Urteil des LG Freiburg vom 04.05.2016

treu und glauben, wirtschaftliche einheit, verbraucher, darlehensvertrag

LG Freiburg Urteil vom 4.5.2016, 5 O 27/16
Leitsätze
Ein Verbraucher handelt nicht rechtsmissbräuchlich, wenn er das infolge unzureichender Belehrung
fortbestehende Widerrufsrecht nach § 495 BGB ausübt, um das bei vorzeitiger Ablösung eines
Verbraucherdarlehens anfallende Vorfälligkeitsentgelt zu ersparen.
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 5.900,00 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15.05.2015 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig
vollstreckbar.
Tatbestand
1 Die klagenden Eheleute nehmen die beklagte Sparkasse auf Rückzahlung eines Vorfälligkeitsentgelts aus
einem widerrufenen Verbraucherdarlehen in Anspruch.
2 Am 05.03.2008 schlossen die Parteien einen Vertrag über ein Darlehen in Höhe von 120.000 EUR zur
Finanzierung einer Eigentumswohnung. Die dem schriftlichen Darlehensvertrag (Anlage K 1) beigefügte
Widerrufsbelehrung lautet auszugsweise wie folgt:
3
Widerrufsbelehrung zu
1 Darlehensvertrag Nr. ... vom 05.03.2008 über 120.000,- EUR
4
Widerrufsrecht
5
Sie können ihre Vertragserklärung innerhalb von zwei Wochen2 ohne Angabe von Gründen in Textform
(z.B. Brief, Fax, E-Mail) widerrufen. Die Frist beginnt frühestens mit Erhalt dieser Belehrung. Zur Wahrung
der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs. Der Widerruf ist zu richten an: (…)
6
Widerrufsfolgen
7
(…)
8
Finanzierte Geschäfte
9
Widerrufen Sie diesen Darlehensvertrag, mit dem Sie Ihre Verpflichtungen aus einem anderen Vertrag
finanzieren, so sind Sie auch an den anderen Vertrag nicht gebunden, wenn beide Verträge eine
wirtschaftliche Einheit bilden. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn wir zugleich auch Ihr
Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrags sind, oder wenn wir uns bei Vorbereitung oder Abschluss
des Darlehensvertrages der Mitwirkung Ihres Vertragspartners bedienen. Bei einem finanzierten Erwerb
eines Grundstückes oder grundstückgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche Einheit nur anzunehmen, wenn
wir zugleich auch Ihr Vertragspartner im Rahmen des anderen Vertrages sind oder wenn wir über die
Zurverfügungstellung von Darlehen hinaus Ihr Grundstücksgeschäft durch Zusammenwirken mit dem
Veräußerer fördern, indem wir uns dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu Eigen machen,
bei der Planung, Werbung oder Durchführung des Projektes Funktionen des Veräußerers übernehmen oder
den Veräußerer einseitig begünstigen. (…)
10 Unterhalb des umrahmten Textes der Belehrung befinden sich die folgenden Fußnoten:
11 1 Bezeichnung des konkret betroffenen Geschäfts, z.B. Darlehensvertrag vom ...
2 Bitte Frist im Einzelfall prüfen.
12 Im Zuge der Veräußerung der finanzierten Eigentumswohnung und der vorzeitigen Ablösung des Darlehens
erklärten die Kläger mit Anwaltsschreiben vom 27.03.2015 (Anlage K 2) den Widerruf des
Darlehensvertrags. Die Beklagte trat dem entgegen und stellte ein Vorfälligkeitsentgelt von 11.805,64 EUR
in Rechnung, das die Kläger unter Vorbehalt bezahlten und unter Fristsetzung bis zum 15.05.2016
zurückverlangten. Einen Teilbetrag von 5.900 EUR machen sie nunmehr klageweise geltend. Außerdem
verlangen sie Ersatz ihrer vorgerichtlichen Anwaltskosten.
