Urteil des LG Frankfurt (Oder) vom 14.07.2009

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Gericht:
LG Frankfurt (Oder)
6a. Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6a S 108/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 36 Abs 1 EnWG, § 38 Abs 1 S 1
EnWG, § 38 Abs 1 S 2 EnWG
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Eberswalde vom
14.7.2009, Az. 2 C 325/08, abgeändert und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin einen
Betrag in Höhe von 138,99 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem
jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6.4.2007 sowie weitere Nebenkosten in Höhe von 5,56
€ zu zahlen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt 84% der Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen sowie 84% der
durch die Nebenintervention verursachten Kosten; der Beklagte trägt 16% der Kosten
des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
Streitwert: 879,48 €
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt Zahlung für die Lieferung von Strom an den Beklagten in der Zeit
vom 3.2.2006 bis zum 28.2.2007.
Die Klägerin ist Grundversorger im Sinne des § 36 Abs. 2 S. 1 EnWG für das in Rede
stehende Versorgungsgebiet. Der Beklagte ist Haushaltskunde im Sinne des § 3 Nr. 22
EnWG.
Der Beklagte bewohnt ein Doppelhaus, dessen eine Hälfte bis zum 31.12.2005 von der
nicht am Rechtsstreit beteiligten Frau xxx bewohnt wurde. Frau xxx bezog bis zu diesem
Zeitpunkt Strom von der Klägerin über den Stromzähler mit der Nummer xxx. Mit
Schreiben vom 4.3.2006 kündigte Frau xxx ihren Stromliefervertrag und teilte zugleich
mit, dass „
“ worden sei.
Der Beklagte bezog vor dem 1.1.2006 Strom von der Streithelferin über den
Stromzähler mit der Nummer xxx.
Im Zuge des Auszugs von Frau xxx fanden Umbaumaßnahmen im Haus statt, in dessen
Rahmen der Zähler mit der Nummer xxx ausgebaut und die gesamte Stromversorgung
des Doppelhauses über den Zähler mit der Nummer xxx geschaltet wurde. Der genaue
Zeitpunkt des Zählerumbaus ist streitig.
Der Beklagte teilte der Streithelferin die geänderte Zählernummer mit. Er ging davon
aus, dass die Stromlieferung im Jahr 2006 durch die Streithelferin erfolgte und zahlte die
laufenden Abschläge sowie den sich aus der Endabrechnung für das Jahr 2006
ergebenden Nachzahlungsbetrag in Höhe von 166,65 €. Mit Wirkung zum 31.12.2006
endete der Stromliefervertrag mit der Streithelferin.
Mit Schreiben vom 2.1.2007 wies der Beklagte die Klägerin auf den zum Jahreswechsel
2005/2006 erfolgten Zähleraustausch hin. Zudem heißt es in dem Schreiben:
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Der Beklagte bezog ab dem 1.1.2007 weiterhin Strom und schloss mit Wirkung zum
1.3.2007 einen Stromliefervertrag mit einem anderen Stromanbieter, der xxx, ab.
Mit Rechnungen vom 25.1.2007, 1.3.2007 und 21.3.2007 rechnete die Klägerin
gegenüber dem Beklagte über die Zeiträume 3.2.2006 -20.2.2006, 21.2.2006 –
19.2.2007 bzw. 20.2.2007 – 28.2.2007 in Höhe von insgesamt 879,48 € ab. Wegen der
Einzelheiten der Abrechnungen wird auf Bl. 21 ff. d.A. Bezug genommen.
