwegseite und rannte dann in der
Fahrtrichtung des Streifenwagens davon. Die Polizeibeamten glaubten, es mit den
Autodieben zu tun zu haben und hielten sofort an, um die Personen
festzunehmen. Der Angeklagte … konnte sogleich gestellt und festgenommen
werden, der Angeklagte … erst nach einer ca. 100 – 120 m langen Verfolgung bis
zu einem am Straßenrand stehenden Container mit Bauschutt, in den er
verschiedene Dinge warf. Bei der Durchsuchung der Festgenommenen wurde beim
Angeklagten … eine nicht angebrochene Dose mit Sprühkleber gefunden. Der
Angeklagte … trug eine Umhängetasche bei sich, in welcher sich zahlreiche
ausgeschnittene bzw. zurecht geschnittene bedruckte Papierstücke befanden, u.
a. solche, die auf den Plakaten, wie beschrieben, Verwendung fanden. Dem
schenkten die Polizeibeamten in Unkenntnis der wahren Sachlage allerdings keine
Beachtung. Sie wollten die Angeklagten wieder frei lassen, hatten aber
versehentlich keine passenden Schlüssel dabei, um die zur Festnahme
verwendeten Handfesseln zu öffnen. Daher musste eine andere Polizeistreife
gebeten werden, entsprechende Schlüssel zu bringen. Dies geschah, und die
Angeklagten wurden nach einer guten halben Stunde wieder auf freien Fuß
gesetzt. Beim Zurückfahren zu ihrer Dienststelle erkannten die Polizeibeamten die
veränderten Wahlplakate. Sie waren aufgrund der zuvor getroffenen Feststellungen
überzeugt, dass die Angeklagten aufgrund vorausgegangener Vorkommnisse
hierfür verantwortlich seien. Eine anschließende etwa 1 ½ stündige Bestreifung der
gesamten Umgebung führte jedoch nicht zum Wiederauffinden der Angeklagten.
Bei der Absuche des Bauschuttcontainers konnten keine den Angeklagten
zurechenbaren Gegenstände festgestellt werden, sondern nur noch ein feuchter
Fleck und eine geringe Anhaftung, die sich ähnlich wie Tapetenkleister anfühlte.
2. Da in der Region in der Folgezeit weitere Plakate in ähnlicher Weise verunstaltet
worden und verschiedene andere auf den Wahlkampf bezogene, störende
Aktionen bekannt geworden waren, als deren Urheber der Angeklagte … und seine
Mitstreiter von der Polizei verdächtigt wurden, fand am 10. 1. 2003 in der
Projektwerkstatt in … eine Durchsuchung durch die Polizei statt. Unter anderem
wurden Teile der dort benutzten PC´s beschlagnahmt und von der Polizei
mitgenommen.
1. Am Abend des 27. 3. 2003 fand im … Stadthaus eine öffentliche
Stadtverordnetenversammlung statt. Auf der Tagesordnung stand u. a. der Punkt
(neue) Gefahrenabwehrverordnung, um die es bereits sehr kontrovers geführte
öffentliche Diskussionen gegeben hatte. Es war auch zu erwarten, dass zur
Sprache kommen würde, dass der – der CDU angehörende – Oberbürgermeister
… im Zusammenhang mit der von ihm und seinen Parteifreunden befürworteten
Gefahrenabwehrverordnung erklärt hatte, es habe eine Bombendrohung im
Stadthaus gegeben, was tatsächlich nicht geschehen war. Er benutzte diesen
Umstand, um zu zeigen, wie notwendig eine verschärfte Gefahrenabwehr sei.
Die beiden Angeklagten und einige ihrer Freunde und Bekannte wollten sich mit
einer ihrer Aktionen in die erwartete Diskussion einmischen. Daher begaben sie
sich gegen 19.30 Uhr als Zuhörer in den Sitzungssaal. Wie sie es geplant hatten,
setzten sich die Angeklagten und der gesondert verfolgte … sowie möglicherweise
noch ein oder zwei weitere Mitstreiter in die vorderste Reihe auf einer der zu
beiden Seiten des Saals befindlichen Zuschauertribünen. Bald nach ihrem
Eintreffen im Stadthaus wurde den polizeibekannten Angeklagten vom Zeugen …,
der als Polizeibeamter im Einsatz war, angekündigt, dass sie „rausgehen, wenn sie
nur einen Mucks machen“ – das sei mit dem Stadtverordnetenvorsteher so
abgesprochen. Davon ließen sich die Angeklagten jedoch nicht beeindrucken. Wie
geplant, wurde ein mitgebrachtes Transparent etwa von der Größe eine Betttuchs,
wenn nicht eigenhändig, so mit ihrem Wissen und Wollen von ihren Begleitern, als
Rolle direkt vor den Sitzen der Gruppe unterhalb der Brüstung befestigt, so dass
es mit wenigen Handgriffen schnell über die Brüstung heruntergelassen und vom
Saal aus lesbar gemacht werden konnte.
Gegen 20.15 Uhr, während des Redebeitrags des Zeugen …, einem PDS-
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Gegen 20.15 Uhr, während des Redebeitrags des Zeugen …, einem PDS-
Stadtverordneten, wurde das Betttuch, wie von den Angeklagten geplant, entrollt.
In Anlehnung an die Gestaltung eines Werbeplakats stand in der linken Ecke „Gut
& Günstig“ und darunter „Jetzt neu im Sortiment“, in der Mitte war mit roter Farbe
und Großbuchstaben geschrieben „Angebot“ und darunter mit schwarzer Schrift
„Bombendrohungen, Gründe für unverhältnismäßige Polizeieinsätze und vieles
mehr“ … „unverbindliches Reinschnuppern im Bürgermeisterzimmer, es berät sie:
…“ zu lesen. Mit diesem „wohlfeil angebotenen Sortiment an Argumenten“ wurde
auf die nicht stattgefundene Bombendrohung angespielt. Genau hinter dem
Transparent saßen zu diesem Zeitpunkt – und auch später – die beiden
Angeklagten und der gesondert verfolgte ... Alsbald nach dem Herunterlassen des
Transparents wurde neben anderen im Saal anwesenden Personen auch der
Stadtverordnetenvorsteher … auf den Vorgang aufmerksam. Er forderte den
Angeklagten …, den er als einzigen der drei direkt hinter dem Transparent
sitzenden Personen mit Namen kannte, deutlich hörbar mindestens zweimal mit
den Worten „Herr …, nehmen sie das weg!“ auf, das Transparent zu beseitigen.