13 Die Kläger halten den Widerruf für wirksam. Die Widerrufsbelehrung sei missverständlich und weiche in
mehreren Punkten von der zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses geltenden Musterbelehrung ab. Sie habe
die Widerrufsfrist daher nicht in Lauf gesetzt. Dem Widerruf könne auch weder der Einwand der Verwirkung
noch derjenige der unzulässigen Rechtsausübung entgegengehalten werden.
14 Die Kläger beantragen,
15 1. die Beklagte zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger 5.900,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.05.2015 zu bezahlen,
16 2. die Beklagte zu verurteilen, an sie als Gesamtgläubiger den nicht anrechenbaren Teil der
Geschäftsgebühr in Höhe von 0,75 aus einem Gegenstandswert von 11.805,64 EUR, mithin 453,75 EUR
zuzüglich Auslagenpauschale in Höhe von 20 EUR zuzüglich 19 % Mehrwertsteuer zu erstatten.
17 Die Beklagte stellt den Antrag,
18 die Klage abzuweisen.
19 Sie ist der Auffassung, die Fußnoten gehörten nicht zum Text der Widerrufsbelehrung und die übrigen rein
formalen Abweichungen von der Musterbelehrung seien unschädlich. Der Widerruf sei daher verspätet.
Jedenfalls stehe ihm der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen, weil er durch kein schützenswertes
Interesse gerechtfertigt sei. Die Kläger hätten die Befristung ihres Widerrufsrechts aufgrund der Belehrung
zweifelsfrei erkennen können, davon aber keinen Gebrauch gemacht, weil sie das Darlehen zur
Finanzierung der Eigentumswohnung benötigt hätten. Zudem hätten sie ihre Darlehensverbindlichkeiten
sieben Jahre lang bedient, ohne erkennen zu lassen, dass sie den Vertrag übereilt geschlossen hätten oder
sich von ihm lösen wollten. Zum Widerruf hätten sie sich erst nach der Veräußerung der Immobilie
entschlossen, um die durch das stark gefallene Zinsniveau erhöhte Vorfälligkeitsentschädigung einzusparen.
Außerdem sei das Widerrufsrecht verwirkt, weil die Beklagte aufgrund der langjährigen vorbehaltlosen
Zahlungen der Kläger auf den Fortbestand des Darlehens habe vertrauen dürfen und im Rahmen der
Refinanzierung selbst vertragliche Verpflichtungen eingegangen sei, so dass ihr durch den Widerruf ein
unzumutbarer Nachteil entstehe.
20 Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
I.
21 Die zulässige Teilklage ist in der Hauptsache begründet; in den Nebenforderungen unterliegt sie teilweise
der Abweisung.
22 1. Die Beklagte ist gemäß §§ 495 Abs. 1, 357 Abs. 1, 346 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs in der zum
Zeitpunkt des Vertragsschlusses am 05.03.2008 geltenden Fassung (fortan: BGB a.F.) zur Rückzahlung des
Vorfälligkeitsentgelts verpflichtet, weil die Kläger den Darlehensvertrag wirksam widerrufen haben.
23 a) Der am 27.03.2015 erklärte Widerruf ist rechtzeitig erfolgt, weil die zweiwöchige Widerrufsfrist nach §
355 Abs. 1 Satz 2 BGB a.F. mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung noch nicht begonnen hatte (§
355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F.).
24 Die in der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung verwendete Formulierung, die Frist beginne
„frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“, genügt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
(vgl. nur NJW 2010, 989, 990 f.; 2012, 3298 f. und NJW-RR 2013, 885, 886) nicht dem Deutlichkeitsgebot
des § 355 Abs. 2 Satz 1 BGB a.F., weil sie den Verbraucher nicht umfassend, unmissverständlich und
eindeutig über den Beginn der Widerrufsfrist und die zeitlichen Grenzen des Widerrufsrechts informiert.
