Urteil des LG Frankfurt am Main vom 31.08.2009

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Gericht:
LG Frankfurt 19.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-19 O 287/08,
2/19 O 287/08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 280 BGB, § 398 BGB
Bankenhaftung bei Kapitalanlageberatung: Telefonische
Empfehlung von Zertifikaten der Lehman Brothers Treasury
Co. für ein Wertpapierdepot
Leitsatz
Zur Haftung eines Kreditinstituts bei telefonischer Beratung ohne hinreichende
Aufklärung des Kunden über die Funktionsweise und Risiken des empfohlenen
Zertifikats.
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 7.000,- nebst Zinsen hieraus in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2008 Zug um
Zug gegen Rückübertragung von 7 Zertifikaten mit einem Nennbetrag von je €
1.000,- der Lehman Brothers Treasury Co. B.V., EO-Zo Index Lkd MTN 2007(12),
WKN: A0NZAV, ISIN: DE000A0NZAV4, zu zahlen.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu
vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht ihres Ehemanns XY (Zedent)
Schadensersatz gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit dem Kauf von 7
Zertifikaten der Lehman Brothers Treasury Co. B.V. durch die Beklagte auf
Rechnung des Zedenten geltend.
Der Zedent ist Rechtsanwalt und jedenfalls seit 1991 Kunde der Beklagten. Seit
Februar 2000 unterhält er bei der Beklagten ein Wertpapierdepot.
Am 23.08.2007 (einen Tag vor Ablauf der Zeichnungsfrist) rief ein Mitarbeiter der
Beklagten, der dem Zedenten bis dahin unbekannt war, diesen an seinem
Arbeitsplatz an und riet ihm, die sich zum damaligen Zeitpunkt in seinem Depot
befindlichen Einzelwerte in kleinen Stückzahlen (Daimler AG, Allianz AG, Telekom
AG, Deutsche Post AG und BB Biotech AG) zu verkaufen und von dem Erlös die
streitgegenständlichen Lehman Zertifikate zu erwerben, wobei der genaue Inhalt
des Beratungsgesprächs zwischen den Parteien im Einzelnen streitig ist. Am Ende
des Telefonats erteilte der Zedent der Beklagten den Auftrag, für € 7.000,- die
streitgegenständlichen Lehman Zertifikate für ihn zu erwerben. Am 27.08.2007
erwarb die Beklagte für den Zedenten 7 sog. TwinWin-Zertifikate von Lehman
Brothers zum Preis von insgesamt € 7.000,- (auf die Wertpapierabrechnung, Bl.18
d.A., wird Bezug genommen). Das TwinWin-Zertifikat ist so ausgestaltet, dass auf
die Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50-Indexes spekuliert wird.
Solange der Index während des Beobachtungszeitraums im Verhältnis zum
anfänglichen Bewertungsstichtag zu keinem Zeitpunkt um 50% oder um mehr als
50% gefallen sein sollte, ist der Anleger vor Kapitalverlusten geschützt und kann
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50% gefallen sein sollte, ist der Anleger vor Kapitalverlusten geschützt und kann
Gewinne abhängig von der absoluten Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX
50– Index erzielen. Wird dagegen diese Sicherheitsbarriere gerissen, erhält der
Anleger am Ende der Laufzeit im Jahr 2012 Dow Jones EURO STOXX 50-Zertifikate
mit einer Laufzeit bis 2057, die die Wertentwicklung des Dow Jones EURO STOXX 50
abbilden. Die Emittentin hat in diesem Fall ab 2014 jährlich das Recht, das
Zertifikat zu kündigen (hinsichtlich der Bedingungen des Zertifikats im Einzelnen
wird auf die Anlage K 5, Bl.114 ff d.A., Bezug genommen).
Die Klägerin behauptet, dem Zedenten sei im telefonischen Beratungsgespräch
gesagt worden, dass im ungünstigsten Fall - bei Berührung der Sicherheitsschwelle
- das Kapital zu 100% zurückgezahlt werde. Eine weitere Risikoaufklärung sei
ebenso wenig erfolgt wie ein Hinweis auf den Erhalt einer Vertriebsprovision in
Höhe von 5%. Ferner sei dem Zedenten suggeriert worden, dass es sich um ein
Produkt der Beklagten handele. Schon im März 2007 habe es Hinweise auf eine
verschlechterte Bonität des Emittenten gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilten, an sie € 7.000,- nebst Zinsen hieraus in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug um Zug
gegen Rückübertragung von Zertifikaten in Höhe von nominal € 7.000,- der
Lehman Brothers Treasury Co. B.V., EO-Zo Index Lkd MTN 2007(12)
(DE000A0NZAV4) zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte behauptet, der Zedent habe schon bei einem Gespräch im Juni 2001
erklärt, er sei bereit hohe Verlustrisiken in kauf zu nehmen; dies habe er in dem
Telefongespräch wiederholt. In dem Telefonat sei dem Zedenten die
Funktionsweise des Zertifikates detailliert erklärt worden.
