Urteil des LG Freiburg vom 13.10.2016

negative feststellungsklage, gerichtsstand des erfüllungsorts, darlehensvertrag, widerruf

LG Freiburg Beschluß vom 13.10.2016, 5 O 89/16
Leitsätze
1. Bei Streitigkeiten aus dem Widerruf eines Verbraucherdarlehensvertrags ist der Gerichtsstand des
Erfüllungsorts (§ 29 Abs. 1 ZPO) für jede Verpflichtung gesondert zu bestimmen; ein einheitlicher Erfüllungsort
kann weder für die wechselseitigen Verpflichtungen aus dem Darlehen noch für diejenigen aus dem
Rückgewährschuldverhältnis angenommen werden. Beantragt der Verbraucher die Feststellung, der
Darlehensvertrag sei in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden, so sind die Leistungen
maßgeblich, die der Kläger meint, beanspruchen zu können. Dabei handelt es sich regelmäßig um Geldschulden,
die gemäß § 270 Abs. 4 BGB am Sitz des Darlehensgebers zu erfüllen sind (so bereits LG Freiburg, Beschluss v.
07.04.2016, 5 O 25/16, juris).
2. Das gilt auch dann, wenn der klagende Verbraucher die (negative) Feststellung beantragt, er schulde nach
erfolgtem Widerruf und Aufrechnung der wechselseitigen Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis nur
noch einen bestimmten Saldo, und aus seiner maßgeblichen Sicht nur die Höhe seiner eigenen zur Aufrechnung
gestellten Gegenforderung im Streit steht, während die gegen ihn selbst gerichtete Hauptforderung der
beklagten Bank im Übrigen unstreitig ist.
Tenor
1. Das Landgericht Freiburg im Breisgau erklärt sich für örtlich unzuständig.
2. Der Rechtsstreit wird auf Antrag der Kläger an das Landgericht Hannover verwiesen.
Gründe
I.
1 Die Kläger erstreben die Feststellung,
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dass sie der im Bezirk des Landgerichts Hannover ansässigen Beklagten aus dem Darlehensvertrag mit der
Nummer ... nach erfolgtem Widerruf vom 23.10.2014 zum 01.03.2015 lediglich noch einen Betrag in Höhe
von 94.513,08 EUR schulden.
3 Außerdem begehren sie Ersatz ihrer vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
II.
4 Das Landgericht Freiburg ist für die Entscheidung des Rechtsstreits unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt
örtlich zuständig, weshalb das Verfahren auf den Hilfsantrag der Kläger vom 25.04.2016 (AS 27) und vom
10.10.2016 (AS 177) gemäß § 281 Abs. 1 ZPO an das nach § 17 Abs. 1 ZPO zuständige Landgericht
Hannover zu verweisen ist.
5 1. Dies gilt zunächst für den Feststellungsantrag zu Ziff. 1.
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a) Es sind insbesondere keine Umstände ersichtlich, die eine örtliche Zuständigkeit des Landgericht
Freiburgs gemäß § 29 ZPO begründen würden.
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Die Regelung des § 29 Abs. 1 ZPO gilt auch für die hier maßgebliche Frage nach dem Bestehen bestimmter
Pflichten aus einem Rückgewährschuldverhältnis (vgl. nur Patzina, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 5.
Aufl. 2016, § 29 Rdnr. 5).
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Entscheidend für die örtliche Zuständigkeit ist demnach, welche Verpflichtung als streitig im Sinne von § 29
Abs. 1 ZPO anzusehen ist und welches ihr Erfüllungsort ist.
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aa) Streitig im Sinne von § 29 Abs. 1 ZPO sind vorliegend die auf Rückgewähr der erbrachten Zins- und
Tilgungsleistungen gemäß § 346 Abs. 1 Hs. 1 BGB sowie Ersatz der vermuteten Nutzung der bis zum
Wirksamwerden des Widerrufs erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen gerichteten Verpflichtungen der
Beklagten aus dem Rückgewährschuldverhältnis.
10 Ausgehend von dem Umstand, dass - entgegen der offenbar der Klageschrift zugrundliegenden Annahme -
nach dem Widerruf der auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrags gerichteten Willenserklärung
durch den Darlehensnehmer eine automatische Saldierung der wechselseitigen Ansprüche aus dem
Rückgewährschuldverhältnis nicht stattfindet (BGH, NJW 2016, 2428), ist zur Bestimmung des für die
örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Erfüllungsorts auf die jeweils konkret in Rede stehende(n)
Verpflichtung(en) aus dem Rückgewährschuldverhältnis abzustellen und nicht etwa - wie es der klägerische
Antrag darüber hinaus nahe legen könnte - auf den ursprünglichen Darlehensvertrag oder das
Rückgewährschuldverhältnis im Ganzen (vgl. nur LG Freiburg, BKR 2016, 289 m. w. N).
