Urteil des LG Freiburg vom 25.04.2016

befangenheit, angemessener zeitraum, unparteilichkeit, produkt

LG Freiburg Beschluß vom 25.4.2016, 12 O 115/13
Leitsätze
Dass ein Sachverständiger in dem Gebiet, um dessen gutachtliche Bewertung es geht, selbst geschäftlich tätig
ist, begründet für sich gesehen nicht die Besorgnis der Befangenheit.
Tenor
Die Ablehnungsgesuche des Klägers gegen den Sachverständigen Prof. Dr. S. werden zurückgewiesen.
Gründe
I.
1 Der abgelehnte Sachverständige hat ein schriftliches Sachverständigengutachten aufgrund Beschlusses der
Kammer erstellt und dieses am 24. August 2015 bei Gericht eingereicht. Nach Fristverlängerung hat der
Kläger den Sachverständigen unter Vorlage privatgutachtlicher Ausführungen von Prof. Dr. S. wegen
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Er hat sich dabei auf dessen ausführliche Stellungnahme bezogen,
die unter anderem folgende Passagen beinhaltet:
2
Die völlig unzureichende Darstellung der Studien verwundert umso mehr, als es international anerkannte
Regeln für die Planung, Durchführung und Dokumentation von Studien gibt, wie die Gute klinische Praxis,
die in Europa für die Prüfung von Arzneimitteln verbindlich ist und auch bei der Untersuchung von
Kosmetika angewendet werden kann, und die Consolidated Standards of Reporting Trials.
3 An anderer Stelle führt der Privatgutachter aus, dass die Annahme naheliege, dass der Gerichtsgutachter
entgegen seiner Darstellung gar keine eigene aktuelle Literaturrecherche durchgeführt habe, sondern sich
nur auf die Literatur der Beklagten stütze.
4 Der Kläger begründet ergänzend den Ablehnungsantrag damit, dass das Gutachten des Sachverständigen
wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genüge und nicht geeignet sei, die Wirksamkeit der
streitgegenständlichen Produkte zu belegen. Darüber hinaus werde in der wissenschaftlichen Literatur
mehrheitlich von der Unwirksamkeit aller bisherigen Therapien der Cellulite ausgegangen. Es zeige sich,
dass der Verdacht des Klägers gegen die Voreingenommenheit des Sachverständigen berechtigt gewesen sei.
Sein Gutachten sei unbrauchbar, es referiere allenfalls allgemeine Bemerkungen, ohne sich mit den
streitgegenständlichen Produkten konkret auseinanderzusetzen. Es hinterfrage auch nicht die von ihm
bezogenen Studien, ob sie den wissenschaftlichen Anforderungen eines Wirksamkeitsnachweis genügen
würden. Das bewusste Vorbeischreiben zu den relevanten Fragestellungen des Beweisthemas sei derartig
frappierend, dass der Sachverständige erneut als Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit
abzulehnen sei. Der Sachverständige gebe auf Seite 2 seines Gutachtens selbst kund, dass er auch als
Geschäftsführer einer Firma tätig sei, die unter anderem ein Produkt zur Unterstützung von Behandlungen
bei Zellulitis vertreibe. Er habe folglich ein pekuniäres Interesse an einer möglichen Feststellung, dass die
hier streitbefangenen Produkte eine Wirkung gegen Zellulitis und Fett zeigen würden, denn dann nämlich
wäre es ihm möglich, mit gleicher Begründung ähnliche Produkte in den Verkehr zu bringen. Dass bei dem
Sachverständigen finanzielle Interessen im Vordergrund stünden, werde belegt durch die maßlose und
ungerechtfertigte Forderung zur Erstattung von weiteren Euro 5500 Gutachtenskosten. Eine derartige
Fehlleistung eines vom Gericht beauftragten Sachverständigen sei dem Unterzeichner in seinem bisherigen
Berufsleben noch nicht untergekommen.
