Urteil des LG Frankfurt am Main vom 20.01.2009

LG Frankfurt Main: wiedereinsetzung in den vorigen stand, klage auf unterlassung, urschrift, prozesshandlung, beglaubigung, verschulden, vollstreckung, formerfordernis, erbrecht, klagegegenstand

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Gericht:
OLG Frankfurt 1.
Kartellsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 U 28/08/(Kart)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, §
520 Abs 3 ZPO
Berufungsbegründung: Bezugnahme auf einen in einem
anderen Rechtsstreit eingereichten Schriftsatz
Tenor
Der Antrag der Beklagten, ihr bezüglich der Berufungsbegründungsfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wird zurückgewiesen.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main
vom 05.03.2008 – Az.: 3/8 O 128/07 – wird verworfen.
Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der
Klägerin gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des zu
vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Zwischen den Parteien wurde 1997 ein Vertrag geschlossen, durch den sich die
Beklagte verpflichtete, ausschließlich Alugehäuse der Klägerin zu vertreiben.
Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Vertrag aus kartellrechtlichen Gründen
unwirksam bzw. durch Kündigungen der Beklagten aufgelöst worden ist. Nach
einem einstweiligen Verfügungsverfahren hat die Klägerin beim Landgericht
Frankfurt am Main bei derselben Kammer für Handelssachen zum einen eine Klage
auf Unterlassung des Vertriebs anderer als von der Klägerin gelieferter Alugehäuse
sowie zum anderen die Klage in vorliegender Sache erhoben, mit der sie die
Feststellung begehrt, dass der Vertrag nicht aus kartellrechtlichen Gründen
unwirksam oder durch Kündigungen der Beklagten beendet worden ist. Durch das
angefochtene Urteil hat das Landgericht dem Feststellungsantrag stattgegeben. In
dem weiteren Rechtsstreit ist die Beklagte bei Meidung von Ordnungsmitteln
verurteilt worden, es zu unterlassen, andere als von der Klägerin gelieferte
Alugehäuse zu vertreiben. Gegen beide Urteile hat die Beklagte Berufung
eingelegt. In dem Unterlassungsrechtsstreit ist die Berufung beim 6. Zivilsenat
eingetragen worden (Aktenzeichen 6 U 81/08). Unter dem Aktenzeichen des 6.
Zivilsenats hat die Beklagte in jener Sache ihre Berufung mit Schriftsatz vom
24.6.2008, eingegangen am selben Tag, begründet. Mit Schriftsatz vom
24.6.2008, ebenfalls eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Beklagte in
der vorliegenden Sache die Berufung begründet. In der vorliegenden Sache hat die
Beklagte in der Berufungsbegründung „vollumfänglich Bezug auf den beigefügten
Schriftsatz in dem Parallelverfahren 6 U 81/08, der als Anlage mit seinen Anlagen
diesem Schriftsatz beigefügt ist" genommen und die dort enthaltenen
Ausführungen und Beweisantritte zum Gegenstand der Berufungsbegründung im
hiesigen Verfahren gemacht. Der Berufungsbegründung war eine einfache
Fotokopie der Berufungsbegründung in der Sache 6 U 81 /08 sowie ein in einem
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Fotokopie der Berufungsbegründung in der Sache 6 U 81 /08 sowie ein in einem
einstweiligen Verfügungsverfahren zwischen den Parteien gestellter Antrag nach §
927 ZPO ebenfalls in einfacher Kopie beigefügt. Nach einem Hinweis des Senats
vom 10.7.2008 auf die Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung hat die
Beklagte am 18.7.2008 die der Berufungsbegründung beigefügten Kopien
nochmals und nunmehr mit unterschriebenen Beglaubigungsvermerken sowie
weitere beglaubigte Abschriften von in der Parallelsache in erster Instanz
eingereichten Schriftsätzen vorgelegt sowie Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand begehrt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des am 5.3.2008 verkündeten Urteils des Landgerichts
Frankfurt am Main (Az. 3-8 O 160/07) die Klage der Klägerin und
Berufungsbeklagten abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte meint, die Berufungsbegründung sei nicht ordnungsgemäß gewesen.
Wegen des Parteivortrags im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug
genommen.
II.
1.) Die Berufung ist unzulässig, weil die Beklagte ihr Rechtsmittel nicht innerhalb
der Berufungsbegründungsfrist, die bis zum 24.6.2008 lief, begründet hat. Die
vorgelegte Berufungsbegründung genügt nicht den Anforderungen des § 520 ZPO.
Es fehlt an den Ausführungen gemäß § 520 Abs. 3 Nrn 2. bis 4. ZPO.
Wenn in der Berufungsbegründung auf einen in einem anderen Rechtsstreit
eingereichten Schriftsatz Bezug genommen wird, so erfüllt das die
Formerfordernisse für die Berufungsbegründung nur, wenn der in Bezug
genommene Schriftsatz zumindest in beglaubigter Abschrift beigefügt wird. Eine
einfache Abschrift genügt grundsätzlich nicht (BGHZ 13, 244,247; BGH MDR 1966,
665; VersR 1985, 67, 68; VersR 1994, 71, 72; offen gelassen in BGH VersR 1977,
1004).
Die Unterschrift des in der Berufungsinstanz beauftragten Rechtsanwalts unter der
Berufungsbegründungsschrift oder zumindest unter dem Beglaubigungsvermerk
auf dem in Bezug genommenen Schriftsatz ist als äußerer Nachweis dafür
erforderlich, dass er die Verantwortung für das in Bezug genommene Vorbringen
übernimmt. Daneben ist bei der Bezugnahme auf einen in einem anderen
Rechtsstreit eingereichten Schriftsatz für das Berufungsgericht eine Gewähr dafür
erforderlich, dass die beigefügte Abschrift mit der Urschrift übereinstimmt, ohne
dass deshalb die Akte des anderen Rechtsstreits beigezogen werden muss (BAG
MDR 1966, 565, 566).
