Urteil des LG Frankfurt am Main vom 01.03.2010

LG Frankfurt: anleger, erwerb, rechtshängigkeit, anlageberater, bonus, anlageberatung, sparkasse, aufklärungspflicht, trust, gespräch

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Gericht:
LG Frankfurt 19.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-19 O 116/09,
2/19 O 116/09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 280 Abs 1 BGB, § 31 Abs 1
Nr 2 WpHG
Leitsatz
1. Die Beratungspflichten einer Bank, die ihrem Kunden den Erwerb von Zertifikaten
empfiehlt, erstrecken sich auf die Offenlegung von Vertriebsvergütungen.
2. Zur Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens bei Verletzung der Pflicht zur
Offenlegung von Vertriebsvergütungen
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.000,00 € nebst Zinsen hieraus in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.04.2009
zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung der vom Kläger über die Beklagte
erworbenen 40 Zertifikate mit der Bezeichnung
und der ISIN DE000A0SG1R9.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 40.000,00 € nebst Zinsen hieraus in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 18.04.2009
zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung der vom Kläger über die Beklagte
erworbenen 40 Zertifikate mit der Bezeichnung
und der ISIN DE000A0SG1J6.
Die Beklagte wird weiterhin verurteilt, an den Kläger 1.880,20 € nebst Zinsen
hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem
18.04.2009 zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu
vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger nimmt die beklagte Bank wegen Falschberatung im Zusammenhang
mit dem Erwerb von Wertpapieren der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co.
B.V. auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger ist freier Architekt und seit ca. 10 Jahren Kunde der beklagten
Sparkasse. Bis zum Erwerb der streitgegenständlichen Kapitalanlagen hatte der
Kläger bei der Beklagten auf einem Tagesgeldkonto einen Betrag in
Höhe von 65.900,00 € angelegt. Des Weiteren hatte er einen Betrag von ca.
100.000,00 € in einen H.-Trust investiert.
Anfang 2008 kam es zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem bei der
Beklagten angestellten Herrn X, bei dem sich der Kläger unzufrieden mit der
Verzinsung seines Kontos zeigte. Dies wurde an den langjährigen
persönlichen Anlageberater des Klägers im Hause der Beklagten, Herrn Y,
weitergeleitet, der sich telefonisch an den Kläger wandte und mit diesem für den
15.02.2008 einen Besprechungstermin vereinbarte. In Vorbereitung des
Anlageberatungsgesprächs erstellte der Mitarbeiter der Beklagten Z unter dem
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Anlageberatungsgesprächs erstellte der Mitarbeiter der Beklagten Z unter dem
04.02.2008 einen Anlagevorschlag, wegen dessen Inhalts auf Anlage B 2 (Bl. 118 –
120 d.A.) Bezug genommen wird. Es kam sodann zu dem vom Kläger mit den
Herren Y und Z geführten persönlichen Anlageberatungsgespräch vom
15.02.2008, in dessen Verlauf der Kläger seinen mit der Firma H.-Trust
bestehenden Vermögensverwaltungsvertrag kündigte, um die dort investierten
Geldes auf das bei der Beklagten geführte Konto zu transferieren.
Am 21.02.2008 erteilte der Kläger der Beklagten den Auftrag zum Erwerb von 40
Stück Star Bond-Dax-Bonuszertifikaten 03/08 (Gegenstand des Klageantrags zu
1.) gemäß Wertpapierabrechnung vom 17.03.2008 (Anlage K 1, Bl. 23 d.A.) und
weiterer 40 Stück Star Bond-Dax-Kupon-Zertifikaten 03/08 (Gegenstand des
Klageantrags zu 2.) gemäß Wertpapierabrechnung vom 25.03.2008 (Anlage K 2,
Bl. 24 d.A.). Wegen der Gestaltung des erstgenannten Bonus-Zertifikats wird auf
Anlage K 6 (Bl. 40 ff. d.A.) und wegen der Funktionsweise des zweitgenannten
Kupon-Zertifikats wird auf Anlage K 9 (Bl. 49 ff. d.A.) verwiesen. Emittentin beider
Zertifikate ist die niederländische Gesellschaft Lehman Brothers Treasury Co. B.V.,
Garantiegeberin die amerikanische Muttergesellschaft Lehman Brothers Holding
Inc.. Lehman Brothers ist inzwischen insolvent.