Die Klage ist der Beklagten am 18.12.2008 zugestellt worden.
Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Inhalt der
vorgetragenen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Die Klägerin hat gegenüber der Beklagten aus abgetretenem Recht einen
Anspruch auf Zahlung von € 7.000,- gemäß §§ 280 Abs.1, 398 BGB aufgrund der
Verletzung von Beratungspflichten aus dem zwischen dem Zedenten und der
Beklagten bestehenden Beratungsvertrag.Zwischen dem Zedenten und der
Beklagten ist ein Beratungsvertrag im Zusammenhang mit dem Erwerb der
streitgegenständlichen Zertifikate abgeschlossen worden. Tritt ein
Anlageinteressent an eine Bank oder – wie hier - der Anlageberater einer Bank an
einen Kunden heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden
bzw. zu beraten, so wird das darin liegende Angebot zum Abschluss eines
Beratungsvertrages stillschweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs
angenommen (BGHZ 123, 126, 128). Aus dem Beratungsvertrag ergab sich für
die Beklagte die Pflicht zur objektgerechten Beratung (vgl. zuletzt BGHZ 178, 149,
Rn. 10 ff – zitiert nach juris; BGH v. 05.03.2009 – III ZR 302/07, juris). Diese Pflicht
hat die Beklagte verletzt, indem ihr Mitarbeiter, für den sie gemäß § 278 Satz 1
BGB einzustehen hat, dem Zedenten am Telefon nur unvollständige
Produktinformationen zukommen ließ, die ein unzutreffendes Bild über die
Chancen und Risiken des Produktes vermittelte, ohne ihm vor der
Auftragserteilung schriftliches Informationsmaterial zur Verfügung zu stellen.Es ist
schon zweifelhaft, ob ein Zertifikat mit einer komplexen Struktur wie das
Streitgegenständliche überhaupt in objektgerechter Weise einem Kunden am
Telefon ohne schriftliches Informationsmaterial erläutert werden kann. Jedenfalls
lässt sich aber feststellen, dass auch auf Grundlage des Vorbringen der Beklagten
zum Ablauf des telefonischen Beratungsgesprächs eine objektgerechte Beratung
nicht stattgefunden hat, weil nicht alle wesentlichen Informationen über das
Produkt dem Zedenten mitgeteilt worden sind.
Auch nach dem Vortrag der Beklagten soll der Zedent lediglich darauf hingewiesen
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Auch nach dem Vortrag der Beklagten soll der Zedent lediglich darauf hingewiesen
worden sein, dass bei Berühren oder Unterschreiten der Sicherheitsschwelle er am
Ende der Laufzeit Dow Jones Euro Stocks 50-Endloszertifikate erhält, deren Wert
ohne Begrenzung nach oben oder unten zu 100% am Kurs des Basiswerts
partizipiere. Der Mitarbeiter der Beklagten hat somit unstreitig dem Zedenten
nicht näher erläutert worden, welche Konsequenzen es für ihn hat, wenn er am
Laufzeitende des Zertifikates diese Ersatzzertifikate erhält. Dies wäre aber
erforderlich gewesen, um sich ein Bild von dem mit dem Zertifikat verbundenen
Verlustrisiko zu machen. Dass der Zedent nicht näher nachgefragt hat, entlastet
die Beklagte nicht, weil ein Anleger sich darauf verlassen kann, auch ohne
Rückfragen alle wesentlichen Informationen dargestellt zu bekommen,
insbesondere wenn es um die Risiken einer empfohlenen Anlage geht.
