Urteil des LG Frankfurt am Main vom 15.03.2017

LG Frankfurt: aufschiebende wirkung, ex tunc, arzneimittel, widerruf, eingriff, abmahnung, vollstreckung, produkt, gesellschaftsrecht, ware

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Gericht:
LG Frankfurt 6.
Zivilkammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2-06 O 682/06,
2/06 O 682/06, 2-6
O 682/06, 2/6 O
682/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 823 Abs 1 BGB
Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten
Gewerbetrieb: Vorliegen einer unberechtigten
Schutzrechtsverwarnung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz wegen einer angeblich
unberechtigten Schutzrechtsverwarnung.
Die Klägerin ist im Bereich von Pharma-Reimporten tätig. Die Beklagte entwickelt
und vermarktet Arzneimittel. Sie war Inhaberin des Europäischen Patents EP 0 673
240 B mit Priorität vom 06.12.1993. Auf Einspruch widerrief die
Einspruchsabteilung des Europäischen Patentamts das Patent wegen mangelnder
erfinderischerer Tätigkeit am 03.05.2001. Hiergegen erhob die Beklagte
Beschwerde.
Mit Schreiben vom 22.12.2005 zeigte die Klägerin unter Bezugnahme auf den
"Besonderen Mechanismus" des EU-Beitrittsvertrages der Beklagten an, dass sie
das Produkt B aus bestimmten Ländern importieren wolle. Sie bat die Beklagte um
patentrechtliche Prüfung sowie um Mitteilung, ab wann sie das Arzneimittel
importieren dürfe. Gleichzeitig versicherte sie, dass sie bei Eingreifen des
"Besonderen Mechanismus" vom Import absehen werde (Anlage K 1). Mit
Schreiben vom 03.01.2006 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass das Produkt B
von dem Europäischen Patent EP 0 673 240 B umfasst sei, das am 06.12.1993
angemeldet wurde und bis 06.12.2013 in Kraft sein werde. Der Grundsatz der
Patenterschöpfung sei nicht eingetreten. Der "Besondere Mechanismus" greife.
Sie bat die Klägerin unter Fristsetzung zum 03.02.2006 zu versichern, dass sie
keinerlei patentverletzenden Aktivitäten hinsichtlich des Imports von B
unternehmen werde, solange die Schutzrechte in Kraft sind (Anlage K 2).
Die Klägerin beauftragte daraufhin die Patentanwaltskanzlei ... die mit Schreiben
vom 18.01.2006 die Klägerin über den Widerruf und das Beschwerdeverfahren in
Kenntnis setzte (Anlage K 3). Mit Schreiben vom 30.01.2006 lehnte die Klägerin die
von der Beklagten geforderte Erklärung wegen des Patentwiderrufs ab (Anlage K
4). Mit Schreiben vom 31.01.2006 forderte die Beklagte erneut eine
entsprechende "Versicherung" ein, diesmal unter Fristsetzung zum 15.02.2006.
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Nach mündlicher Verhandlung vom 23.03.2006 bestätigte das Patentamt den
Widerruf des Patents EP 0 673 240 B.
Die Klägerin behauptet, sie habe auf das Schreiben der Beklagten vom 03.01.2006
neben patentanwaltlicher Hilfe auch den Rat rechtsanwaltlicher Vertreter eingeholt.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin EUR 5.142,53 nebst 8 % Zinsen
über dem Basiszinssatz seit 27.05.2006 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, bei ihren Schreiben vom 03. und 31.01.2006
handele es sich nicht um Abmahnungen. Auch sei der Klägerin kein Schaden
entstanden. Sie behauptet, die Kostennote der Rechtsanwältin ... vom 26.04.2006
und die Kostennote der Patentanwälte ... seien von der Klägerin nicht beglichen
worden. Die Einschaltung der Rechtsanwälte sei nicht erforderlich, die Einschaltung
der Patentanwälte sowieso erforderlich gewesen.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze sowie auf die zur Akte gelangten Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung von
Rechtsverfolgungskosten in Höhe von EUR 5.142,53 wegen einer unberechtigten
Schutzrechtsverwarnung aus § 823 I BGB.
Grundsätzlich ist zwar anerkannt, dass die unberechtigte Verwarnung aus einem
Schutzrecht einen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb darstellt (BGH GRUR 2005, 882 – Unberechtigte
Schutzrechtsverwarnung; BGH GRUR 2006, 219 – Detektionseinrichtung II).
Vorliegend sind jedoch die Voraussetzungen nicht gegeben.
Es kann dahingestellt bleiben, ob eine Schutzrechtsverwarnung gegenüber der
Beklagten berechtigt gewesen wäre. Einerseits verfügte die Beklagte zum
Zeitpunkt der fraglichen Schreiben noch über ein schwebend durchsetzbares
Patent. Gemäß Art. 106 I EPÜ hat die Beschwerde gegen den Patentwiderruf
aufschiebende Wirkung. Das bedeutet, dass aus der angefochtenen Entscheidung
keine Rechtsfolgen hergeleitet werden können. Der Patentschutz bleibt so lange
bestehen, bis über die Beschwerde des Patentinhabers entschieden ist (Benkard,
9. Aufl., § 76 PatG, Rn. 4). Die Klägerin hätte also an der Einführung der
Arzneimittel aus den neuen Beitrittsländern erfolgreich gehindert werden können.
Denn nach der Regelung des "Besonderen Mechanismus" des EU-
Beitrittsvertrages vom 16.04.2003 (Anhang IV, Liste nach Art. 22 der Beitrittsakte,
Nummer 2. Gesellschaftsrecht) kann sich der Inhaber eines Patents für ein
Arzneimittel, das in einem Mitgliedsstaat zu einem Zeitpunkt beantragt wurde, als
ein Schutz in den neuen Mitgliedsstaate nicht erlangt werden konnte, auf das
Patent berufen, um Importe erschöpfter Ware aus den neuen Mitgliedsstaaten in
die Schutzländer zu verhindern. Um eine solche Lage handelte es sich.