Die Beklagte erhielt für die Vermittlung des Kaufs des DAX Kupon-Zertifikates eine
Vertriebsprovision in Höhe von 3,85% des Nominalbetrages und für die
Vermittlung des Erwerbs des DAX Bonus-Zertifikats eine Vertriebsprovision von
insgesamt 5,85%. Diese Provisionen war nicht Gegenstand des am 15.02.2008 mit
den Beratern Y und Z geführten Gesprächs, dessen Verlauf und Inhalt zwischen
den Parteien umstritten ist.
Der Kläger vertritt die Auffassung, die Beklagte sei ihm zum Ersatz des durch die
streitgegenständlichen Kapitalanlagen entstandenen Schadens verpflichtet, weil
sie ihre Beratungspflichten verletzt habe. Die Anlageberater Y und Z wären
verpflichtet gewesen, ihm zur Verdeutlichung ihres Interessenkonflikts
offenzulegen, dass die Beklagte von der Emittentin für die Anlagevermittlung
Vertriebsvergütungen erhalte. Die Offenlegungspflicht habe auch die konkrete
Höhe der von der Beklagten erzielten Provisionen umfasst. Hierzu behauptet er,
dass ihm in Kenntnis der Höhe der beklagtenseits erzielten Vergütungen
erhebliche Zweifel an der Unabhängigkeit der geleisteten Beratung gekommen
wären und er Abstand von dieser Anlage genommen hätte. Auch sei die Beklagte
ihrer Pflicht nicht nachgekommen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass das Kapital
an eine ausländische Emittentin fließe und nicht dem deutschen
Einlagensicherungssystem unterliege. Hierzu behauptet der Kläger, er sei im
Glauben gewesen, eine deutsche Anlage erworben zu haben.
Der Kläger meint weiter, die Anlageberatung sei weder anleger- noch
anlagegerecht gewesen, weil die empfohlenen streitgegenständlichen Zertifikate
seiner auf Sicherheit bedachten konservativen Anlagestrategie nicht entsprochen
hätten. Er behauptet insoweit, den Anlageberatern der Beklagten mitgeteilt zu
haben, dass er das aus der Aufkündigung des bei der H. geführten
Wertpapierdepots (100.000,00 €) freiwerdende Geld erneut mit konservativer
Strategie zum Zwecke der Altersvorsorge anlegen wolle. Dementsprechend weise
der schriftliche Anlagevorschlag der Beklagten vom 04.02.2008 (Anlage K 11, Bl.
57 d.A. und Anlage B 2, Bl. 118 - 120 d.A.) für den Kläger eine
Anlagementalität aus. Dennoch hätten die Berater der Beklagten Y und Z dem
Kläger am 15.02.2008 den Erwerb der streitgegenständlichen Zertifikate
empfohlen. Nach dem Risiko der Anlagen befragt, hätten die beiden Berater dem
Kläger lediglich mitgeteilt, dass bei Unterschreitung der jeweiligen
Sicherheitspuffer von 30% bzw. 50% die Anlage in Endlos-Zertifikate bzw. Endlos-
Anleihen umgewandelt würde und die Anleihen bzw. Zertifikate zu dem jeweiligen
DAX-Wert jederzeit veräußerbar wären. Sobald sich der DAX aber wieder erholt
habe, könne über die Anlage als solche wieder verfügt und das Kapital zu 100%
zurückerhalten werden. Das Kapital würde jedoch bei Unterschreiten der
Sicherheitspuffer nicht mehr verzinst werden. Aufklärungs- und Prospektmaterial
sei dem Kläger weder vor dem Erwerb noch nach dem Erwerb der Anlagen
übergeben worden. Erst nach der Insolvenz von Lehman Brothers und auf
Aufforderung des Klägers habe die Beklagte dem Kläger die beiden in Anlagen K 6
und K 9 vorgelegten Produktflyer übersandt. Wegen Falschberatung sei die
Beklagte zur Erstattung des investierten Geldes Zug-um-Zug gegen
Rückübertragung der streitgegenständlichen Zertifikate verpflichtet. Weiterhin
verlangt der Kläger von der Beklagten Ersatz außergerichtlicher
Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.880,20 €, wegen deren Berechnung auf Bl.