Der Angeklagte … begann zu diskutieren, weshalb er das Transparent wegnehmen
solle, und machte ebenso wie der Angeklagte … und ... keine Anstalten der
Aufforderung des Zeugen … nachzukommen. Daraufhin wurden die Angeklagten
… und … sowie … vom Zeugen … unmissverständlich aufgefordert, den Saal zu
verlassen, was sie mit ihrer Anwesenheit direkt hinter dem Transparent wissentlich
provoziert hatten. Als der Zeuge … feststellte, dass drei nicht gehen würden,
wurden auf seine Veranlassung Polizeikräfte angefordert, die die Angeklagten und
… notfalls mit Zwang entfernen sollten.
Da die Angeklagten auch der Aufforderung der Polizeibeamten, den Saal zu
verlassen, nicht nachkamen, wurden sie und der gesondert verfolgte … aus dem
Saal getragen und aus dem Stadthaus entfernt.
Einige Tage später wurde vom Leiter des Rechtsamts der Stadt … namens und im
Auftrag des Stadtverordnetenvorstehers … Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs
gegen die Angeklagten gestellt.
2. Am 23. 8. 2003 waren zum Zweck der Wahlwerbung der Kandidaten der
bevorstehenden Oberbürgermeisterwahl im … weg in … verschiedene Info-Stände
aufgebaut, so auch für die Kandidatin der „Grünen“, die Zeugin ... Der Angeklagte
und Gleichgesinnte wollten diese Gelegenheit nutzen, um durch eine sog.
Sprengaktion ihre politische Einstellung zur OB-Wahl kund zu tun. Diese Aktion
sollte darin bestehen, Symbole staatlicher Macht, wie z. B. öffentliche Gebäude
und anderes, was ihrer Meinung nach mit den herrschenden Machtstrukturen in
Zusammenhang zu bringen war, mit Wasser zu be –„sprengen“. Der Angeklagte
… und einige Akteure und Akteurinnen versammelten sich zu dieser Aktion in der
Nähe des Stands der „Grünen“, wiederum in der Nähe der Einmündung der …
straße in den …weg. Manche von ihnen hatten grüne Gießkannen dabei, die mit
Wasser gefüllt waren.
Kurz nach der Entfaltung eines Transparents mit politischen Parolen setzte sich
vereinbarungsgemäß die ganze Personengruppe in Richtung … in Bewegung,
dabei waren der Angeklagte …, der Angeklagte … und die Zeugin … Am Stand der
„Grünen“ hielten einige der Akteure jedoch gleich wieder inne, unter ihnen der
Angeklagte … . Er wollte der Zeugin … eine besondere „Lektion“ erteilen.
Nachdem das Portrait der Zeugin … auf einem Wahlplakat, das sich auf einem
Doppelständer befand, bereits mit Wasser nass gemacht war, goss der Angeklagte
… – mittlerweile im Beisein der Zeugin …, die hinter dem Stand nach vorn
gekommen war und nun direkt neben ihm stand – aus seiner Gießkanne Wasser
auf das Bild der Zeugin und sagte dabei, „damit pisse ich dich an!“ Die Zeugin …
ärgerte sich über diese Verunglimpfung und ekelte sich da sie im ersten
Augenblick dachte, in der Gießkanne befände sich Urin. Sie schubste den
Angeklagten daher mit den Worten „lass das, geh weg“ von sich und ihrem Stand
weg. Währenddessen wurde sie von einer Begleiterin des Angeklagten von hinten
mit Wasser besprengt und sodann vom Angeklagten von vorn bis etwa in
Kniehöhe. Sie hatte nasse Füße, und sie fühlte die Nässe ihres wadenlangen
Leinenrocks an den Beinen. Darüber war sie besonders aufgebracht, denn sie
hatte sich eigens für den Wahlkampf ein gutes, neues Kleid gekauft, das sie wegen
des Wiedererkennungswertes bei Wahlveranstaltungen tragen sollte und nun
vielleicht nicht mehr anziehen konnte. Wutentbrannt versetzte sie daraufhin dem
Angeklagten eine Ohrfeige. Dabei flog dessen Brille einige Meter weit weg und
zerbrach. Die Zeugin … erstattete an Ort und Stelle u. a. wegen Beleidigung
Strafanzeige und stellte Strafantrag gegen den Angeklagten .... Dieser wurde
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Strafanzeige und stellte Strafantrag gegen den Angeklagten .... Dieser wurde
anschließend festgenommen und eine zeitlang in Gewahrsam gehalten.
2. Der heute 28 Jahre alte Angeklagte … ist ledig. Infolge seiner Erfahrungen
insbesondere in der gymnasialen Oberschule, kam der Angeklagte zu einer
kritischen Einstellung gegenüber jeglicher Herrschaftsstruktur. Er entschied sich
gegen Ausbildung oder Studium und fand mit seinen politischen und
journalistischen Interessen in der Projektwerkstatt in … eine Heimat. Er wurde
ohne materielles Interesse publizistisch tätig und beteiligte sich intensiv an den
politischen Aktionen des Angeklagten … und der Projektwerkstatt. Nach dieser
Zeit von 2001 bis 2007 trennte er sich von diesem Umfeld und verzog nach ....
Seine ausgeprägten sozialen Interessen und kommunikativen Fähigkeiten möchte
er nun, nach Abschluss dieses Verfahrens, in einer Ausbildung zum Logopäden
nutzbar machen. Er lebt derzeit von Transferleistungen. Vorbehaltlich des
Abschlusses dieses Verfahrens besteht für ihn die Möglichkeit, eine Ausbildung zu
beginnen. Die Finanzierung ist gesichert. Von der Richtigkeit seiner politischen
Aktionen ist der Angeklagte nach wie vor überzeugt. Die Folgen und Konsequenzen
der konkreten Umsetzung der Aktionen hält der Angeklagte heute aber nicht mehr
für sich für angemessen. Auch der Angeklagte … wurde bereits gerichtlich bestraft.
In dem oben erwähnten Urteil vom 03.05.2005 verurteilte das Landgericht … den
Angeklagten wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung in sechs Fällen und
wegen Hausfriedensbruchs zu einer Gesamtgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu je
10,00 €. Das Urteil wurde am 17.03.2006 rechtskräftig. Auf die dort zitierten den
Angeklagten … betreffenden Sachverhalte wird Bezug genommen.
Dann verurteilte das Amtsgericht … den Angeklagten am 20.11.2006 (93 Js
2335/06) wegen versuchten Betruges zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu
je 20,00 €, welche durch Ableistung gemeinnütziger Arbeit getilgt ist.
Zuletzt verurteilte das Amtsgericht … den Angeklagten am 03.03.2008 (3031 Els
10233/07) wegen Diebstahls zu einer Geldstrafe von 15 Tagessätzen zu je 15,00 €.
Auch diese Geldstrafe ist durch gemeinnützige Arbeit getilgt.
II.