Die Klägerin behauptet, der Zähleraustausch sei am 3.2.2006 erfolgt. Von dem
Zähleraustausch habe sie erst mit Schreiben vom 2.1.2007 erfahren. Sie meint,
zwischen ihr und dem Beklagten habe in der Zeit vom 3.2.2006 bis 28.2.2007 ein
Stromliefervertrag bestanden. Dieser sei dadurch zustande gekommen, dass der
Beklagte Strom über den Zähler mit der Nummer xxx bezogen habe und damit
konkludent das Angebot der Klägerin zum Abschluss eines Stromliefervertrages
angenommen habe. Der Beklagte könne sich nicht auf den mit der Streithelferin
geschlossenen Vertrag berufen, da dieser Stromanbieter mit der Klägerin keine
Vereinbarung über die Netznutzung getroffen habe. Die Streithelferin hätte die
Netznutzung bei der Klägerin als Netzbetreiberin elektronisch anmelden und sich
genehmigen lassen müssen, was unterblieben sei. Der vom Beklagten entnommene
Strom stamme deshalb von der Klägerin und nicht von der Streithelferin. Darüber hinaus
meint die Klägerin unter Hinweis auf höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH NJW-RR
2005, 1426), ihr stünde der geltend gemachte Anspruch auch als
Aufwendungsersatzanspruch nach den Grundsätzen der berechtigten Geschäftsführung
ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB zu.
Der Beklagte behauptet, der Zählerwechsel sei bereits vor dem 1.1.2006 erfolgt. Er
meint, dass zwischen ihm und der Klägerin in der Zeit vom 1.1.2006 bis zum 31.12.2006
keinerlei vertragliche Beziehungen bestanden hätten. Bezüglich des Zeitraums vom
1.1.2007 bis zum 28.2.2007 schulde er der Klägerin zwar Entgelte, es fehle jedoch
bislang eine Abrechnung der Klägerin, aus der sich die auf diesen Zeitraum entfallenden
Entgelte ermitteln ließen.
Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das amtsgerichtliche Urteil
Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass zwischen der
Klägerin und dem Beklagten keine vertraglichen Beziehungen zustande gekommen
seien. Die Entnahme von Strom durch den Beklagten sei nicht als konkludente Annahme
eines Angebots der Klägerin zu bewerten, da der Beklagte bereits das Angebot der
Streithelferin angenommen habe.
Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin den geltend gemachten Anspruch weiter. Sie
meint, das Vertragsverhältnis zwischen dem Beklagten und der Streithelferin sei in
erster Instanz streitig gewesen. Der Beklagte habe das Bestehen eines solchen
Vertragsverhältnisses nicht nachgewiesen. Sie rügt darüber hinaus die vom Amtsgericht
unterlassene Prüfung von Aufwendungsersatzansprüchen nach den Grundsätzen der
berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB.
Unabhängig davon hätte das Amtsgericht Entgelt für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis
28.2.2007 in Höhe von 138,99 € zusprechen müssen. Dieser Betrag ergäbe sich
nachvollziehbar aus den vorgelegten Abrechnungen.
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Mit am 11.12.2009 beim Berufungsgericht eingegangenem und der xxx am 17.12.2009
zugestelltem Schriftsatz hat der Beklagte der xxx den Streit verkündet. Mit am 5.5.2010
eingegangenen Schriftsatz hat die xxx den Streitbeitritt auf Seiten des Beklagten erklärt.
Die Streithelferin ist der Ansicht, dass der an den Beklagten gelieferte Strom dem
Vertragsverhältnis mit der Streithelferin zuzuordnen sei, weil der (unbewusste) Wechsel
des Stromzählers für die rechtliche Bewertung des Vertragsverhältnisses ohne Relevanz
sei.
II.
Die zulässige Berufung ist teilweise begründet und im Übrigen unbegründet.
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Die Klägerin kann vom Beklagten Zahlung in Höhe von 138,99 € für die Lieferung von
Strom in der Zeit vom 1.1.2007 bis 28.2.2007 gemäß §§ 38, 36 Abs. 1 EnWG verlangen.
a)
Gemäß § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG gilt Energie als vom Grundversorger im Sinne des § 36
EnWG geliefert, wenn der Letztverbraucher die Energie über das Energieversorgungsnetz
der allgemeinen Versorgung in Niederspannung bezieht, ohne dass dieser Bezug einer
Lieferung oder einem bestimmten Liefervertrag zugeordnet werden kann. Gemäß § 38
Abs. 1 S. 2 EnWG ist der Grundversorger berechtigt, für die Energielieferung die
gesondert veröffentlichten Allgemeinen Preise zu verlangen.