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Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.880,20 €, wegen deren Berechnung auf Bl.
20 d.A. verwiesen wird.
Der Kläger beantragt,
I. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 40.000,00 € nebst Zinsen hieraus
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem
Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung der
vom Kläger über die Beklagte erworbenen 40 Zertifikate mit der Bezeichnung
und der ISIN
DE000A0SG1R9.
II. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 40.000,00 € nebst Zinsen hieraus
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem
Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung der
vom Kläger über die Beklagte erworbenen 40 Zertifikate mit der Bezeichnung
und der ISIN
DE000A0SG1J6.
III. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.880,20 € nebst Zinsen hieraus
in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem
Zeitpunkt der Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, für den Zeitpunkt des Erwerbs der streitgegenständlichen
Zertifikate habe der Kläger keine konservative Anlagestrategie (mehr) verfolgt,
sondern eine . Die zu den klägerischen Wertpapiererfahrungen und
–strategien in dem als Anlage B 3 (Bl. 121 ff. d.A.) vorgelegten Explorationsbogen
gemachten Angaben seien zutreffend. Der Kläger habe im Zeitpunkt des
Beratungsgesprächs vom 15.02.2008 über die „Basisinformationen über
Vermögensanlagen in Wertpapieren (Anlage B 4, Bl. 124 – 127 d.A.) –
Aushändigung am 25.07.2005 – und über de Kundeninformationen zum
Wertpapiergeschäft – Versendung am 17.09.2007 (Anlage B 5, Bl. 128 – 138 d.A.)
– verfügt, aus denen sich die von der Beklagten bei Wertpapierverkäufen erzielen
Provisionen hinreichend deutlich ergäben. Zudem sei dem Kläger von der H. Trust
ZZZ GmbH das in Anlage B 14 (Bl. 312 ff. d.A.) vorgelegte Anlagenkonvolut
zugesandt worden.
In dem Anlageberatungsgespräch vom 15.02.2008 sei zunächst der schriftlich
gefasste Anlagevorschlag vom 04.02.2008 erörtert worden. Im Verlauf des
Gesprächs, in dem der Kläger erklärt habe, er benötige das anzulegende frei
werdende Kapital nicht kurzfristig, da er noch über weiteres Vermögen verfüge,
hätten sich die Erörterungen auf drei Produkte konzentriert, nämlich das Dax-
Bonus-Zertifikat mit einer Laufzeit bis Juni 2009, das Dax-Kupon-Zertifikat mit
einer Laufzeit bis 2013 und den geschlossenen LV-Fonds O.. In dem Gespräch sei
jedes der drei Produkte in allen Einzelheiten besprochen worden. Während des
Gesprächs hätten die schriftlichen Produktinformationen der beiden Zertifikate
(Anlagen K 6 und K 9) vorgelegen. Der als Zeuge benannte Berater Y habe dem
Kläger anhand der vorliegenden Produktunterlagen die Funktionsweise der beiden
Zertifikate erläutert und sei dabei auf alle relevanten Gesichtspunkte
eingegangen. So sei die Person des Emittenten ausdrücklich benannt worden,
ebenso im Grundsatz das Emittentenrisiko, das Risiko der Überleitung in
Endloszertifikate nach Ende der Laufzeit etc. Der Kläger habe sich daraufhin
nochmals Bedenkzeit erbeten. Ihm seien die vollständigen Produktunterlagen zu
beiden in Frage stehenden Zertifikaten ausgehändigt worden. Dann habe sich der
Kläger am 21.02.2008 (unstreitig) telefonisch bei dem Berater Z gemeldet und
diesen über seinen Entschluss informiert. Abweichend von dem ursprünglich von
den Beratern vorgeschlagenen Anlagetranchen von je 15.000,00 € habe sich der
Kläger von sich aus und ohne seitens der Berater zu diesem Schritt veranlasst
oder gar gedrängt worden zu sein, dafür entschieden, in jedes der beiden
vorgeschlagenen Zertifikate einen Betrag von jeweils 40.000,00 € zu investieren.