Denn ihr ist lediglich zu entnehmen, dass die Widerrufsfrist 'jetzt oder später‘ beginnen, der Beginn des
Fristlaufs also noch von weiteren Voraussetzungen abhängen soll. Der Verbraucher wird jedoch darüber im
Unklaren gelassen, um welche Umstände es sich dabei handelt. Ob die Fußnote 2 („Bitte Frist im Einzelfall
prüfen“) ebenfalls gegen das Deutlichkeitsgebot verstößt (so etwa OLG Brandenburg, Urt. v. 17.10.2012, 4
U 194/11, juris Tz. 27; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 10.11.2015, 6 U 296/14, juris Tz. 11 oder OLG München,
Urt. v. 21.10.2013, 19 U 1208/13, juris Tz. 37 und 41) bedarf hier keiner Entscheidung.
25 Die Beklagte kann sich auch nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion nach § 14 Abs. 1 BGB-InfoVO a.F. berufen.
Dies setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur NJW 2012, 3428 f.; 2014, 2022,
2023 und NJW-RR 2012, 183, 185) voraus, dass die erteilte Widerrufsbelehrung dem Muster der Anlage 2
zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoVO a.F. sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht.
Unterzieht der Verwender den Text der Musterbelehrung einer eigenen inhaltlichen Bearbeitung, so kann er
sich nicht auf eine mit der unveränderten Übernahme der Musterbelehrung verbundene Schutzwirkung
berufen. Das gilt unabhängig vom konkreten Umfang der von ihm vorgenommenen inhaltlichen
Änderungen, da sich schon mit Rücksicht auf die Vielgestaltigkeit möglicher individueller Veränderungen des
Musters keine verallgemeinerungsfähige bestimmte Grenze ziehen lässt, bei deren Einhaltung eine
Schutzwirkung noch gelten und ab deren Überschreitung sie bereits entfallen soll (BGH, a.a.O.).
26 An der danach erforderlichen Identität fehlt es hier schon deshalb, weil der von der Beklagten verwendete
Text im Abschnitt 'Finanzierte Geschäfte‘ insofern von der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 und 3 BGB-InfoVO a.F.
abweicht, als der Satz 2 („Dies ist insbesondere anzunehmen, … bedienen“) nicht - wie im
Gestaltungshinweis (9) für den hier vorliegenden Fall eines finanzierten Grundstückserwerbs vorgesehen -
durch den folgenden Satz ersetzt wird: „Dies ist nur anzunehmen, wenn die Vertragspartner in beiden
Verträgen identisch sind oder wenn der Darlehensgeber über die Zurverfügungstellung von Darlehen
hinausgeht und Ihr Grundstücksgeschäft durch Zusammenwirken mit dem Veräußerer fördert, indem er sich
dessen Veräußerungsinteressen ganz oder teilweise zu Eigen macht, bei der Planung, Werbung oder
Durchführung des Projekts Funktionen des Veräußerers übernimmt oder den Veräußerer einseitig
begünstigt.“ Stattdessen werden beide Sätze kumulativ verwendet und der den finanzierten
Grundstückserwerb betreffende Satz durch eine in der Musterbelehrung nicht vorgesehene Einleitung („Bei
einem finanzierten Erwerb eines Grundstückes oder grundstückgleichen Rechts ist eine wirtschaftliche
Einheit nur anzunehmen, wenn …“) angepasst. Diese Abweichung lässt die Gesetzlichkeitsfiktion nach § 14