5 Mit Schriftsatz vom 23. März 2016 hat der Kläger ausgeführt, die (vergleiche unten) undatierte Einlassung
des Sachverständigen sei inhaltsleer. Er setze sich mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht
ansatzweise auseinander. Im Rahmen des klägerischen Vorbringens hinsichtlich des Befangenheitsvorwurfes
gegen den Sachverständigen habe der Kläger bereits darauf hingewiesen, dass der Sachverständige seine
eigenen kommerziellen Angebote unsachlich und reißerisch bewerbe. Eine Überprüfung seiner Werbung
habe nunmehr ergeben, dass er kosmetische Behandlungen mit weit übertriebenen Wirkungsauslobungen
wettbewerbswidrig beworben habe. Daraufhin habe der Kläger mit Schreiben vom 17. Februar 2016 die
Klinik, deren Gesellschafter der Sachverständige sei, wettbewerbsrechtlich abgemahnt und zur Abgabe einer
strafbewehrten Unterlassungserklärung aufgefordert. Dieser Aufforderung sei der Sachverständige mit
anwaltlichem Schreiben vom 29. Februar 2016 nachgekommen. Hieraus ergäben sich weitere erhebliche
Bedenken gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen.
6 Der Sachverständige hat zu der ihm auszugsweise mitgeteilten Ablehnung durch den Kläger folgendes
erklärt: Er bitte, die verzögerte Beantwortung der gerichtlichen Anfrage zu verzeihen, da durch einen
Auslandsaufenthalt und eine Erkrankung einiges liegen geblieben sei. Die Behauptung des Klägers sei aus
seiner Sicht völlig haltlos. Vorgabe des Gerichts in dem Gutachten sei ausdrücklich gewesen, keine eigenen
Untersuchungen anzustellen, sondern aufgrund einer umfangreichen Literaturrecherche und eigener
Erfahrungen eine Beurteilung anhand der umfangreichen Akten vorzunehmen. Er habe eine sehr
umfangreiche Literaturrecherche vorgenommen, die dem Gericht gerne zur Verfügung gestellt werden
könne. Ob nun ein Literaturzitat zur Publikation vorgelegen oder bereits publiziert sei, sei dabei völlig
unerheblich. Hierbei werde versucht, seine Tätigkeit und seine Analyse zu diskreditieren. Obwohl er vom
Gericht nicht dazu aufgefordert worden sei, die beigelegte Stellungnahme des Privatgutachters des Klägers,
eines Pharmakologen und Toxikologen, zu seinem Gutachten zu kommentieren, sei er dennoch verwundert
über die darin gemachten Aussagen und Vergleiche. Diese seien aus seiner Sicht völlig haltlos. Aus seiner
Sicht seien Standards für die Zulassung von Medikamenten nicht ohne weiteres auf kosmetische Produkte
zu übertragen.
II.
7 Nach § 406 Abs. 1 ZPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen, die zur Ablehnung eines Richters
berechtigen, abgelehnt werden. Ein Richter kann nach § 42 ZPO sowohl in den Fällen, in denen er von der
Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit
abgelehnt werden. Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt,
der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen. Besorgnis der
Befangenheit ist anzunehmen, wenn Umstände vorliegen, die berechtigte Zweifel an seiner Unparteilichkeit
oder Unabhängigkeit aufkommen lassen. Befangenheit meint eine unsachliche innere Einstellung des
Richters, die sich störend auf seine Distanz, Neutralität und Unparteilichkeit gegenüber den Beteiligten des
konkreten Verfahrens auswirken kann. Schon der äußere Anschein einer Befangenheit, der böse Schein von
Voreingenommenheit muss vermieden werden. Deshalb kommt es nicht darauf an, ob der abgelehnte
Richter bzw. hier der Sachverständige tatsächlich befangen ist, sondern ob aus der Sicht des Ablehnenden
genügend objektive Gründe vorliegen, die nach der Meinung einer ruhig und vernünftig denkenden Partei
Anlass geben, an der Unvoreingenommenheit der abgelehnten Person zu zweifeln.
8 Ein berechtigter Ablehnungsgrund kann sich auch aus dem Inhalt eines Gutachtens ergeben. Nicht
ausreichend ist allerdings, dass das Gutachten der jeweiligen Partei nicht gefällt. Es kommt grundsätzlich
auch nicht darauf an, ob das Gutachten inhaltlich überzeugt oder ob es zutreffend ist. Maßgeblich sind die
bereits dargestellten Grundsätze, die dann im Einzelfall auf die gutachtlichen Äußerungen anzuwenden
sind.