Die Beklagte vertritt die Auffassung, die Anlageberatung sei anleger- und
objektgerecht gewesen. Ihrer Verpflichtung, über Vertriebsprovisionen aufzuklären,
sei sie ausreichend durch Übergabe der schriftlichen Produktinformationen
(Anlagen K 6 und K 9) im Rahmen des Beratungsgesprächs vom 15.02.2008
nachgekommen, in welcher alle erforderlichen Hinweise auf die Zahlung einer
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nachgekommen, in welcher alle erforderlichen Hinweise auf die Zahlung einer
Vertriebsprovision enthalten gewesen seien. Ferner hätten dem Kläger seit Juli
2005 die schriftliche „Basisinformation“ sowie seit September 2007 die MiFID-
Informationsbroschüre vorgelegen, welche entsprechende Hinweise auf die
Zahlung von Vertriebsprovisionen bei Zertifikaten enthalte. Zudem bestünde auf
der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung keine Hinweispflicht auf
marktübliche Provisionen, zu denen die hier gezahlten Vertriebsvergütungen
zählten. Weiterhin fehle es jedenfalls an einer für einen Schadensersatzanspruch
des Klägers notwendigen Kausalität zwischen den der Beklagten vorgeworfenen
Pflichtverletzungen und dem geltend gemachten Schaden. Die
Kausalitätsvermutung sei richtigerweise auf die Hinweispflicht über
Vertriebsprovisionen nicht anwendbar. Sie setzte voraus, dass es nur
bestimmte Möglichkeit aufklärungsrichtigen Verhaltens gebe. Vorliegend hätten
jedoch mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens bestanden.
Wegen des weitergehenden Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat vollumfänglichen Erfolg.
Der Kläger kann von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes die mit den
Klageanträgen zu I. und II. begehrte Rückabwicklung des Erwerbs der
streitgegenständlichen Zertifikate der Emittentin Lehman Brothers Treasury Co.
B.V. gemäß § 280 Abs. 1 BGB verlangen. Denn die Beklagte hat die ihr aus einem
mit dem Kläger geschlossenen Anlageberatungsvertrag obliegenden
Aufklärungspflichten schuldhaft verletzt.
Zwischen den Parteien ist stillschweigend durch Aufnahme des am 15.02.2008
zwischen dem Kläger und den Anlageberatern der Beklagten Y und Z persönlich in
den Geschäftsräumen der Bank geführten Gesprächs ein Anlageberatungsvertrag
zustande gekommen. Tritt ein Anlageinteressent an eine Bank oder der
Anlageberater einer Bank an einen Kunden heran, um über die Anlage eines
Geldbetrages beraten zu werden bzw. zu beraten, so wird das darin liegende
Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages stillschweigend durch die
Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (vgl. BGH, Urt. v. 06.07.1993, XI
ZR 12/93, BGHZ 123, 126 ff., zit. nach juris, Rn. 11 m.w.Nw.).
Inhalt und Umfang der Beratungspflicht hängen von den konkreten Umständen
des Einzelfalls ab. Die Beratung hat sich zunächst daran auszurichten, ob das
beabsichtigte Anlagegeschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder
spekulativen Charakter hat. Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung
dieses Ziels auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten, also
„anlegergerecht“ sein (vgl. BGH, Urt. v. 25.11.1981, IV a ZR 286/80, NJW 1982,
1095, 1096; BGH, Urt. v. 06.07. 1993, XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 ff., zit. nach
juris, Rn. 17). Ob die streitgegenständlichen Zertifikate diesem Erfordernis
entsprachen oder etwa wegen der nach dem klägerischen Vortrag verfolgten
konservativen Anlagestrategie für die Bedürfnisse des Klägers von vornherein
ungeeignet waren, bedarf weder der tatsächlichen Aufklärung noch der
Entscheidung. Denn der Klageanspruch greift aus anderen, nachfolgend
darzulegenden Gründen durch.