Von diesem Formerfordernis ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung nur
dann eine Ausnahme gemacht worden, wenn sich die Notwendigkeit eines
Beglaubigungsvermerkes als bloße Förmelei erweisen würde (BGH Urteil vom
9.9.2004 – Az.: I ZR 269/01; BAG a. a. O.; BAG AP § 519 Nr. 20). In diesen Fällen
bestand die Besonderheit jedoch darin, dass es sich um bei demselben Senat
anhängige Berufungsverfahren und um denselben Streitstoff beziehungsweise um
im Wesentlichen gleich liegende Sachen handelte. Beide Voraussetzungen sind im
Streitfall jedoch nicht erfüllt. Bei Eingang der Berufungsbegründungen waren die
Berufungen bei verschiedenen Senaten des Oberlandesgerichts anhängig. Wenn
die parallel liegenden Rechtsstreite bei demselben Spruchkörper geführt werden,
ist die Überprüfung, ob der in Kopie beigefügte Schriftsatz mit der Urschrift
übereinstimmt, grundsätzlich ohne nennenswerte Umstände möglich, da die
Urschrift dem Spruchkörper – wenn auch in einer anderen Sache – vorliegt.
Werden die Berufungsverfahren dagegen wie im Streitfall bei verschiedenen
Senaten geführt, bedarf es erst der Beiziehung der Akten oder zumindest der
Urschrift des in Bezug genommenen Schriftsatzes, so dass es nicht ohne weiteres
möglich ist, die Übereinstimmung von Urschrift und (unbeglaubigter) Abschrift
festzustellen. Hinzu kommt in vorliegender Sache, dass es sich hier um einen
unterschiedliche Streitgegenstände insoweit handelt, als in der Parallelsache
Klagegegenstand die Unterlassung des Fremdbezugs ist, während es hier um die
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Klagegegenstand die Unterlassung des Fremdbezugs ist, während es hier um die
Feststellung des Bestands des Vertragsverhältnisses geht. Zwar ist der Bestand
des Vertragsverhältnisses eine Vorfrage für den Unterlassungsanspruch in dem
parallel liegenden Rechtsstreit, jedoch enthält die in Bezug genommene
Berufungsbegründung weitere Ausführungen (zur Bestimmtheit des
Klageantrages).
2.) Der fristgerecht gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung in die
Berufungsbegründungsfrist ist zulässig. Bedenken gegen seine Zulässigkeit
ergeben sich zwar daraus, dass nach § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO die versäumte
Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist nachzuholen ist. Die versäumte
Prozesshandlung ist die Berufungsbegründung, zu der auch die Berufungsanträge
gehören (§ 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ZPO). Das Wiedereinsetzungsgesuch enthält
jedoch die Berufungsanträge nicht mehr. Andererseits braucht die versäumte
Prozesshandlung nicht nachgeholt zu werden, wenn sie bereits vor Stellung des
Wiedereinsetzungsantrages gegenüber dem Gericht vorgenommen worden ist
(BGH NJW 2000, 3286). Die Berufungsbegründung vom 24.6.2008 ist aber
bezüglich eines Teils des notwendigen Inhalts, nämlich hinsichtlich der
Berufungsanträge ordnungsgemäß. Eine Nachholung bedurfte es nur wegen der
Ausführungen gemäß § 520 Abs. 3 Satz 2 Nrn. 2. und 3. ZPO.
Das Wiedereinsetzungsgesuch ist jedoch unbegründet. Die Beklagte war nicht
ohne ihr Verschulden (§ 233 ZPO) gehindert, innerhalb der
Berufungsbegründungsfrist eine ordnungsgemäße Begründung vorzulegen. Dabei
hat sie sich ein Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten gemäß § 85 Abs. 2
ZPO zurechnen zu lassen. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hätten sich
nicht aufgrund der vorerwähnten Entscheidungen des Bundesgerichtshofes vom
9.9.2004 und des Bundesarbeitsgerichts darauf verlassen dürfen, dass die
Beglaubigung der zur Begründung des Rechtsmittels beigefügten
Schriftsatzkopien nach den Formerfordernissen des § 520 ZPO überflüssig sei. Im
Grundsatz bedarf es – wie oben ausgeführt – einer solchen anwaltlichen
Beglaubigung. Davon ist nur unter besonderen Umständen eine Ausnahme zu
machen. Ob ein derartiger Ausnahmefall zu bejahen ist, kann im Einzelfall
zweifelhaft sein. Dass auch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten hier Zweifel
hatten, ergibt sich aus der Formulierung am Ende der Berufungsbegründung:
„Sollte der Senat eine solche Bezugnahme nicht für ausreichend erachten,
bitte ich um einen entsprechenden Hinweis.“
Der Rechtsanwalt muss bei einer unsicheren Rechtslage vorsorglich so handeln,
wie es bei einer für seinen Mandanten ungünstigen Entscheidung zur Wahrung
seiner Belange erforderlich ist. Dabei muss er immer den sichersten Weg gehen
(BGH NJW 1989, 1155, 1156; Stein/Jonas/Herbert Roth, ZPO, 22. Aufl., § 233 Rdn.
50; Zöller/Greger, ZPO; 27. Aufl., § 233 Rdn. 23 „Rechtsirrtum“). Es wäre für die
Prozessbevollmächtigten der Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, die
eingereichten Schriftsatzkopien zu beglaubigen.
3.) Die Kostentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
Die Revision ist nicht gemäß § 543 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine
grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordern.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.