Die Klägerin ist Grundversorger im Sinne des § 36 EnWG. Der Beklagte ist
Haushaltskunde im Sinne des § 3 Nr. 22 EnWG und damit auch Letztverbraucher im
Sinne des § 3 Nr. 25 EnWG, der Energie über das Energieversorgungsnetz der
allgemeinen Versorgung in Niederspannung bezieht. Die Stromlieferung in der Zeit vom
1.1.2007 bis 28.2.2007 lässt sich einer bestimmten Lieferung oder einem bestimmten
Liefervertrag nicht zuordnen. Denn nachdem der Stromliefervertrag mit der
Streithelferin zum 31.12.2006 endete, schloss der Beklagte erst wieder mit Wirkung zum
1.3.2007 einen weiteren Stromlieferungsvertrag, diesmal mit der xxx.
b)
Bei dem für die Zeit vom 1.1.2007 bis zum 28.2.2007 in Rede stehenden
Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten handelt es sich um ein auf
maximal drei Monate befristetes gesetzliches Schuldverhältnis gemäß § 38 Abs. 1
EnWG. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist ein (zunächst unbefristeter)
Stromlieferungsvertrag im Sinne eines rechtsgeschäftlichen Schuldverhältnisses
zwischen Klägerin und Beklagten nicht durch konkludentes Handeln in Form des
Verbrauchs von Strom durch den Beklagten zustande gekommen. Die Lehre von der
sogenannten „Realofferte“ findet gegenüber der spezielleren gesetzlichen Regelung der
Ersatzversorgung gemäß § 38 EnWG keine Anwendung mehr. Nach der Liberalisierung
des Strommarktes durch das Energiewirtschaftsgesetz 2005 besteht innerhalb des
Anwendungsbereichs des § 38 EnWG für die – historisch bedingte – Lehre von der
Realofferte kein Bedarf. Sie widerspricht Wortlaut, Systematik und Sinn der gesetzlichen
Regelung des § 38 EnWG, insbesondere vor dem Hintergrund der gebotenen
richtlinienkonformen Auslegung mit Blick auf die Richtlinie 2003/54/EG des Europäischen
Parlaments und das Rates vom 26.6.2003, dessen Umsetzung das EnWG 2005 diente
(vgl. amtliche Anmerkung zum EnWG 2005).
Vor Inkrafttreten des EnWG 2005, d.h. solange die Haushaltsversorgung innerhalb eines
bestimmten Gebietes in der Regel nur durch einen Stromlieferanten auf der Grundlage
allgemeiner Preise und Bedingungen erfolgen konnte, haben die Zivilgerichte - in
ständiger Rechtsprechung und mit der allgemeinen Meinung im Schrifttum - die
Möglichkeit eines Vertragsschlusses allein durch Energieentnahme angenommen.
Danach war in dem vom (alleinigen) Versorgungsunternehmen bereit gehaltenen
Leistungsangebot ein Angebot zum Abschluss eines Versorgungsvertrages in Gestalt
einer sogenannten „Realofferte“ gesehen worden. Mit der Entnahme der angebotenen
Versorgungsleistung durch den Verbraucher ist das Angebots auf Abschluss eines
Versorgungsvertrages durch konkludentes Handeln angenommen worden (BGHZ 115,
311, 314; BGH NJW 2003, 3131; BGH NJW-RR 2005, 639; Palandt/Heinrichs, BGB, 69.
Aufl., Einf. v. 145, Rn. 28).