In Bezug auf das Anlageobjekt hat sich die Beratung, um „objektgerecht“ zu sein,
auf diejenigen Eigenschaften und Risiken zu beziehen, die für die jeweilige
Anlageentscheidung wesentliche Bedeutung haben oder haben können, wobei
zwischen den allgemeinen Risiken (Konjunkturlage, Entwicklung des
Börsenmarktes) und den speziellen Risiken zu unterscheiden ist, die sich aus den
individuellen Gegebenheiten des Anlageobjekts (Kurs-, Zins- und Währungsrisiko)
ergeben (vgl. BGH, Urt. v. 06.07. 1993, XI ZR 12/93, BGHZ 123, 126 ff., zit. nach
juris, Rn. 18). Ob hier die Beratung durch die Herren Y und Z diesen Grundsätzen
gerecht geworden ist, der Kläger hinreichend klar und deutlich über das
Emittentenrisiko und die Funktionsweise der empfohlenen Zertifikate aufgeklärt
worden ist, bedarf ebenfalls nicht der Entscheidung. Denn die beratenden
Mitarbeiter der beklagten Bank haben jedenfalls die dieser obliegende
Vertragspflicht zur Offenlegung der an den Vertrieb der empfohlenen
streitgegenständlichen Zertifikate geknüpften Vertriebsvergütungen verletzt.
Die beratende Bank trifft nämlich eine Pflicht, ihren Kunden
bestehende Interessenkonflikte eindeutig offen zu legen, um so den
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bestehende Interessenkonflikte eindeutig offen zu legen, um so den
Kunden die Möglichkeit zu eröffnen, die Sachgerechtigkeit der Beratungsleistung
anhand von Indizien selbst zu überprüfen (vgl. Mülbert: Anlegerschutz bei
Zertifikaten, WM 2007, 1149, 1160). Insoweit kommt der in § 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG
normierten Pflicht eines Wertpapierdienstleistungsunternehmens, vor
Durchführung von Geschäften für Kunden, diesen die allgemeine Art und Herkunft
der bestehenden Interessenkonflikte eindeutig darzulegen, Bedeutung für Inhalt
und Reichweite (vor-)vertraglicher Pflichten zu (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2006, XI ZR
56/05, BGHZ 170, 226 ff., zit. nach juris, Rn. 18; BGH, Urt. v. 19.02.2008, XI ZR
170/07, BGHZ 175, 276 ff., zit. nach juris, Rn. 14). Dies hat der Bundesgerichtshof
mit Urteil vom 19.12.2006 (XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 ff.), dem die Kammer
folgt, für einen Fall der Gewährung von Rückvergütungen beim Vertrieb von
Aktienfondsanteilen durch eine Bank ausdrücklich entschieden. Die tragenden
Erwägungen dieser Entscheidung, die Aufklärung über die Rückvergütung sei
notwendig, um dem Kunden einen insofern bestehenden Interessenkonflikt der
Bank (§ 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG) offen zu legen und ihn in die Lage zu versetzen,
das Umsatzinteresse der Bank selbst einzuschätzen (a.a.O., zit. nach juris, Rn.
23), beschränken sich nicht auf sog. Rückvergütungen aus Ausgabeaufschlägen.
Sie gelten gleichermaßen für sonstige Zuwendungen (vgl. dazu die Legaldefinition
des § 31 d Abs. 2 WpHG), einschließlich der hier von der Beklagten vereinnahmten
Provisionen (in diesem Sinne auch: Mülbert, WM 2007, 1160), soweit sie dem
Kunden nicht (ohnehin) schon bekannt sind.