Das Institut für Phytopathologie der … Universität in … unter der Leitung des
Zeugen Prof. Dr. … betreibt intensive Forschung mit gentechnisch veränderten
Pflanzen. Hier ergab sich die Möglichkeit, an der Grundlagenforschung im Bereich
gentechnisch veränderter Gerste in … teilzuhaben, die dort zum großflächigen
Einsatz in schädlingsanfälligen Monokulturen und Vermarktung in der
Brauwirtschaft vorgesehen ist. Es bot sich die Chance, kostenlos von der …
Universität in … in einem aufwendigen molekularbiologischen Verfahren
gewonnene gentechnisch veränderter Gerste zu beziehen, die konkret zwar nicht
zur Patentierung und landwirtschaftlichen Freisetzung vorgesehen war, aber
Gegenstand aufwendiger Biosicherheits- und Ertragsuntersuchungen war. Am
18.10.2005 beantragte deshalb die … -Universität bei dem zuständigen
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit die Genehmigung
zur Freisetzung (Freilandversuch) der gentechnisch veränderten Gerste im
Zeitraum von 2006 bis 2008. Nach Zurücksendung der Antragsunterlagen zur
Überarbeitung und überarbeiteter Einreichung durch die … Universität unter dem
23.11.2006, wobei gleichzeitig die Befähigungsnachweise des Projektleiters und
Beauftragten für biologische Sicherheit übersandt wurden, genehmigte das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebenssicherheit mit Bescheid vom
03.04.2006 die beantragte Freisetzung. Die sofortige Vollziehung dieses
Verwaltungsaktes wurde angeordnet. Zuvor wurde das Regierungspräsidium in …
als zuständige Behörde gehört (§ 16 Abs. 4 GenTG). Das Gleiche gilt für die
kommunalen Gremien der betroffenen Stadt ... Das Vorhaben wurde von keiner
Institution und Partei beanstandet. Einwendungen des Regierungspräsidiums in …,
das auch die Überwachung des Freilandversuchs aus behördlicher Sicht zu
gewährleisten hatte, wurden zum Teil berücksichtigt, zum Teil nicht. Parallel
kommunizierte das Institut des Zeugen Prof. Dr. … das Forschungsvorhaben in
den Medien sowie in Diskussionsrunden und Foren. Der Zeuge Dr. … stellte sich
nach der Aussaat, die am 25.04.2006 erfolgt war, auch einer kritischen
Diskussionsrunde von engagierten Gentechnikgegnern, darunter der Angeklagte
…, wo er sein Forschungsvorhaben verteidigte.
Bei der Feldstudie handelt es sich um eine gezielte Evaluation der
Wechselwirkungen zwischen den transgenen Gerstenlinien des Versuchs und
einem im Ackerboden enthaltenen symbiontischen Pilz. Zum anderen war die
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einem im Ackerboden enthaltenen symbiontischen Pilz. Zum anderen war die
umfassende epidemologische Aufzeichnung auftretender Pilzkrankheiten auf den
gentechnisch modifizierten Pflanzen im Vergleich zur Ursprungspflanze geplant
um das Ressistenzpotential von Gerste gegenüber den pilzlichen Schaderregern
zu erhöhen. Einher gingen mit der mehrjährigen Untersuchung vergleichende
Ertragsstudien. Geführt wurde die Studie unter dem Schwerpunkt eines Projekts
zur Biosicherheitsforschung. Infolge dessen wurde der Versuch vom Bund mit
352.000,-- € gefördert.
Das Versuchsfeld lag auf dem Gelände des Instituts für Phytopathologie in …
Nordöstlich grenzt es an den … Weg und südöstlich an die …straße an. Die
südwestliche Seite wird vom Parkplatzgelände des Philosophikums I der …
Universität begrenzt. Nordwestlich liegen Institutsgebäude (Ausschnitt aus dem …
Stadtplan, Bd. I Bl. 6, 7 d. A.). Das gesamte Institutsgelände ist mit einem
brusthohen Maschendrahtzaun umgeben, um das Betreten von institutsfremden
oder sonst nicht hierzu befugten Personen zu verhindern. Die Aussaat der
verschiedenen Sorten transgener Gerste und gentechnisch veränderter
Vergleichspflanzen auf einer ungefähr 10 m² großen Parzelle, die in mehrere cirka
0,8 m² große Zellen eingeteilt war, welche mit etwa je 120 Pflanzen besetzt waren,
erfolgte am 25.04.2006. Um das eigentliche Versuchsfeld herum wurde eine als
solche bezeichnete Mantelsaat mit herkömmlicher gentechnisch unveränderter
Gerste ausgebracht, deren Zweck es war, etwaigen Pollenflug der gentechnisch
veränderten Pflanzen abzufangen. Die Saatfläche war mit einem circa brusthohen
gespannten Vogelschutznetz abgedeckt, das an den Seiten bis zum Boden
reichte. Dadurch sollten Vögel und andere Tiere von dem Feld ferngehalten
werden, wobei in Kauf genommen wurde, dass eine hundertprozentige
Verhinderung des biologisch bei Selbstbestäuben nicht erwarteten Pollenflugs
sowie eine Saatgutverschleppung durch Vögel und Nager hierdurch nicht
verhindert werden könne. Versuchsfeld und Mantelsaat waren von einer
glattgezogenen Ackerfläche umgeben, um hierdurch wilden Aufwuchs überwachen
zu können (Lichtbilder gemäß Lichtbildmappen, Band I Bl. 17 bis 21 sowie 22 bis 26
sowie Bd. III Bl. 87, 88 d. A.).
Die Angeklagten sowie die Tatbeteiligten Herr … und Frau … gehören als Aktivisten
der Projektwerkstatt … zu bundesweit tätigen Gruppen von Gentechnikgegnern
und führen Aktionen durch gegen die aus ihrer Sicht als „organisierte
Unverantwortlichkeit“ beurteilte Genforschung, an der nicht nur die bekannte …
Unternehmung … federführend beteiligt ist, sondern auch namhafte, aber nicht im
Vordergrund stehende deutsche Konzerne. Kurz nach der Gesprächsrunde mit
dem Zeugen Prof. Dr. … rief die Projektwerkstatt über das Internet für das
Pfingstwochenende zu einer Feldbefreiung auf. Parallel meldete die Aktivistin …
eine Mahnwache im … Weg / … Straße in … für die Zeit vom 02.06.2006, 12.00
Uhr, bis 05.06.2006, 20.00 Uhr, an. Trotz vom Polizeipräsidium … geäußerter
Bedenken (Schreiben vom 26.05.2006) wurde hierfür vom Amt für öffentliche
Ordnung der Stadt … die Genehmigung erteilt. Der Angeklagte … informierte über
die geplante Feldbefreiung die Medien, die sich am Nachmittag des 02.06. 2006
mit einem Fernsehteam des Hessischen Rundfunks einfanden.