9 Soweit also der Kläger das Gutachten für unrichtig erachtet, sind diese Ausführungen nicht geeignet,
Bedenken gegen die Unvoreingenommenheit des Sachverständigen zu begründen.
10 Soweit der Privatgutachter des Klägers dem Sachverständigen vorgeworfen hat, er habe Studien
unzureichend dargestellt, weil es anerkannte Regeln für die Planung, Durchführung und Dokumentation von
Studien gebe, die in Europa für die Prüfung von Arzneimitteln verbindlich seien und auch bei der
Untersuchung von Kosmetika angewendet werden könnten, ergibt sich bereits aus den Darlegungen des
Privatgutachters des Klägers, dass es vorliegend gerade keine verbindlichen Regeln gibt für die Bewertung
von Kosmetika. Hierauf hat der Gerichtssachverständige in seiner Stellungnahme mit Recht hingewiesen.
11 Soweit der Kläger meint, der Sachverständige habe lediglich in der von der Beklagten vorgelegten Literatur
recherchiert, seine Mitteilung, er habe eigene umfangreiche Literaturrecherchen angestellt, sei unrichtig,
hat das Gericht den Sachverständigen angehört. Dieser hat seine Behauptung bekräftigt. Die Darlegung des
Privatgutachters des Klägers, wonach der Sachverständige wesentlich weniger Studien zitiert habe als
auffindbar, belegen den erhobenen Vorwurf nicht. Es geht vorliegend nicht um eine vollständige
Zusammenstellung von Literatur, sondern um die sachverständige Bewertung eines streitigen Sachverhalts.
Der Sachverständige hat die vom Privatgutachter selbst als Übersichtsarbeit bezeichnete Arbeit von
Proebstle erwähnt und als verwertete Literatur bezeichnet. Anhaltspunkte dafür, dass der Sachverständige
entgegen seiner Darstellung keine eigene Literaturrecherche durchgeführt hätte, sind nicht gegeben.
12 Soweit der Kläger meint, beim Sachverständigen stünden finanzielle Interessen im Vordergrund, was sich
aus einer maßlosen und ungerechtfertigten Forderung für die Gutachterkosten ergebe, kann ihm nicht
gefolgt werden. Der Kläger unterliegt insoweit schon einem Missverständnis, als er meint, der
Sachverständige habe eine weitere Zahlung in Höhe von Euro 5500 verlangt. Tatsächlich sind
Gesamtgutachtenskosten in dieser Höhe geltend gemacht worden. Wäre es dem Sachverständigen auf
finanzielle Aspekte angekommen, hätte er sicherlich nicht den Hinweis übersehen, bei erheblicher
Überschreitung des hier angeforderten Vorschusses von Euro 3000 Anzeige zu machen. Nach dem
Zusammenhang musste er dann nämlich befürchten, nicht (ausreichend) entschädigt zu werden. Schließlich
sind die Ausführungen des Klägers, der Sachverständige habe als Geschäftsführer einer Gesellschaft, die
unter anderem ein Produkt zur Unterstützung von Behandlungen bei Zellulitis vertreibe, ein eigenes
pekuniäres Interesse an einer möglichen Feststellung, dass die hier streitbefangenen Produkte eine Wirkung
gegen Zellulitis und Fett zeigen würden, nicht geeignet, die Besorgnis der Befangenheit gegen den
abgelehnten Sachverständigen zu begründen. Der Kläger bezieht sich damit auf ähnliche Produkte, also eine
unterstellte künftige werbliche Tätigkeit des Sachverständigen hinsichtlich ähnlicher oder vergleichbarer
Produkte. Vorliegend geht es jedoch um konkrete Produkte, die die Beklagte vertreibt, nicht um ähnliche
Produkte. Etwaige künftige Verhaltensweisen des Sachverständigen in seiner beruflichen Tätigkeit gehen
nicht über die allgemeinen Gefahren hinaus, die damit verbunden sind, dass ein Sachverständiger nicht
alleine von seiner sachverständigen Tätigkeit lebt, sondern auch gewerblich tätig ist. Dies hat der Kläger
bereits bei seinem 1. Ablehnungsgesuch nicht ausreichend gewichtet. Die Parteien wie auch das Gericht
dürfen erwarten, dass ein Sachverständiger, der auch prozessrechtlich zu einer gewissenhaften
Gutachtenerstattung gehalten ist, den Anforderungen an seine sachverständige Tätigkeit gerecht wird. Die
Auffassung des Klägers würde im Ergebnis dazu führen, dass mit Gutachtenserstattungen nur noch
Personen beauftragt werden können, die im wissenschaftlichen Elfenbeinturm leben und nie irgendwelche
Studien für Industrie oder Verbände oder Vereine wie den Kläger erstatten. Dies wird ersichtlich auch vom
Kläger nicht gewünscht. Er selbst bedient sich bekanntlich der Expertise einer solchen Person, die ersichtlich
auch außerhalb ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit auf Honorarbasis tätig ist.