Diese Aufklärung dient dem maßgeblichen Ziel eines Beratungsvertrags, dem
Anleger eine eigenverantwortliche Entscheidung zu ermöglichen (vgl. Sethe: Die
Zulässigkeit von Zuwendungen bei Wertpapierdienstleistungen, Festschrift für
Nobbe (2009), 769 ff., 782). Da Kunden traditionell auf eine umfassende Beratung
durch Banken vertrauen und vielfach außerdem durch Kontobeziehungen
emotional gebunden sind, besteht die Gefahr, dass die Kunden annehmen, es
werde ihnen ein im Licht des gesamten Marktangebots optimales Produkt
empfohlen (vgl. Koller in: Assmann/Schneider, WpHG, 5. Aufl. 2009, Rn. 54 zu §
31). Die Offenlegung von Zuwendungen Dritter gegenüber dem Kunden der
beratenden Bank fällt in die Kategorie gebotener Warnungen mit der Folge, dass
sie nicht abgeschwächt werden darf (vgl. Koller, a.a.O., Rn. 11 zu § 31 d WpHG). Sie
soll dem Kunden ermöglichen, seine Interessen selbst angemessen zu wahren und
eine sachgerechte Entscheidung darüber zu treffen, ob er die Dienste der
beratenden Bank in Anspruch nehmen will (vgl. BGHZ 164, 235 ff. - für die
Vermögensverwaltung; Mülbert: Auswirkungen der MiFID-Rechtsakte für
Vertriebsvergütungen im Effektengeschäft der Kreditinstitute, ZHR 172 (2008),
170, 191 - für den Vertrieb von Zertifikaten durch Kreditinstitute).
Diesen Anforderungen entsprach die von der Beklagten geleistete Anlageberatung
im vorliegenden Fall nicht. Die Berater Y und Z haben den Kläger unstreitig in dem
Beratungsgespräch vom 15.02.2008 weder auf das „ob“ noch auf die konkrete
Höhe der von Seiten der Emittentin versprochenen Vertriebsvergütungen - 3,85%
des Nominalbetrags des DAX Kupon-Zertifikats sowie 5,85% des Nominalbetrags
des DAX Bonus-Zertifikats – hingewiesen. Dabei kann offen bleiben, ob die
beratungsvertragliche Aufklärungspflicht sich auch für die Zeit Inkrafttreten
des vom Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz vom 16.07.2007 (BGB. I 2007,
1330) geschaffenen § 31 d WpHG noch auf die konkrete der
Vertriebsvergütungen erstreckt oder ob insoweit ein Hinweis auf eine dem Kunden
zur Verfügung gestellte (§ 31 d Abs. 3 WpHG entsprechende)
genügt.
Denn unverzichtbar erscheint eine auf diese
Zusammenfassung, die hier fehlte. Erst diese (unterlassene) Aufklärung hätte den
Kläger in die Lage versetzt, das Eigeninteresse der Beklagten und die damit
verbundene Gefährdung der klägerischen Anlageinteressen richtig einschätzen zu
können (vgl. dazu BGH, Urt. v. 19.12.2006, XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 ff., zit.
nach juris, Rn. 24). Bei Vertriebsvergütungen in einer Größenordnung von
annähernd 4% bzw. annähernd 6% handelt es sich nicht unerhebliche Anteile des
investierten Kapitals.
Auf der Basis vorstehender Ausführungen kann offen bleiben, ob die Zeugen Y und
Z dem Kläger anlässlich des Beratungsgesprächs vom 15.02.2008 die in Anlagen
K 6 (Bl. 40 – 45 d.A.) und K 9 (Bl. 49 – 55 d.A.) vorgelegten Produktflyer übergeben
hatten. Denn die in den Flyern (Anlagen K 6 und K 9) enthaltenen „Rechtlichen
Aspekte und Risikoinformationen – Weitere Informationen“ (Anlage K 6, Bl. 45 d.A.)
bzw. „Weiteren Informationen“ (Anlage K 9, Bl. 55 d.A.) sind nicht geeignet, einem
interessierten Anleger das Eigeninteresse der beratenden Bank zu offenbaren. Die
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interessierten Anleger das Eigeninteresse der beratenden Bank zu offenbaren. Die
darin enthaltenen Hinweise beziehen sich abstrakt auf die Vertriebsstrukturen,
ohne die Vertriebspartner der Emittentin Lehman Brothers namhaft zu machen.
Ihnen lässt sich nicht, jedenfalls nicht ohne weitergehende Informationen,
entnehmen, dass die Beklagte als Vertriebspartnerin zu den
Provisionsempfängern zählte. Zudem fehlen Angaben zur Provisionshöhe. Es
handelt sich um Hinweise, mit denen sich die Emittentin ausdrücklich von einer
eigenen Verantwortlichkeit für ein Beratungsverschulden der
Vertriebsgesellschaften distanzierte.