Diese Ankündigungen waren der …Universität sowie der Polizei nicht verborgen
geblieben, da die Projektwerkstatt unter Beobachtung der Staatsschutzabteilung
der … Polizei steht. Die Universität installierte auf dem Gelände eine
Überwachungskamera, hielt ihre dort tätigen Angehörigen und Mitarbeiter zur
Aufmerksamkeit an und engagierte für die Nächte einen privaten
Sicherheitsdienst. Die Polizei zeigte ab Freitagmittag, beginnend mit schwachen
Kräften, vor Ort Präsenz. Beamte fuhren Streife, andere begaben sich gerade vor
Ort, um den Objektschutz zu organisieren, wobei die Feldbefreiung erst zu einem
späteren Zeitpunkt des anbrechenden Pfingstwochenendes erwartet wurde. Die
Beamten sowie die Aktivisten nahmen einander wahr.
Gegen 15.00 Uhr gab der Angeklagte … vor Ort dem Hessischen Rundfunk ein
Interview, das am Abend von der Hessenschau, dem Hessenjournal und in Hessen
aktuell in unterschiedlichen Zusammenschnitten ausgestrahlt wurde. Der
Angeklagte erklärte hierbei, dass zurzeit fast ausschließlich für Profit geforscht
werde und nicht dafür, dass das Leben der Menschen besser werde. Es bestehe
keine Chance, dass andere Saatbereiche davon frei blieben, ökologischer Landbau
werde irgendwann mal, wenn sich die Gengerste auf dem Markt durchgesetzt
habe, ebenfalls mit diesem Zeug verseucht sein. Sie - die Gentechnikgegner -
würden deshalb sagen, dass das, was einfach so mit Machtmitteln durchgezogen
werde, von ihnen wieder kaputt gemacht werde, weil man keine Lust auf diese Art
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werde, von ihnen wieder kaputt gemacht werde, weil man keine Lust auf diese Art
und Weise habe, wie die Zukunft gestaltet werde.
Daraufhin begab sich der Angeklagte … gegen 15.15 Uhr zum Maschendrahtzaun
des Versuchsfeldes und trennte unter Einsatz einer Zange oder eines
Seidenschneiders den Maschendrahtzaun an der zum … Weg gelegenen Seite des
Institutsgebäudes auf. Wissend, dass er das Gelände nicht betreten durfte, stieg er
durch die so geschaffene Lücke im Zaun hindurch und lief über das freie Feld
hinweg auf das Versuchsfeld zu. Der Angeklagte … sowie die Aktivisten … und …
befanden sich zeitgleich auf der gegenüberliegenden Seite des Institutsgeländes
im Bereich der dortigen Parkplätze außerhalb der Umzäunung. Eine oder mehrere
dieser drei Personen durchtrennten ebenfalls unter Einsatz eines entsprechenden
Werkzeuges den Maschendrahtzaun und betraten durch die so geschaffene
Öffnung das Institutsgelände. Auch sie wussten, dass sie hierfür keine Befugnis
hatten. Alle vier liefen zum Versuchsfeld und sammelten sich am
Vogelschutzzaun, wo sie sich eine Öffnung verschafften, durch welche sie vor
weiterlaufenden Fernsehkameras das Versuchsfeld betraten. Sie betraten die circa
20 cm hoch aufgewachsene Versuchspflanzung und begannen damit, die
Versuchspflanzung durch Herausreißen und Zertrampeln zu zerstören. Herr …
benutzte eine Harke, die übrigen rissen mit den bloßen Händen an den Pflanzen.
Zeitgleich waren im hinteren Teil des Institutsgeländes in der Nähe der dort
befindlichen Gebäude die dort befindlichen Polizeibeamten … sowie … und …
anwesend. Der Zeuge … wollte sich einen Schlüssel zum Gelände abholen. Die
Zeugen … und … wollten sich einen Überblick verschaffen, da sie ihrem
Einsatzplan entsprechend die Objektsicherung organisieren sollten. Der Zeuge …
sah aus seinem Blickwinkel von links den Angeklagten … und von rechts den
Angeklagten … und die übrigen Aktivisten auf das Versuchsfeld zulaufen. Er
alarmierte sogleich seine Kollegen, denen durch das Institutsgebäude die Sicht auf
die Vorgänge versperrt war. Gefolgt von den anderen Kollegen, rannte der Zeuge
… zum Versuchsfeld und forderte die Angeklagten und … und … auf, die
Versuchsfläche zu verlassen. Dem wurde keine Folge geleistet, die Pflanzen
wurden weiter gewaltsam ausgerissen und zertrampelt. Deshalb betraten die
Polizeibeamten durch die zuvor geschaffene Öffnung die Versuchsfläche und
forderten erneut die Angeklagten und … und … zum Verlassen des Feldes auf.
Letztere verließen freiwillig das Feld. … und … wurden ergriffen und, teils schleifend
und teils ziehend, von der Versuchsfläche heruntergezogen. Hierdurch wurden
weitere Versuchspflanzen umgetreten und zertreten. Infolge dieser Einwirkung auf
das Versuchsfeld durch Ausreißen, Abreißen, Zertreten und Umtreten der
Gerstenpflanzen wurden etwa 20 % der Versuchsfläche teils zerstört oder so
beeinträchtigt, dass sie wegen der Störung im Aufwuchs für die weitere
Durchführung und Auswertung im Freilandversuch nicht mehr zu verwenden waren.
Dies betraf die Untersuchung der Wechselwirkung der gentechnisch veränderten
Gerste mit den nützlichen Mykorrhiza - Bodenpilzen. Die übrigen Teile des
Versuchs konnten im Gewächshaus fortgeführt und im Wesentlichen zum
Abschluss gebracht werden, wobei allerdings aufgrund der reduzierten Zeitspanne
die einen längeren Untersuchungszeitraum erfordernde Veröffentlichungsfähigkeit
nicht mehr gewährleistet war.
Die …Universität erhielt zum Ausgleich vom Bund für die Fortsetzung der
Forschung ca. 301.100 €. Zwischenzeitlich konnte auch die Mykorrhiza - Forschung
der … Universität zusammen mit dem … Zentrum in … ausgelagert nach … in …
erfolgreich abgeschlossen werden.
Durch die Unterbrechung und Verlagerung des Forschungsvorhabens wurde die
aktive Teilnahme von Studenten an Forschung und Lehre behindert.
Am 05.07.2006 wurde das nicht benötigte Versuchsmaterial eingefräst und der
Freilandversuch beendet, wodurch allerdings ein nochmaliges Austreiben einzelner
Pflanzen und deren erforderliche Vernichtung zunächst nicht verhindert werden
konnte.
Noch am 02.06.2006 stellte die …Universität Gießen durch ihren Kanzler
Strafantrag wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch gegen die beiden
Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft … hat das besondere öffentliche Interesse an
der Strafverfolgung bejaht.
III.
1. Die Feststellungen zu den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des
Angeklagten … sowie seinen politischen uns sozialen Zielen beruhen auf seinen
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Angeklagten … sowie seinen politischen uns sozialen Zielen beruhen auf seinen
entsprechenden Angaben, in deren Zusammenhang er auch im Rahmen einer
Powerpoint-Präsentation wesentliche Teile seiner Broschüre „Organisierte
Unverantwortlichkeit“ vorstellte. In einem Videofilm, in dem er über sich als
Berufsrevolutionär, seine Plakatklebeaktionen, die Lebensweise der Mitglieder der
Projektwerkstatt und ihre Ziele informierte, offenbarte er seine
gesellschaftspolitischen Ziele. Die Feststellungen zu seiner strafrechtlichen
Belastung beruhen auf dem dazu auszugsweise verlesenen Urteil des
Landgerichts … vom 29.11.2007.
2. Die Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagte …
beruhen auf seiner Einlassung. Die Feststellungen zu den strafrechtlichen
Vorbelastungen des Angeklagten … beruhen auf dem verlesenen und als richtig
anerkannten Bundeszentralregisterauszug sowie den … betreffenden Passagen
des verlesenen Urteils vom 29.11.2007.
3.
Die Feststellungen zur Sache beruhen auf den Angaben der Angeklagten … und
…, soweit diesen gefolgt werden konnte. Im Übrigen beruhen die Feststellungen
auf den in der Berufungshauptverhandlung weiter erhobenen Beweisen;
insbesondere den Angaben der Zeugen Dr. …, Prof. Dr. …, …, …, …, …, Dr. …,
den auszugesweise verlesenen und eingesehenen oder vorgehaltenen Urkunden
(insbesondere behördliche Anträge und Bescheide sowie von Polizeivermerken,
einem Pollenflugkalender, Zeitungsartikel und Internetausdrucken), den im
Selbstleseverfahren eingeführten Behördenakten des Bundesamtes für
Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, der … Universität und des
Regierungspräsidiums in …, die den am 03.04.2006 genehmigten Freilandversuch
betreffen, der in Augenschein genommenen Nachrichtensendung des hessischen
Rundfunks vom 02.06.2006 sowie der in Augenschein genommenen Lageskizzen
und Lichtbilder.
Die Angeklagten bestreiten den Ablauf der auch im Fernsehen dokumentierten
und von den beteiligten Polizeibeamten übereinstimmend geschilderten
„Feldbefreiung“ und die hierbei körperlich verursachten Sachschäden nicht. Die
Kammer glaubt den Angeklagten auch, dass sie aufgrund der Ankündigung im
Internet und ihrer allfälligen Beobachtung insbesondere durch die
Staatsschutzabteilung der … Polizei davon ausgingen, dass sie entweder
rechtzeitig in polizeilichen Unterbindungsgewahrsam genommen würden,
jedenfalls aber ausreichend Polizeikräfte zur Verhinderung der „Feldbefreiung“
rechtzeitig vor Ort sein könnten. Der Angeklagte … meint deshalb bereits nicht mit
wirklichem Tatvorsatz gehandelt zu haben. Beide gehen davon aus, die Polizei
habe den Anschlag zuletzt absichtlich zugelassen, um die Angeklagten endlich
einer richtigen Bestrafung zuführen zu können. Die Kammer zweifelt
demgegenüber nicht an den übereinstimmenden Aussagen der Polizeizeugen,
dass es eine solche Anweisung nicht gegeben hat. Vielmehr waren die Beamten
glaubhaft von der frühzeitigen Aktion, die erst später am Pfingstwochenende
erwartet wurde, überrascht und noch mit schwachen Kräften zur Observation und
im Übrigen erst zur Planung des Feld- und Objektschutzes vor Ort. Denn ein
Komplott hätte die Einbeziehung fast des gesamten Polizeipräsidiums erfordert,
da Beamte der unterschiedlichsten Abteilungen zum Einsatz kamen und mit dem
zu beschützenden Versuchsfeld materielle und immaterielle Werte von
unbestimmbarer Höhe im Raum standen, deren vorsätzliche Gefährdung durch
nach geordnete Polizeibeamte zur Überzeugung der Kammer ausgeschlossen
erscheint. Die Kammer glaubt der Polizei, da diese im Verhältnis zur geschädigten
… Universität eine Fehleinschätzung der Gefahrenlage einräumen muss. Die von
den Angeklagten glaubhaft erhoffte Festnahme beweist nur deren primäres Ziel
der Provokation von Sicherheitsorganen und der Auslösung möglichst von
Überreaktionen unzureichend vorbereiteter Beamter um dadurch den Nachweis
der Existenz eines die Bevölkerung terrorisierenden Polizeistaats führen Können.
Denn dies ist das primäre Ziel insbesondere des Angeklagten … auf seinem
revolutionären Weg, der über die unterschiedlichsten von Anderen engagierten
Bürgern idealistisch behandelten Themen zur Errichtung herrschaftsfreier Räume
führt. Denn nur dadurch ist gerade der frühzeitige Angriff zu einem Zeitpunkt auf
das Versuchsfeld zu verstehen, als die bis 05.06.2006 vorgesehene Mahnwache
gerade erst begonnen hatte und nach allgemeinem Verständnis die Bevölkerung
erst auf das Wochenende zuging.
Die Angeklagten handelten vorsätzlich und zielgerichtet, denn bei ausbleibendem
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Die Angeklagten handelten vorsätzlich und zielgerichtet, denn bei ausbleibendem
Widerstand der Polizei hätten die Angeklagten am Zaun oder im Versuchsgelände
spätesten am Gerstenfeld selbst innehalten können. Jedenfalls aber hätten sie
nach Aufforderung durch die Polizei von den weiteren Zerstörungen absehen
können. Die geringe Ernsthaftigkeit der Argumentation zeigt sich in der weiteren
Einlassung der Angeklagten, ohne die Gewaltmaßnahmen der Polizei wäre es zu
geringeren Schäden an den Versuchspflanzen gekommen. Die hierzu gestellten
weiteren Beweisanträge der Angeklagten wurden zurückgewiesen.
Die Angeklagten berufen sich im Übrigen darauf, zum Schutz höherwertiger
Rechtsgüter gehandelt zu haben und damit gerechtfertigt zu sein. Die Gentechnik
sei zum einen ein Akt „Organisierter Unverantwortlichkeit“, da die Gefahren der
Feisetzung gentechnisch veränderter Lebewesen für die übrige Flora und Fauna
unabsehbar seien. Ökologischer Landbau werde unmöglich und Verbraucher in
ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt. Die Kommerzialisierung der
Landwirtschaft werde fortschreiten, freie Bauern weltweit vom Markt vertrieben
oder vom Saatgut der beteiligten Konzerne abhängig. Der Hunger in der dritten
Welt werde steigen; desgleichen der Bedarf an chemischen
Schädlingsbekämpfungsmitteln bei zunehmender Anpflanzung von Monokulturen.