Abs. 1 BGB-InfoVO a.F. entfallen (vgl. OLG Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, Urt. v. 27.02.2015, 4 U
144/14, juris Tz. 8 mit LG Waldshut-Tiengen, Urt. v. 19.08.2014, 1 O 78/13, juris Tz. 17 ff.; ebenso OLG
Hamm, ZIP 2015, 1113; OLG Frankfurt, ZIP 2016, 409, 411; OLG München, Urt. v. 21.10.2013, 19 U
1208/13, Tz. 41 sowie OLG Stuttgart, BKR 2016, 68, 70 und Urt. v. 29.09.2015, 6 U 21/15, juris Tz. 34 f.;
a.A. OLG Hamburg, BKR 2016, 336, 337 und OLG Schleswig, 26.02.2015, 5 U 175/14, juris Tz. 26). Dabei
kommt es nicht darauf an, ob und in welchen Fällen eine 'rein formale‘ Abweichung mit der Beklagten als
unschädlich angesehen werden könnte. Denn durch die kumulative Verwendung der beiden Sätze wird die
Subsumtion unter die Begriffe „finanzierter Erwerb eines Grundstücks oder eines grundstücksgleichen
Rechts“ dem Verbraucher überlassen. Die Musterbelehrung sieht aber vor, dass der Unternehmer diese
Subsumtion vornimmt und entsprechend belehrt. Die von der Beklagten vorgenommene Änderung bedeutet
daher einen Verlust an Deutlichkeit und ist deshalb nicht als 'rein formale‘ Abweichung, sondern als
inhaltliche Bearbeitung der Musterbelehrung einzuordnen (so zutreffend OLG Stuttgart, Urt. v. 29.09.2015,
a.a.O.).
27 Ebenso verhält es sich mit den beiden Fußnoten. Sie sind als solche Bestandteil der von der Beklagten
erteilten Widerrufsbelehrung, auch wenn sich ihr Text unterhalb des umrahmten Belehrungstextes befindet.
Denn die innerhalb des Rahmens befindlichen Fußnotenziffern verweisen auf den Fußnotentext und
beziehen ihn damit als inhaltliche Ergänzung zu der jeweils kommentierten Textpassage in die Belehrung
ein. Das Muster der Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 BGB-InfoVO a.F. sieht keine Fußnoten vor und deren
Verwendung kann jedenfalls bei der Fußnote 2 auch nicht als 'rein formale‘ Abweichung qualifiziert werden,
weil sie zu einem Verlust an Deutlichkeit führt (vgl. etwa OLG Brandenburg, Urt. v. 17.10.2012, 4 U
194/11, juris Tz. 27; OLG München, Urt. v. 21.10.2013, 19 U 1208/13. juris Tz. 37; OLG Nürnberg, Urt. v.
11.11.2015, 14 U 2439/14 , juris Tz. 31; a..A. OLG Bamberg, Beschl. v. 01.06. 2015, 6 U 13/15 , juris Tz.
83 ; OLG Frankfurt, ZIP 2016, 409, 411 und OLG Schleswig, 26.02.2015, 5 U 175/14, juris Tz. 23). Das gilt
unabhängig davon, ob der Verbraucher wegen der Fußnote 1 davon ausgehen muss, dass die Aufforderung
„Bitte Frist im Einzelfall prüfen“ ebenfalls nicht an ihn, sondern an den Bankmitarbeiter gerichtet ist, der
das Belehrungsformular auswählt und ausfüllt. Denn selbst bei dieser (keineswegs zwingenden) Auslegung
kann die Fußnote 2 beim Verbraucher den bei der Musterbelehrung nicht entstehenden Zweifel
hervorrufen, ob die im Text genannte Frist von zwei Wochen in seinem 'Einzelfall‘ tatsächlich zutrifft oder
auf einem Irrtum des Bankmitarbeiters beruht.
28 b) Die Kläger sind auch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht gehindert, die Rechte aus dem Widerruf
geltend zu machen. Denn sie haben ihr Widerrufsrecht weder verwirkt noch ist dessen Ausübung
rechtsmissbräuchlich.