Nach der Liberalisierung des Strommarktes durch das EnWG 2005 und nach der auch
dem Verbraucherschutz dienenden Richtlinie 2003/54/EG bleibt für die Lehre von der
Realofferte im Anwendungsbereich des § 38 EnWG allerdings kein Raum mehr. Die
Fallgestaltungen, die bislang mit der Lehre von der Realofferte aufgefangen worden sind,
sind nunmehr der Regelung der Ersatzversorgung nach § 38 EnWG zuzuordnen. Die
Ersatzversorgung nach § 38 EnWG beginnt von Gesetzes wegen, ohne dass es des
Austausches von Willenserklärungen bedarf. Der Grundversorger kann (als
Ersatzversorger) seinen Zahlungsanspruch unmittelbar auf § 38 Abs. 1 EnWG stützen
(Salje, EnWG, § 38, Rn. 14). Ein rechtsgeschäftlicher Liefervertrag, der eine
Ersatzversorgung im Sinne des § 38 EnWG ausschließen würde, kommt nicht mehr durch
die einfache Entnahme von Strom zustande. Denn andernfalls gäbe es für das in § 38
EnWG normierte befristete gesetzliche Rechtsverhältnis keinen Anwendungsbereich, da
die Lehre von der Realofferte die von § 38 EnWG erfassten Fälle der Ersatzversorgung
nahezu vollständig abdeckt. Dem Gesetzgeber war die Lehre von der Realofferte bei
Erlass des EnWG 2005 bekannt, so dass davon auszugehen ist, dass die - historisch
vorbildlose – Regelung des § 38 EnWG (vgl. Salje a.a.O. § 38 Rn. 1;
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vorbildlose – Regelung des § 38 EnWG (vgl. Salje a.a.O. § 38 Rn. 1;
Britz/Hellermann/Herms, EnWG, § 38 Rn. 3) die bis dahin geltende Lehre von der
Realofferte jedenfalls im Anwendungsbereich des § 38 EnWG ablösen sollte. Aus Wortlaut
und Systematik des EnWG ist nicht erkennbar, dass der Gesetzgeber die Lehre von der
Realofferte aufrecht erhalten wollte (zweifelnd Hellermann a.a.O § 38 Rn. 12).
Diese Auslegung des § 38 EnWG ist auch aufgrund der zugrundeliegende Richtlinie
2003/54/EG (im folgenden nur „Richtlinie“) geboten. Gemäß Art. 3 Abs. 5 S. 1 der
Richtlinie ergreifen die Mitgliedsstaaten geeignete Maßnahmen zum Schutz der
Endkunden und tragen insbesondere dafür Sorge, dass für schutzbedürftige Kunden ein
angemessener Schutz besteht. Zumindest im Fall der Haushalts-Kunden schließen
solche Maßnahme die in Anhang A der Richtlinie aufgeführten Maßnahmen zum Schutz
der Kunden ein, Art. 3 Abs. 5 S. 5 der Richtlinie. In Anhang A der Richtlinie sind der
notwendige Inhalt und die Mindestbedingungen der Versorgungsverträge festgelegt, die
im Voraus bekannt sein müssen und die vor Abschluss oder Bestätigung des Vertrages
bereitgestellt werden müssen. Ausgangspunkt der Richtlinie ist offenbar, dass dem
Kunden vor Vertragsschluss die entsprechenden Vertragsbedingungen mitgeteilt werden
müssen. Diesen Verbraucher schützenden Vorgaben wird die Lehre von der Realofferte
nicht gerecht, da sie die Einhaltung dieser Vorgaben nicht zu gewährleisten vermag.
c)
Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt eine Abrechnung für den Zeitraum vom
1.1.2007 bis 28.2.2007 in nachprüfbarer Form vor. Aus den Abrechnungen vom 1.3.2007
sowie vom 21.3.2007 ergeben sich folgende Entgelte:
Inhaltliche Einwendungen gegen die Abrechnungen hat der Beklagte nicht erhoben.
2.
Für den Zeitraum vom 3.2.2006 bis zum 31.12.2006 hat die Klägerin keinen
Zahlungsanspruch gegen den Beklagten. Die in dieser Zeit vom Beklagten entgegen
genommenen Stromlieferungen sind dem Liefervertrag mit der Streithelferin
zuzuordnen.
a)
Bereits vor dem 1.1.2006 hatte der Beklagte Strom von der Streithelferin bezogen.
Dieser Vertrag blieb bis zum 31.12.2006 wirksam.