Ohnehin werde von den Chemiekonzernen gezielt die Anfälligkeit gentechnisch
veränderter Pflanzen für Schädlinge einprogrammiert, um dadurch einen Markt für
neue Schädlingsbekämpfungsmittel zu schaffen. Zum anderen hätten sich die
Kooperationspartner der Gentechnik in einem korrupten System
zusammengefunden. Die beteiligten Großindustrien würden über Subunternehmen
und abhängige Forschungsinstitute verschleiert. Die beteiligten Wissenschaftler
seien von der Industrie gesteuert oder stünden über Fördergelder in Abhängigkeit.
Die bereits nicht durchgängig der Bevölkerungssicherheit dienenden und
widersprüchlichen Vorschriften des Gentechnikgesetzes würden nicht eingehalten.
Dies zeige im zur Entscheidung anstehenden Fall der laxe und inkompetente
Umgang mit Sicherheitsfragen wie der falsch eingeschätzten Entfernung
landwirtschaftlich genutzter Flächen zum Versuchsfeld, der unzureichende Schutz
gegen Pollenflug und Saatgutverschleppung und Pannen bei der Beendigung des
Versuchs, wo es zum Wiederaufwuchs einzelner Pflanzen kam. Die Angeklagten
bestreiten letztlich den entstandenen Schaden. Die Pflanzen hätten nichts
gekostet, die Forschungsförderung sei erneut gezahlt worden und letztlich sei alles
ein Betrug, da es nicht um Biosicherheitsforschung gegangen sei, sondern
entweder um eine reine Anwendbarkeitsstudie oder aber es handele sich um ein
Scheinversuchsfeld ohne gentechnisch veränderte Pflanzen, weshalb es auch
keine Magisterarbeiten gegeben habe. Die zu diesen Themen gestellten
Beweisanträge der Angeklagten wurden zurückgewiesen.
Stattdessen ist die Kammer aufgrund der erhobenen Beweise davon überzeugt,
dass es sich um einen realen Versuch mit gentechnisch veränderter Gerste
gehandelt hat, der in … nach dem Anschlag nicht mehr als Freilandversuch
abgeschlossen werden konnte. Dies haben die Zeugen Dr. … als Beauftragter für
die biologische Sicherheit nach GenTG und Prof. Dr. … so wie festgestellt
übereinstimmend bekundet. Danach ist auch glaubhaft, dass nur Teile des 2006
begonnen Versuchs im Gewächshaus und nur mit eingeschränkter Möglichkeit der
wissenschaftlichen Publikation beendet wurden. Der immaterielle Schaden für
Forschung- und damit an einer Universität der Lehre und Einübung von
Assistenten und Studenten ist damit bewiesen. Die Kammer hat insoweit keine
Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen, wobei durchaus Wertungswidersprüche
festzustellen waren, die auf die besondere Interessenlage der mit Drittmittel
forschenden Wissenschaftler zurückgeführt werden können. So wurde von den
Antragstellern des Freilandversuchs der Abstand zu gefährdeten Ackerflächen im
Erstantrag bedenklich zu groß eingeschätzt und die Gefahr des Pollenflugs und der
Saatgutverschleppung durch Nager und Vögel entgegen der strengen aber
auslegungsfähigen Bestimmungen des GenTG zu gering eingeschätzt. Der
konkrete Vogelschutzzaun konnte jedenfalls auch nach der einstweiligen Kritik des
nur anzuhörenden Regierungspräsidiums, zu dessen Beteiligung und späterer
Überwachung des Versuch der Zeuge Dr. … engagiert und kompetent und zuletzt
glaubhaft ausgesagt hat, keinen sicheren Schutz gewähren. Die Behauptung der
Wissenschaftler, bei Gerste gäbe es wegen der Selbstbestäubung keinen
Pollenflug, stimmt bereits nach den sich aus den einbezogen Akten ergebenden
Gründen nicht 100%ig und steht im unauflösbaren Widerspruch zur Warnung vor
Gerstenpollen in Pollenflugkalendern für Allergiker. Sehr bedenklich stimmt auch
die Einschätzung, es habe sich um Biosicherheitsforschung gehandelt. Diese
Annahme wurde vom Zeugen Prof. Dr. … bereits in der Vernehmung erheblich
eingeschränkt und auf die Mykorrhiza-Forschung beschränkt. Wegen der
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eingeschränkt und auf die Mykorrhiza-Forschung beschränkt. Wegen der
Stoffwechselbeziehung zwischen Gerstenpflanze und symbiontischem Bodenpilz
dürfte es sich eher um eine Voraussetzung des Pflanzenwachstums und damit der
Ertragsfähigkeit handeln, die Voraussetzung zur landwirtschaftlichen Nutzung ist.
Dies abschließend zu beurteilen, ist nicht Aufgabe der Kammer. Denkbare Fehler
bei Antragstellung, Genehmigung und Überwachung machen die
verwaltungsrechtlichen Bescheide möglicherweise rechtwidrig oder das
Verwaltungshandeln fehlerhaft. An der bewiesenen Existenz des behinderten
Feldversuchs und dem damit einhergehenden immateriellen Schaden ändert dies
nichts. Das gleiche gilt für die zwar kostenlos, aber zu wissenschaftlichen
Versuchszwecken zur Verfügung gestellten aufwendig erzeugten
Versuchssämereien und daraus erwachsenen Pflänzchen sowie die vergeblich
aufgewendeten Personalkosten. Der materielle und von der Zeugin … von der
Rechtsabteilung der … Universität bezifferte Schaden insbesondere am Zaun ist
glaubhaft, da er in dieser Höhe (ca 850 €) auch richterlich geschätzt werden
könnte.
IV.
Aufgrund des festgestellten Sachverhaltes sind die Angeklagten schuldig der
gemeinschaftlich begangenen Sachbeschädigung in Tateinheit mit
Hausfriedensbruch gemäß den §§ 123 Abs. 1, 303 Abs. 1, 25 Abs. 2, 52 Abs. 1
StGB.
Indem der Angeklagte … einerseits und der Angeklagte … oder die Beteiligten …
und … andererseits sich in einer konzertierten Aktion durch den Maschendraht um
das Institutsgelände schnitten, haben sie nach bewusstem und gewolltem
Zusammenwirken gemeinschaftlich eine Sachbeschädigung im Sinne der §§ 303
Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB verwirklicht. Zielgerichtet finales Verhalten dieser Art
erfordert Vorsatz. In Ihrer Substanz beschädigt und unbrauchbar gemacht für
ihren konkreten Zweck wurden auch die Teile der gentechnisch veränderten
Gersteanpflanzung, die ausgerissen oder zertreten wurde. Auch hierbei handelte
es sich um für die Angeklagten und die anderen Beteiligten fremde Sachen.