11 Sodann sind von den verschiedenen wechselseitigen Ansprüchen aus dem Rückgewährschuldverhältnis hier
im Folgenden allein die Ansprüche maßgeblich, derer die Kläger sich berühmen.
12 Begehrt der klagende Verbraucher die Feststellung, der Darlehensvertrag sei "beendet" bzw. habe sich in
ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, sind die Leistungen maßgeblich, die der Kläger gemäß §§
346 ff. BGB beanspruchen zu können meint (vgl. LG Freiburg, a.a.O.).
13 Dies ist nach Auffassung der Kammer auf die hier gegebene Konstellation übertragbar.
14 Im Rahmen einer negativen Feststellungsklage ist der Erfüllungsort i. S. d. § 29 ZPO nach herrschender
Auffassung zwar grundsätzlich der Ort, an dem der Kläger im Falle des Bestehens des Vertrages seine
Leistung zu erfüllen hätte (Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 29 Rdnr. 25; Heinrich, in:
Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 29 Rdnr. 31 m. w. N.).
15 Hiervon ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung indes nicht ausnahmslos auszugehen. So hatte der
Bundesgerichtshof (NJW 2002, 2029) über einen Rechtsstreit zu befinden, in welchem die
Darlehensnehmer als Kläger nach einem durch sie erklärten Widerruf von der kreditgewährenden Bank die
Rückerstattung erbrachter Zinsleistungen und entstandener Aufwendungen sowie die Feststellung
begehrten, dass der Bank aus dem Darlehensvertrag keine Ansprüche mehr zustünden. Der Sache nach
ging es primär um die Frage, ob die Gerichtsstandsregelung des § 7 Abs. 1 HWiG a. F. Anwendung findet,
obwohl der streitgegenständliche Realkreditvertrag i. S. d. § 3 Abs. 2 Nr. 2 VerbrKrG a. F. zugleich die
Voraussetzungen eines Geschäfts i. S. d. § 1 Abs. 1 HWiG a. F. erfüllte. Der Bundesgerichtshof hat dies aber
nicht nur verneint, sondern darüber hinaus entschieden, dass sich die örtliche Zuständigkeit des
angerufenen Instanzgerichts am Wohnsitz der Kläger auch nicht aus anderen Vorschriften, also auch für die
negative Feststellungsklage nicht aus § 29 ZPO ergibt (so für den Widerruf eines Verbraucherdarlehens
auch LG Darmstadt, Beschl. v. 15.10.2015 – 4 O 138/15, n. v.; LG Koblenz, Beschl. v. 25.9.2015 – 3 O
345/15, n.v.).
16 So ist nach Auffassung der Kammer jedenfalls dann, wenn in einem Aufrechnungsverhältnis aus der
maßgeblichen Sicht des klagenden Verbrauchers der gegen ihn selbst gerichtete Anspruch der beklagten
Bank an sich unstreitig ist und nur die Höhe seiner eigenen zur Aufrechnung gestellten Gegenforderung im
Streit steht, auch nur diese Gegenforderung als streitige Verpflichtung i.S.v. § 29 Abs. 1 ZPO anzusehen (so
auch LG Ulm, Beschl. vom 16.07.2015 – 4 O 126/15, n.v.; LG München II, Beschl. v. 22.02.2016 – 11 O
2247/15 n.v.).
17 Hier hat der Kläger zu Ziff. 1 bereits mit dem Widerrufsschreiben erklärt, er werde seiner Pflicht zur
Rückzahlung der Darlehensvaluta „nach Anerkennung der Kündigung“ durch die Beklagte nachkommen (s.
Anlage K2). Dementsprechend stehen die Kläger auch „bezüglich der Frage nach dem Annahmeverzug“ auf
dem Standpunkt, sie „hätten die Darlehensvaluta schon längst (…) ablösen können“ (AS 149). Streitig sind
aus der maßgeblichen Sicht der ihrerseits leistungsbereiten Kläger demnach nicht die eigenen
Zahlungsverpflichtungen, sondern nur die zur Aufrechnung gestellten Verpflichtungen der Beklagten.