Unzutreffend ist in diesem Zusammenhang die Ansicht der Klägerin, der
Vertragsschluss zwischen dem Beklagten und der Streithelferin sei in erster Instanz
streitig gewesen. Denn die Tatsache eines früheren Vertragsschlusses zwischen dem
Beklagten und der Streithelferin hat die Klägerin erstinstanzlich zugestanden. Nach
Vorlage der Schlussrechnung vom 12.1.2007 und einer Kopie des Kontosauszuges des
Beklagten vom 30.1.2007, aus dem die Zahlung des mit der Schlussrechnung
geforderten Betrages in Höhe von 166,65 € hervorgeht (Bl. 36 ff. d.A.), hat sich die
Klägerin hierzu mit Schriftsatz vom 13.1.2009 wie folgt geäußert (vgl. Bl. 44 d.A.):
Daraus geht nicht ausdrücklich hervor, dass der Vertragsschluss als solcher bestritten
ist. Jedenfalls ist die Rechtstatsache des Vertragschlusses zwischen dem Beklagten und
der Streithelferin als unstreitig zu behandeln.
Davon zu unterscheiden ist die – allein vom Gericht zu beantwortende – Rechtsfrage,
welchem Rechtsverhältnis die in Rede stehende Stromlieferung zuzuordnen ist. Denn die
in ein grundsätzlich von verschiedenen Energieversorgern eingespeiste Energie eines
Leitungsnetzes vermischt sich darin derart, dass eine Unterscheidung nach den
einspeisenden Energieversorgern an der Abnahmestelle des Stroms schon physikalisch
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einspeisenden Energieversorgern an der Abnahmestelle des Stroms schon physikalisch
unmöglich ist. Denn bei Strom bzw. Energie handelt es sich um eine immaterielle Größe,
die sich einer unterscheidenden Bestimmung im sachenrechtlichen Sinne aufgrund ihrer
physikalischen Eigenschaften entzieht. Bei gleicher Frequenz der eingespeisten Ströme
gibt es offenkundig keine physikalische Eigenschaft des Stroms oder der übertragenen
Energie, die ihre Unterscheidung nach der Einspeisequelle ermöglichen könnte. Die
eingespeisten Ströme bzw. Energien addieren sich zu einem einheitlichen Ganzen; die
Entnahme von Strom bzw. Energie führt zur unspezifischen Verringerung der noch zur
Verfügung stehenden Gesamtenergie. Feststellbar ist lediglich die Menge der
eingespeisten und entnommenen Energie, wobei sich bei einer Vielzahl von gleichzeitig
wirkenden Energieversorgern und Verbrauchern jedoch nicht angeben lässt, dass eine
an einer bestimmten Stelle eingespeiste Energie der an einer anderen Stelle
entnommenen Energie genau entspricht. Wenn eine Unterscheidung nach der
Einspeisequelle schon physikalisch nicht möglich ist, dann ist diese Frage auch einem
Beweis grundsätzlich nicht zugänglich. Es handelt sich um eine rein bewertende, d.h.
normative und nur vom Gericht zu beantwortende Frage. Die entsprechenden
Beweisangebote der Klägerin gehen damit ins Leere.
b)
Der dem Beklagten im Jahr 2006 gelieferte Strom ist dem zwischen dem Beklagten und
der Streithelferin geschlossenen Vertrag zuzuordnen, so dass für eine Ersatzversorgung
im Sinne des § 38 EnWG für das Jahr 2006 kein Raum ist. Denn beide Vertragsparteien
sind erkennbar davon ausgegangen, dass die Stromlieferung im Rahmen des zwischen
ihnen geschlossenen Vertrages erfolgte. Die Streithelferin hat die erforderlichen
Abrechnungen erstellt; der Beklagte seinerseits hat die geforderten Abschläge sowie den
Endabrechnungsbetrag an die Streithelferin gezahlt.