Dementsprechend wird auch in der Produktinformation der Emittentin das
streitgegenständliche Zertifikat betreffend (Anlage K 5, Bl.114 ff, Bl.117 d.A.) unter
der Überschrift „Risiken“ ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im Falle der
Lieferung des Ersatzzertifikats dieses 2057 fällig wird, wobei ein jährliches
Kündigungsrecht der Emittentin (ab 2014) besteht. Es wird erläutert, dass mit
diesem Kündigungsrecht ein Verlustrisiko verbunden ist, aber auch, dass
unabhängig davon in den Fällen der Lieferung des Ersatzzertifikats ein Verlustrisiko
bis hin zum Totalverlust des eingesetzten Kapitals sowie der Transaktionskosten
besteht. Ferner wird darauf hingewiesen, dass Lehman Brothers sich darum
bemühe, börsentäglich einen Sekundärmarktpreis für das Zertifikat und
gegebenenfalls für das Ersatzzertifikat im Frankfurter Freiverkehr zu stellen, was
beinhaltet, dass gewisse Unwägbarkeiten hinsichtlich einer angemessenen
Veräußerungsmöglichkeit des Ersatzzertifikats bestanden. All diese relevanten
Risikoinformationen hat der Zedent auch nach dem Vortrag der Beklagten nicht
erhalten, sodass eine Pflichtverletzung der Beklagten hinsichtlich der geschuldeten
Beratungsleistung festzustellen ist.
Soweit die Beklagte erstmals mit Schriftsatz vom 31.07.2008 - und damit nach
Abschluss der mündlichen Verhandlung – vorträgt, ihr Mitarbeiter habe regelmäßig
den Kunden angeboten, Produktinformationen entsprechend Anlage B 4, Bl.73 ff
d.A., als Email zu schicken, war dies gemäß § 296a ZPO nicht zu berücksichtigen.
Denn der Beklagten war zwar ein Schriftsatznachlass auf den Schriftsatz der
Klägerseite vom 26.06.2009 eingeräumt worden, doch steht dieser neue Vortrag
der Beklagten nicht im Zusammenhang mit dem Schriftsatz vom 26.06.2009; die
Klägerin hatte vielmehr schon mit Schriftsatz vom 23.03.2009 ausgeführt, dass die
Beklagte dem Zedenten weder die Übersendung eines Flyers noch eines offiziellen
Prospektes angeboten habe (Bl.99 d.A.). Davon abgesehen bleibt nach dem
Vortrag der Beklagten unklar, ob auch im konkreten Fall weitergehende schriftliche
Informationen per Email angeboten worden sein sollen. Ferner könnte die
Verneinung einer Pflichtverletzung der Beklagten infolge des Anbietens weiter
Informationen auch nur dann angenommen werden, wenn sie darauf hingewiesen
hätte, dass diese zu einer hinreichenden Risikoeinschätzung des Produkts
erforderlich sind. Die fehlerhafte Beratung der Beklagten war kausal für den Erwerb
der Zertifikate durch den Zedenten. Steht eine Aufklärungspflichtverletzung fest,
streitet für den Anleger die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens, das heißt,
dass der Aufklärungspflichtige beweisen muss, dass der Anleger die Kapitalanlage
auch bei richtiger Aufklärung erworben hätte, er also den unterlassenen Hinweis
unbeachtet gelassen hätte (vgl. BGHZ 61, 118, 122; 124, 151, 159 f.; auch BGH,
Urteil vom 2. März 2009 - II ZR 266/07, WM 2009, 789, Tz. 6 m.w.N.). Diese
Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens gilt grundsätzlich für alle
Aufklärungsfehler eines Anlageberaters (BGH, Urteil vom 12.05.2009 – XI ZR
586/02, juris Rz 22); sie ist von der Beklagten hier nicht widerlegt worden. Es gibt
keine Anhaltspunkte dafür, dass der Zedent die Fehlerhaftigkeit der Beratung
erkannte und seine Anlageentscheidung somit nicht kausal auf der
Pflichtverletzung der Beklagten beruhte.
Gemäß § 249 Abs.1 BGB hat die Beklagte den Zustand herzustellen, der bestehen
würde, wenn der Zedent zutreffend beraten worden wäre, also die
streitgegenständlichen Zertifikate nicht erworben hätte. In diesem Fall könnte der
Zedent noch über € 7.000,- verfügen, hätte andererseits aber auch nicht die
Zertifikate in seinem Depot, sodass die Klägerin aus abgetretenem Recht die
Rückzahlung des Kaufpreises von € 7.000,- Zug-um-Zug gegen Herausgabe der
Zertifikate verlangen kann.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs.1 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
19 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.