Urteil des LG Frankfurt (Oder) vom 03.03.2006

LG Frankfurt(oder ): gefahr im verzug, durchsuchung, vorläufige festnahme, wohnung, staatsanwalt, versuch, beweismittel, beschlagnahme, verdacht, druck

1
2
3
4
5
6
7
8
Gericht:
LG Frankfurt (Oder) 1.
Strafkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21 Qs 58/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 13 Abs 2 GG, § 102 StPO, §
105 Abs 1 S 1 StPO
Strafverfahren: Wohnungsdurchsuchung bei Gefahr im Verzug
Tenor
Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 03. April 2006 wird festgestellt, dass die bei
ihm am 02. März 2006 erfolgte Durchsuchung und der daraufhin ergangene Beschluss
des Amtsgerichts Strausberg vom 03. März 2006 – 4 Gs 16/06 – rechtswidrig sind.
Der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 03. März 2006 – 4 Gs 16/06 – wird
aufgehoben und die anlässlich der Durchsuchung vom 02. März 2006 sichergestellten
Gegenstände sind herauszugeben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der insoweit entstandenen
notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
I.
Gegen den Betroffenen wird ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines
Vergehens gemäß §§ 303, 303 c StGB geführt.
In diesem Zusammenhang wurde am 02. März 2006 auf Anordnung der
Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder die Wohnung des Betroffenen durchsucht und dabei
... sichergestellt und durch die Staatsanwaltschaft beschlagnahmt. Die erfolgte
Beschlagnahme wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom 03. März 2006 mit
Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 03. März 2006 – Az: 4 Gs 16/06 – richterlich
bestätigt. Zu den weiteren Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf
den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 03.03.2006 (Bl. 116 d.A.) und den Beschluss
des Amtsgerichts vom 03.03.2006 (Bl. 117 d.A.) verwiesen.
Hiergegen wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde vom 03. April 2006.
Das Amtsgericht Strausberg hat der Beschwerde mit Beschluss vom 26.04.2006 nicht
abgeholfen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft, zulässig und in der Sache auch begründet.
1. Die Beschwerde (§ 304 Abs.1 StPO) ist das statthafte Rechtsmittel gegen einen
Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss. Die Beschwerde ist auch zulässig. Zwar
ist die Wohnungsdurchsuchung bereits vollzogen und kann faktisch nicht mehr
rückgängig gemacht werden, jedoch kann die Rechtmäßigkeit einer
Durchsuchungsanordnung wegen der mit der Wohnungsdurchsuchung verbundenen
tiefgreifenden Grundrechtseingriffe und der Notwendigkeit eines effektiven
Rechtsschutzes (Art. 19 IV GG) gegen Maßnahmen staatlicher Gewalt auch nach
Abschluss der Durchsuchung rechtlich überprüft werden.
2. Die Beschwerde ist auch in der Sache begründet, weil wesentliche Rechtsgrundsätze
missachtet worden sind.
Die Durchsuchung einer Wohnung beinhaltet regelmäßig einen schwerwiegenden Eingriff
in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre des Betroffenen, namentlich in das
Grundrecht des Art. 13 GG des Beschuldigten und häufig auch anderer, mit ihm
zusammenwohnender Personen. Deshalb ist die Anordnung einer Durchsuchung
grundsätzlich auch dem Richter (Art.13 II. 1.Halbs. GG) vorbehalten. Soweit Art. 13 II. 2.
Halbsatz GG vorsieht, dass Durchsuchungen auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre
9
10
11
12
13
14
15
Halbsatz GG vorsieht, dass Durchsuchungen auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre
Hilfsbeamten (§ 152 GVG) angeordnet werden dürfen, gilt dies nur bei Gefahr im Verzug.
Dabei ist „Gefahr im Verzug“ nicht nur wegen des Ausnahmecharakters der
nichtrichterlichen Anordnung, sondern wegen der grundrechtssichernden Schutzfunktion
des Richtervorbehalts eng auszulegen. Die Strafverfolgungsbehörden müssen, bevor sie
eine Durchsuchung beginnen, regelmäßig versuchen, eine Anordnung des jeweils
zuständigen Richters zu erlangen. Nur wenn schon die zeitliche Verzögerung eines
solchen Versuchs den Erfolg der Durchsuchung gefährden könnte, dürfen sie selbst die
Anordnung wegen Gefahr im Verzug treffen, ohne sich vorher um eine richterliche
Anordnung bemüht zu haben. Dabei haben sie für eine wirksame gerichtliche
Nachprüfung der nichtrichterlichen Durchsuchungsanordnung wegen Gefahr im Verzug
in den Ermittlungsakten unter Bezeichnung des Tatverdachts und der gesuchten
Beweismittel insbesondere zu dokumentieren, auf welche Umstände sich die Gefahr des
Beweismittelverlustes stützt und ob der Versuch unternommen wurde, den
Ermittlungsrichter zu erreichen.
Eine derartige Dokumentation ergab sich aus der Akte bislang nicht und das
Amtsgericht hat für seine Entscheidung die Frage der Gefahr im Verzug nicht geprüft.
Die Kammer hat im Rahmen des Beschwerdeverfahrens die Staatsanwaltschaft
nachträglich zur Begründung der „Gefahr im Verzug“ aufgefordert.
Hierbei ist festzustellen, dass sich auch aus der angeforderten Stellungnahme der
Staatsanwaltschaft vom 27. Juli 2006 (Bl. 160 d.A.), nicht ergibt, ob der Staatsanwalt den
Versuch unternommen hat, den Ermittlungsrichter zu erreichen bzw. warum
gegebenenfalls von dem Versuch abgesehen wurde. Dies ist insbesondere schon
deshalb nicht nachvollziehbar und hinnehmbar, als die Durchsuchung an einem
Wochentag in der Zeit von 08.35 bis 09.09 Uhr, also während des regulären gerichtlichen
Geschäftsbetriebes erfolgte.
Zudem lassen sich aber auch aus der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom
27.07.2006 keine nachvollziehbaren Umstände für die von ihr angenommene Gefahr im
Verzug entnehmen.
Soweit der zuständige Staatsanwalt allein aus dem Umstand, dass sich der ... nicht zu
den Tatvorwürfen äußern wollte, den Schluss gezogen hat, er würde andere Täter warnen
und Beweismittel in der Wohnung beseitigen wollen, ist dies eine Vermutung ohne
jegliche vernünftige Anhaltspunkte. Es ist das prozessual verbriefte Recht eines jeden
Beschuldigten zu dem gegen ihn erhobenen Tatvorwurf zu schweigen, ohne dass ihm
hieraus Nachteile erwachsen dürfen. Für die Kammer ergibt sich vielmehr aus der Art
und Weise der erfolgten Maßnahmen gegen den Beschuldigten - seine vorläufige
Festnahme aufgrund seiner Weigerung einer sofortigen Vernehmung auf der
Polizeiwache nachzukommen, die spätere Durchsuchung ohne richterliche Anordnung -
der Verdacht, dass durch den Staatsanwalt Druck auf den Beschuldigten hinsichtlich
seiner Aussagebereitschaft ausgeübt werden sollte. Anders lassen sich die
angeordneten Maßnahmen auch unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
nicht erklären.
Es war daher festzustellen, dass die erfolgte Durchsuchung rechtswidrig ist und der
Beschluss des Amtsgerichts vom 03.03.2006, mit dem die Beschlagnahme richterlich
bestätigt wurde, war aufzuheben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Betroffenen
waren der Landeskasse aufzuerlegen, da kein anderer dafür haftet.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum