Urteil des LG Freiburg vom 20.11.2015

von amtes wegen, befangenheit, angestellter, muttergesellschaft

LG Freiburg Beschluß vom 20.11.2015, 5 O 140/15
Leitsätze
Die frühere Tätigkeit eines Richters als angestellter Rechtsanwalt in der Kanzlei eines
Prozessbevollmächtigten genügt nicht, um die Besorgnis der Befangenheit zu
begründen (Abgrenzung zu OLG München, NJW 2014, 3042).
Tenor
Das Ablehnungsgesuch der Kläger gegen den Richter Dr. W. wird für unbegründet
erklärt.
Gründe
I.
1 Mit der im April 2015 eingegangenen Klage machen die Kläger
Prospekthaftungsansprüche gegen die beklagte Tochtergesellschaft der B. AG
geltend.
2 Der seit November 2015 zuständige Einzelrichter Dr. W. hat mit Verfügung vom
04.11.2015 angezeigt, dass er vor seinem Wechsel in die Justiz von Februar 2012
bis März 2013 als angestellter Rechtsanwalt für die Prozessbevollmächtigten der
Beklagten tätig war. Auf das daraufhin angebrachte Ablehnungsgesuch der Kläger
hat er in einer dienstlichen Stellungnahme zum einen bestätigt, dass er während
seiner anwaltlichen Tätigkeit gemeinsam mit den Rechtsanwälten Dr. L und Dr. M.
ebenso wie mit anderen Kanzleikollegen verschiedene im Verlag H. veröffentlichte
Artikel verfasst hat. Zum anderen hat er klargestellt, dass er nach seiner Erinnerung
weder in der vorliegenden noch in einer damit zusammenhängenden oder
vergleichbaren Rechtssache als Anwalt für die Beklagte oder die B. AG tätig
geworden ist. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten haben seine Angaben
bestätigt und ergänzt, dass ihnen das Mandat in diesen Angelegenheiten erst nach
seinem Ausscheiden erteilt wurde.
3 Die Kläger berufen sich auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts München
(NJW 2014, 3042, 3043 f.) und machen geltend, die Beklagte und die B. AG werde
seit langer Zeit auch außergerichtlich von der Kanzlei ihrer Prozessbevollmächtigten
vertreten, und zwar namentlich von Rechtsanwältin Dr. M. und dem auch im
vorliegenden Rechtsstreit tätigen Rechtsanwalt Dr. L. Mit beiden habe Richter Dr. W.
offensichtlich eng zusammengearbeitet und aufgrund der gemeinsamen
Veröffentlichungen möglicherweise auch eine persönliche fachliche Beziehung
aufgebaut, die ihn jetzt hindern könnte, die notwendige Objektivität bei der
Beurteilung walten zu lassen. Auf die tatsächliche Befassung mit der hier in Streit
stehenden Angelegenheit komme es dabei nicht an.
II.
4 Das zulässige Ablehnungsgesuch ist nicht begründet, weil die von den Klägern
geltend gemachten Ablehnungsgründe keine Besorgnis der Befangenheit
begründen.
5 Nach § 42 Abs. 2 ZPO findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die
Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Dabei kommen nur objektive
Gründe in Betracht, die vom Standpunkt des Ablehnenden bei vernünftiger
Betrachtung die Befürchtung wecken können, der Richter stehe der Sache nicht
unvoreingenommen und damit unparteiisch gegenüber (st. Rspr.; vgl. nur BGH,
NJW 2012, 1890). Ein erfolgreiches Ablehnungsgesuch setzt danach zwar weder
voraus, dass der Richter tatsächlich befangen ist, noch kommt es darauf an, ob er
sich selbst für befangen hält. Es genügt vielmehr, dass die Umstände geeignet sind,
der Partei Anlass zu berechtigten Zweifeln zu geben (vgl. § 1036 Abs. 2 Satz 1
ZPO). Denn die Vorschriften zur Befangenheit von Richtern sollen bereits den
bösen Schein einer möglicherweise fehlenden Unvoreingenommenheit und
Objektivität vermeiden (BGH, a.a.O.). Ob ein solcher Anschein besteht, ist jedoch
aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden Partei zu ermitteln, so dass
rein subjektive, unvernünftige Vorstellungen und Gedankengänge des
Antragstellers als Ablehnungsgrund ausscheiden (vgl. etwa BGH, NJW-RR 2003,
1220, 1221 und NJW 2004, 163 f.).