29 aa) Ein Recht ist verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist
(Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen
Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist der Fall, wenn der Verpflichtete bei
objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht
mehr geltend machen werde. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des
Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstünde (BGH, NJW 2014, 2646, 2650). An diese Voraussetzungen
sind gerade bei den verbraucherschützenden Widerrufsrechten strenge Anforderungen zu stellen. Denn die
mit einer unterlassenen oder nicht ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Nachteile hat
grundsätzlich der Geschäftspartner des Verbrauchers zu tragen (so - für § 1 Abs. 1 Nr. 1 HWiG - BGH, NJW-
RR 2005, 180, 182). Daher fehlt es in derartigen Fällen regelmäßig an dem erforderlichen
Umstandsmoment. Der Unternehmer kann schon deshalb kein schutzwürdiges Vertrauen in Anspruch
nehmen, weil er die Situation selbst herbeigeführt hat, indem er den Verbraucher nicht ordnungsgemäß
belehrt hat (so für das Widerspruchsrecht nach § 5a VVG a.F. BGH, NJW 2014, 2646, 2650; ebenso für §
355 BGB a.F. etwa OLG Karlsruhe [17. Zivilsenat], MDR 2015, 696 f. und Urt. v. 10.02.2016, 17 U 77/15,
juris Tz. 34 f.). Gegen seine Schutzwürdigkeit spricht zudem, dass er jederzeit die Möglichkeit hat, durch
eine nachträglich erteilte wirksame Belehrung den Lauf der - dann auf einen Monat verlängerten - Frist in
Gang zu setzen und den Schwebezustand zu beenden (vgl. OLG Karlsruhe, a.a.O.).
30 Gemessen daran fehlt es auch im vorliegenden Fall bereits am Umstandsmoment. Denn die Beklagte durfte
aufgrund der fehlerhaften Widerrufsbelehrung nicht darauf vertrauen, dass die Kläger ihr Widerrufsrecht
nicht mehr ausüben würden. Sie hat auch von der Möglichkeit einer Nachbelehrung gemäß § 355 Abs. 2
Satz 2 BGB a.F. keinen Gebrauch gemacht, obwohl ihr die Unwirksamkeit der Belehrung spätestens seit der
Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 9. Dezember 2009 (NJW 2010, 989, 990 f.) bekannt sein
musste. Ein Verhalten der Kläger, das gleichwohl ein entsprechendes Vertrauen rechtfertigen könnte, ist
nicht vorgetragen. Die vorhaltlose Zahlung der vereinbarten Darlehensraten während der rund
siebenjährigen Laufzeit des Darlehens genügt dafür nicht (vgl. BGH, NJW-RR 2005, 180, 182; OLG
Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, Urt. v. 27.02.2015, 4 U 144/14, juris Tz. 16 mit LG Waldshut-Tiengen,
Urt. v. 19.08.2014, 1 O 78/13, juris Tz. 24 f). Denn der Beklagten war bekannt, dass die Kläger aufgrund
der von ihr erteilten Belehrung keinen Anlass hatten anzunehmen, ihnen stehe nach dem Ablauf der darin
genannten Fristen noch ein Widerrufsrecht zu (vgl. BGH, NJW 2006, 497, 498). Die Beklagte hat auch
nicht dargelegt, dass sie sich im Vertrauen auf die langjährige, vorbehaltlose Zahlung der Darlehensraten so
eingerichtet hätte, dass ihr durch die verspätete Durchsetzung des Widerrufsrechts ein unzumutbarer
Nachteil entstünde. Sie verweist lediglich auf die Entscheidung zur Refinanzierung des Darlehens. Diese ist
aber nach ihrem eigenen Vorbringen schon kurze Zeit nach Vertragsschluss getroffen worden und beruhte
damit gerade nicht auf den langjährigen Zahlungen der Kläger.