Außerdem haben sich die Angeklagten eines gemeinschaftlich begangenen
Hausfriedensbruchs gemäß §§ 123 Abs. 1, 25 Abs. 2 StGB schuldig gemacht. Das
Institutsgelände war durch einen Maschendrahtzaun gesichert und damit dem
allgemeinen öffentlichen Verkehr verschlossen. Das Gelände hatte keinen
allgemein zugänglichen Eingang. Jedenfalls aber liegt in der konkreten
Vorgehensweise eine direkte Durchbrechung der räumlichen Grenze in
Besuchszwecken fremder Weise.
Die Angeklagten handelten auch rechtswidrig. Bei Feldbefreiungsaktionen mit der
Folge der Beschädigung oder Zerstörung fremder Sachen handelt es sich um
zivilen Ungehorsam, der dem Widerstand gegen die Atomtechnik oder gegen
Flughafenausbauten entspricht, wo sich betroffene oder sonst opponierende
Bürger durch die Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit oder sonst in ihren
Grundrechten gefährdet sehen. Dieser zivile Ungehorsam oder Widerstand fällt
nicht unter Art 20 IV Grundgesetz, da hier nicht die Beseitigung der
verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu besorgen ist.
Der zivile Ungehorsam schließt strafrechtliche Sanktionen nicht aus, solange er
nicht auf einen allgemeinen Rechtfertigungsgrund gestützt werden kann.
Die Angeklagten können sich nicht auf Notwehr i. S. der §§ 32 StGB, 227 BGB
berufen, da lediglich eine Sachgefahr in Betracht kommt und nicht von einem
gegenwärtigen Angriff eines Menschen auf Rechtsgüter der Angeklagten
gesprochen werden kann.
Die Angeklagten können sich auch nicht auf einen rechtfertigenden Notstand
gemäß § 228 BGB wegen der Sachbeschädigung beziehungsweise auch gemäß §
34 StGB wegen des Hausfriedensbruchs berufen.
Zwar kann in dubio pro reo die Existenz potentiell unumkehrbarer Folgen für die
Natur durch einen unkontrollierten Gentransfer infolge des Freilandversuchs mit
möglicher Schadenswirkung für Rechtsgüter der Menschheit nicht hinweggedacht
werden, wobei alle anderen insbesondere ökonomischen Folgen der reinen
Gentechnikforschung bereits nicht unmittelbar drohen. Auch wäre die denkbarer
Gefährdung für Leib und Leben gegenüber der Forschungsfreiheit höherangig. Bei
der fehlenden Konkretisierung der akuten Gefahr durch einen festgestellten
Gentransfer fehlt es jedoch schon an der Geeignetheit der Genfeldzerstörung.
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Gentransfer fehlt es jedoch schon an der Geeignetheit der Genfeldzerstörung.
Denn es handelt sich um eine rein politisch motivierte Symboltat. Als reine
Behinderung der Forschung kann sie sich bereits nicht auf eine Gefahrenlage
berufen. Zur Verhinderung der abstrakten Gefahren durch Gentransfer ist die
Feldbefreiung nicht zur Gefahrenbeseitigung geeignet. Erwünscht oder nicht
erwünscht, weltweit ist die Gentechnik nicht mehr zu stoppen, solange die
Völkergemeinschaft sich nicht überstimmend dazu entschließt.
Die Aktion stellt zudem kein angemessenes Mittel zur Abwehr einer unterstellten
Gefahr dar. Im Rechtsstaat hat der Gesetzgeber mit dem Gentechnikgesetz eine
Risikoabwägung vorgenommen, welche man als Bürger dieses Landes zwar
kritisieren oder politisch bekämpfen, aber nicht negieren kann. Nur im Rahmen des
hier normierten Verwaltungsverfahren kann der subjektiv in seinen öffentlichen
Rechten betroffene Bürger Einspruch einlegen und im Falle eines angeordneten
Sofortvollzugs den Weg des einstweiligen Rechtsschutzes beschreiten.
Zugunsten der Angeklagten hat die Kammer dabei erwogen, dass aus der Sicht
betroffener Bürger die Bewertung der Gefahrenlage und Angemessenheit der
Verteidigungshandlung anders zu erfolgen hat, wenn die Notstandslage auf
Eigenmächtigkeit und Willkür des Störers beruht und deshalb offensichtlich
rechtswidrig und damit regelmäßig auch strafbar ist, womit allerdings wieder
Notwehr oder Nothilfe in Betracht kommt (§32 StGB). Nach dem Ergebnis des
Beweisaufnahme insbesondere durch Verwertung der verwaltungsrechtlichen
Verfahrensakten und Vernehmung der Zeugen Dr. …, Prof. Dr. … und Dr. … ist
jedoch von einer formwirksamen Genehmigung des Freilandversuchs nach dem
Gentechnikgesetz auszugehen. Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit des
Verwaltungsaktes i. S. d. § 44 VwVfG sind nicht ersichtlich. Gestützt auf das
Gentechnikgesetzt hat die zuständige Behörde auf ein förmliches
Antragsverfahren hin entschieden. Davon gingen die Angeklagten bei allen ihren
Zweifeln an der richtigen Umsetzung des Gesetzes im Einzelfall auch aus. Über die
Regelungen des Gesetzes hinaus bestanden keine Handlungsmöglichkeiten mehr.
Die „Genfeldbefreiung“ war nicht gerechtfertigt.
Die Angeklagten handelten auch schuldhaft. Sie können sich aus oben genannten
Gründen nicht auf § 35 StGB berufen. Es gilt das zur Gefahrenlage und
Geeignetheit der Aktion zur Gefahrenabwehr Gesagte.
Die zur Strafverfolgung erforderlichen Strafanträge (§§ 303c, 123 Abs. 2 StGB)
wurden gestellt. Im Übrigen hat die Strafverfolgungsbehörde gemäß § 303c StGB
das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht.
V.
Bei der Strafzumessung ist für beide Angeklagte die zu verhängende Strafe
gemäß §§ 52 Abs. 2, 303 Abs. 1 StGB dem für die Sachbeschädigung
vorgesehenen Strafrahmen zu entnehmen, der von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe
bis zu zwei Jahren reicht.