13 Das Ablehnungsgesuch des Klägers in seinem Schriftsatz vom 23. März 2016 ist verspätet. Nach § 406 Abs.
2 S. 2 ZPO kann ein Sachverständiger zu einem späteren Zeitpunkt nur abgelehnt werden, wenn der
Antragsteller glaubhaft gemacht, dass er ohne sein Verschulden verhindert war, den Ablehnungsgrund
früher geltend zu machen. Die Ablehnungsgründe sind nach deren Kenntnis unverzüglich iSd § 121 Abs. 1
Nr. 1 BGB geltend zu machen. Der Ablehnungsantrag muss nicht sofort, jedoch ohne schuldhaftes Zögern,
dh innerhalb einer den Umständen des Einzelfalles angepassten Prüfungs- und Überlegungsfrist eingereicht
werden. In einfach gelagerten Fällen können bereits wenige Tage ausreichend sein, um die ein
Ablehnungsgesuch stützenden Tatsachen zu erkennen und vorzutragen (Scheuch, Beck'scher Online-
Kommentar ZPO, § 406 ZPO, Rdnr. 29). Der Gesetzgeber hat sich bei der Formulierung des S. 2 an den
Vorschriften der § 276 BGB und § 233 ZPO sowie an dem gleichzeitig neu geschaffenen § 411 Abs. 4 ZPO
(angemessener Zeitraum) orientiert. Die Bewertung soll sich nach dem Grad der prozessualen Sorgfalt
richten, die nach den Umständen des Einzelfalles von der Partei zu erwarten ist. Mit dieser Maßgabe kann
man auch die in der Rechtsprechung gängige Formulierung gebrauchen, der Antrag sei nur zulässig, wenn er
unverzüglich wie § 121 BGB nach Kenntnis des Ablehnungsgrundes gestellt wurde
(Wieczorek/Schütze/Ahrens ZPO 4.A. § 406 Rdnr. 39; ähnlich Stein/Jonas/Leipold ZPO 22. A. § 406 Rdnr.
48). Vorliegend ist der Kläger bereits mit Schreiben vom 17. Februar 2016 mit dem Sachverständigen in
rechtsgeschäftlichen Kontakt getreten, nachdem er zuvor bereits die wettbewerbswidrigen und
übertriebenen Wirksamkeitsbehauptungen hinsichtlich der Behandlung mit Kryolipose und Ultraschall zur
Kenntnis und zum Anlass genommen hatte, eine Abmahnung auszusprechen. Der Sachverständige hat sich
für seine Firma am 29. Februar 2016 unterworfen. Die am 23. März 2016 eingereichte Ablehnung ist unter
diesen Umständen verspätet und damit unzulässig.
14 Die Stellungnahme des Sachverständigen, die allerdings verspätet eingereicht ist, wofür dieser sich jedoch
entschuldigt und die dieser erklärt hat, ist auch nicht inhaltsleer. Der Sachverständige war nicht
aufgefordert, die geltend gemachten Gründe für die Unrichtigkeit des Gutachtens zu prüfen und sich mit
ihnen auseinanderzusetzen. Die Stellungnahme ist ausreichend ausführlich und inhaltlich klar.
Ablehnungsgründe sind hieraus nicht ableitbar.