31 bb) Das in § 242 BGB verankerte Prinzip von Treu und Glauben bildet eine allen Rechten immanente
Inhaltsbegrenzung. Welche Anforderungen sich daraus im Einzelfall ergeben, ob insbesondere die Berufung
auf eine erworbene Rechtsposition rechtsmissbräuchlich erscheint, kann regelmäßig nur mit Hilfe einer
umfassenden Bewertung der gesamten Fallumstände entschieden werden (BGH, NJW-RR 2005, 619, 620).
So kann die Berufung auf ein individuelles Recht insbesondere rechtsmissbräuchlich und damit treuwidrig
sein, wenn das Recht durch seinen institutionellen Zweck beschränkt und mit seiner Ausübung nicht dieser
Zweck, sondern ein funktionsfremdes, rechtlich zu missbilligendes Ziel verfolgt wird (vgl. etwa BGH, NJW
1989, 2689, 2692; 1992, 569, 570 f.).
32 Ein Ausschluss des Widerrufsrechts nach § 355 Abs. 1 BGB a.F. wegen Rechtsmissbrauchs beziehungsweise
unzulässiger Rechtsausübung (§ 242 BGB) kommt aber nur ausnahmsweise - unter dem Gesichtspunkt
besonderer Schutzbedürftigkeit des Unternehmers - in Betracht, etwa bei arglistigem Verhalten des
Verbrauchers gegenüber dem Unternehmer (BGH, NJW 2010, 610 und Urt. v. 16.03.2016, VIII ZR 146/15,
juris Tz. 16). Auf das Motiv für die Ausübung des Widerrufsrechts kommt es dabei nicht an. Denn wie schon
das Fehlen einer Begründungspflicht (§ 355 Abs. 1 Satz 2 BGB aF) zeigt, knüpft das Gesetz die Ausübung
des Widerrufsrechts gerade nicht an ein berechtigtes Interesse des Verbrauchers, sondern überlässt es
allein seinem freien Willen, ob und aus welchen Gründen er seine Vertragserklärung widerruft (BGH, Urt. v.
16.03.2016, a.a.O. Tz. 20; ebenso - für § 1b AbzG a.F. - bereits NJW 1986, 1679 und WM 1983, 317). Das
gilt auch für das Widerrufsrecht nach § 495 BGB a.F. (vgl. OLG Frankfurt, ZIP 2016, 409, 412 f. und OLG
Stuttgart, Urt. v. 06.10.2015, 6 U 148/14, juris Tz. 43 ff.; ebenso im Ergebnis auch OLG Celle, Urt. v.
02.12.2015, 3 U 108/15, juris Tz. 53 f.; OLG Dresden, Urt. v. 11.06.2015, 8 U 1760/14, juris Tz. 36; OLG
Frankfurt, Beschl. v. 02.09.2015, 23 U 24/15, juris Tz. 42; OLG Karlsruhe, Urt. v. 10.02.2016, 17 U 77/15,
juris Tz. 36 ff.; a.A. etwa OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2016, 6 U 296/14, Tz. 21 ff., aber auch LG Freiburg
[1. Zivilkammer], Urt. V. 16.01.2015, 1 O 258/14, juris Tz. 21 ff.). Dass dieses Recht den Verbraucher vor
einer übereilten Bindung schützen und ihm wegen der erheblichen wirtschaftlichen Tragweite Gelegenheit
geben soll, das Darlehensangebot noch einmal zu überdenken (vgl. BGH, BKR 2013, 326, 329), steht dem
nicht entgegen. Denn wie bei § 312d Abs. 1 Satz 1BGB a.F. (dazu BGH, Urt. v. 16.03.2016, a.a.O. Tz. 19 f.)
wird die Ausübung des an keine weiteren Voraussetzungen gebundenen Widerrufsrechts durch dessen
institutionellen Zweck nicht beschränkt. Der Verbraucher kann dieses Recht daher auch zu seinem
wirtschaftlichen Vorteil nutzen, ohne sich dem Vorwurf des Rechtsmissbrauchs auszusetzen (BGH, Urt. v.