Bei der konkreten Strafzumessung ging die Kammer insbesondere von
nachfolgenden Erwägungen aus:
1. Zugunsten des Angeklagten … war zu berücksichtigen, dass er zuletzt den
äußeren Geschehensablauf der Tat eingestanden hat, wenn auch festzustellen ist,
dass sowohl bei ihm wie auch bei dem Angeklagten … die Beweislage aufgrund
des selbst veranlassten Fernsehmaterials erdrückend ist und deshalb das
Geständnis zur Beweisführung nicht erforderlich war. Die Kammer verkennt
zugunsten des Angeklagten auch nicht, dass sein Tatmotiv anteilig auch von
altruistischen Motiven bestimmt ist. Der Angeklagte fürchtet um die Folgen der
fortschreitenden Gentechnik für sich und die Menschheit und ist politisch bestrebt,
diesen Gefahren entgegenzuwirken. Andererseits ist dem Angeklagten
strafschärfend anzulasten, dass dieses Motiv hinter seinem allgemeinen Angriff
auf die staatlichen Institutionen und die hier geltenden Regeln zurücktritt. Der
Angeklagte bezeichnet sich als Berufsrevolutionär mit dem primären Ziel der
Schaffung herrschaftsfreier Räume. Das Thema „Gentechnik“ ist hier unter
Ausnutzung gutgläubiger Aktivisten nur ein Vehikel zur Umsetzung seiner
anarchistischen Ziele, welche in der Abschaffung des staatlichen Gewaltmonopols
enden würde. Dieses Kernmotiv beweist die eigene Schilderung von
Plakatfälschungsaktionen bei Wahlkämpfen, wobei führende Politiker durch
phantasievolle und verblüffende Verdrehungen ihrer Kernaussagen karikiert und
bloßgestellt werden sollten, seine Selbstbezeichnung als Berufsrevolutionär sowie
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bloßgestellt werden sollten, seine Selbstbezeichnung als Berufsrevolutionär sowie
seine Taten, welche Gegenstand der zunächst nicht rechtskräftig gebliebenen
Verurteilung durch das Landgericht … vom 03.05.2005 waren. Der Angeklagte hat
sich unter dem Eindruck der noch immer drohenden endgültigen Rechtskraft des
Urteils vom 03.05.2005 bewusst zur erneuten und in strafrechtlicher Hinsicht
massiveren Tat entschlossen. Strafschärfend wirkt sich auch aus, dass der
Angeklagte intellektueller Kopf und Sprachrohr der Aktionen der übrigen Mitglieder
der Projektwerkstatt … und deren Sympathisanten ist.
Unter nochmaliger Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden
Umständen ist eine Freiheitsstrafe von acht Monaten zumindest tat- und
schuldangemessen. Die Kammer hat hierbei die zwischenzeitlich verstrichene Zeit
zwischen erster und zweiter Instanz mit einem Monat berücksichtigt und
abgezogen. Hiervon ist ein weiterer Härteausgleich vorzunehmen, weil seine
Verurteilung durch das Landgericht … vom 29.02.2007 an sich gesamtstrafenfähig
gewesen wäre, aber bereits getilgt wurde. Unter Anrechnung dieser Verurteilung in
einem Härteausgleich hält die Kammer eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten für
tat- und schuldangemessen.
2. Bei der Strafzumessung für den Angeklagten … ist auch hier das
zwischenzeitlich abgelegte Geständnis zu berücksichtigen, wenn auch festzustellen
ist, dass auch bei … die Beweislage aufgrund des Fernsehmaterials erdrückend ist.
Im Falle des Angeklagten … ist dagegen ein ansatzweiser Gesinnungswandel zu
erkennen. Zwar steht er zur Richtigkeit seines damaligen Handelns. Er hält
zwischenzeitlich allerdings die Art und Weise seines Vorgehens nicht mehr für
angemessen im Vergleich zu den dann drohenden Nachteilen und Sanktionen.
Auch hat er ersichtlich von seiner früheren Lebensweise Abstand genommen. In
Verhalten, Habitus und Äußerung lässt er erkennen, bei Aufrechterhaltung seiner
Bedenken gegen die Gentechnik den Rechtsstaat akzeptieren zu wollen.
Strafschärfend ist allerdings die Vorverurteilung zu werten, da er wegen
vergleichbarer Vergehen auf anderem politischen Gebiet bereits zur Geldstrafe
verurteilt worden war.
Unter Abwägung dieser Umstände wäre im Falle des Angeklagten … an sich eine
Freiheitsstrafe von fünf Monaten tat- und schuldangemessen, wobei die
Verfahrensdauer mit einem Monat berücksichtigt wurde. Auch hier war allerdings
ein Härteausgleich wegen der gesamtstrafenfähigen, aber durch Arbeitsleistung
bereits abgegoltenen Verurteilungen vorzunehmen. Unter Berücksichtigung dieses
Härteausgleichs ist eine Freiheitsstrafe von vier Monaten tat- und
schuldangemessen. Im Falle des Angeklagten … war es geboten, auch eine
kurzfristige Freiheitsstrafe zu verhängen (§ 47 Abs. 1 StGB). Dies gebietet die
Einwirkung auf den Angeklagten und die Verteidigung der Rechtsordnung, denn der
Angeklagte war bereits erfolglos zu Geldstrafe verurteilt. Auch hat er von der Tat
insgesamt selbst noch nicht Abstand genommen und sein Unrecht nicht
eingesehen.
VI.
1. Die Freiheitsstrafe gegen den Angeklagten … konnte nicht gemäß § 56 Abs. 1
StGB zur Bewährung ausgesetzt werden, da der Angeklagte nicht die Gewähr
bietet, sich alleine durch die Strafdrohung von weiteren Vergehen gleicher Art
abhalten zu lassen.
2. Die gegen den Angeklagten … verhängte kurzfristige Freiheitsstrafe konnte
dagegen gemäß § 56 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt werden. Der
Angeklagte hat zu erkennen gegeben, dass er bei Aufrechterhaltung seiner
politischen Meinung und Ziele jedoch davon Abstand nehmen will, letztere durch
entsprechende Straftaten zu verwirklichen. Jetzt stimme für ihn das Preis-
Leistungsverhältnis nicht mehr. Dies ist zwar kein hehres Motiv, lässt aber
erkennen, dass vom Angeklagten … zu erwarten ist, dass ihn allein die notwendig
bleibende Strafdrohung von weiteren Straftaten vergleichbarer Art abhalten wird.
Der Angeklagte … weist im Übrigen eine positive Sozialprognose auf. Er hat sich
von seinem bisherigen politischen Umfeld, der Projektwerkstatt in … zumindest
räumlich getrennt und strebt glaubhaft einen bürgerlichen Beruf im sozialen
Bereich an. Angesichts der positiven Wirkung, welche die Bewährungsstrafe dann
für den Angeklagten hat, war diese Strafaussetzung zur Bewährung auch
anzuordnen.
VII.
59 Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1, Abs. IV StPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.