Die Zuordnung unterbleibt nicht deshalb, weil zwischenzeitlich der Stromzähler des
Anschlusses ausgetauscht wurde und dadurch eine andere Nummer erhielt. Die
Zuordnung einer Stromlieferung zu einem Lieferungsvertrag erfolgt aufgrund wertender,
normativer Kriterien und nicht allein aufgrund der Nummer des Stromzählers, wie die
Klägerin meint. Der Austausch des Stromzählers führte nicht zur Beendigung des mit
der Streithelferin bestehenden Vertrages. Denn die Lieferung des Stroms durch die
Streithelferin an den Beklagten konnte auch nach dem Zähleraustausch weiterhin
erfolgen. Unstreitig konnte die Belieferung des Beklagten durch die Streithelferin
zumindest über den (später ausgebauten) Zähler mit der Nummer xxx erfolgen; die
Streithelferin musste also über die Berechtigung zur Netzdurchleitung zum Anschluss
des Beklagten verfügen. Daran ändert sich nichts, wenn der Stromzähler nach einem
Austausch eine andere Nummer erhält. Zwar mag die Nummer des Stromzählers aus
technischen und organisatorischen Gründen der Identifikation eines Stromanschlusses
und eines Stromliefervertrages dienen. Dies führt jedoch nicht dazu, dass allein die
Stromzählernummer nunmehr für die rechtliche Zuordnung und Bewertung eines
Stromliefervertrages maßgeblich wäre. Sofern die Klägerin meint, der Beklagte schulde
allein deshalb Zahlung, weil er den Stromzähler mit der Nummer xxx statt den mit der
Nummer xxx weiterbenutzt habe, ist dies rechtlich unerheblich, vergleichbar einer
(offensichtlichen) Falschbezeichnung (falsa demonstratio). Denn im vorliegenden Fall
hing es nur vom Zufall ab, welcher der beiden ursprünglich vorhandenen Zähler im
Rahmen des Austausches letztlich verwendet werden würde. Eine Erklärung mit
rechtsgeschäftlichem Inhalt lässt sich dem Zähleraustausch deshalb nicht entnehmen.
Unzutreffend ist daher auch die Ansicht der Klägerin, der Streithelferin sei die
Netzdurchleitung nicht genehmigt worden.
c)
Da der Beklagte zutreffend von einem wirksamen Vertragsverhältnis mit der
Streithelferin ausging, kann die Klägerin auch nach der Lehre von der Realofferte kein
vertragliches Entgelt verlangen. Denn die Entnahme von Strom kann vor diesem
Hintergrund nicht als auf einen Vertragsschluss gerichtetes Handeln gedeutet werden.
Im Übrigen stünde der Klägerin auch kein Anspruch auf Aufwendungsersatz nach den
Grundsätzen der berechtigten Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1,
670 BGB zu, wie dies durch den BGH in anderen Fällen entschieden worden ist (BGH
NJW-RR 2005, 639; BGH NJW-RR 2005, 1426). Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die
vom BGH entschiedenen Fälle solche vor Inkrafttreten des EnWG 2005 betraf, so dass
der vorliegende Fall vor dem Hintergrund einer geänderten Gesetzeslage zu entscheiden
ist.
Bei richtlinienkonformer Auslegung des § 38 EnWG bleibt kein Raum für die Annahme
einer Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB. Die Anwendung
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einer Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677, 683 S. 1, 670 BGB. Die Anwendung
der Vorschriften über die Geschäftsführung ohne Auftrag widerspricht den Zielen des
EnWG und denen der zugrunde liegenden Richtlinie 2003/54/EG, insbesondere dem Ziel
der verbraucherfreundlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität, § 1 Abs. 1
EnWG, und dem Ziel der Sicherstellung eines wirksamen und unverfälschten
Wettbewerbs bei der Versorgung mit Elektrizität gemäß § 1 Abs. 2 EnWG.