16.03.2016, a.a.O. Tz. 17 f. und 21). Das gilt nicht nur für den Fall, dass er den Darlehensvertrag innerhalb
von zwei Wochen nach ordnungsgemäßer Belehrung widerruft, um ein zwischenzeitlich erhaltenes
Angebot mit günstigeren Konditionen anzunehmen, sondern in gleicher Weise für die spätere Ausübung des
aufgrund fehlender oder nicht ordnungsgemäßer Belehrung fortdauernden Widerrufsrechts. Denn die
fortdauernde Möglichkeit des Widerrufs ist die vom Gesetz gewollte Folge einer unterbliebenen oder
fehlerhaften Widerrufsbelehrung, für die der Unternehmer verantwortlich ist, und ihre Einschränkung
würde dem gesetzgeberischen Ziel zuwiderlaufen, den Unternehmer zu einer ordnungsgemäßen Belehrung
zu zwingen (so - für § 1b AbzG a.F. - bereits BGH, NJW 1986, 1679 und WM 1983, 317).
33 Danach greift der von der Beklagten erhobene Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht durch. Die Kläger
haben das streitgegenständliche Darlehen zwar sieben Jahre lang in Anspruch genommen, um ihre
Eigentumswohnung zu finanzieren, und den Widerruf erst nach deren Veräußerung erklärt, um das von der
Klägerin verlangte Vorfälligkeitsentgelt einzusparen. Dieses eigennützige Motiv ist aber rechtlich nicht zu
missbilligen, sondern von der gesetzlichen Ausgestaltung des Widerrufsrechts umfasst. Dass das Zinsniveau
während der Laufzeit des Darlehens erheblich gefallen ist und der Beklagten durch den späten Widerruf ein
entsprechender Nachteil entsteht, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn die mit einer nicht
ordnungsgemäßen Widerrufsbelehrung verbundenen Risiken trägt allein der Darlehensgeber. Dass sie
arglistig getäuscht worden oder aus anderen Gründen besonders schutzwürdig wäre, macht die Beklagte
nicht geltend.
34 2. Die Kläger haben jedoch keinen Anspruch auf Ersatz ihrer vorgerichtlichen Kosten.
35 Ein Schadensersatzanspruch wegen Verschuldens bei Vertragsschluss aufgrund der fehlerhaften
Widerrufsbelehrung (§§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB) scheitert jedenfalls am fehlenden Verschulden der
Beklagten. Denn zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses im März 2008 enthielt die Anlage 2 zu § 14 Abs. 1
und 3 der BGB-InfoVO a.F. den in der streitgegenständlichen Widerrufsbelehrung verwendeten Satz, die
Frist beginne „frühestens mit Erhalt dieser Belehrung“ noch als Musterformulierung. Auch wurde die Frage
der Unwirksamkeit dieser Formulierung erst durch Urteil des BGH vom 09.12.2009 (NJW 2010, 989)
höchstrichterlich geklärt. Der Beklagten kann daher nicht vorgeworfen werden, dass sie diese Formulierung
bei Vertragsschluss im März 2008 verwendete (vgl. nur OLG Karlsruhe, Zivilsenate in Freiburg, Urt. v.
27.02.2015, 4 U 144/14, juris Tz. 18 mit LG Waldshut-Tiengen, Urt. v. 19.08.2014, 1 O 78/13, juris Tz. 31).
36 Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Kosten ergibt sich auch nicht aus §§ 280, 286 BGB. Denn bei
der Beauftragung des klägerischen Rechtsanwalts war die Beklagte noch nicht in Verzug. Der Verzug ist
vielmehr erst mit Ablauf der vom Anwalt gesetzten Frist zum 15.05.2015 eingetreten.
37 Aus diesem Grund ist der geltend gemachte Zinsanspruch nach § 288 Abs. 1 BGB auch erst ab dem
16.05.2016 begründet.
II.
38 Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus
§ 709 ZPO.