18 bb) Bei den danach maßgeblichen Aufrechnungsforderungen handelt es sich um Geldschulden, die gemäß §
270 Abs. 4 BGB grundsätzlich am Sitz des Darlehensgebers zu erfüllen sind. Etwas anderes gilt erst dann,
wenn festgestellt werden kann und muss, dass die Vertragsparteien einen anderen, insbesondere einen Ort
gemeinsamer Leistungserbringung, bestimmt haben oder die Umstände des Falls einen solchen Leistungsort
ergeben (vgl. BGH, NJW 2004, 54, 55; NJW-RR 2005, 581, 582).
19 Beides ist hier nicht der Fall. Insbesondere ist bei einem Darlehensvertrag nicht per se von einem
einheitlichen Erfüllungsort auszugehen, wonach sämtliche Ansprüche am Wohnsitz des Darlehensnehmers
zu erfüllen wären (dazu ausführlich LG Freiburg, a.a.O.).
20 b) Des Weiteren ergibt sich eine örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg nicht aus § 29c ZPO. Nach
dieser Vorschrift ist für Klagen aus Haustürgeschäften das Gericht zuständig, in dessen Bezirk der
Verbraucher zur Zeit der Klageerhebung seinen Wohnsitz hat.
21 Voraussetzung hierfür wäre eine Klage aus einem außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag (§
312b BGB). Ein solcher liegt jedoch bereits mangels persönlichen Kontakts zwischen den Vertragsparteien
nicht vor. Auch die Kommunikation über Fernkommunikationsmittel - wie offenbar im Streitfall - genügt
hierfür nicht (vgl. Grüneberg, in: Palandt, BGB, 75. Aufl. 2016, § 312b Rdnr. 4).
22 c) Ein Gerichtsstand lässt sich auch nicht aus § 21 ZPO begründen. Dies würde voraussetzen, dass die
Beklagte eine Niederlassung im hiesigen Gerichtssprengel unterhielte, von der aus unmittelbar Geschäfte
geschlossen werden und dass die Klage zu dem Geschäftsbetrieb der Niederlassung einen Bezug hat. Beides
ist nicht vorgetragen.
23 d) Eine Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg ergibt sich schließlich auch nicht nach dem allgemeinen
Gerichtsstands des Klägers.
24 Nach einer in der Kommentarliteratur vertretenen Auffassung kann eine negative Feststellungsklage auch
im allgemeinen Gerichtsstand des Klägers erhoben werden (vgl. etwa Vollkommer, in: Zöller, ZPO, 31. Aufl.
2016, § 12 Rdnr. 4; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2008, § 256 Rdnr. 73; Reichold, in: Thomas/Putzo,
ZPO, 37. Aufl. 2016, § 256 Rdnr. 2).
25 Nach der Gegenauffassung bildet der Klägerwohnsitz als solcher keinen Gerichtsstand für die negative
Feststellungsklage, weil es hierfür im Gesetz keine Grundlage gibt (so auch OLG Stuttgart, Beschl. v.
27.01.2010 – 9 U 191/09, n.v.; OLG Bamberg, Beschl. v. 21.12.2009 – 4 U 156/09 n.v.; LG Darmstadt,
Beschl. v. 15.10.2015 – 4 O 138/15, n.v.; LG Koblenz, Beschl. v. 25.9.2015 – 3 O 345/15, n.v.; Foerste, in:
Musielak/Voit, ZPO, 13. Aufl. 2016, § 256 Rdnr. 36; Bacher, in: Beck’scher Online-Kommentar zur ZPO, 21.
Aufl. 2016, § 256 Rdnr. 14; Assmann, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2012, § 256 Rdnr. 265; Thole
NJW 2013, 1192; offen: OLG München, NJW-RR 2010, 645).
26 Die Kammer schließt sich der zuletzt genannten Auffassung jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall an,
dass die negative Feststellung einen an sich unstreitigen Anspruch betrifft, der nach dem Vorbringen des
Klägers durch Aufrechnung mit einer streitigen Gegenforderung erloschen sein soll.
27 2. Auch für den Zahlungsantrag Ziff. 2 ist das Landgericht Freiburg örtlich nicht zuständig. Insbesondere ist
ein Gerichtsstand nach § 29 ZPO nicht begründbar: Der maßgebliche Erfüllungsort der Geldschuld liegt nach
§§ 269, 270 ZPO am Sitz der Beklagten. Auch nach § 29c ZPO oder § 21 ZPO ergibt sich aus den
vorstehenden Gründen keine Zuständigkeit des Landgerichts Freiburg.