Gemäß Ziffer 2 der Erwägungen der Richtlinie sind konkrete Maßnahmen erforderlich,
um gleiche Ausgangsbedingungen bei der Elektrizitätsversorgung sicherzustellen und
die Gefahr einer Marktbeherrschung und von Verdrängungspraktiken zu verringern. Nach
Ziffer 6 der Erwägungen der Richtlinie setzt ein funktionierender Wettbewerb voraus,
dass der Netzzugang nichtdiskriminierend, transparent und zu angemessenen Preisen
gewährleistet ist. Art. 3 Abs. 3 S. 1 der Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dafür
Sorge zu tragen, dass alle Haushaltskunden in ihrem Hoheitsgebiet über eine
Grundversorgung verfügen, also das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer
bestimmten Qualität zu angemessenen, leicht und eindeutig vergleichbaren und
transparenten Preisen haben. Gemäß Art. 3 Abs. 5 S. 3 der Richtlinie gewährleisten die
Mitgliedsstaaten einen hohen Verbraucherschutz, insbesondere in Bezug auf die
Transparenz der Vertragsbedingungen, allgemeine Informationen und
Streitbeilegungsverfahren. Die Mitgliedsstaaten haben sicherzustellen, dass
zugelassene Kunden tatsächlich zu einem neuen Lieferanten wechseln können, Art. 3
Abs. 5 S. 4 der Richtlinie.
In Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Grundversorger Aufwandsersatz vom Kunden
deshalb fordert, weil der Vertragspartner des Kunden angeblich nicht über die
Genehmigung zur Netzdurchleitung verfügt, kann der Grundversorger etwaige
Ansprüche gegen den Kunden nicht auf das Rechtsinstitut der Geschäftsführung stützen.
Denn die Anwendung dieses Rechtsinstituts würde den Kunden einem unnötig Kosten-
und Prozessrisiko aussetzen, welches mit dem Ziel einer verbraucherfreundlichen
Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität gemäß § 1 Abs. 1 EnWG und der
Verpflichtung zur Transparenz der Preise und Vertragsbedingungen gemäß Art. 3 Abs. 3
S. 1, Abs. 5 S. 3 der Richtlinie 2003/54/EG nicht vereinbar ist. Die Frage, ob der
vertraglich gebundene Energieversorger über eine Genehmigung zur Netzdurchleitung
verfügt, ist vom Haushaltskunden regelmäßig nicht selbst feststellbar. Der Kunde ist
dabei auf die Mitwirkung des Netzbetreibers bzw. des Energieversorgers angewiesen. Im
Fall von Streitigkeiten zwischen dem Netzbetreiber und dem Energieversorger über das
Bestehen einer Netzdurchleitungsgenehmigung ist dem Kunden eine hinreichend
sichere eigene Beurteilung in aller Regel nicht möglich. Gelängen die Regelungen der
Geschäftsführung ohne Auftrag in der Weise zur Anwendung, wie in der vor Erlass des
EnWG 2005 ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung, so liefe der Kunde Gefahr,
den von ihm nur einmal bezogenen und gegenüber seinem Vertragspartner bereits
bezahlten Strom nachträglich nochmals an den Grundversorger zahlen zu müssen. Zwar
könnte der Kunde den doppelt gezahlten Betrag als Schadenersatz von seinem
Vertragspartner zurück verlangen; zudem könnte der Kunde im Wege der
Streitverkündung das mit der Frage des Bestehens einer
Netzdurchleitungsgenehmigung verbundene prozessuale Risiko absichern. Es bleibt
jedoch der Umstand, dass der Kunde bei Abschluss eines Stromlieferungsvertrages mit
einer vom Grundversorger abweichenden Vertragspartei jederzeit Gefahr läuft, die von
ihm gezahlten Entgelte im Fall von Streitigkeiten zwischen dem Grundversorger und
dem Energieversorger über die Netzdurchleitung zunächst doppelt zahlen zu müssen.