Auch bedarf nicht der Entscheidung, ob dem Kläger zum Zeitpunkt seiner
Anlageentscheidung (21.02.2008) die „Basisinformationen über
Vermögensanlagen in Wertpapieren“ (Anlage B 4) bzw. die „Kundeninformationen
zum Wertpapiergeschäft“ (Anlage B 5) vorlagen. Denn diese schriftlichen
Informationen wären allenfalls dann zur Erfüllung der Aufklärungspflicht hinsichtlich
zugesagter Provisionen geeignet gewesen, wenn sie dem Kläger „im
Zusammenhang mit der Vermittlung der Vermögensanlage“ (vgl. BGH, Urt. v.
11.05.2006, III ZR 205/05, WM 2006, 1288, zit. nach juris, Rn. 9) übergeben worden
wären. Ohne einen ausdrücklichen Hinweis der Berater Y und/oder Z bestand für
den Kläger weder ein Anlass noch die Obliegenheit, die erhaltenen Unterlagen
darauf durchzusehen, ob sie für seine Anlageentscheidung irgendwie relevante
Informationen enthielten.
Das im Wertpapierkauf zu sehende Schadensereignis beruhte auch auf
dem vorstehend festgestellten Beratungsfehler. Steht, wie hier, eine
Aufklärungspflichtverletzung fest, streitet für den Anleger die Vermutung
aufklärungsrichtigen Verhaltens mit der Folge, dass der Aufklärungspflichtige
beweisen muss, dass der Anleger die Kapitalanlage auch bei richtiger Aufklärung
erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis unbeachtet gelassen hätte
(vgl. BGHZ 61, 118, 122; BGHZ 124, 151, 159 f., BGH, Urt. v. 12.05.2009, XI ZR
586/07, WM 2009, 1274 ff., zit. nach juris, Rn. 22). Diese Vermutung
aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt grundsätzlich für alle Aufklärungsfehler eines
Anlageberaters, also auch für die fehlende Aufklärung über Vergütungen (vgl.
BGH, Urt. v. 12.05.2009, XI ZR 586/07, WM 2009, 1274 ff., zit. nach juris, Rn. 22 –
für Rückvergütungen). Sie greift auch hier ein. Es erscheint durchaus als
lebensnah, dass der Kläger im Falle der Offenlegung der nahezu 4%igen bzw.
nahezu 6%igen Vertriebsvergütung in dieser einen so starken Empfehlungsanreiz
gesehen hätte, dass er die empfohlene Anlage ausgeschlagen hätte.
Dem steht auch die von Beklagtenseite zitierte Entscheidung des
Bundesgerichtshofs vom 13.07.2004 (XI ZR 178/03; NJW 2004, 2967) nicht
entgegen. Diese hat das Eingreifen der Kausalitätsvermutung für einen Fall
verneint, in dem ein Anleger die beklagte Sparkasse wegen
Beratungspflichtverletzung im Zusammenhang mit Geschäften mit Aktien und
Indexzertifikaten in Anspruch nahm. Seine Annahme, dass hier die Vermutung
nicht begründet gewesen sei, weil es vernünftigerweise nicht nur eine, sondern
mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gäbe, hat der
Bundesgerichtshof ausdrücklich insbesondere darauf gestützt, dass der klagende
Anleger die Aktien des Neuen Markts nicht auf Empfehlung der beklagten
Sparkasse, sondern aus eigener Initiative erworben und dabei offensichtlich keine
dauerhafte Kapitalanlage, sondern die Erzielung kurzfristiger Gewinne angestrebt
habe. Vorliegend beruhte der Erwerb der streitgegenständlichen Zertifikate jedoch
– auch unter Berücksichtigung dessen, dass der Kläger die zu investierende
Summe selbst bestimmt hat - auf einer Anlageempfehlung der Beklagten. In
dieser Situation lag es für den Kläger nahe, bei unterstellter Offenlegung der
Provision von der Anlage abzusehen.
Die Kausalitätsvermutung ist von der Beklagten nicht widerlegt worden.