6 Persönliche Beziehungen des Richters zu dem Prozessbevollmächtigten einer
Partei sind danach zwar grundsätzlich geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu
begründen. An ihre Intensität und Qualität sind jedoch höhere Anforderungen zu
stellen als bei persönlichen Beziehungen zur Partei selbst (so zutreffend BeckOK-
ZPO/Vossler, § 42 Rdn. 11). Denn im Unterschied zur Partei hat der
Prozessbevollmächtigte kein unmittelbares Eigeninteresse am Ausgang des
Rechtsstreits. Er ist auch kein bloßer Interessenvertreter der Partei, sondern
unabhängiges Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO), von dem - ebenso wie von
einem Richter - grundsätzlich erwartet werden kann, dass er über eine
professionelle Distanz zum Gegenstand des Rechtstreits verfügt und in der Lage ist,
seine persönliche Beziehungen davon zu trennen. Diesem Unterschied trägt auch
der Gesetzgeber Rechnung, indem er den Ausschluss von der Ausübung des
Richteramts nach § 41 Nr. 1 bis 3 ZPO über eigene Angelegenheiten des Richters
(Nr. 1) hinaus auf solche Sachen erstreckt, in denen sein Ehegatte oder
Lebenspartner sowie bis zum dritten Grad verwandte und verschwägerte Personen
Partei sind, während nach § 47 Nr. 4 ZPO nur die eigene Stellung des Richters als
Prozessbevollmächtigter schadet, nicht aber diejenige einer ihm nahestehenden
Person. Die persönliche Beziehung zu einem Prozessbevollmächtigten genügt
daher allenfalls bei Ehegatten (dazu BGH, NJW 2012, 1890 f.; OLG Jena, OLGR
2000, 76, 77 und OLG Rostock, OLGR 2005, 35), Verwandten ersten Grades (vgl.
OLG Schleswig, OLGR 2000, 390, aber auch BGH, FamRZ 2006, 1440 und OLG
Celle, OLGR 1995, 272, 273) oder besonders engen Freunden (so OLG München,
Beschl. v. 08.02.2013, 9 W 2250/12, juris Tz. 12 f.), um die Besorgnis der
Befangenheit zu bejahen. In allen anderen Fällen müssen weitere konkrete
Anhaltspunkte für eine Befangenheit hinzutreten (KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165;
2014, 572, 573; OLG Celle, OLGR 1995, 272, 273; OLG Frankfurt, OLGR 2003, 217
f.; OLG Koblenz, NJOZ 2003, 3552, 3553; OLG Naumburg; BeckRS 2012, 24085;
BeckOK-ZPO/Vossler, a.a.O.). Hierzu gehören insbesondere private Gespräche
über den Gegenstand des Rechtsstreits (KG, NJW-RR 2000, 1164, 1165), die
unterbliebene oder verspätete Offenlegung der persönlichen Beziehung (KG, a.a.O.;
OLG Bremen, OLGR 2008, 175 f.; OLG München, NJW 2014, 3042, 3043) oder ein
eigenes Mandatsverhältnis (KG, NJW-RR 2014, 572, 573), nicht aber die abstrakte
Erörterung einer den Rechtsstreit betreffenden Rechtsfrage (OLG Koblenz, NJOZ
2003, 3552), die langjährige Zusammenarbeit im Vorstand eines Vereins (OLG
Frankfurt, OLGR 2003, 217, 218), eine frühere Tätigkeit des Richters als
Stationsreferendar und das daraus resultierende Duz-Verhältnis (BGH, NJW-RR
2007, 776, 777) oder der Umstand, dass der ehemalige Vorsitzende des
erkennenden Senats zu den vorinstanzlichen Prozessbevollmächtigten einer Partei
gehört (BGH, NJW 2011, 1358, 1359 f.).
7 Gemessen daran sind die von den Klägern geltend gemachten Umstände nicht
geeignet, die Besorgnis der Befangenheit zu begründen. Die Tätigkeit als
angestellter Rechtsanwalt in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der
Beklagten genügt dafür nicht, zumal sie nur rund ein Jahr gedauert hat und schon
fast drei Jahre zurückliegt. Dass die Beklagte und ihre Muttergesellschaft während
dieses Zeitraums schon von ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten beraten und
vertreten wurden, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn der Richter Dr. W. hat
zwar in anderen Mandaten mit den damals und heute zuständigen Partnern Dr. L.
und Dr. M. zusammengearbeitet. Er ist aber weder in der vorliegenden noch in einer
damit zusammenhängenden oder vergleichbaren Rechtssache als Anwalt für die
Beklagte oder deren Muttergesellschaft tätig geworden, so dass nur zu deren
Prozessbevollmächtigten eine persönliche Beziehung besteht. Diese Beziehung als
solche bietet bei vernünftiger Würdigung aller Umstände keinen Anlass, an der
Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln. Daran ändern auch die
gemeinsamen Veröffentlichungen nichts. Denn zum einen beschränken sich diese
Publikationen auf den Zeitraum der beruflichen Zusammenarbeit. Zum anderen stellt
nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGHReport 2005, 1350) selbst
die fortdauernde Mitautorenschaft einer Prozesspartei und eines zur Entscheidung
berufenen Richters keinen Befangenheitsgrund dar. Weitere konkrete
Anhaltspunkte für eine Befangenheit sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Insbesondere hat Richter Dr. W. unverzüglich angezeigt, dass er von Februar 2012
bis März 2013 als angestellter Rechtsanwalt für die Prozessbevollmächtigten der
Beklagten tätig war, so dass aus der Sicht einer objektiv und vernünftig urteilenden
Partei auch nicht der Eindruck entstehen konnte, dieser Umstand werde ihr
verheimlicht. Der tragende Grund der von den Klägern zitierten Entscheidung des
Oberlandesgerichts München (NJW 2014, 3042, 3043 f.) liegt damit gerade nicht
vor. Auch im Übrigen betrifft diese Entscheidung einen völlig anders gelagerten
Sachverhalt. Denn zum einen war die Kanzlei, bei der die erkennende Richterin
beschäftigt gewesen war, nicht nur Prozessbevollmächtigte des dortigen Klägers,
sondern als ursprüngliche Inhaberin und Zedentin der streitgegenständlichen
Honorarforderung auch selbst am Ausgang des Rechtsstreits interessiert. Zum
anderen war die Richterin in der von dem beklagten Mandanten unterzeichneten
Vollmacht sogar namentlich genannt. Der Entscheidung des Oberlandesgerichts
München lässt sich daher gerade nicht entnehmen, dass die frühere Tätigkeit für die
Prozessbevollmächtigten einer Partei genügen würde, um die Besorgnis der
Befangenheit zu begründen.
8 Richter Dr. W. ist schließlich - was von Amtes wegen zu prüfen ist - auch nicht
gemäß § 41 Nr. 4 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes
ausgeschlossen. Denn er ist in der vorliegenden Sache nie als
Prozessbevollmächtigter der Beklagten bestellt gewesen. Das folgt schon daraus,
dass das Mandat in dieser Sache erst nach seinem Ausscheiden erteilt wurde. Auf
die Ausgestaltung der Vollmacht kommt es daher nicht an.