Die Regelungen des EnWG 2005 müssen aufgrund ihrer ausdrücklich Verbraucher
schützenden Zielrichtung dahingehend ausgelegt werden, dass der Verbraucher vor
unnötigen finanziellen Belastungen und Prozessrisiken möglichst freigehalten wird. Da
das EnWG 2005 in § 38 eine ausdrückliche Regelung für eine vertragsfreie Lieferung von
Strom enthält und der Grundversorger insoweit hinreichend vor finanziellen Verlusten
durch vertragsfreie Stromlieferungen geschützt wird, besteht schon kein Bedarf für die
Anwendung der Regelungen der Geschäftsführung ohne Auftrag im Anwendungsbereich
des § 38 EnWG. Etwaige Streitigkeiten über das Bestehen und den finanziellen Ausgleich
von Netzdurchleitungsgenehmigungen können direkt zwischen dem Grundversorger
bzw. Netzbetreiber und dem Energieversorger ausgetragen werden. Dafür sprechen
nicht zuletzt die für solche Streitigkeiten entwickelten speziellen materiell-rechtlichen
und verfahrensrechtlichen Regelungen der §§ 20 ff. EnWG, die aufgrund ihrer Komplexität
und der Beteiligung einer Regulierungsbehörde offensichtlich nicht dafür ausgelegt sind,
von einem Verbraucher nachvollzogen zu werden.
Schließlich spricht auch das in § 1 Abs. 2 EnWG normierte Ziel eines wirksamen und
unverfälschten Wettbewerbs gegen die Anwendung der Regelungen der
Geschäftsführung ohne Auftrag. Denn der Grundversorger würde gegenüber dem
Energieversorger des Haushaltskunden in unnötiger Weise doppelt privilegiert, indem
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Energieversorger des Haushaltskunden in unnötiger Weise doppelt privilegiert, indem
ihm ein Entgeltanspruch direkt gegen den Kunden zuerkannt wird und indem ihm ein
Wettbewerbsvorteil vermittelt wird, weil der Kunde bei Abschluss eines Vertrages mit
dem Grundversorger die dargelegten finanziellen und prozessualen Risiken vermeiden
kann.
d)
Die Klägerin kann den Ersatz vorgerichtlicher Mahnkosten nur in Höhe von 3 Euro
verlangen (§§ 280, 286 BGB). Der Beklagte kam in Verzug, indem er die Zahlung für den
Zeitraum vom 1.1.2007 bis 28.2.2007 nicht zum Fälligkeitstermin leistete. Der der
Klägerin durch den Verzug entstandene Schaden, namentlich die Mehrkosten an
Material und Porto für den Versand der drei Mahnschreiben, wird gemäß § 287 ZPO auf 1
€ pro Schreiben geschätzt. Soweit die Klägerin eine höhere Pauschale von 5,11 €
verlangt, übersteigt eine solche Pauschale die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu
erwartenden Kosten im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 2 StromGVV. Der allgemeine
Verwaltungsaufwand für die Rechtsverfolgung, insbesondere anteilige Personalkosten,
darf bei der Berechnung der Pauschale entgegen der Ansicht der Klägern nicht
berücksichtigt werden (vgl. BR-Drs. 306/06, S. 38; AG Meldorf, Urteil vom 4.12.2007, Az.
84 C 1075/07, zitiert nach juris). Denn diese Kostenpositionen stellen keinen kausalen
Schaden dar, weil sie auch ohne den Verzug der Beklagten angefallen wären (vgl. BGH,
NJW 1976, 1256). Soweit die Klägerin auf das Urteil des OLG Brandenburg Az. 3 U 68/07
verweist, betrifft das Urteil nicht die spezielle Regelung des § 17 Abs. 1 StromGVV und
verhält sich in den Entscheidungsgründen nicht zur Höhe der Mahnkosten. In dem weiter
zitierten Urteil des OLG Brandenburg, Az. 7 U 174/07, wurden Mahnkosten schon gar
nicht zugesprochen.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 97, 101 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Fortbildung des Rechts zuzulassen.
Soweit ersichtlich sind bislang zu § 38 EnWG 2005 keine höchstrichterliche Entscheidung
ergangen. Da die hier relevante Konstellation in der Vergangenheit von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung anders entschieden worden ist, erscheint es zur
Fortbildung des Rechts erforderlich, für die hier vorliegende Rechtsfrage eine
höchstrichterliche Entscheidung zu ermöglichen.
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