Die Beklagte haftet gemäß §§ 278, 280 Abs. 1, Satz 2 BGB für vermutetes
Verschulden ihrer Anlageberater. Sie befand sich insbesondere nicht in einem
unverschuldeten Rechtsirrtum. Denn die Offenlegung von Vertriebsvergütungen
war schon seit langem geboten. Gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG
in der Fassung der Bekanntmachung vom 09.09.1998 (BGBl. I S. 2708) hatten
Wertpapierdienstleistungsunternehmen ihren Kunden alle zweckdienlichen
Informationen mitzuteilen, soweit dies zur Wahrung der Interessen der Kunden und
im Hinblick auf Art und Umfang der beabsichtigten Geschäfte erforderlich war.
Dazu zählten auch Informationen, die in Konfliktfällen, etwa bei Zahlung von
Vergütungen durch Dritte, die Eigeninteressen der
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Vergütungen durch Dritte, die Eigeninteressen der
Wertpapierdienstleistungsunternehmen beeinträchtigten (vgl. Koller in:
Assmann/Schneider, Kommentar zum WpHG, 3. Aufl. 2003, Rn. 69 zu § 31). Diese
aufsichtsrechtliche Regelung galt zwar nicht unmittelbar zwischen den Parteien
eines Beratungsvertrages. Sie entfaltete jedoch anerkanntermaßen eine
„Ausstrahlungswirkung“ für die Konkretisierung Pflichten (vgl. Koller,
a.a.O., Rn. 19 vor § 31 WpHG). Vor diesem Hintergrund hat der
Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 19.12.2006 (XI ZR 56/05, BGHZ 170, 226 ff.)
die (vor-)vertragliche Aufklärungs- und Beratungspflicht einer Bank, die
Fondsanteile empfiehlt, auf die Mitteilung von Rückvergütungen aus
Ausgabeaufschlägen und Verwaltungskosten erstreckt. Dies steht in einer Linie mit
dem Urteil vom 19.12.2000 (XI ZR 349/99), in welchem der Bundesgerichtshof eine
vorvertragliche Pflicht der Bank, den Anleger auf eine (mit dem
Vermögensverwalter des Anlegers) bestehende Provisions- und
Gebührenbeteiligungsvereinbarung hinzuweisen, angenommen hat. Auch diese
Entscheidung war maßgeblich darauf gestützt, dass die Bank mit der Provisions-
und Gebührenbeteiligungsvereinbarung eine Gefährdung der Kundeninteressen
geschaffen hatte und die Aufklärungspflicht dem Zweck diente, dem (dortigen)
Kläger eine sachgerechte Entscheidung über die Inanspruchnahme der Dienste
des Vermögensverwalters zu ermöglichen (vgl. BGH, Urt. v. 19.12.2000, XI ZR
349/99, BGHZ 146, 235 ff., zit. nach juris, Rn. 20).
Der Kläger ist gemäß § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er stünde, wenn die
Beklagte ihn pflichtgemäß beraten hätte. Er kann im Wege der Naturalrestitution
die beantragte Rückabwicklung der streitgegenständlichen Wertpapiergeschäfte
verlangen. Der Rückzahlungsanspruch ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1, Satz 2 BGB
für die Zeit ab Rechtshängigkeit (17.04.2009) zu mit 5 Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz zu verzinsen.
Der mit Klageantrag zu III. geltend gemachte Anspruch auf Erstattung
vorgerichtlicher Anwaltskosten steht dem Kläger ebenfalls aus
Schadensersatzgesichtspunkten gemäß § 249 BGB zu. Denn der Kläger hätte
ohne das pflichtwidrige Verhalten der Beklagten vorgerichtlich keinen Rechtsanwalt
beauftragt, so dass auch die vorgerichtlich angefallenen Anwaltsgebühren in der
geltend gemachten Höhe (1.880,20 €) zu ersetzen sind. Sie sind gemäß §§ 291,
288 Abs. 1, Satz 2 BGB für die Zeit ab Rechtshängigkeit (17.04.2009) zu mit 5
Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen.
Die Kosten des Rechtsstreits waren gemäß § 91 Abs. 1, Satz 1 ZPO der Beklagten
aufzuerlegen, weil sie unterliegt.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 1 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.