Andererseits hat der endgültige Widerruf eines Patents nach Art. 68, 138 I EPÜ,
Art. II § 6 IntPatÜG, §§ 21 III, 22 II PatG zur Folge, dass die Wirkungen des Patents
von Anfang an als nicht eingetreten gelten. So können zum Beispiel vom
vermeintlichen Verletzer bereits gezahlte Schadensersatzbeträge zurückgefordert
werden. Schäden wegen Abnehmerverwarnungen müssen ersetzt werden (BGH
GRUR 2005, 935, 936 – Vergleichsempfehlung II; BGH GRUR 2006, 219, 222 –
Detektionseinrichtung II).
Es kann auch offen bleiben, ob die Aufforderungen der Beklagten unter der
auflösenden Bedingung standen, dass das Streitpatent in Kraft bleibt. Dies könnte
durch die Formulierung ausgedrückt sein, dass die Versicherung der Klägerin nur
gelten soll, "solange unsere Schutzrechte in Kraft sind". Wie lange dies der Fall sein
wird, war zum Zeitpunkt der Schreiben noch nicht absehbar.
Die Schreiben der Beklagten vom 03.01. und 31.01.2007 sind jedenfalls nicht als
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Die Schreiben der Beklagten vom 03.01. und 31.01.2007 sind jedenfalls nicht als
Schutzrechtsverwarnung im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung aufzufassen.
Hierfür bedarf es eines ernsthaften und endgültigen Unterlassungsbegehrens. Ein
nur der Rechtswahrung dienender Meinungsaustausch über die Rechtslage genügt
nicht (BGH GRUR 1997, 896, 897). Von der Schutzrechtsverwarnung abzugrenzen
sind bloße Berechtigungsanfragen oder Hinweise auf die Verletzung von
Ausschließlichkeitsrechten. Es kommt darauf an, ob der Empfänger das Anliegen
unter den Umständen des konkreten Einzelfalls als ernsthafte und endgültige
Forderung verstehen muss, ein bestimmtes Verhalten sofort einzustellen oder als
Aufforderung, sich über das Schutzrecht und eine Schutzrechtsverletzung
Gedanken zu machen und sich ggf. zu einer möglichen Schutzrechtsverletzung zu
äußern. Die Forderung einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und die
Androhung gerichtlicher Schritte sind für die Annahme einer
Schutzrechtsverwarnung zwar nicht notwendig, deuten aber auf die Ernsthaftigkeit
hin (OLG Frankfurt, 11 U 28/05 vom 06.12.2005, BeckRS 2006 02860).
Für die Endgültigkeit der schriftlichen Aufforderungen mag die Fristsetzung in den
Schreiben der Beklagten sprechen. Es fehlt jedoch nach dem objektiven
Empfängerhorizont an einem ernsthaften Unterlassungsbegehren. Gegen die
Ernsthaftigkeit spricht, dass die eingeforderte Erklärung im Vergleich zu üblichen
Schutzrechtsverwarnungen sehr allgemein gehalten ist und nicht auf einen
konkreten Einfuhrtatbestand aus benannten Ländern Bezug nimmt. Die Beklagte
wurde nicht zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung, sondern nur
zu einer unspezifischen Versicherung aufgefordert. Gerichtliche Schritte wurden in
den Schreiben nicht ausdrücklich angedroht. Das Schreiben vom 03.01.2006 war
auch deshalb nicht als Schutzrechtsverwarnung anzusehen, weil es erkennbar nur
der Beantwortung der Anfrage der Klägerin vom 22.12.2005 diente. Dort wurde die
Beklagte ausdrücklich um patentrechtliche Überprüfung und – für den Fall des
Eingreifens des "besonderen Mechanismus" – um ausführliche Mitteilung gebeten,
ab wann das Arzneimittel aus den einzelnen Ländern importiert werden darf.
Letztlich handelte es sich also um eine von der Klägerin provozierte
Stellungnahme.
Ein Anspruch der Klägerin auf Erstattung der Rechtsverfolgungskosten kann auch
nicht aus §§ 4 Nr. 10, 9 UWG hergeleitet werden. Eine Verstoß gegen § 4 Nr. 10
UWG kann durch eine unberechtigte Abmahnung nur ausnahmsweise
angenommen werden, wenn zur mangelnden sachlichen oder rechtlichen
Begründetheit der Abmahnung zusätzliche unlautere Umstände hinzutreten.
Diese können zum Beispiel darin liegen, dass der Abmahnende Kenntnis von der
mangelnden Berechtigung hat (OLG Frankfurt a. a. O.). Vorliegend sind keine
unlauteren Umstände ersichtlich. Der Beklagten war zum Zeitpunkt der Schreiben
nicht positiv bekannt, dass das Patent ex tunc vernichtet werden wird. Der
Ausgang des Beschwerdeverfahrens muss mangels gegenteiliger Anhaltspunkte
als offen bewertet werden. Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, die Klägerin
auf den Widerruf hinzuweisen. Denn es erscheint nicht sittenwidrig, dass die
Beklagte einem Wettbewerber nicht von sich aus offenbart, dass ihrem aktuell
bestandskräftigen Schutzrecht in Zukunft evt. die Vernichtung droht. Nach
Mitteilung der Registernummer für das beanspruchte Schutzrecht war es der
Klägerin leicht möglich, den Verfahrensstand selbst zu ermitteln.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige
Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.